Entscheidungsdatum: 08.06.2011
1. Sieht das Betreuungsgericht von der vollständigen schriftlichen Bekanntgabe eines Gutachtens an den Betroffenen ab, weil zu besorgen ist, dass die Bekanntgabe die Gesundheit des Betroffenen schädigen oder zumindest ernsthaft gefährden werde, muss ein Verfahrenspfleger bestellt, diesem das Gutachten übergeben werden und die Erwartung gerechtfertigt sein, dass der Verfahrenspfleger mit dem Betroffenen über das Gutachten spricht (im Anschluss an Senatsbeschluss vom 11. August 2010, XII ZB 138/10, BtPrax 2010, 278) .
2. Die Entlassung des bisherigen Betreuers gemäß § 1908b Abs. 1 BGB wird nicht von den §§ 70 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1, 271 Nr. 1 FamFG erfasst (im Anschluss an Senatsbeschluss vom 18. Mai 2011, XII ZB 671/10) .
Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird der Beschluss der 5. Zivilkammer des Landgerichts Neuruppin vom 6. Januar 2011 aufgehoben.
Das Verfahren wird zur erneuten Behandlung und Entscheidung - auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens - an das Landgericht zurückverwiesen.
Wert: 3.000 €
I.
Für den Betroffenen besteht seit Januar 2010 eine Betreuung. Er leidet an einem hirnorganischen Psychosyndrom als Folge einer Langzeitbeatmung.
Das Amtsgericht bestellte die weitere Beteiligte als Betreuerin in den Aufgabenkreisen Regelung von Wohnungs-, Heim- und Behördenangelegenheiten und Vermögenssorge. Mit Schreiben vom 25. August 2010 regte die Betreuerin die Erweiterung der Betreuung auf den Aufgabenkreis Gesundheitsfürsorge und die Anordnung eines Einwilligungsvorbehalts für Vermögenssorge an.
Das Amtsgericht hat nach Einholung eines schriftlichen Sachverständigengutachtens, welches dem Betroffenen nur im Ergebnis und nur mündlich mitgeteilt wurde, die Betreuung um den Aufgabenkreis Gesundheitsfürsorge erweitert und einen Einwilligungsvorbehalt für die Vermögenssorge angeordnet. Die dagegen vom Betroffenen persönlich eingelegte Beschwerde, mit der er außerdem die Entlassung der Vereinsbetreuerin und die Bestellung des Rechtsanwalts H. B. aus T. an deren Stelle verlangt, hat das Landgericht ohne erneute Anhörung zurückgewiesen. Einen Verfahrenspfleger hat weder das Amtsgericht noch das Landgericht bestellt. Das Amtsgericht hat dies damit begründet, dass der Betroffene an der Bestellung eines Verfahrenspflegers kein Interesse habe, denn durch die Anordnung der Betreuung werde sich die konkrete Lebenssituation des Betroffenen nicht ändern. Das Landgericht hat das Absehen von der Bestellung eines Verfahrenspflegers nicht begründet.
Mit seiner Rechtsbeschwerde verfolgt der Betroffene die Zurückweisung der Anträge der Betreuerin sowie deren Entlassung aus dem Amt weiter.
II.
1. Die Rechtsbeschwerde ist nach § 70 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 FamFG statthaft, soweit mit ihr die Erweiterung der Aufgabenkreise und die Anordnung des Einwilligungsvorbehalts angegriffen wird, und auch sonst zulässig. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und Zurückverweisung der Sache an das Landgericht.
Die angefochtene Entscheidung verletzt - wie von der Rechtsbeschwerde zutreffend gerügt - das Recht des Betroffenen auf rechtliches Gehör.
Das Amtsgericht hat seinen Beschluss tragend auf ein Gutachten gestützt, das der Facharzt Dr. D. am 19. Oktober 2010 erstattet hat. Entsprechend der Empfehlung des Gutachters ist das Gutachten dem Betroffenen nicht ausgehändigt worden, um das paranoide Erleben des Betroffenen nicht zu verstärken.
Zwar kann von der vollständigen schriftlichen Bekanntgabe eines Gut-achtens abgesehen werden, wenn zu besorgen ist, die Bekanntgabe werde die Gesundheit des Betroffenen schädigen oder zumindest ernsthaft gefährden. In einem solchen Fall muss jedoch ein Verfahrenspfleger bestellt werden, diesem das Gutachten übergeben werden und die Erwartung gerechtfertigt sein, dass der Verfahrenspfleger mit dem Betroffenen über das Gutachten spricht (Senatsbeschluss vom 11. August 2010 - XII ZB 138/10 - BtPrax 2010, 278 mwN). Dies gilt jedenfalls dann, wenn der Betroffene nicht anwaltlich vertreten ist. Im vorliegenden Verfahren war für den anwaltlich nicht vertretenen Betroffenen kein Verfahrenspfleger bestellt.
Dem angefochtenen Beschluss sind mithin Tatsachen zugrunde gelegt worden, zu denen der Betroffene sich - mangels Kenntnis - weder selbst noch durch einen Verfahrenspfleger oder Verfahrensbevollmächtigten äußern konnte.
2. Nicht statthaft ist die Rechtsbeschwerde, soweit der Betroffene mit ihr die Entlassung der Vereinsbetreuerin und die Bestellung eines von ihm benannten Rechtsanwalts an deren Stelle weiterverfolgt. Denn insoweit liegen die Vor-aussetzungen für eine zulassungsfreie Rechtsbeschwerde nicht vor (Senatsbeschlüsse vom 9. Februar 2011 - XII ZB 364/10 - FamRZ 2011, 632 Rn. 9; vom 18. Mai 2011 - XII ZB 671/10 - und vom 25. Mai 2011 - XII ZB 283/10).
Abgesehen davon ist die Entlassung der Vereinsbetreuerin bereits nicht Verfahrensgegenstand der Rechtsbeschwerde geworden. Denn Gegenstand des Beschwerdeverfahrens kann grundsätzlich nur der Verfahrensgegenstand sein, über den im ersten Rechtszug entschieden worden ist. Das ergibt sich aus dem Wesen des Rechtsmittelverfahrens, das notwendigerweise keine andere Angelegenheit betreffen darf als diejenige, die Gegenstand der angefochtenen Entscheidung gewesen ist (Senatsbeschluss vom 5. Januar 2011 - XII ZB 240/10 - FamRZ 2011, 367 Rn. 7 mwN).
Verfahrensgegenstand im ersten Rechtszug waren hier allein die Erweiterung der Betreuung um den Aufgabenkreis der Gesundheitsfürsorge und die Anordnung des Einwilligungsvorbehalts (§§ 1896 Abs. 1, 1903 Abs. 1 BGB). Nur darüber hat das Betreuungsgericht im ersten Rechtszug entschieden und nur dieser Gegenstand ist in der Beschwerdeinstanz angefallen. Daran ändert auch nichts, dass der angefochtene Beschluss abseits des Beschwerdegegenstandes Ausführungen zur Veranlassung eines Betreuerwechsels enthält.
Der Antrag des Betroffenen auf Betreuerwechsel ist in erster Instanz noch nicht behandelt und beschieden. Der Nichtabhilfebeschluss des Amtsgerichts vom 14. Dezember 2010 stellt keine Entscheidung über den selbständigen Antrag auf Betreuerwechsel dar. Diese steht vielmehr noch aus, und zwar auf der Grundlage nicht nur des § 1908 b Abs. 1 BGB, sondern insbesondere
des § 1908 b Abs. 3 BGB. Zweifel an der Eignung des vom Betroffenen selbst vorgeschlagenen Rechtsanwalts als Betreuer sind bisher nicht aktenkundig.
Hahne Weber-Monecke Klinkhammer
Günter Nedden-Boeger