Entscheidungsdatum: 28.09.2016
Zu den Voraussetzungen, unter denen im Beschwerdeverfahren in einer Unterbringungssache von der persönlichen Anhörung des Betroffenen abgesehen werden kann (im Anschluss an Senatsbeschluss vom 1. Juni 2016, XII ZB 23/16, FamRZ 2016, 1354).
Auf die Rechtsbeschwerde des weiteren Beteiligten zu 4 wird der Beschluss der 11. Zivilkammer des Landgerichts Karlsruhe vom 29. Februar 2016 aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Behandlung und Entscheidung, auch über die außergerichtlichen Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Landgericht zurückverwiesen.
Das Verfahren der Rechtsbeschwerde ist gerichtsgebührenfrei.
I.
Die 87jährige Betroffene leidet an einem schweren demenziellen Syndrom. Am 7. September 2012 hatte sie einem ihrer drei Kinder, der Beteiligten zu 1, umfassende Vorsorgevollmacht einschließlich des Rechts der Entscheidung über die Unterbringung mit freiheitsentziehender Wirkung erteilt. Auf Antrag der Beteiligten zu 1 hat das Amtsgericht am 10. April 2015 die geschlossene Unterbringung der Betroffenen genehmigt, nachdem ihr Ehemann, der Beteiligte zu 4, geplant hatte, mit der Betroffenen eine Reise in die USA zu unternehmen.
Der Beschwerde des Ehemanns hat das Amtsgericht abgeholfen und den Unterbringungsbeschluss vom 10. April 2015 aufgehoben, da der Ehemann alle Voraussetzungen geschaffen habe, um eine sichere Versorgung der Betroffenen bei ihm zu Hause zu gewährleisten. Hiergegen haben die Beteiligten zu 1 bis 3 - sämtliche drei Kinder der Betroffenen - im eigenen Namen und die Beteiligte zu 1 zugleich im Namen der Betroffenen Beschwerde eingelegt.
Das Landgericht hat die Beschwerden der Beteiligten zu 2 und 3 verworfen und auf die Beschwerde der Betroffenen und der Beteiligten zu 1 mit Beschluss vom 29. Februar 2016 erneut die geschlossene Unterbringung der Betroffenen in einer Pflegeeinrichtung bis längstens 10. April 2017 genehmigt. Hiergegen richtet sich die Rechtsbeschwerde des Ehemanns.
II.
Die zulässige Rechtsbeschwerde ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der angegriffenen Entscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das Landgericht.
1. Als Angehörigem, der im ersten Rechtszug beteiligt worden ist, steht dem Ehemann der Betroffenen das Recht zur Rechtsbeschwerde im Interesse der Betroffenen zu (§ 335 Abs. 1 Nr. 1 FamFG).
2. Das Landgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung ausgeführt: Die Beteiligte zu 1 habe den Antrag auf Genehmigung der geschlossenen Unterbringung aufgrund der ihr wirksam erteilten Vorsorgevollmacht in zulässiger Weise gestellt. Im Zeitpunkt der Vollmachterteilung sei die Betroffene geschäftsfähig gewesen. Daran zu zweifeln bestehe kein Anlass. Zwar sei davon auszugehen, dass die Betroffene bereits im Jahr 2012 an einer beginnenden Demenz erkrankt gewesen sei. Da sich die Krankheit jedoch schleichend entwickle, sei in Übereinstimmung mit den eingeholten Sachverständigengutachten anzunehmen, dass eine Geschäftsunfähigkeit erst ab der zweiten Jahreshälfte 2014 vorgelegen habe.
Die Voraussetzungen der Genehmigung der Unterbringung lägen weiterhin vor. Aufgrund einer psychischen Krankheit der Betroffenen bestehe die Gefahr, dass sie sich einen erheblichen gesundheitlichen Schaden zufüge. Sie wäre bei einem - auch zufälligen - Verlassen einer beschützenden Umgebung erheblich gefährdet, sich zu verlaufen und zur hilflosen Person zu werden. Des Weiteren würde sie ihre Medikamente nicht einnehmen, was zu einer Beschleunigung des Voranschreitens des dementiellen Prozesses führen würde. Auch bestehe für die Betroffene die Gefahr, sich bei unachtsamer Überquerung der Straße schwer zu verletzen.
Die Unterbringung der Betroffenen, der es krankheitsbedingt an einem freien Willen fehle, sei auch erforderlich. Weniger einschneidende Maßnahmen stünden nicht zur Verfügung, da insbesondere die häusliche Pflege in der Wohnung des Ehemanns kein geeignetes Mittel darstelle. Die Betroffene benötige eine lückenlose Beaufsichtigung rund um die Uhr, die im häuslichen Umfeld des Ehemanns nicht gewährleistet sei. Weder könne der gesundheitlich angeschlagene Ehemann selbst die ständige Beaufsichtigung durchführen noch sei eine Betreuung durch Pflegepersonal in dem erforderlichen Maße gewährleistet.
3. Dies hält einer rechtlichen Nachprüfung nicht in allen Punkten stand.
a) Gemäß § 1906 Abs. 5 BGB setzt die Unterbringung durch einen Bevollmächtigten voraus, dass die Vollmacht schriftlich erteilt ist und diese Maßnahme ausdrücklich umfasst. Das ist hier der Fall.
b) Ohne Erfolg rügt die Rechtsbeschwerde unzureichende Sachaufklärung in Bezug auf die Geschäftsfähigkeit der Betroffenen im Zeitpunkt der Vollmachterteilung am 7. September 2012. Das Landgericht ist in nicht zu beanstandender Weise zu dem Ergebnis gelangt, dass Bedenken gegen die Wirksamkeit der erteilten Vollmacht nicht bestünden.
Die Frage, ob der Betroffene im Zeitpunkt der Vollmachterteilung nach § 104 Nr. 2 BGB geschäftsunfähig war, hat das Gericht nach § 26 FamFG von Amts wegen aufzuklären. Ein bloßer Verdacht genügt nicht, um die Vermutung der Wirksamkeit einer vorliegenden Vollmachtsurkunde zu erschüttern. Kann die Unwirksamkeit einer Vorsorgevollmacht nicht positiv festgestellt werden, bleibt es bei der wirksamen Bevollmächtigung (Senatsbeschluss vom 3. Februar 2016 - XII ZB 425/14 - FamRZ 2016, 701 Rn. 11).
Zur Aufklärung der Frage hat das Landgericht ein Sachverständigengutachten eingeholt. Nach den Ausführungen der Sachverständigen kann der Beginn der demenziellen Erkrankung nicht mit Sicherheit bestimmt werden, jedoch sei davon auszugehen, dass die Betroffene im Jahr 2012 noch nicht geschäftsunfähig war. Damit hat das Landgericht die Frage der Geschäftsfähigkeit der Betroffenen im Zeitpunkt der Vollmachterteilung i.S.v. §§ 26, 30 FamFG hinreichend ausermittelt.
Entgegen der Rechtsbeschwerde musste das Landgericht nicht noch vermeintlichen Widersprüchen zu einem ärztlichen Attest vom 15. April 2014 nachgehen, worin der Betroffenen ein "seit vielen Jahren ... bekanntes demenzielles Syndrom" bescheinigt wird, oder näher die Umstände aufklären, unter denen bei stationären Behandlungen der Betroffenen in den Jahren 2010 und 2011 neben internistischen Hauptdiagnosen auch eine "nicht näher bezeichnete Demenz" vermerkt ist. Zwar könnten sich daraus Anhaltspunkte dafür ergeben, dass die demenzielle Entwicklung nicht erst im Jahr 2012, sondern schon vorher begann. Ohne Rechtsfehler hat das Landgericht jedoch angenommen, dass sich daraus keine zwingenden Rückschlüsse darauf herleiten lassen, dass die Erkrankung bereits am 7. September 2012 den Grad der Geschäftsunfähigkeit erreicht hatte, und weitere Ermittlungen insoweit nicht veranlasst seien.
c) Die angefochtene Entscheidung ist jedoch, wie die Rechtsbeschwerde zu Recht rügt, verfahrensfehlerhaft ergangen, weil unter Berücksichtigung der Besonderheiten des vorliegenden Falls das Beschwerdegericht nicht von einer erneuten Anhörung der Betroffenen hätte absehen dürfen.
aa) Gemäß § 319 Abs. 1 Satz 1 und 2 FamFG hat das Gericht den Betroffenen vor einer Unterbringungsmaßnahme persönlich anzuhören und sich einen persönlichen Eindruck von ihm zu verschaffen. Die Pflicht zur persönlichen Anhörung des Betroffenen besteht nach § 68 Abs. 3 Satz 1 FamFG grundsätzlich auch im Beschwerdeverfahren. Allerdings darf das Beschwerdegericht nach § 68 Abs. 3 Satz 2 FamFG von der persönlichen Anhörung absehen, wenn diese bereits im ersten Rechtszug vorgenommen worden ist und von einer erneuten Anhörung keine neuen Erkenntnisse zu erwarten sind. Diese Voraussetzung ist insbesondere dann erfüllt, wenn die erstinstanzliche Anhörung des Betroffenen nur kurze Zeit zurückliegt, sich nach dem Akteninhalt keine neuen entscheidungserheblichen Tatsachen oder rechtliche Gesichtspunkte ergeben, das Beschwerdegericht das in den Akten dokumentierte Ergebnis der erstinstanzlichen Anhörung nicht abweichend werten will und es auf den persönlichen Eindruck des Gerichts von dem Betroffenen nicht ankommt. Macht das Beschwerdegericht von dieser Möglichkeit Gebrauch, muss es in seiner Entscheidung die Gründe hierfür in nachprüfbarer Weise darlegen (vgl. Senatsbeschluss vom 1. Juni 2016 - XII ZB 23/16 - FamRZ 2016, 1354 Rn. 17 mwN).
bb) Auf dieser rechtlichen Grundlage hätte das Beschwerdegericht im vorliegenden Fall nicht von einer erneuten Anhörung der Betroffenen absehen dürfen. Zwar wurde die Betroffene im amtsgerichtlichen Verfahren am 9. April 2015 angehört. Danach hat das Amtsgericht jedoch weitere Ermittlungen angestellt und Anhörungen ohne die Betroffene durchgeführt, aufgrund derer es im Abhilfeverfahren zur Aufhebung des Unterbringungsbeschlusses gelangt ist. Vom Landgericht ist eine ergänzende Stellungnahme der Sachverständigen eingeholt und eine weitere Anhörung ohne die Betroffene durchgeführt worden.
Auf Grundlage dieser ergänzenden Ermittlungen hätte das Landgericht die Unterbringung nicht entgegen der im Abhilfeverfahren ergangenen Entscheidung anordnen dürfen, ohne die Betroffene selbst persönlich anzuhören und sich einen persönlichen Eindruck von ihr zu verschaffen (vgl. Senatsbeschluss vom 1. Juni 2016 - XII ZB 23/16 - FamRZ 2016, 1354 Rn. 18 mwN).
4. Der angefochtene Beschluss kann daher keinen Bestand haben. Der Senat kann in der Sache nicht abschließend entscheiden, da er die noch erforderliche Anhörung nicht selbst nachholen kann. Die Sache ist daher an das Landgericht zurückzuverweisen.
Bei seiner erneuten Befassung wird das Landgericht auch zu berücksichtigen haben, dass die in seinem Beschluss ausgesprochene Befristung der Genehmigung auf eine Dauer, die ein Jahr überschreitet, auf unzureichenden Erwägungen beruht.
aa) Gemäß § 329 Abs. 1 FamFG endet die Unterbringung spätestens mit Ablauf eines Jahres, bei offensichtlich langer Unterbringungsbedürftigkeit spätestens mit Ablauf von zwei Jahren, wenn sie nicht vorher verlängert wird. Die Befristung auf längstens ein Jahr stellt damit eine gesetzliche Höchstgrenze für die Dauer der Unterbringung dar, die nur unter besonderen Voraussetzungen überschritten werden darf.
Wird über die regelmäßige Höchstfrist der geschlossenen Unterbringung von einem Jahr hinaus eine Unterbringung von bis zu zwei Jahren genehmigt oder angeordnet, ist diese Abweichung vom Regelfall im Hinblick auf den hohen Rang des Rechts auf Freiheit der Person ausreichend zu begründen. Solche Gründe können sich etwa aus konkreten Feststellungen über die Dauer einer notwendigen Therapie oder aus fehlenden Heilungs- und Besserungsaussichten bei anhaltender Eigengefährdung ergeben. Dabei erfordert das im Gesetz genannte Merkmal der "Offensichtlichkeit", dass die Gründe für eine über ein Jahr hinaus währende Unterbringungsbedürftigkeit für das sachverständig beratene Gericht deutlich und erkennbar hervortreten. Besondere Zurückhaltung ist geboten, wenn für den Betroffenen eine erstmalige Unterbringungsanordnung oder -genehmigung erfolgt (Senatsbeschluss vom 6. April 2016 - XII ZB 575/15 - FamRZ 2016, 1063 Rn. 13 f.).
bb) Im vorliegenden Fall hält selbst das Landgericht die Maßnahme - in Übereinstimmung mit dem Gutachten - dann für nicht mehr erforderlich, wenn die Betroffene ihre Gehfähigkeit einbüßt und deshalb nicht mehr der durchgängigen Beaufsichtigung bedarf. Da der Eintritt dieser Veränderung bei der inzwischen 87jährigen Betroffenen in absehbarer Zeit nicht außerhalb der anzunehmenden Wahrscheinlichkeit liegt, steht eine "offensichtlich" ein Jahr überschreitende Unterbringungsbedürftigkeit nicht ausreichend fest.
Dose Günter Nedden-Boeger
Botur Guhling