Entscheidungsdatum: 20.10.2016
Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird der Beschluss der 29. Zivilkammer des Landgerichts Frankfurt am Main vom 4. Juli 2014 aufgehoben. Es wird festgestellt, dass dieser Beschluss und der Beschluss des Amtsgerichts Frankfurt am Main vom 20. Juni 2014 den Betroffenen in seinen Rechten verletzt hat, soweit Sicherungshaft für den Zeitraum nach dem 31. Juli 2014 angeordnet worden ist.
Hinsichtlich des Zeitraums bis zum 31. Juli 2014 wird die Sache zur anderweitigen Behandlung und Entscheidung an das Beschwerdegericht zurückverwiesen.
Der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens beträgt 5.000 €.
I.
Der Betroffene, ein gambischer Staatsangehöriger, reiste 1997 unter falschem Namen nach Deutschland ein und beantragte erfolglos Asyl. Er ist mit einer Deutschen verheiratet, mit der er eine gemeinsame, am 17. April 2000 geborene Tochter hat, jedoch nicht mehr zusammenlebt. Er war bis zum Erlöschen seiner Erlaubnis am 6. März 2009 zum Aufenthalt und zur Niederlassung im Bundesgebiet berechtigt. Er ist in insgesamt 34 Fällen wegen Körperverletzung und Verstößen gegen das Betäubungsmittelgesetz strafrechtlich in Erscheinung getreten. Mit Bescheid vom 20. Dezember 2012 forderte ihn die beteiligte Behörde auf, das Bundesgebiet zu verlassen und drohte ihm die Abschiebung an. Am 11. Juni 2014 wurde der Betroffene wegen des Verdachts eines Verstoßes gegen das Betäubungsmittelgesetz festgenommen.
Auf Antrag der beteiligten Behörde hat das Amtsgericht mit Beschluss vom 20. Juni 2014 gegen den Betroffenen Haft zur Sicherung von dessen - im Verlauf des Verfahrens für den 25. Juli 2014 vorgesehenen, aber nicht durchgeführten - Abschiebung nach Gambia bis zum 11. September 2014 angeordnet. Die Beschwerde hat das Landgericht zurückgewiesen. Dagegen wendet sich der Betroffene mit der Rechtsbeschwerde. Mit Beschluss vom 2. September 2014 hat der Senat die Vollziehung der Sicherungshaft einstweilen ausgesetzt. Der Betroffene beantragt nunmehr, die Rechtswidrigkeit der Haft festzustellen.
II.
Das Beschwerdegericht hält die Anordnung der Sicherungshaft für rechtmäßig. Die Haftgründe nach § 62 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 und 5 AufenthG aF lägen vor. Der Betroffene habe der Ausländerbehörde seinen Aufenthaltswechsel nicht angezeigt. Er sei nicht ausreisewillig; es bestehe der Verdacht, dass er sich der Abschiebung entziehen wolle. Zu seiner Ehefrau habe der Betroffene keinen Kontakt mehr. Die Ausländerbehörde habe sich um die Durchführung der Abschiebung bemüht und zwischenzeitlich auch die Erteilung der erforderlichen Passersatzpapiere erreicht. Die Abschiebung sei nunmehr für den 25. Juli 2014 vollständig organisiert. Hinsichtlich der darüber hinausgehenden Haftanordnung bis zum 11. September 2014 sei der Betroffene voraussichtlich nicht mehr beschwert.
III.
Diese Erwägungen halten einer rechtlichen Prüfung nicht stand.
1. Die Anordnung von Haft zur Sicherung der Abschiebung des Betroffenen scheitert allerdings entgegen der Ansicht seiner Verfahrensbevollmächtigten nicht daran, dass der Haftantrag der beteiligten Behörde unzulässig war.
a) Sicherungshaft darf nur angeordnet werden, wenn der Haftantrag den Anforderungen des § 417 Abs. 2 FamFG nicht genügt. Denn ein diesen Anforderungen nicht entsprechender Haftantrag bietet keine Grundlage für die Anordnung von Abschiebungshaft (Senat, Beschluss vom 16. Juli 2014 - V ZB 80/13, InfAuslR 2014, 384 Rn. 15). In dem Haftantrag muss nach § 417 Abs. 2 Satz 2 Nr. 4 FamFG unter anderem die erforderliche Dauer der Freiheitsentziehung dargelegt werden. Die Darlegung darf knapp gehalten sein, muss aber die für die richterliche Prüfung wesentlichen Punkte des Falls ansprechen (vgl. Senat, Beschluss vom 15. September 2011 - V ZB 123/11, FGPrax 2011, 317 f. Rn. 9). Sie muss auf den konkreten Fall zugeschnitten sein; Leerformeln und Textbausteine genügen nicht (Senat, Beschluss vom 27. Oktober 2011 - V ZB 311/10, FGPrax 2012, 82 Rn. 13).
b) Dem entsprach der Haftantrag der beteiligten Behörde aber auch. Diese legt in dem Antrag dar, dass und weshalb der Betroffene vollziehbar ausreisepflichtig ist und welcher Zeitraum für die Durchführung der Abschiebung benötigt wird. Sie durfte sich für dessen Bestimmung auf die Erfahrungen der örtlichen Bundespolizeidirektion stützen (vgl. Senat, Beschluss vom 30. Juni 2016 - V ZB 143/14, juris Rn. 7). An der Zulässigkeit des Haftantrags ändert es nichts, dass sich dem Antrag nichts dafür entnehmen lässt, weshalb statt der nach den Darlegungen der beteiligten Behörde für die Beschaffung der Passersatzpapiere und die Vorbereitung der Abschiebung erforderlichen 6 bis 8 Wochen eine Haft von fast 12 Wochen beantragt wird. Zweck des Begründungserfordernisses ist es, den Richter und den Betroffenen durch die Angaben der Behörde in die Lage zu versetzen, die Rechtmäßigkeit des Haftantrags zu prüfen. Ob die Angaben in dem Haftantrag der beteiligten Behörde sachlich richtig sind oder - worum es hier geht - eine tragfähige Grundlage für die beantragte Haft bieten, ist dagegen keine Frage der Zulässigkeit, sondern der Begründetheit des Haftantrags (vgl. Senat, Beschlüsse vom 12. Dezember 2013 - V ZB 214/12, juris Rn. 9 und vom 16. Juni 2016 - V ZB 12/15, juris Rn. 10).
2. Die jeweils festgestellten Tatsachen tragen aber weder die Haftanordnung durch das Amtsgericht noch ihre Aufrechterhaltung durch das Beschwerdegericht.
a) Die Haftgerichte sind auf Grund von Art. 20 Abs. 3 und Art. 104 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 1 GG verfassungsrechtlich und auf Grund von § 26 FamFG einfachrechtlich verpflichtet, das Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen für die Anordnung von Sicherungshaft in rechtlicher und tatsächlicher Hinsicht umfassend zu prüfen. Die Freiheitsgewährleistung des Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG setzt auch insoweit Maßstäbe für die Aufklärung des Sachverhalts und damit für die Anforderungen in Bezug auf die tatsächliche Grundlage der richterlichen Entscheidungen. Es ist unverzichtbare Voraussetzung rechtsstaatlichen Verfahrens, dass Entscheidungen, die den Entzug der persönlichen Freiheit betreffen, auf zureichender richterlicher Sachaufklärung beruhen und eine in tatsächlicher Hinsicht genügende Grundlage haben, die der Bedeutung der Freiheitsgarantie entspricht (BVerfGK 15, 139, 144 f.; Senat, Beschlüsse vom 20. Januar 2011 - V ZB 226/10, FGPrax 2011, 144 Rn. 15, vom 11. Mai 2011 - V ZB 265/10, FGPrax 2011, 201 Rn. 8 und vom 16. Juni 2016 - V ZB 12/15, juris Rn. 14). Der Richter hat nach Art. 104 Abs. 2 Satz 1 GG die Verantwortung für das Vorliegen der Voraussetzungen der von ihm angeordneten oder bestätigten Haft zu übernehmen. Dazu muss er die Tatsachen feststellen, die die Freiheitsentziehung rechtfertigen (Senat, Beschlüsse vom 10. Juni 2010 - V ZB 204/09, NVwZ 2010, 1172 Rn. 26, vom 17. Oktober 2013 - V ZB 172/12, InfAuslR 2014, 52 Rn. 14 und vom 16. Juni 2016 - V ZB 12/15 aaO).
b) Diesen Anforderungen werden die Haftanordnung und die Entscheidung des Beschwerdegerichts nicht gerecht.
aa) Das Amtsgericht durfte gegen den Betroffenen Haft zur Sicherung von dessen Abschiebung über den 31. Juli 2014 hinaus nicht anordnen. Das Beschwerdegericht durfte eine über diesen Zeitraum hinausgehende Haft nicht aufrechterhalten; es war im Gegenteil von Amts wegen verpflichtet, die Haft auf den 31. Juli 2014 zu begrenzen.
(1) Die beteiligte Behörde hatte zwar Haft in diesem Umfang beantragt, aber dargelegt, dass sie für die Beschaffung der Passersatzpapiere einen Zeitraum von sechs bis acht Wochen benötige und dass die Vorbereitung der Abschiebung parallel betrieben werde könne und in diesem Zeitraum aufgehe. Unter Berücksichtigung der gegen den Betroffenen mit einem vorausgegangenen Beschluss vom 12. Juni 2014 angeordneten vorläufigen Freiheitsentziehung und der Verpflichtung zur Begrenzung der Haft auf den kürzest möglichen Zeitraum (§ 62 Abs. 1 Satz 2 AufenthG) durfte das Amtsgericht ohne zusätzliche Erkenntnisse keine Haft über den 31. Juli 2014 hinaus anordnen. Dass das Amtsgericht zusätzliche Erkenntnisse gewonnen hätte, lässt sich seinem Beschluss nicht entnehmen. Es referiert dort den Vortrag der Behörde, der eine ausreichende tatsächliche Grundlage für die Anordnung einer längeren Haft nicht ergab.
(2) Das Beschwerdegericht hätte die über den 31. Juli 2014 hinaus angeordnete Haft nicht aufrechterhalten dürfen. Es stellt nämlich fest, dass die Abschiebung für den 25. Juli 2014 durchorganisiert war. Es musste die Haft zwar nicht auf den 25. Juli 2014 begrenzen und durfte der beteiligten Behörde einen zeitlichen Puffer für allfällige Verzögerungen bis zum 31. Juli 2014 einräumen. Es musste sie aber nach § 62 Abs. 1 Satz 2 AufenthG, § 426 Abs. 1 FamFG von Amts wegen für den Zeitraum danach aufheben. Davon durfte es auch nicht mit der Begründung absehen, der Betroffene werde durch die überschießende Haft nicht beeinträchtigt. Durch dieses Vorgehen wurde die angeordnete Haft für diesen Zeitraum zu einer Vorratshaft, die das Gesetz nicht zulässt (dazu. Senat, Beschlüsse vom 9. Juni 2011 - V ZB 26/11, juris Rn. 8 und vom 4. Dezember 2014 - V ZB 77/14, BGHZ 203, 323 Rn. 6). Der Betroffene hat tatsächlich auch etwa einen Monat in Haft verbracht, ohne dass Gründe hierfür festgestellt waren.
bb) Für den Zeitraum bis zum 31. Juli 2014 bieten die von den Vorinstanzen getroffenen Feststellungen zwar ebenfalls keine ausreichende tatsächliche Grundlage für die Anordnung und die Aufrechterhaltung der Sicherungshaft gegen den Betroffenen. Es lässt sich aber andererseits nicht ausschließen, dass diese Grundlage vorhanden war.
(1) Der Betroffene hatte, worauf seine Verfahrensbevollmächtigten im Rechtsbeschwerdeverfahren vor dem Senat zu Recht hinweisen, nach der Anordnung der vorläufigen Haft, aber vor der Anordnung der Sicherungshaft, um die es hier geht, vortragen lassen, er lebe nicht deshalb von seiner Frau und seiner minderjährigen Tochter getrennt, weil er das wolle, sondern weil es die Umstände nicht anders zuließen. Dies stelle auch einen wesentlichen Punkt in einem Verwaltungsrechtsstreit gegen die beteiligte Behörde vor dem Verwaltungsgericht Frankfurt am Main dar. In der Beschwerdebegründung hat der Betroffene dieses Verfahren unter Vorlage von Schriftsätzen an das Verwaltungsgericht erneut erwähnt.
(2) Wie Vortrag zu familiären Bindungen ausländerrechtlich zu bewerten ist, insbesondere, ob sich hieraus etwa unter dem Gesichtspunkt einer Duldung des Aufenthalts Abschiebungshindernisse ergeben, hat der Haftrichter zwar weder zu prüfen noch zu entscheiden. Das ist vielmehr Aufgabe der Verwaltungsgerichte (Senat, Beschlüsse vom 12. Juni 1986 - V ZB 9/86, BGHZ 98, 109, 112 und vom 25. Februar 2010 - V ZB 172/09, NVwZ 2010, 726 Rn. 23). Er muss sich aber nach dem Stand und dem voraussichtlichen Fortgang der Prüfung der Ausländerbehörde und eines bereits anhängigen verwaltungsgerichtlichen Verfahrens erkundigen und prüfen, ob sich hieraus Zweifel an der Durchführbarkeit der Abschiebung oder der Verhältnismäßigkeit der Haft ergeben (BVerfGK 15, 139, 146; Senat, Beschlüsse vom 25. Februar 2010 - V ZB 172/09, NVwZ 2010, 726 Rn. 24, vom 10. Mai 2012 - V ZB 246/11, FGPrax 2012, 225 Rn. 14 und vom 11. Oktober 2012 - V ZB 274/11, FGPrax 2013, 40 Rn. 11; vgl. auch Senat, Beschluss vom 4. April 2016 - V ZB 112/15, juris Rn. 16). Die erforderlichen Erkundigungen sind hier unterblieben. Ohne sie durfte die Haft nicht angeordnet werden.
III.
Hinsichtlich des Zeitraums nach dem 31. Juli 2014 ist die Sache zur Endentscheidung reif. Insoweit ist festzustellen, dass die Haftanordnung und die Beschwerdeentscheidung den Betroffenen in seinen Rechten verletzt haben. Für den Zeitraum bis zum 31. Juli 2014 ist die Sache dagegen noch nicht zur Entscheidung reif, weil es an den dafür notwendigen Feststellungen zum Stand der Bemühungen des Betroffenen um eine Duldung fehlt. Die Sache ist daher zur anderweitigen Behandlung und Entscheidung an das Beschwerdegericht zurückzuverweisen. Dafür weist der Senat auf folgendes hin:
1. Der Betroffene wird zu den ergänzenden Feststellungen erneut persönlich anzuhören sein.
2. Sollten die Feststellungen ergeben, dass die Bemühungen des Betroffenen um eine Duldung eine tragfähige Grundlage hatten, könnte das die Durchführbarkeit der Abschiebung, aber auch seine Absicht in Frage stellen, sich der Abschiebung zu entziehen.
3. Für den Fall, dass die Haft auf den Haftgrund nach § 62 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 AufenthG gestützt werden soll, weist der Senat auf die Verpflichtung der Ausländerbehörde hin, dem Betroffenen einen Hinweis auf die Anzeigepflicht und die Möglichkeit der Anordnung von Abschiebungshaft zu erteilen (dazu: Senat, Beschlüsse vom 9. Februar 2011 - V ZB 16/11, juris Rn. 5, vom 19. Mai 2011 - V ZB 36/11, FGPrax 2011, 254 Rn. 10 und vom 19. Juni 2013 - V ZB 96/12, juris Rn. 18), und zwar bei des Deutschen Unkundigen unter Übersetzung in eine Sprache, die sie beherrschen (Senat, Beschluss vom 14. Januar 2016 - V ZB 178/14, FGPrax 2016, 87 Rn. 8 f.).
Stresemann |
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Schmidt-Räntsch |
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Brückner |
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Göbel |
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Haberkamp |
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Berichtigungsbeschluss vom 4. Januar 2017:
Der Beschluss des Senats vom 20. Oktober 2016 wird gemäß § 42 FamFG wegen einer offensichtlichen Unrichtigkeit berichtigt; im ersten Satz der Randnummer 6 wird das sinnentstellende Wort „nicht“ gestrichen.
Schmidt-Räntsch |
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Brückner |
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Weinland |
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Göbel |
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Haberkamp |
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