Bundesgerichtshof

Entscheidungsdatum: 14.01.2016


BGH 14.01.2016 - V ZB 178/14

Abschiebehaftanordnung: Haftgrund des nicht angezeigten Aufenthaltswechsels bei nur in deutscher Sprache erfolgtem Hinweis auf die Folgen der Pflichtverletzung


Gericht:
Bundesgerichtshof
Spruchkörper:
5. Zivilsenat
Entscheidungsdatum:
14.01.2016
Aktenzeichen:
V ZB 178/14
ECLI:
ECLI:DE:BGH:2016:140116BVZB178.14.0
Dokumenttyp:
Beschluss
Vorinstanz:
vorgehend LG Arnsberg, 16. September 2014, Az: I-5 T 287/14vorgehend AG Meschede, 9. September 2014, Az: 4 XIV (B) 8/14, Beschluss
Zitierte Gesetze

Leitsätze

Der Haftgrund des nicht angezeigten Aufenthaltswechsels nach § 62 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 AufenthG setzt voraus, dass der erforderliche Hinweis auf die Folge einer Verletzung der Pflichten nach § 50 Abs. 4 AufenthG einem Betroffenen, der Deutsch nicht beherrscht, in seine Muttersprache oder eine andere Sprache übersetzt wird, die er beherrscht.

Tenor

Auf die Rechtsbeschwerde wird festgestellt, dass die Beschlüsse des Amtsgerichts Meschede vom 9. September 2014 und des Landgerichts Arnsberg - 5. Zivilkammer - vom 16. September 2014 den Betroffenen in seinen Rechten verletzt haben.

Gerichtskosten werden in allen Instanzen nicht erhoben. Die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Auslagen des Betroffenen in allen Instanzen werden dem Hochsauerlandkreis auferlegt.

Der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens beträgt 5.000 €.

Gründe

I.

1

Der Betroffene reiste am 3. Juni 2013 unerlaubt über Ungarn in die Bundesrepublik ein und stellte am 7. Juni 2013 einen Asylantrag. Am 12. Juni 2013 wurde er einer Unterkunft im Landkreis Meschede zugewiesen. Hierbei erhielt er einen vorgedruckten Hinweis in deutscher Sprache, dass er jedes Verlassen seines Aufenthaltsortes anzuzeigen und mit der Anordnung von Abschiebungshaft zu rechnen habe, falls er dagegen verstoße. Eine Übersetzung hiervon erhielt er nicht. Am 18. Dezember 2013 erklärte sich Ungarn zur Rücknahme des Betroffenen bereit. Sein Asylantrag wurde mit Rücksicht hierauf durch Bescheid vom 20. Januar 2014 abgelehnt. Ein am gleichen Tag bei dem Verwaltungsgericht gestellter Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz wurde am 4. März 2014 zurückgewiesen. Noch im März 2014 reiste der Betroffene nach Berlin, ohne dies der Ausländerbehörde angezeigt und bei dieser eine Genehmigung beantragt zu haben. Infolgedessen erreichte ihn die Nachricht der Ausländerbehörde vom 14. April 2014 nicht, er solle sich für den 17. April 2014 zur Abschiebung bereithalten. Als er sich am 9. September 2014 bei der beteiligten Behörde vorstellte, wurde er festgenommen.

2

Auf deren Antrag hat das Amtsgericht am gleichen Tag Haft zur Sicherung der Rücküberstellung nach Ungarn bis zum 8. Oktober 2014 angeordnet. Unter Zurückweisung der weitergehenden Beschwerde hat das Landgericht die Haft auf den 6. Oktober 2014 verkürzt. Der Betroffene ist am 26. September 2014 aus der Haft entlassen worden, nachdem das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge ein Abschiebungshindernis festgestellt hatte. Mit der Rechtsbeschwerde beantragt der Betroffene, die Rechtswidrigkeit der angeordneten Haft festzustellen.

II.

3

Das Beschwerdegericht hält den Haftantrag für ausreichend. Die Voraussetzungen für die Anordnung von Sicherungshaft hätten vorgelegen. Der Betroffene sei vollziehbar ausreisepflichtig. Die Haftgründe nach § 62 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 und 3 AufenthG hätten vorgelegen. Der Betroffene habe die ihm zugewiesene Unterkunft ohne Unterrichtung und Genehmigung der Behörde verlassen. Den nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs erforderlichen Hinweis habe er schon bei der Aufnahme erhalten. Unschädlich sei der Umstand, dass dem Betroffenen eine Übersetzung nicht ausgehändigt worden sei. Die Anforderungen an die Behörden dürften nicht überspannt werden. Es sei einem Asylbewerber zumutbar, Unterlagen, die er im Rahmen eines Asylantrags ausgehändigt bekomme, übersetzen zu lassen. Der Betroffene habe es zu vertreten, dass ihn die Nachricht über den Rücküberstellungstermin nicht erreicht habe. Er habe sich unerlaubt nach Berlin abgesetzt. Die Haft sei verhältnismäßig, aber mit Rücksicht auf die geplante Rücküberstellung am 6. Oktober 2014 auf diesen Zeitpunkt zu begrenzen.

III.

4

Diese Erwägungen halten einer rechtlichen Prüfung nicht stand. Die angeordnete Haft und ihre Aufrechterhaltung waren jedenfalls deshalb rechtswidrig, weil die zugrunde gelegten Haftgründe nicht vorlagen.

5

1. Der Haftgrund nach § 62 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 AufenthG lag nicht vor.

6

a) Nach dieser Vorschrift ist ein Ausländer zur Sicherung der Abschiebung in Haft zu nehmen, wenn die Ausreisefrist abgelaufen ist und er seinen Aufenthaltsort gewechselt hat, ohne der Ausländerbehörde eine Anschrift anzugeben, unter der er erreichbar ist. Der nicht angezeigte Aufenthaltswechsel begründet in diesem Fall die Vermutung, dass die Abschiebung ohne die Inhaftnahme erschwert oder vereitelt wird. Deshalb muss die Ausländerbehörde dem Betroffenen in der Regel die Meldepflicht und die einschneidenden Folgen ihrer Verletzung durch einen Hinweis deutlich vor Augen führen (Senat, Beschlüsse vom 9. Februar 2011 - V ZB 16/11, juris Rn. 5, vom 19. Mai 2011 - V ZB 36/11, FGPrax 2011, 254 Rn. 10 und vom 19. Juni 2013 - V ZB 96/12, juris Rn. 18).

7

b) Diese Voraussetzungen liegen hier nicht vor.

8

aa) Der Betroffene hat allerdings ohne Genehmigung und Unterrichtung der Ausländerbehörde seinen Aufenthaltsort nach Berlin verlegt. Ihm ist bei seiner Aufnahme ein Papier ausgehändigt worden, in dem in deutscher Sprache klar und deutlich auf die Anzeigepflicht nach § 50 Abs. 4 AufenthG und die Folgen ihrer Verletzung hingewiesen wird. Dieser Hinweis war aber unzureichend.

9

bb) Das ergibt sich daraus, dass er nur auf Deutsch erteilt und nicht in eine Sprache übersetzt worden war, die der Betroffene beherrscht. Ohne eine Übersetzung läuft der Hinweis bei Ausländern, die wie der Betroffene des Deutschen nicht mächtig sind, ins Leere, weil sie ihn nicht verstehen. Diese Ausländer können entgegen der Ansicht des Beschwerdegerichts auch nicht darauf verwiesen werden, sich den auf Deutsch erteilten Hinweis übersetzen zu lassen. Sie würden ohne eine Übersetzung schon nicht erfassen, welche Bedeutung das ihnen ausgehändigte Schriftstück für sie hat. Vor allem folgt die Pflicht zur Erteilung des Hinweises aus dem Gebot eines fairen Verfahrens. Die beteiligten Behörden müssen ihn deshalb von sich aus so erteilen, dass er seinen Zweck erreichen kann. Dazu gehört bei Betroffenen, die Deutsch nicht verstehen, eine Übersetzung in ihre Muttersprache oder eine andere Sprache, die sie beherrschen, an der es hier fehlte.

10

cc) Die Notwendigkeit einer Übersetzung entfiel bei dem Betroffenen nicht deshalb, weil er den auf Deutsch erteilten Hinweis auch ohne deutsche Sprachkenntnisse und ohne eine Übersetzung erfasst hat. Das Beschwerdegericht leitet dies daraus ab, dass er bei anderen Gelegenheiten eine Genehmigung für einen Ortswechsel eingeholt habe. Dieser Umstand besagt aber nicht, dass der Betroffene den Hinweis auch in seiner vollen Bedeutung erkannt hat. Nach den Feststellungen des Beschwerdegerichts war dem Betroffenen seine Mitteilungspflicht zwar bekannt, weil er vor dem Ortswechsel nach Berlin Reisen nach Stuttgart und Hannover unternommen und diese der Ausländerbehörde vorher mitgeteilt und von ihr habe genehmigen lassen. Ihm sei sein Regelverstoß auch bewusst gewesen, als er sich einmal in Stuttgart unerlaubt aufgehalten habe und von der Polizei aufgegriffen worden sei. Beides besagt aber nichts darüber, ob dem Betroffenen auch klar gewesen ist, dass er bei einem Verstoß gegen die Mitteilungspflicht nicht nur einen „Regelverstoß“ begehen, sondern mit der Anordnung von Sicherungshaft zu rechnen haben würde. Dieses Bewusstsein kann nur bei Erteilung des gebotenen Hinweises mit der erforderlichen Übersetzung erwartet werden.

11

2. Damit entfällt auch der Haftgrund nach § 62 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 AufenthG.

12

a) Nach dieser Vorschrift ist ein Ausländer zur Sicherung der Abschiebung in Haft zu nehmen, wenn er aus von ihm zu vertretenden Gründen zu einem für die Abschiebung angekündigten Termin nicht an dem von der Ausländerbehörde angegebenen Ort angetroffen wurde. Diese Voraussetzungen liegen hier nicht vor. Der Betroffene wurde zwar an dem von der Behörde angekündigten Abschiebungstermin nicht in der Unterkunft angetroffen. Das hat er im Ergebnis aber nicht zu vertreten.

13

b) Er hatte von dem Abschiebungstermin keine Kenntnis, weil ihn die Ankündigung des Termins durch die Ausländerbehörde nicht erreicht hat. Er hielt sich zu diesem Zeitpunkt in Berlin auf, was die Behörde aber nicht wusste, weil der Betroffene sie unter Verstoß gegen die Anzeigepflicht nach § 50 Abs. 4 AufenthG nicht über seine Reise nach Berlin und seinen Aufenthaltsort dort unterrichtet hatte. Dass er als Folge dessen zu dem angekündigten Termin nicht an dem angegebenen Ort angetroffen wurde, hat er aber nicht zu vertreten, weil der ihm erteilte Hinweis auf den Zusammenhang zwischen der Einhaltung der Anzeigepflicht und der Möglichkeit einer Verhängung von Sicherungshaft nicht übersetzt worden war.

IV.

14

Die Kostenentscheidung beruht auf § 81 Abs. 1 Satz 1 und 2, § 83 Abs. 2 und § 430 FamFG, Art. 5 Abs. 5 EMRK analog. Die Festsetzung des Beschwerdewerts folgt aus § 36 Abs. 2 und 3 GNotKG.

Stresemann                      Schmidt-Räntsch                        Czub

                      Kazele                                     Göbel