Entscheidungsdatum: 22.02.2017
1. Im Unterbringungsverfahren ist dem Betreuer und dem Verfahrenspfleger die Anwesenheit bei der persönlichen Anhörung des Betroffenen zu ermöglichen (im Anschluss an die Senatsbeschlüsse vom 15. Februar 2012, XII ZB 389/11, FamRZ 2012, 619 und vom 2. März 2011, XII ZB 346/10, FamRZ 2011, 805).
2. Sieht das Gericht im Unterbringungsverfahren von der vollständigen schriftlichen Bekanntgabe eines Gutachtens an den anwaltlich nicht vertretenen Betroffenen ab, weil zu besorgen ist, dass die Bekanntgabe die Gesundheit des Betroffenen schädigen oder zumindest ernsthaft gefährden werde, muss ein Verfahrenspfleger bestellt, diesem das Gutachten übergeben werden und die Erwartung gerechtfertigt sein, dass der Verfahrenspfleger mit dem Betroffenen über das Gutachten spricht (im Anschluss an die Senatsbeschlüsse vom 8. Juni 2011, XII ZB 43/11, FamRZ 2011, 1289 und vom 11. August 2010, XII ZB 138/10, BtPrax 2010, 278).
3. Die vorrangige Aufgabe des Verfahrenspflegers besteht darin, gegenüber dem Gericht den Willen des Betreuten kundzutun und dessen aus Art. 103 Abs. 1 GG folgenden Anspruch auf rechtliches Gehör zu verwirklichen (im Anschluss an die Senatsbeschlüsse vom 14. August 2013, XII ZB 270/13, FamRZ 2013, 1731 und vom 22. August 2012, XII ZB 474/11, FamRZ 2012, 1798).
Dem Betroffenen wird für das Rechtsbeschwerdeverfahren ratenfreie Verfahrenskostenhilfe bewilligt und Rechtsanwalt Dr. H. beigeordnet.
Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird der Beschluss der 5. Zivilkammer des Landgerichts Mönchengladbach vom 24. Juni 2016 aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Behandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Landgericht zurückverwiesen.
I.
Der Betroffene wendet sich gegen die Genehmigung seiner Unterbringung für zwei Jahre.
Die Beteiligte zu 1 ist die Betreuerin des Betroffenen. Zu ihrem Aufgabenkreis gehören u.a. die Aufenthaltsbestimmung und die Gesundheitsfürsorge. Im vorangegangenen Verfahren war die geschlossene Unterbringung des Betroffenen durch rechtskräftigen Beschluss des Landgerichts vom 23. Dezember 2015 bis zum 27. Mai 2016 genehmigt worden.
Mit Beschluss vom 25. Mai 2016 hat das Amtsgericht die weitere Unterbringung des Betroffenen bis zum 25. Mai 2018 genehmigt. Dem lag das Sachverständigengutachten einer Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie vom 3. Mai 2016 zugrunde, wonach der Betroffene im Zusammenhang mit einem Drogenabusus an einer Psychose des schizophrenen Formenkreises (Hebephrenie) leide und sich hinsichtlich der unabdingbaren geordneten fachärztlichen Versorgung "incl. Psychopharmakotherapie" in der Vergangenheit stets "incompliant" erwiesen habe. Die Sachverständige wies am Schluss ihres Gutachtens darauf hin, dass die Eröffnung des Gutachtens möglichst vermittelt (beispielsweise über die Betreuerin) erfolgen sollte.
Das Amtsgericht hat das Sachverständigengutachten im Anhörungstermin der Betreuerin und der Verfahrenspflegerin übergeben und unmittelbar im Anschluss den Betroffenen persönlich angehört und den Genehmigungsbeschluss seinem wesentlichen Inhalt nach verkündet.
Die vom Betroffenen eingelegte Beschwerde hat das Landgericht nach erneuter Anhörung des Betroffenen zurückgewiesen, ohne die Betreuerin und die Verfahrenspflegerin vor der Entscheidung über den Anhörungstermin zu unterrichten. Hiergegen richtet sich seine Rechtsbeschwerde.
II.
Die Rechtsbeschwerde ist begründet und führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das Landgericht.
1. Das Beschwerdegericht hat zur Begründung seiner Entscheidung ausgeführt, das Amtsgericht habe zu Recht die weitere geschlossene Unterbringung des Betroffenen nach § 1906 Abs. 1 Nr. 2 BGB genehmigt, weil die Psychose dauerhaft bestehen bleiben werde und der Betroffene keine Krankheitseinsicht zeige. Vielmehr sei davon auszugehen, dass der Betroffene seine Medikamente nach einer Entlassung absetzen und seine Lage sich daher destabilisieren werde. In der Vergangenheit habe er immer wieder einen Teil seiner Medikamente weggelassen und dadurch sehr schnell ein auch fremdaggressives Verhalten entwickelt. Zwar dürfe eine geschlossene Unterbringung zum Zwecke einer Heilbehandlung nicht genehmigt werden, wenn nicht damit zu rechnen sei, dass die Behandlung zu einer erheblichen Besserung des Zustands führen werde. Die Unterbringung sei jedoch gerechtfertigt, wenn nur dadurch der psychische Zustand des Betroffenen einigermaßen stabil gehalten und eine weitere Chronifizierung verhindert werden könne. Der persönliche Eindruck aus der Anhörung habe zur Überzeugung der Kammer ergeben, dass der Betroffene keine Krankheitseinsicht zeige und eine Behandlungswilligkeit lediglich vortäusche. Die Unterbringung sei auch verhältnismäßig, weil sie zur Abwendung eines erheblichen gesundheitlichen Schadens erforderlich sei.
2. Die Entscheidung des Landgerichts hält einer rechtlichen Überprüfung nicht stand.
Die angefochtene Entscheidung ist - wie die Rechtsbeschwerde zu Recht rügt - verfahrensfehlerhaft, weil der Betroffene nicht in der gebotenen Weise angehört worden ist.
a) Nach § 319 Abs. 1 Satz 1 FamFG hat das Gericht den Betroffenen vor einer Unterbringungsmaßnahme persönlich anzuhören und sich von diesem einen persönlichen Eindruck zu verschaffen. Diese Vorschrift soll nicht nur sicherstellen, dass sich das Gericht vor der Entscheidung über den mit einer Unterbringung verbundenen erheblichen Grundrechtseingriff einen persönlichen Eindruck von dem Betroffenen verschafft, durch den es in die Lage versetzt wird, namentlich ein eingeholtes Sachverständigengutachten zu würdigen, sondern sichert auch den Anspruch des Betroffenen auf rechtliches Gehör im Unterbringungsverfahren (vgl. Senatsbeschluss vom 15. Februar 2012 - XII ZB 389/11 - FamRZ 2012, 619 Rn. 17).
Sieht das Gericht von der vollständigen schriftlichen Bekanntgabe eines Gutachtens an den - wie hier - anwaltlich nicht vertretenen Betroffenen ab, weil zu besorgen ist, dass die Bekanntgabe die Gesundheit des Betroffenen schädigen oder zumindest ernsthaft gefährden werde, muss ein Verfahrenspfleger bestellt, diesem das Gutachten übergeben werden und die Erwartung gerechtfertigt sein, dass der Verfahrenspfleger mit dem Betroffenen über das Gutachten spricht (Senatsbeschlüsse vom 8. Juni 2011 - XII ZB 43/11 - FamRZ 2011, 1289 Rn. 8 und vom 11. August 2010 - XII ZB 138/10 - BtPrax 2010, 278 Rn. 9 mwN).
Die Pflichten aus § 319 Abs. 1 Satz 1 FamFG gelten gemäß § 68 Abs. 3 Satz 1 FamFG grundsätzlich auch im Beschwerdeverfahren (vgl. Senatsbeschlüsse vom 15. Februar 2012 - XII ZB 389/11 - FamRZ 2012, 619 Rn. 17 und vom 2. März 2011 - XII ZB 346/10 - FamRZ 2011, 805 Rn. 11 mwN). Zwar räumt § 68 Abs. 3 Satz 2 FamFG auch in einem Unterbringungsverfahren dem Beschwerdegericht die Möglichkeit ein, von einer erneuten Anhörung abzusehen. Dies setzt aber voraus, dass das Gericht des ersten Rechtszugs die Anhörung verfahrensordnungsgemäß durchgeführt hat (vgl. Senatsbeschlüsse vom 28. September 2016 - XII ZB 119/16 - FamRZ 2016, 2095 Rn. 16 mwN und vom 15. Februar 2012 - XII ZB 389/11 - FamRZ 2012, 619 Rn. 18).
b) Die vom Amtsgericht durchgeführte Anhörung war verfahrensfehlerhaft, weil der anwaltlich nicht vertretene Betroffene sich - mangels Kenntnis - weder selbst noch durch einen Verfahrenspfleger oder Verfahrensbevollmächtigten zum Sachverständigengutachten äußern konnte.
Das Amtsgericht hat das am 9. Mai 2016 eingegangene Gutachten erst im Anhörungstermin vom 25. Mai 2016 an die Betreuerin und die Verfahrenspflegerin mit der Maßgabe übergeben, dass die Betreuerin das Gutachten mit dem Betroffenen besprechen sollte. Ohne Unterbrechung des Termins wurde der Betroffene unmittelbar im Anschluss an die Übergabe des Gutachtens angehört. Zwar empfiehlt die Sachverständige am Ende des Gutachtens, dass die Eröffnung des Gutachtens oder der Entscheidungsgründe des Gerichts an den Betroffenen möglichst vermittelt (beispielsweise über die Betreuerin) erfolgen sollte, stellt aber zugleich klar, dass schwerwiegende gesundheitliche Risiken vorliegend bei behutsamer Vorgehensweise voraussichtlich nicht zu befürchten sind. Damit bietet das Gutachten keine Grundlage, um von seiner Eröffnung an den Betroffenen vor seiner Anhörung abzusehen. Dass der Betroffene nach der Verkündung der amtsgerichtlichen Entscheidung im Anhörungstermin erklärt hat, er wolle keine weiteren Gründe nach Kenntnis des Gutachtens nachschieben, vermag keine anderweitige Beurteilung zu rechtfertigen.
c) Im Ausgangspunkt zutreffend hat das Beschwerdegericht daher die Anhörung des Betroffenen nach § 68 Abs. 3 Satz 1 FamFG wiederholt. Jedoch war diese Anhörung schon deswegen wiederum verfahrensfehlerhaft, weil das Beschwerdegericht weder die Betreuerin noch die Verfahrenspflegerin zu ihr hinzugezogen hat.
aa) Der Betreuer ist nach § 315 Abs. 1 Nr. 2 FamFG am Unterbringungsverfahren zu beteiligen und deswegen von einem Anhörungstermin rechtzeitig in Kenntnis zu setzen.
Nach § 317 Abs. 1 Satz 1 FamFG hat das Gericht im Unterbringungsverfahren dem Betroffenen einen Verfahrenspfleger zu bestellen, wenn dies zur Wahrnehmung der Interessen des Betroffenen erforderlich ist. Die Bestellung eines Verfahrenspflegers in einer Unterbringungssache soll die Wahrung der Belange des Betroffenen in dem Verfahren gewährleisten. Ist für den Betroffenen bereits ein Betreuer bestellt, dessen Aufgabenkreis den Verfahrensgegenstand umfasst, hat der Verfahrenspfleger in erster Linie die Pflicht, den Verfahrensgarantien, insbesondere dem Anspruch des Betroffenen auf rechtliches Gehör, Geltung zu verschaffen. Außerdem hat er den tatsächlichen oder mutmaßlichen Willen des Betreuten zu erkunden und in das Verfahren einzubringen (vgl. Senatsbeschlüsse vom 14. August 2013 - XII ZB 270/13 - juris Rn. 3 und vom 22. August 2012 - XII ZB 474/11 - FamRZ 2012, 1798 Rn. 12). Der Verfahrenspfleger ist daher vom Gericht im selben Umfang wie der Betroffene an den Verfahrenshandlungen zu beteiligen. Das Gericht muss durch die rechtzeitige Bestellung eines Verfahrenspflegers und dessen Benachrichtigung zum Anhörungstermin sicherstellen, dass dieser an der Anhörung des Betroffenen teilnehmen kann. Außerdem steht dem Verfahrenspfleger ein eigenes Anhörungsrecht zu. Erfolgt die Anhörung dennoch ohne die Möglichkeit einer Beteiligung des Verfahrenspflegers, ist sie verfahrensfehlerhaft und verletzt den Betroffenen in seinem Anspruch auf rechtliches Gehör aus Art. 103 Abs. 1 GG (Senatsbeschlüsse vom 15. Februar 2012 - XII ZB 389/11 - FamRZ 2012, 619 Rn. 22 und vom 2. März 2011 - XII ZB 346/10 - FamRZ 2011, 805 Rn. 18 f.).
bb) Diesen Anforderungen wird das vom Beschwerdegericht gewählte Verfahren nicht gerecht. Das Landgericht hat den Betroffenen am 22. Juni 2016 in Anwesenheit des Chefarztes und des Stationsarztes in der Klinik angehört und am 24. Juni 2016 über die Beschwerde des Betroffenen entschieden, ohne dass die Betreuerin und die Verfahrenspflegerin vom Anhörungstermin Kenntnis hatten. Das schriftliche Anhörungsprotokoll wurde erst am 1. Juli 2016 an die Betreuerin und die Verfahrenspflegerin übermittelt, nachdem die Verfahrenspflegerin dieses Vorgehen mit Fax vom 27. Juni 2016 ausdrücklich gegenüber dem Beschwerdegericht gerügt hatte.
Soweit die Verfahrenspflegerin im Rechtsbeschwerdeverfahren demgegenüber - persönlich - eine Beteiligung eines Verfahrenspflegers an der Anhörung als formaljuristischen Aspekt der Anhörung qualifiziert und die Auffassung vertritt, eine Gehörsverletzung zum Nachteil des Betroffenen könne nicht angenommen werden, weil ihre Anwesenheit in der Anhörung keine weiteren Aspekte der Belange des Betroffenen offenbart hätte, und das Beschwerdegericht ihr (nach Erlass der angefochtenen Entscheidung) den Anhörungstermin nachvollziehbar dargestellt habe, vermag dies keine anderweitige Beurteilung zu rechtfertigen.
d) Ob das Sachverständigengutachten dem Betroffenen vor der Anhörung durch das Beschwerdegericht (vermittelnd) eröffnet wurde, lässt sich nach den Feststellungen der angefochtenen Entscheidung nicht beurteilen.
3. Der angefochtene Beschluss kann deshalb keinen Bestand haben.
Der Senat kann in der Sache nicht abschließend entscheiden. Das Landgericht wird zunächst eine verfahrensgemäße persönliche Anhörung des Betroffenen durchzuführen haben. Für das weitere Verfahren weist der Senat ausdrücklich darauf hin, dass die Genehmigung einer geschlossenen Unterbringung über die regelmäßige Höchstfrist von einem Jahr hinaus als Abweichung vom Regelfall im Hinblick auf den hohen Rang des Rechts auf Freiheit der Person ausreichend zu begründen ist (vgl. Senatsbeschluss vom 6. April 2016 - XII ZB 575/15 - FamRZ 2016, 1063 Rn. 13 f.).
Von einer weiteren Begründung der Entscheidung wird abgesehen, weil sie nicht geeignet wäre, zur Klärung von Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung, zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung beizutragen (§ 74 Abs. 7 FamFG).
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Berichtigungsbeschluss vom 23. März 2017
Der Senatsbeschuss vom 22. Februar 2017 (Seite 2 erste Zeile des Umdrucks) wird wegen eines offensichtlichen Schreibfehlers dahin berichtigt, dass es statt
"22. Januar 2017"
richtig lautet:
"22. Februar 2017".
Dose |
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Günter |
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Guhling |
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