Entscheidungsdatum: 30.09.2010
Dem Schuldner wird für das Rechtsbeschwerdeverfahren mit Wirkung vom 19. März 2010 Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwältin B. bewilligt. Der weitergehende Antrag wird zurückgewiesen.
Auf die Rechtsbeschwerde des Schuldners wird der Beschluss der 5. Zivilkammer des Landgerichts Potsdam vom 17. November 2009 aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Entscheidung an das Beschwerdegericht zurückverwiesen.
Die Vollstreckung aus dem Zuschlagsbeschluss des Amtsgerichts Potsdam vom 12. März 2009 (Az. 2 K 6/06) wird bis zur erneuten Entscheidung über die Beschwerde des Schuldners gegen den Zuschlagsbeschluss einstweilen eingestellt.
Der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens wird für die Gerichtskosten auf 11.900 € festgesetzt.
I.
Seit Januar 2006 ist die Zwangsversteigerung des im Rubrum näher bezeichneten Grundstücks angeordnet. In dem Versteigerungstermin vom 21. Januar 2009 ist der Beteiligte zu 3 Meistbietender geblieben. In dem auf den 5. Februar 2009 anberaumten Verkündungstermin und in der Folgezeit hat der Schuldner - gestützt auf ärztliche Atteste - geltend gemacht, die Suizidgefährdung seiner Ehefrau stehe einer Fortführung des Verfahrens entgegen. Dem ist das Vollstreckungsgericht nicht gefolgt und hat den Zuschlag erteilt.
Gegen die Zuschlagsentscheidung hat der Schuldner sofortige Beschwerde eingelegt und zur Begründung unter anderem auf ein Schreiben des behandelnden Facharztes vom 11. Juni 2009 verwiesen. In diesem heißt es, die Krisensituation spitze sich weiter zu. Als verantwortlicher Nervenarzt könne er die Verantwortung nicht mehr allein tragen. In dem von dem Landgericht eingeholten Sachverständigengutachten kommt der Gutachter zu dem Ergebnis, dass eine akute Suizidgefahr derzeit "wohl nicht vorhanden" sei. Es liege aber eine "erhöhte Suizidgefahr" vor. Die bisherige fachärztliche Therapie sei "völlig unzureichend" gewesen. Um der derzeit bestehenden Gefahrenlage zu begegnen, sei baldmöglichst eine stationäre psychiatrische Therapie angezeigt. Sollte sich die Ehefrau einer solchen Maßnahme nicht freiwillig unterziehen, sei die Bestellung eines Betreuers erforderlich, um eine Heilbehandlung auch gegen den Willen durchzusetzen. Aus ärztlicher Sicht werde eine Einstellung des Verfahrens auf die Dauer von etwa drei Monaten unter Auflagen empfohlen.
Das Landgericht hat die Zuschlagsbeschwerde zurückgewiesen. Mit der zugelassenen Rechtsbeschwerde möchte der Schuldner die Versagung des Zuschlages erreichen. Die Gläubigerin beantragt die Zurückweisung des Rechtsmittels.
II.
Das Beschwerdegericht ist der Auffassung, die Voraussetzungen des § 765a ZPO seien nicht gegeben. Eine akute Suizidalität liege "im jetzigen Verfahren" derzeit nicht vor. Der lediglich erhöhten Suizidgefahr könne durch eine stationäre psychiatrische Therapie und eine engmaschige medizinische Betreuung poststationär begegnet werden. Da sich die Ehefrau in der Vergangenheit von ihrem Facharzt habe behandeln lassen, sei davon auszugehen, dass sie auch bei einer Verschlechterung des Gesundheitszustandes fachärztliche Hilfe in Anspruch nehmen werde.
III.
1. Die gemäß § 96 ZVG i.V.m. § 574 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 3 Satz 2 ZPO statthafte und nach § 575 ZPO auch im Übrigen zulässige Rechtsbeschwerde führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und zur Zurückverweisung der Sache an das Beschwerdegericht (§ 577 Abs. 4 Satz 1 ZPO). Auf der Grundlage des derzeitigen Verfahrensstandes lassen sich die Voraussetzungen des § 765a ZPO nicht verneinen.
a) Es entspricht der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, dass selbst dann, wenn mit der Zwangsvollstreckung eine konkrete Gefahr für Leben und Gesundheit des Schuldners oder eines nahen Angehörigen verbunden ist, eine Zwangsversteigerung nicht ohne weiteres einstweilen einzustellen ist. Vielmehr ist in solchen Fällen stets eine Abwägung erforderlich zwischen dem Interesse des Lebensschutzes (Art. 2 Abs. 2 GG), dem Vollstreckungsinteresse des Gläubigers und dem Interesse des Erstehers an einem endgültigen Eigentumserwerb (ausführlich dazu zuletzt Senat, Beschluss vom 15. Juli 2010 - V ZB 1/10, Rn. 10 ff. mwN; ferner etwa BGH, Beschluss vom 4. Mai 2005 - I ZB 10/05, BGHZ 163, 66, 73; Senat, Beschluss vom 6. Dezember 2007 - V ZB 67/07, NJW 2008, 586, 587).
In die Abwägung einzustellen ist nach der Rechtsprechung des Senats nur eine konkrete Suizidgefahr. Dabei kommt es in Konstellationen, in denen der Zuschlag bereits erteilt worden ist, ausschlaggebend darauf an, ob eine solche Gefahr für den Fall des endgültigen Eigentumsverlustes anzunehmen ist (vgl. Senat, Beschluss vom 15. Juli 2010 - V ZB 1/10, WM 2010, 1810 Rn. 12 f.). Bezogen auf diesen Zeitpunkt ist tatrichterlich zu würdigen, ob die ernsthafte Befürchtung der Selbsttötung besteht. Verneint der Tatrichter diese Voraussetzung, hat er dies nicht zuletzt mit Blick auf den hohen Rang, der dem Schutzgut Leben zukommt, nachvollziehbar zu begründen (§ 286 Abs. 1 ZPO i.V.m. Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG). Das gilt umso mehr, wenn das Gericht - wie hier - selbst von einer erhöhten Suizidgefahr ausgeht, diese aber nicht für hinreichend erachtet.
b) Diesen Anforderungen wird die Beschwerdeentscheidung nicht gerecht. Zweifelhaft ist bereits, ob das Beschwerdegericht das Vorliegen einer konkreten Suizidgefährdung bezogen auf einen endgültigen Eigentumsverlust überhaupt geprüft und verneint hat. Ausdrücklich verhält sich das Beschwerdegericht hierzu nicht; auch das eingeholte Sachverständigengutachten nimmt diese Situation nicht in den Blick. Soweit das Beschwerdegericht ausführt, es sei davon auszugehen, die Ehefrau des Schuldners werde auch bei einer Verschlechterung ihres Gesundheitszustandes in der Lage sein, fachärztliche Hilfe in Anspruch nehmen, fehlt für diese Annahme jedenfalls eine plausible Begründung. Allein aus dem Umstand, dass die Ehefrau des Schuldners bislang regelmäßig ihren Facharzt aufgesucht hat, lässt sich nicht ohne weiteres folgern, diese werde sich auch bei einer Verschlechterung ihres Gesundheitszustandes weiterhin verantwortungsvoll verhalten. Durch das eingeholte Sachverständigengutachten wird diese Annahme denn auch nicht gestützt, wenn in diesem eine weitere nur ambulante Behandlung für "völlig unzureichend" angesehen und jedenfalls bei einer Zunahme der Krankheitssymptomatik eine stationären Behandlung notfalls auch gegen den Willen der Betroffenen für erforderlich angesehen wird.
c) Kann die Beschwerdeentscheidung danach keinen Bestand haben, ist die Sache an das Beschwerdegericht zurückzuverweisen, damit dieses fundierte Feststellungen zu der Gefährdungslage bezogen auf den Zeitpunkt des endgültigen Eigentumsverlustes treffen kann (§ 577 Abs. 4 Satz 1 und Abs. 5 Satz 1 ZPO).
2. Für das weitere Verfahren weist der Senat auf Folgendes hin:
a) Die von dem Sachverständigen für den Bereich der Suizidgefährdung vorgenommene und von dem Beschwerdegericht offenbar übernommene Unterscheidung u.a. zwischen Basissuizidalität, erhöhter und akuter Suizidalität erscheint mit Blick auf die im Rahmen des § 765a ZPO zu beantwortende Frage, ob eine konkrete Suizidgefahr vorliegt, nicht hilfreich. Wie oben dargelegt, kommt es auf das Vorliegen einer konkreten Suizidgefahr an. Der Tatrichter hat zu würdigen, ob die ernsthafte Befürchtung der Selbsttötung besteht. Die damit einhergehende Prognoseentscheidung hat er mit Tatsachen zu untermauern. Dagegen wird die Voraussetzung einer konkreten Lebensgefahr allein durch die Wiedergabe von Begriffen, die ebenfalls nur das Ergebnis einer Würdigung darstellen, weder belegt noch widerlegt.
b) Die Zulassung der Rechtsbeschwerde setzt die sorgfältige Prüfung voraus, ob Zulassungsgründe nach § 574 Abs. 2 und Abs. 3 Satz 1 ZPO gegeben sind. Allein der Umstand, dass eine Entscheidung im grundrechtsrelevanten Bereich ergeht, genügt hierfür nicht. Vielmehr kommt eine Zulassung des Rechtsmittels auch dann nur in Betracht, wenn der Sache grundsätzliche Bedeutung zukommt oder eine Entscheidung durch das Rechtsbeschwerdegericht zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich ist. Letzteres kommt insbesondere bei Vorliegen einer entscheidungserheblichen Divergenz und im Übrigen nur in Fällen zum Tragen, in denen dem Beschwerdegericht zulassungsrelevante Rechtsfehler (ausführlich dazu etwa MünchKomm-ZPO/Wenzel, 3. Aufl., § 543 Rn. 17 ff.; vgl. auch MünchKomm-ZPO/Lipp, § 574 Rn. 8) unterlaufen sind. Da das Zivilprozessrecht im Rechtsbeschwerdeverfahren keine Nichtzulassungsbeschwerde kennt, dürfte die zuletzt genannte Fallgruppe allerdings nicht praktisch werden, weil das Beschwerdegericht kaum von der Unrichtigkeit seiner eigenen Entscheidung ausgehen wird. Dass es die Beurteilung der Rechtslage für zweifelhaft hält, reicht für den genannten Zulassungsgrund nicht aus.
3. Da aus dem Zuschlagsbeschluss bereits vor dem Eintritt der Rechtskraft vollstreckt werden kann und die Aufhebung der Entscheidung des Beschwerdegerichts dem Zuschlagsbeschluss die Vollstreckbarkeit nicht nimmt, ist die Aussetzung der Vollstreckung bis zur erneuten Entscheidung des Beschwerdegerichts nach § 574 Abs. 1, § 570 Abs. 3 ZPO durch das Rechtsbeschwerdegericht auszusprechen (Senat, Beschluss vom 14. Juni 2007 - V ZB 28/07, NJW 2007, 3719, 3721; Beschluss vom 15. Juli 2010 - V ZB 1/10, Rn. 16 mwN).
IV.
Der Senat hat dem Schuldner Prozesskostenhilfe erst mit Wirkung vom 19. März 2010 bewilligt, weil erst an diesem Tag die nach § 117 Abs. 2 und 4 ZPO erforderliche Erklärung eingegangen ist.
Krüger Lemke Schmidt-Räntsch
Stresemann Roth