Entscheidungsdatum: 31.03.2011
Auf die Rechtsbeschwerde der Beteiligten zu 1 wird der Beschluss der 5. Zivilkammer des Landgerichts Münster vom 25. November 2010 aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Entscheidung an das Beschwerdegericht zurückverwiesen.
Die Vollstreckung aus dem Zuschlagsbeschluss des Amtsgerichts Bocholt vom 18. August 2010 (009 K 037/09) wird bis zur erneuten Entscheidung des Beschwerdegerichts über die Beschwerde der Beteiligten zu 1 gegen den Zuschlagsbeschluss eingestellt.
Der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens beträgt für die Gerichtskosten und die außergerichtlichen Kosten der Beteiligten zu 1 70.000 €.
I.
Die Beteiligte zu 3 betreibt die Zwangsvollstreckung aus einer für sie seit August 1989 an der Eigentumswohnung des Schuldners eingetragenen Grundschuld. Für die Beschwerdeführerin, die Schwester des Schuldners, ist seit Juni 2003 ein Wohnungsrecht eingetragen. Im April 2009 ist im Grundbuch vermerkt worden, dass über das Vermögen des Eigentümers das Insolvenzverfahren eröffnet ist. Insolvenzverwalter ist der Beteiligte zu 2.
Am 27. Juli 2009 hat das Vollstreckungsgericht die Zwangsversteigerung der Eigentumswohnung angeordnet. Mit einem am 11. August 2010 bei Gericht eingegangenen Schriftsatz haben der Eigentümer und die Beteiligte zu 1 Vollstreckungsschutz beantragt und dies unter Vorlage eines ärztlichen Attests mit einem Angst- und Paniksyndrom und damit verbundenen zunehmenden Suizidgedanken der Beteiligten zu 1 begründet. Das Vollstreckungsgericht hat in dem Versteigerungstermin am 11. August 2010 darauf hingewiesen, dass das eingetragene Wohnungsrecht als Altenteil anzusehen sei und daher außerhalb des geringsten Gebots bestehen bleibe. Auf Antrag der Gläubigerin ist das Wohnungseigentum in der nachfolgenden Versteigerung doppelt ausgeboten worden, und zwar einerseits unter Fortbestand des Wohnungsrechts außerhalb des geringsten Gebots, andererseits unter der Bedingung des Erlöschens des Wohnungsrechts. Eine Zuzahlung für das Wohnungsrecht gemäß §§ 50, 51 ZVG hat das Vollstreckungsgericht nicht festgesetzt. Auf das erste Ausgebot sind keine Gebote abgegeben worden. Meistbietende auf das zweite Ausgebot sind die Beteiligten zu 4 und 5 geblieben.
Mit Beschluss vom 18. August 2010 hat das Vollstreckungsgericht den Beteiligten zu 4 und 5 den Zuschlag für 43.000 € mit der Maßgabe erteilt, dass das Wohnungsrecht erlischt. Den Vollstreckungsschutzantrag hat es als unzulässig zurückgewiesen.
Das Landgericht hat die gegen den Zuschlagsbeschluss gerichtete sofortige Beschwerde der Beteiligten zu 1 zurückgewiesen. Mit der zugelassenen Rechtsbeschwerde verfolgt sie ihren Antrag auf Versagung des Zuschlags weiter.
II.
Das Beschwerdegericht meint, das nachrangige Wohnungsrecht sei als Altenteil anzusehen und bleibe gemäß Art. 6 Abs. 2 des nordrhein-westfälischen Ausführungsgesetzes zum ZVG (ZVG-AG NW) i.V.m. § 9 Abs. 1 EGZVG außerhalb des geringsten Gebots bestehen. Das doppelte Ausgebot sei gemäß Art. 6 Abs. 2 ZVG-AG NW i.V.m. § 9 Abs. 2 EGZVG zulässig gewesen. Ein Grund für die Versagung des Zuschlags gemäß § 83 Nr. 1 ZVG liege nicht vor, weil eine entsprechende Anwendung der §§ 50, 51 ZVG auf ein nachrangiges Altenteil ausscheide und ein Zuzahlungsbetrag daher nicht festzusetzen gewesen sei. Auch nach § 83 Nr. 6 ZVG sei der Zuschlag nicht zu versagen. Der Vollstreckungsschutzantrag des Eigentümers sei zwar trotz des Insolvenzverfahrens zulässig. Er sei aber unbegründet, weil die Bewilligung von Vollstreckungsschutz die substantiierte und glaubhaft zu machende Darlegung einer konkreten Suizidgefahr erfordere, die gerade wegen der anstehenden Zwangsversteigerung bestehe. Das vorgelegte Attest reiche zur Glaubhaftmachung nicht aus.
III.
1. Die Rechtsbeschwerde ist gemäß § 96 ZVG i.V.m. § 574 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 3 Satz 2 ZPO statthaft und auch im Übrigen zulässig. Insbesondere kann die Beteiligte zu 1 einen Zuschlagsversagungsgrund gemäß § 83 Nr. 6 ZVG geltend machen, obwohl sie nicht Schuldnerin im Sinne von § 765a ZPO ist und ihr eigener Antrag auf Gewährung von Vollstreckungsschutz aus diesem Grund unzulässig war. Sie ist nämlich wegen des zu ihren Gunsten eingetragenen Wohnungsrechts Beteiligte im Sinne von § 9 Nr. 1 ZVG und kann ihre Beschwerde gemäß § 100 Abs. 1, 3 ZVG darauf stützen, dass dem Antrag ihres Bruders nicht entsprochen worden ist.
2. Die Rechtsbeschwerde ist begründet und führt zur Aufhebung und Zurückverweisung der Sache an das Beschwerdegericht (§ 577 Abs. 4 Satz 1 ZPO).
a) Im Ergebnis ohne Rechtsfehler hat das Beschwerdegericht einen Zuschlagsversagungsgrund gemäß § 83 Nr. 1 ZVG verneint. Die Vorschriften über das geringste Gebot sind nicht verletzt. Dabei bedarf es keiner Entscheidung der für die Zulassung der Rechtsbeschwerde maßgeblichen Frage, ob bei einem nach Art. 6 Abs. 2 ZVG-AG NW i.V.m. § 9 Abs. 1 EGZVG zu behandelnden Altenteil in entsprechender Anwendung der §§ 50 Abs. 1, 51 ZVG ein Zuzahlungsbetrag festzulegen ist.
aa) Die bisherigen Feststellungen des Beschwerdegerichts tragen schon nicht seine Annahme, der Beschwerdeführerin stehe ein Altenteil im Sinne von Art. 6 Abs. 2 ZVG-AG NW i.V.m. § 9 Abs. 1 EGZVG zu. Der Charakter des Rechts als eines Altenteils muss sich entweder aus der Grundbucheintragung oder aus der darin in Bezug genommenen Eintragungsbewilligung hinreichend deutlich ergeben (RG, RGZ 152, 104, 109 f.; Senat, Beschluss vom 3. Februar 1994 - V ZB 31/93, BGHZ 125, 69, 74). Eine Grundstücksübertragung wird nicht allein durch eine Wohnungsrechtsgewährung zu einem Altenteilsvertrag; es muss hinzutreten, dass ein Beteiligter dem anderen seine wirtschaftliche Lebensgrundlage überträgt, um dafür in die persönliche Gebundenheit eines abhängigen Versorgungsverhältnisses einzutreten, während der Übernehmer eine wirtschaftlich selbstständige Stellung erlangt (Senat, Urteil vom 25. Oktober 2002 - V ZR 293/01, WM 2003, 1483, 1485; Urteil vom 19. Januar 2007 - V ZR 163/06, NJW 2007, 1884 Rn. 14 jeweils mwN). Hier ist aus der Grundbucheintragung nur ein Wohnungsrecht gemäß § 1093 BGB ersichtlich. Dass sich aus der in den Akten nicht enthaltenen Eintragungsbewilligung die Vereinbarung eines Altenteils ergibt, hat das Beschwerdegericht nicht festgestellt. Es hat ausgeführt, das Vollstreckungsgericht sei "zu Gunsten der Beschwerdeführerin" davon ausgegangen, dass das Wohnungsrecht Altenteilscharakter habe. Wie das Vollstreckungsgericht zu dieser Auffassung gelangt ist, und warum das Beschwerdegericht dem gefolgt ist, erschließt sich aus der Entscheidung nicht.
bb) Selbst wenn unterstellt wird, dass der Beschwerdeführerin tatsächlich ein Altenteil zustand, kann dahinstehen, ob in dem Versteigerungstermin am 11. August 2010 ein Zuzahlungsbetrag festzusetzen gewesen wäre.
(1) Art. 6 Abs. 2 ZVG-AG NW ist durch Art. 2 Nr. 43 des Gesetzes zur Modernisierung und Bereinigung von Justizgesetzen im Land Nordrhein-Westfalen (GV NRW 2010, S. 30) mit Wirkung zum 1. Januar 2011 ersatzlos aufgehoben worden (vgl. LT-Drucks. NRW 14/9736 S. 93, 111). Übergangsvorschriften sind nicht erlassen worden mit der Folge, dass das Gesetz auch in laufenden Zwangsversteigerungsverfahren nicht mehr anzuwenden ist (vgl. Senat, Beschluss vom 9. Juli 2008 - V ZB 190/08, ZfIR 2009, 884, 885). Der Vertrauensschutz zugunsten des Altenteilsberechtigten kann eine Fortgeltung in Altfällen schon deshalb nicht begründen, weil das Erlöschen des Altenteils auch nach bisherigem Recht - wie hier - auf Antrag des Gläubigers gemäß Art. 6 Abs. 2 ZVG-AG NW i.V.m. § 9 Abs. 2 EGZVG als besondere Versteigerungsbedingung bestimmt werden konnte.
(2) Infolgedessen fehlt es an einer Rechtsbeeinträchtigung der Beschwerdeführerin im Sinne von § 84 Abs. 1 ZVG. Aufgrund der Aufhebung ihrer Privilegierung im Zwangsversteigerungsverfahren ist ein etwaiger Verstoß gegen §§ 50, 51 ZVG geheilt. Bei einer Aufhebung des Zuschlags schiede in einem neuen Versteigerungstermin die Festsetzung eines Zuzahlungsbetrags von vornherein aus, weil das Altenteil als nachrangiges Recht anders als nach dem bis zum 31.12.2010 geltenden Recht auch ohne entsprechenden Antrag des Gläubigers nicht bestehen bliebe.
b) Der Beschluss hält dagegen rechtlicher Nachprüfung nicht stand, soweit das Beschwerdegericht einen Zuschlagsversagungsgrund gemäß § 83 Nr. 6 ZVG wegen der geltend gemachten Suizidgefahr abgelehnt hat. Im Ausgangspunkt zu Recht hat das Beschwerdegericht den Antrag des Eigentümers auf Gewährung von Vollstreckungsschutz, den dieser auf die Suizidgefahr der Beschwerdeführerin gestützt hat, trotz der Eröffnung des Insolvenzverfahrens als zulässig angesehen (vgl. Senat, Beschluss vom 18. Dezember 2008 - V ZB 57/08, NJW 2009, 1283, 1284 f.). Auf der Grundlage des derzeitigen Verfahrensstandes lassen sich die Voraussetzungen des § 765a ZPO nicht verneinen.
aa) Die Gerichte haben durch ihre Verfahrensgestaltung die erforderlichen Vorkehrungen zu treffen, damit Verfassungsverletzungen durch Zwangsvollstreckungsmaßnahmen tunlichst ausgeschlossen werden. Dies kann es erfordern, dass Beweisangeboten des Schuldners hinsichtlich seines Vorbringens, ihm oder einem nahen Angehörigen drohten schwerwiegende Gesundheitsbeeinträchtigungen, besonders sorgfältig nachgegangen wird (vgl. BVerfG, FamRZ 2005, 1972, 1973 mwN). Dabei muss die Gefahr solcher Beeinträchtigungen zwar vorgetragen sein; an die Konkretisierung dieser Gefahr sind aber im Hinblick auf die Bedeutung des Grundrechts aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG keine besonders strengen Anforderungen zu stellen. Der Schuldner hat die Tatsachen vorzutragen, auf die er den Vollstreckungsschutzantrag stützt, und diese im Streitfall zu beweisen, wobei die Beweise, wie auch sonst im Zivilprozess, von dem Gericht zu erheben und zu würdigen sind. Eine Glaubhaftmachung (§ 294 ZPO) ist im Verfahren nach § 765a ZPO weder erforderlich noch ausreichend. Aus diesem Grund kann die fehlende Glaubhaftmachung nicht dazu führen, dass erheblicher Vortrag als unbeachtlich angesehen wird. Insbesondere ist der Schuldner weder verpflichtet, das Gericht bereits durch seinen Vortrag davon zu überzeugen, dass eine konkrete Suizidgefahr besteht, noch muss er diese Gefahr durch Beibringung von Attesten nachweisen (ausführlich zum Ganzen Senat, Beschluss vom 2. Dezember 2010 - V ZB 124/10, NZM 2011, 167 Rn. 8 ff.; Beschluss vom 16. Dezember 2010 - V ZB 215/09, juris Rn. 11, insoweit in NZM 2011, 166 nicht abgedruckt).
bb) Das Beschwerdegericht hat ausschließlich auf die fehlende Glaubhaftmachung der konkreten Suizidgefahr abgestellt. Es hat nämlich ausgeführt, der Antragssteller habe sich in seiner Antragsschrift auf depressive Zustände mit Selbstmordgedanken seiner Schwester bezogen, bei denen ein Zusammenhang mit der Zwangsversteigerung nur gemutmaßt werde. Das vorgelegte Attest sei "jedenfalls" zur Glaubhaftmachung nicht geeignet, weil es lediglich Aussagen und Erklärungen der Beschwerdeführerin wiedergebe und keine Aussagen zu einer Suizidgefahr enthalte. Es gebe lediglich Angaben der Beschwerdeführerin ohne eine eigene ärztliche Diagnose wieder und beschränke sich selbst dabei auf die Angabe, die Beschwerdeführerin sei zu einer "Teilnahme" an der Zwangsversteigerung nicht in der Lage. Ein zeitgleich angekündigtes umfangreicheres Attest habe die Beschwerdeführerin bis zu der Entscheidung des Beschwerdegerichts nicht vorgelegt.
cc) Aus der Begründung des Beschwerdegerichts ergibt sich nicht, dass es dem Vortrag des Eigentümers keine ausreichende Darlegung einer konkreten Suizidgefahr der Beschwerdeführerin entnommen hat. Selbst wenn das der Fall sein sollte, wäre der angefochtene Beschluss rechtsfehlerhaft. Weil eine Glaubhaftmachung nicht erforderlich war, kann der erforderlichen Darlegung nicht entgegenstehen, dass das vorgelegte Attest vom 10. August 2010 nur Angaben der Beschwerdeführerin wiedergab. Der Antragssteller hat eine konkrete Suizidgefahr für die Beschwerdeführerin vorgetragen, die sich auf das Verfahren der Zwangsversteigerung insgesamt und damit auch auf den Verlust des Eigentums und das damit verbundene endgültige Erlöschen des Wohnungsrechts bezog. Das war nach üblichen zivilprozessualen Maßstäben ausreichend.
3. Für das weitere Verfahren weist der Senat auf Folgendes hin:
Es wird nunmehr darauf ankommen, ob bei Fortsetzung des Verfahrens auch weiterhin mit ernsthaften Gefahren für Leben und körperliche Unversehrtheit der Beschwerdeführerin zu rechnen ist. Das hat die Beschwerdeführerin darzutun. Den Vortrag, der den übrigen Verfahrensbeteiligten zwecks Gewährung rechtlichen Gehörs zur Kenntnis zu geben ist, hat das Beschwerdegericht zunächst nach den gesamten Umständen zu würdigen (dazu Senat, Beschluss vom 30. September 2010 - V ZB 199/09, WuM 2011, 122 Rn. 11; Beschluss vom 7. Oktober 2010 - V ZB 82/10, NZM 2010, 915 Rn. 23 f.; Beschluss vom 16. Dezember 2010 - V ZB 215/09, NZM 2011, 166 Rn. 13). Sodann hat es gegebenenfalls Beweis zu erheben. In diesem Fall ist das Gericht - da es die Ernsthaftigkeit dieser Gefahr mangels eigener medizinischer Sachkunde ohne sachverständige Hilfe in aller Regel nicht beurteilen kann - gehalten, einem Antrag auf Einholung eines Sachverständigengutachtens, wie er auch hier gestellt worden ist, zu entsprechen (vgl. Senat, Beschluss vom 2. Dezember 2010 - V ZB 124/10, NZM 2011, 167 Rn. 14; Beschluss vom 16. Dezember 2010 - V ZB 215/09, juris Rn. 11, insoweit in NZM 2011, 166 nicht abgedruckt). Ist nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme von einer ernsthaften Suizidgefahr auszugehen, führt dies nicht ohne weiteres zu einer einstweiligen Einstellung des Verfahrens. Es wird zunächst sorgfältig zu prüfen sein, ob dieser Gefahr auf andere Weise als durch Einstellung der Zwangsvollstreckung wirksam begegnet werden kann, zum Beispiel durch eine einstweilige Unterbringung der Beschwerdeführerin (näher Senat, Beschluss vom 14. Juni 2007 - V ZB 28/07, NJW 2007, 3719, 3720 f. mwN). Für das in diesem Fall notwendige Verfahren zur Vermeidung einer Blockade zwischen Vollstreckungs- und Betreuungsgericht wird auf den Beschluss des Senats vom 15. Juli 2010 (V ZB 1/10, NZM 2010, 836, 837) verwiesen.
4. Da aus dem Zuschlagsbeschluss schon vor dem Eintritt der Rechtskraft vollstreckt werden kann und die Aufhebung der Entscheidung des Beschwerdegerichts dem Zuschlagsbeschluss die Vollstreckbarkeit nicht nimmt, ist die Aussetzung der Vollstreckung bis zur erneuten Entscheidung des Beschwerdegerichts gemäß § 575 Abs. 5, § 570 Abs. 3 ZPO auszusprechen (vgl. Senat, Beschluss vom 7. Oktober 2010 - V ZB 82/10, WuM 2011, 117 mwN).
Krüger Schmidt-Räntsch Roth
Brückner Weinland