Entscheidungsdatum: 17.07.2012
Polymerschaum
1. Die Prüfung der Patentfähigkeit erfordert regelmäßig eine Auslegung des Patentanspruchs, bei der dessen Sinngehalt in seiner Gesamtheit und der Beitrag, den die einzelnen Merkmale zum Leistungsergebnis der Erfindung liefern, zu bestimmen sind. Dem Patentanspruch darf dabei nicht deshalb ein bestimmter Sinngehalt beigelegt werden, weil sein Gegenstand andernfalls gegenüber den Ursprungsunterlagen unzulässig erweitert wäre.
2. Ergibt die mündliche Verhandlung des Patentnichtigkeitsberufungsverfahrens, dass die Sache nicht zur Endentscheidung reif ist, kommt es für die Entscheidung, ob es sachdienlich ist, die gebotene weitere Sachaufklärung dem Patentgericht zu übertragen oder zu diesem Zweck das Berufungsverfahren vor dem Bundesgerichtshof fortzusetzen, in erster Linie darauf an, auf welchem Weg die noch offenen Sachfragen möglichst effizient und zügig geklärt werden können.
Auf die Berufung der Beklagten wird das am 14. April 2011 verkündete Urteil des 3. Senats (Nichtigkeitssenats) des Bundespatentgerichts aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Berufung, an das Patentgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Die Beklagte ist Inhaberin des mit Wirkung für die Bundesrepublik Deutschland erteilten europäischen Patents 1 102 809 (Streitpatents), das am 30. Juli 1999 unter Inanspruchnahme einer US-amerikanischen Priorität vom 31. Juli 1998 international angemeldet worden ist und Polymerschaum enthaltende Artikel sowie ein Verfahren zu deren Herstellung betrifft. Das Streitpatent umfasst 38 Ansprüche, von denen die einander nebengeordneten Ansprüche 1, 15 und 36 in der Verfahrenssprache Englisch wie folgt lauten:
"1. A method for preparing a polymer foam, said method comprising:
(a) providing a plurality of expandable polymeric microspheres and a molten polymer composition containing less than 20 wt.% solvent, each expandable polymeric microsphere including a polymer shell and a core material in the form of a gas, liquid, or combination thereof, that expands upon heating, with the expansion of the core material, in turn, causing the shell to expand;
(b) melt mixing the molten polymer composition and the plurality of expandable polymeric microspheres, under process conditions, including temperature and shear rate, selected to form an expandable extrudable composition;
(c) extruding the expandable extrudable composition through a die to form the polymer foam; and
(d) at least partially expanding a plurality of the expandable polymeric microspheres before the expandable extrudable composition exits the die.
15. An article comprising the polymer foam obtainable according to the method of claim 1.
36. An article comprising:
a recess;
a foam-in-place article comprising a polymer foam obtainable by a method of claim 1 comprising a polymeric matrix and a plurality of at least partially expanded polymeric microspheres, and optionally an activated blowing agent, said foam-in-place article being positioned in said recess and partially or completely filling said recess."
Die Klägerin hat geltend gemacht, der Gegenstand des Streitpatents sei nicht patentfähig und die Erfindung sei nicht so deutlich offenbart, dass ein Fachmann sie ausführen könne. Ferner hat die Klägerin im Wege der Klageerweiterung geltend gemacht, dass das Streitpatent über den Inhalt der ursprünglich eingereichten Anmeldung hinausgehe. Die Beklagte ist der Klage entgegengetreten und hat das Streitpatent hilfsweise in der Fassung mehrerer Hilfsanträge verteidigt.
Das Patentgericht hat das Streitpatent für nichtig erklärt.
Hiergegen wendet sich die Beklagte mit der Berufung, mit der sie weiterhin die Abweisung der Klage anstrebt, soweit sie das Streitpatent verteidigt. Nach ihrem Hauptantrag, neben dem sie - in geänderter Reihenfolge - ihre erstinstanzlichen Hilfsanträge weiterverfolgt, sollen Patentanspruch 1 und die diesem untergeordneten Patentansprüche in der erteilten Fassung beibehalten werden. Patentanspruch 15 und die diesem untergeordneten Patentansprüche sollen die Fassung des bisherigen Hilfsantrags 5 erhalten. Danach soll Patentanspruch 15 wie folgt lauten:
"15. An article comprising the polymer foam obtainable according to the method of claim 1, wherein said polymer foam is an adhesive, and wherein the polymer composition comprises an acrylate or methacrylate adhesive polymer or copolymer."
Unteranspruch 24 soll entfallen und die Nummerierung der nachfolgenden Unteransprüche 25 bis 35 entsprechend angepasst werden. Die Patentansprüche 36 bis 38 der erteilten Fassung sollen entfallen.
Die Klägerin tritt dem Rechtsmittel entgegen.
Die Parteien haben eine Mehrzahl von Gutachten vorgelegt, die Prof. Dr.-Ing. F. O. , Hochschule für Angewandte Wissenschaften H. , Department Maschinenbau & Produktion, für die Klägerin und Prof. Dr.-Ing. M. S. , Inhaber des Lehrstuhls für Polymerwerkstoffe der Universität S. , für die Beklagte erstattet haben.
Die zulässige Berufung der Beklagten hat Erfolg. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Patentgericht.
I. Das Patentgericht hat die Erweiterung der Klage um den Nichtigkeitsgrund der unzulässigen Erweiterung als sachdienlich und die Klage daher insgesamt als zulässig angesehen.
Den Nichtigkeitsgrund mangelnder Ausführbarkeit hat das Patentgericht als unbegründet angesehen. Zur Begründetheit der Klage hat es im Übrigen ausgeführt, es teile die Bedenken der Klägerin gegen die Ursprungsoffenbarung der Merkmale "providing … a molten polymer composition …" und "melt mixing the molten polymer composition and the plurality of expandable polymeric microspheres …", sofern damit die zeitliche Reihenfolge der Arbeitsweisen der Absätze (a) und (b) derart festgelegt sei, dass die Mikrokugeln erst der bereits geschmolzenen Polymerzusammensetzung zugegeben würden. Denn eine entsprechende Textstelle fehle in den Ursprungsunterlagen. Der Einwand der Beklagten, die Reihenfolge ergebe sich aus sämtlichen Ausführungsbeispielen, die Hot-Melt-Polymer-Zusammensetzungen beträfen, sowie einer voran gestellten allgemeinen Anweisung der Zugabe der expandierbaren Mikrokugeln zum geschmolzenen Polymer, könne die Bedenken nicht ausräumen, weil eine stoffliche Einschränkung hinsichtlich der Polymerzusammensetzung und eine Einschränkung der Verfahrensführung nicht offenbart seien.
Über den Nichtigkeitsgrund der unzulässigen Erweiterung müsse jedoch nicht abschließend entschieden werden, da die Gegenstände des Patentanspruchs 1 und des Patentanspruchs 15, der auf ein Erzeugnis in Form eines Product-by-Process-Anspruchs gerichtet sei und auf die Merkmale des Verfahrens gemäß Patentanspruch 1 Bezug nehme, nicht patentfähig seien.
Dies hat das Patentgericht im Wesentlichen damit begründet, dass die Erfindung gegenüber dem in den Entgegenhaltungen E01, E02, E04 und E05 offenbarten Stand der Technik nicht neu sei.
Die deutsche Offenlegungsschrift 195 31 631 (E01) betreffe ein Verfahren zur Herstellung thermoplastischer Kunststoffschäume mit syntaktischer Schaumstruktur. Danach werde ein Gemisch aus thermoplastischem Polymer bzw. einer thermoplastischen Zusammensetzung und expandierbaren polymeren Mikrokugeln ohne Zusatz von Lösemitteln in geschmolzenem Zustand im Extruder durch eine Düse extrudiert. Die von der Lehre der E01 umfassten Ausführungsformen des Extrusionsverfahrens wiesen sämtliche Merkmale des streitpatentgemäßen Verfahrens auf. Da aus dem Wortlaut des Patentanspruchs 1 des Streitpatents in der erteilten Fassung nicht hervorgehe, wann genau im Verfahrensablauf die im Verfahrensschritt (d) vorgesehene mindestens teilweise Expansion der Mikrokugeln erfolge, erfasse das streitpatentgemäße Verfahren sowohl Ausführungsformen, bei denen nahezu die gesamte Expansion bereits vor dem Austritt der Polymermasse aus der Extruderdüse stattfinde, als auch Ausführungsformen, bei denen nur eine geringfügige Expansion vor dem Austritt aus der Düse und die vollständige Expansion erst nach dem Austritt aus der Düse erfolge. Schließlich sei das Verfahren gemäß Patentanspruch 1 des Streitpatents nach seinem Wortlaut nicht in der Weise beschränkt, dass die Polymerzusammensetzung zunächst vollständig geschmolzen sein müsse, bevor die expandierbaren polymeren Mikrokugeln zugesetzt würden. Das streitpatentgemäße Verfahren umfasse daher auch eine Ausführungsform, bei der die Polymerzusammensetzung erst nach der Zugabe der expandierbaren polymeren Mikrokugeln im Verlauf der Passage durch den Extruder hin zur Extruderdüse vollständig schmelze, und sei daher nicht abgegrenzt von der Verfahrensweise der E01, bei der die Temperaturen im Extrusionszylinder bei 395 bis 405 K und damit oberhalb der Schmelztemperatur der jeweils eingesetzten Polyolefine lägen.
Das Verfahren gemäß Patentanspruch 1 und damit auch die Erzeugnisse nach Patentanspruch 15 des Streitpatents in der erteilten Fassung seien auch gegenüber der Abhandlung von Elfving, Foaming Plastics With Expancel Microspheres, Seminarbeitrag 19. Februar 1998, RAPRA Technology Ltd. (E02), nicht neu. Diese Abhandlung befasse sich mit dem Aufschäumen von Polymermassen mittels "Expancel"-Mikrokugeln und beschreibe einen Großteil der Merkmale des Streitpatents. Die aufgabenhaft gehaltenen Merkmale, wonach das Schmelzmischen der geschmolzenen Polymerzusammensetzung und der expandierbaren polymeren Mikrokugeln hinsichtlich Temperatur und Schergeschwindigkeit unter solchen Prozessbedingungen durchzuführen sei, dass eine expandierbare, extrudierbare Masse entstehe, stellten Selbstverständlichkeiten bei der Extrusion von Thermoplasten dar, so dass insoweit fehlende Ausführungen in der E02 der Annahme der fehlenden Neuheit nicht entgegenstünden.
Ebenso lehre die veröffentlichte europäische Patentanmeldung 802 946 (E04) die Verarbeitung einer Mischung aus thermoplastischem und damit schmelzbaren polymeren Mikrokugeln zur Schäumung und damit Dichtereduktion im Extruder bei vorgegebener Temperatur und Verweilzeit. Sie erfülle damit ebenfalls alle Merkmale des streitgemäßen Verfahrens nach Anspruch 1. Dementsprechend seien auch die Erzeugnisse nach Anspruch 15 gegenüber der E04 nicht neu.
Schließlich seien streitpatentgemäße Erzeugnisse auch nach der Lehre der japanischen Offenlegungsschrift Hei 10-152575 (E05) erhältlich. Danach würden geschäumte Polymerformmassen aus dem Gemisch eines geschmolzenen thermoplastischen Materials als Matrix und expandierbarer polymerer Mikrokugeln des Typs "Expancel" unter Schmelzmischen bei geeigneten Bedingungen im Extruder ohne den Zusatz von Lösemitteln hergestellt. Die Maßgaben des Verfahrensschritts (d) in Anspruch 1 des Streitpatents seien insofern erfüllt, als gemäß der Lehre der E05 verschiedene Expansionsgrade einschließlich der vollständigen Expansion vor dem Austritt aus der Düse des Extruders einstellbar seien.
Im Übrigen sei dem Fachmann, einem Diplom-Chemiker der Fachrichtung Makromolekulare Chemie bzw. Polymerchemie oder einem Diplom-Ingenieur der Verfahrenstechnik mit Kenntnissen und langjährigen Erfahrungen auf dem Gebiet der Kunststofftechnik, insbesondere der Herstellung geschäumter extrudierter Polymermassen und -formteile, ein Verfahren gemäß Patentanspruch 1 und damit ein nach dessen Arbeitsweise erhältliches Erzeugnis gemäß Patentanspruch 15 jedenfalls ausgehend von der Lehre der E02 nahegelegt worden, so dass das Streitpatent auch mangels erfinderischer Tätigkeit keinen Bestand haben könne. Die E02 gebe nicht nur die Anregung, Extrudate aus geeigneten thermoplastischen Polymerzusammensetzungen als Polymermatrix und expandierbaren extrudierbaren polymeren Mikrokugeln der Marke "Expancel" herzustellen, sondern vermittle darüber hinaus auch eine technische Lehre, die es einem Fachmann ermögliche, aufgrund seines Wissens und Könnens ohne weiteres zu einem für den jeweiligen Anwendungszweck maßgeschneiderten Verfahren bzw. zu Produkten mit sämtlichen Merkmalen der Patentansprüche 1 und 15 in der erteilten Fassung zu gelangen.
Schließlich könne das Streitpatent auch in den hilfsweise verteidigten Fassungen keinen Bestand haben. Unabhängig von der Frage der Zulässigkeit der Hilfsanträge beruhten die hilfsweise verteidigten Gegenstände des Streitpatents jedenfalls nicht auf erfinderischer Tätigkeit.
II. Diese Beurteilung hält der Überprüfung im Berufungsverfahren nicht stand.
1. Das Streitpatent betrifft Polymerschaum enthaltende Erzeugnisse und Verfahren zu deren Herstellung.
Polymerschaum enthaltende Gegenstände waren im Prioritätszeitpunkt des Streitpatents bereits bekannt und finden in unterschiedlichen Bereichen, wie beispielsweise in der Luftfahrt, im Fahrzeugbau und auf medizinischem Gebiet, Verwendung.
Polymerschaum zeichnet sich dadurch aus, dass er eine geringere Dichte aufweist als die in ihm enthaltende Polymermatrix. Die Reduzierung der Dichte wird mit unterschiedlichen Verfahrensweisen erreicht, so durch die Erzeugung von gasgefüllten Hohlräumen in der Matrix (z.B. mit Hilfe eines Treibmittels) oder durch das Zusetzen polymerer Mikrokugeln (z.B. expandierbarer Mikrokugeln) oder nichtpolymerer Mikrokugeln (z.B. gläserner Mikrokugeln). Die Streitpatentschrift verweist in diesem Zusammenhang auf die deutsche Offenlegungsschrift 195 31 631 (E01), die ein Verfahren zur Herstellung eines thermoplastischen Polymerschaums mittels Extrusions- oder Spritzgussmaschinen betrifft (Beschr. Abs. 2, 3).
In der Streitpatentschrift wird nicht ausdrücklich angegeben, welches technische Problem das Streitpatent betrifft. Die Aufgabenbeschreibung des Patentgerichts nimmt mit dem Hinweis auf die Art und den Zeitpunkt der Expansion der Mikrokugeln im Extruder die erfindungsgemäße Lösung teilweise vorweg. Das dem Streitpatent zugrunde liegende Problem ist allgemeiner darin zu sehen, ein Verfahren zur Verfügung zu stellen, bei dem das Aufschäumen mittels expandierbarer Mikrokugeln unter Einhaltung definierter Bedingungen möglich ist und Erzeugnisse zuverlässig innerhalb enger Fertigungstoleranzen hergestellt werden können.
Zur Lösung des Problems schlägt das Streitpatent ein Verfahren mit folgenden Merkmalen vor (die abweichende Merkmalsgliederung des Patentgerichts ist in eckigen Klammern wiedergegeben):
1. Verfahren zur Herstellung eines Polymerschaums durch Bereitstellen
1.1. von mehreren expandierbaren polymeren Mikrokugeln und
1.2. einer geschmolzenen Polymerzusammensetzung (molten polymer composition) [1; 2; 2.1].
2. Die geschmolzene Polymerzusammensetzung enthält weniger als 20 Gewichtsprozent Lösungsmittel [2.1.1].
3. Jede expandierbare polymere Mikrokugel umfasst eine Polymerhülle und ein Kernmaterial [2.1.2; 2.1.2.1], das
3.1. aus einem Gas, einer Flüssigkeit oder einer Kombination davon besteht [2.1.2.2] und
3.2. beim Erwärmen expandiert, was zur Expansion der Polymerhülle führt [2.1.2.3].
4. Die geschmolzene Polymerzusammensetzung und die expandierbaren Mikrokugeln werden schmelzgemischt (melt mixing the molten polymer composition and the plurality of expandable polymeric microspheres) [2.2], wobei die Prozessbedingungen einschließlich Temperatur und Schergeschwindigkeit so gewählt werden, dass eine Zusammensetzung gebildet wird, die
4.1. extrudierbar und
4.2. expandierbar ist [2.2.1; 2.2.2].
5. Die expandierbare extrudierbare Zusammensetzung wird durch eine Düse extrudiert, um den Polymerschaum zu bilden [2.3].
6. Mehrere der expandierbaren polymeren Mikrokugeln expandieren zumindest teilweise, bevor die expandierbare, extrudierbare Zusammensetzung aus der Düse tritt [2.4].
Der mit dem Hauptantrag allein noch verteidigte nebengeordnete Erzeugnisanspruch 15 ist auch in seiner verteidigten Fassung als Product-by-Process-Anspruch ausgestaltet und dadurch definiert, dass die Erzeugnisse durch das Verfahren nach Patentanspruch 1 erhältlich sind, wobei der Polymerschaum ein Klebstoff ist und die Polymerzusammensetzung ein adhäsives Acryl- oder Methacrylpolymer oder -copolymer enthält.
2. Die Auslegung des Patentanspruchs 1, die das Patentgericht seiner Beurteilung der Patentfähigkeit des Gegenstands des Streitpatents zugrunde gelegt hat, ist nicht frei von Rechtsfehlern.
a) Das Patentgericht hat eine zusammenhängende Ermittlung der mit Patentanspruch 1 gegebenen technischen Lehre unterlassen und lediglich bei der Prüfung der Neuheit jeweils Ausführungen zum Sinngehalt einzelner Merkmale gemacht. Im Rahmen der Auslegung sind jedoch der Sinngehalt des Patentanspruchs in seiner Gesamtheit und der Beitrag, den die einzelnen Merkmale zum Leistungsergebnis der Erfindung liefern, zu bestimmen (BGH, Urteil vom 3. Juni 2004 - X ZR 82/03, BGHZ 159, 221, 226 - Drehzahlermittlung; Urteil vom 13. Februar 2007 - X ZR 74/05, BGHZ 171, 120 Rn. 18 f.- Kettenradanordnung I; Beschluss vom 17. April 2007 - X ZB 9/06, BGHZ 172, 108 Rn. 13 f. - Informationsübermittlungsverfahren I; Urteil vom 31. Mai 2007 - X ZR 172/04, BGHZ 172, 298 Rn. 38 - Zerfallszeitmessgerät; Urteil vom 29. Juni 2010 - X ZR 193/03, BGHZ 186, 90 Rn. 13 - Crimpwerkzeug III). Die Bestimmung des Sinngehalts eines einzelnen Merkmals muss stets in diesem Kontext erfolgen, aus dem sich ergeben kann, dass dem Merkmal eine andere Bedeutung zukommt als einem entsprechenden Merkmal in einer zum Stand der Technik gehörenden Entgegenhaltung. Denn für das Verständnis entscheidend ist zumindest im Zweifel die Funktion, die das einzelne technische Merkmal für sich und im Zusammenwirken mit den übrigen Merkmalen des Patentanspruchs bei der Herbeiführung des erfindungsgemäßen Erfolgs hat. Dabei sind Beschreibung und Zeichnungen heranzuziehen, die die technische Lehre des Patentanspruchs erläutern und veranschaulichen und daher nach ständiger Rechtsprechung nicht nur für die Bestimmung des Schutzbereichs (Art. 69 Abs. 1 EPÜ, § 14 PatG), sondern ebenso für die Auslegung des Patentanspruchs heranzuziehen sind, unabhängig davon, ob diese Auslegung die Grundlage der Verletzungsprüfung oder der Prüfung des Gegenstands des Patentanspruchs auf seine Patentfähigkeit ist (BGHZ 186, 90 Rn. 13 - Crimpwerkzeug III).
Entgegen der von der Klägerin in der mündlichen Verhandlung vertretenen Auffassung ist es dabei unerheblich, ob die Auslegung zu einem Ergebnis führt, bei dem der Patentanspruch eine unzulässige Erweiterung gegenüber den Ursprungsunterlagen enthält. Ebenso wenig wie der Patentanspruch nach Maßgabe dessen ausgelegt werden darf, was sich nach Prüfung des Standes der Technik als patentfähig erweist (BGH, Urteil vom 24. September 2003 - X ZR 7/00, BGHZ 156, 179, 186 - blasenfreie Gummibahn I), darf er nach Maßgabe des Sinngehalts der Ursprungsunterlagen ausgelegt werden. Grundlage der Auslegung ist vielmehr allein die Patentschrift. Ein Vergleich mit der Veröffentlichung der Patentanmeldung kommt allenfalls dann in Betracht, wenn dies bei Widersprüchen zwischen Beschreibung und Patentanspruch zur Klärung des Umfangs einer bei der Erteilung des Patents oder im Einspruchsverfahren vorgenommenen Beschränkung des geschützten Gegenstands beitragen kann (BGH, Urteil vom 10. Mai 2011 - X ZR 16/09, BGHZ 189, 330 Rn. 25 - Okklusionsvorrichtung; Urteil vom 4. Februar 2010 - Xa ZR 36/08, GRUR 2010, 602 Rn. 20 - Gelenkanordnung).
b) Die an diesen Grundsätzen orientierte Auslegung führt zu folgendem Ergebnis:
Der Begriff "molten polymer composition" wird im Patentanspruch sowohl in Merkmal 1.2 als auch in Merkmal 4 verwendet. Die wesentlich von dem Verständnis dieser Merkmale abhängige und zwischen den Parteien streitige Frage, ob der Patentanspruch eine Reihenfolge der Verfahrensschritte zum Ausdruck bringt, nach der die expandierten Mikrokugeln einer bereits vor der Beimischung geschmolzenen Polymerzusammensetzung zugesetzt werden, ist entgegen der Auffassung des Patentgerichts und der Klägerin zu bejahen.
Schon der Wortlaut des Patentanspruchs macht deutlich, dass die Komponenten des Verfahrens die Mikrokugeln (Merkmal 1.1) und die geschmolzene Polymerzusammensetzung (Merkmal 1.2) sind. Diese Komponenten sollen bereitgestellt werden ("providing"). Die Kennzeichnung der Verfahrensschritte mit den Buchstaben a bis d und ihre sachliche Aufeinanderfolge Bereitstellung -Schmelzmischen - Extrudieren/Expandieren sprechen gegen die Annahme, hiermit sei über die Aufeinanderfolge der Maßnahmen nichts ausgesagt. Bei der Schmelzmischung beider Komponenten (Merkmal 4) soll folgerichtig die Expandierbarkeit erhalten bleiben (Merkmal 4.2); entsprechend müssen die Prozessbedingungen gewählt werden. Erst in der Düse beginnt, bedingt durch den Druckabfall (Beschr. Abs. 64; Abs. 83 der Übers.), die Expansion der Mikrokugeln (Merkmal 6).
Die Beschreibung erläutert dies, indem sie ausführt, dass Harzteilchen und Additive (aber nicht die Mikrokugeln) gemischt werden, wobei das Mischen vorzugsweise bei einer Temperatur ausgeführt werde, die für eine Mikrokugelexpansion nicht ausreiche. Es könne jedoch auch eine höhere Temperatur verwendet werden, wobei die Temperatur in diesem Fall im Anschluss an das Mischen und vor dem Eintragen der Mikrokugeln erniedrigt werde (Beschr. Abs. 61; Abs. 80 der Übers.). Erst danach werden Polymerzusammensetzung und Mikrokugeln "schmelzgemischt", wobei Temperatur, Druck und Scherkräfte so eingestellt werden, dass kein Expandieren oder Reißen der Mikrokugeln verursacht wird (Beschr. Abs. 63; Abs. 82 der Übers.). Da die Temperatur hiernach erforderlichenfalls im Verlaufe des Mischungsprozesses abgesenkt werden soll, um eine vorzeitige Expansion der Mikrokugeln zu vermeiden, andererseits am Ende eine extrudierbare Schmelze stehen soll, wird deutlich, dass - entgegen der Annahme des Patentgerichts - die in dieser Konstellation die Temperatur schon vor Zufügung der Mikrokugeln über dem Schmelzpunkt der Polymerzusammensetzung liegen muss.
3. Vor diesem Hintergrund kann die Beurteilung der Neuheit der erfindungsgemäßen Lehre durch das Patentgericht keinen Bestand haben. Der Gegenstand des Patentanspruchs 1 ist neu (Art. 54 Abs. 1 und 2 EPÜ). Keine der Entgegenhaltungen sieht vor, dass die Mikrokugeln in die geschmolzene Polymermischung gegeben werden.
a) Das in der deutschen Offenlegungsschrift 195 31 631 (E01) beschriebene Verfahren sieht vor, dass den zu verarbeitenden Matrixkunststoffen, deren Erweichungs- oder Schmelztemperaturen zwischen 375 K und 450 K liegen können, Komponenten zugemischt werden, die bereits vor dem Erreichen der Temperaturen, bei denen die Expansion der Mikrokugeln unter Normalbedingungen beginnen würde, Schmelzanteile bilden. Durch diese früh gebildeten Schmelzanteile soll der Aufbau von Druck noch vor dem Schmelzen des Matrixkunststoffes ermöglicht und die Expansion der Mikrokugeln im Extruder während der Existenz fester, höherschmelzender Matrixkunststoffanteile wirksam verhindert werden. Daraus ergibt sich, dass die Mikrokugeln dem Matrixkunststoff zu einem Zeitpunkt beigemischt werden, in dem dieser anders als beim Streitpatent noch nicht (vollständig) geschmolzen ist.
b) Der RAPRA-Seminarvortrag "Foaming Plastics With Expancel Microspheres" des Produktmanagers des Herstellers Expancel, Klaus Elfving, (E02) befasst sich in erster Linie mit der Frage, welche Art und Menge von Mikrokugeln vorzugsweise zu verwenden sind, um die erwünschten Schaumstrukturen zu erzielen. Zu den Einzelheiten des Herstellungsverfahrens enthält die E02 keine Angaben. Insbesondere sieht die E02 nicht vor, dass die Mikrokugeln einer bereits geschmolzenen Polymerzusammensetzung beizugeben sind.
c) Die Veröffentlichung der internationalen Anmeldung WO 96/11226 (E04) betrifft ein Verfahren zur Herstellung eines thermoplastischen Kunststoffes zur Ruhigstellung und/oder zum Schutz eines Körperteils, bei dem einem thermoplastischen Grundmaterial Mikrokugeln, die ein Schäummittel bilden, als Füllstoff hinzugefügt werden. Die Ansprüche und die Beschreibung der E04 enthalten zwar Angaben sowohl zu den Eigenschaften des thermoplastischen Grundmaterials und der Mikrokugeln bzw. des Schäummittels sowie zum Anteil des Mischverhältnisses als auch zum Ablauf des Extrudiervorgangs und den dabei einzusetzenden Temperaturen. Die E04 sieht jedoch an keiner Stelle vor, dass die Mikrokugeln in eine bereits geschmolzene Polymermischung gegeben werden.
d) Ebenso wenig lässt sich ein solcher Verfahrensschritt der japanischen Offenlegungsschrift Hei 10-152575 (E05) entnehmen, die ein Verfahren zum Schäumen und Formen eines thermoplastischen Harzes betrifft. Bereits in der Aufgabenbeschreibung dieser Entgegenhaltung ist davon die Rede, dass ein Verfahren zur Verfügung gestellt werden soll, das das Mischen eines Ausgangsmaterials aus thermoplastischem Harz mit thermisch expandierbaren Mikrokapseln sowie das thermische Kneten und Schmelzen des Gemisches umfasst (Beschr. Abs. 7). An anderer Stelle wird ausgeführt, dass die Außenhüllen der thermisch expandierbaren Mikrokapseln aus synthetischem Harz weich würden und das Gas oder die Flüssigkeit in den Mikrokapseln expandierten, sobald das thermoplastische Harz des Ausgangsmaterials im Extrusions- oder Spritzgussverfahren thermisch geschmolzen sei (Beschr. Abs. 14). Dies bedeutet, dass die Mikrokapseln bereits vor dem Schmelzen des Harzes beigegeben worden sein müssen.
e) Schließlich sieht auch das in dem US-Patent 5 100 728 (E18) beschriebene Verfahren zur Herstellung von Haftklebebändern an keiner Stelle vor, dass die Mikrokugeln einer geschmolzenen Polymermischung zugesetzt werden sollen. In der Beschreibung wird im Zusammenhang mit der Verwendung von Mikrokugeln als Füllstoff lediglich ausgeführt, es sei vorzugswürdig, den Füllstoff, d.h. in diesem Fall die Mikrokugeln, erst am Ende des Extruders zuzugeben (Beschr. Sp. 10 Z. 62-65). Über den Aggregatzustand der Polymermatrix werden dagegen keine Angaben gemacht.
4. Entgegen der Annahme des Patentgerichts ist unter Zugrundelegung der oben dargestellten Auslegung der Gegenstand von Patentanspruch 1 durch den ermittelten Stand der Technik nicht nahegelegt (Art. 56 EPÜ). Der Fachmann, gegen dessen Definition durch das Patentgericht keine Bedenken bestehen und die auch von den Parteien hingenommen wird, hatte keine Veranlassung, die aus dem Stand der Technik bekannten Verfahren dahingehend weiterzuentwickeln, dass die Mikrokugeln in eine bereits vollständig geschmolzene Polymermischung zu geben sind.
a) Die E02 mag zwar - wie das Patentgericht ausführt - die Anregung geben, Extrudate aus thermoplastischen Polymerzusammensetzungen als Polymermatrix und expandierbaren Mikrokugeln herzustellen. Aus der E02 ergab sich für den Fachmann jedoch keine ausreichende Anregung, zur Lehre des Streitpatents zu gelangen. Als Präsentation des Herstellers der Mikrokugeln befasst sich dieses Dokument vorrangig mit den Eigenschaften und der Funktion der Mikrokugeln. In Bezug auf die Komponente Polymere beschränkt sich die E02 auf die Frage, für welche Arten von Polymeren die Expancel-Mikrokugeln als Treib- und Schäummittel gut geeignet sind. Vorgaben zum Aggregatzustand der in Betracht kommenden Polymere werden dagegen nicht gemacht. Ebenso wenig enthält die E02 Ausführungen zu den Einzelheiten des Herstellungsverfahrens. Auch insoweit hat die E02 nur die Mikrokugeln im Blick und führt aus, dass es sich bei der Reaktion der Mikrokugeln im Extrusions- und Spritzgussverfahren um Neuland handle (S. 3, li. Sp.: "… rather untouched ground: EXPANCEL in extrusion and injection molding") und dass die Expansionseigenschaften der Mikrokugeln durch Ausprobieren zu ermitteln seien (S. 4, li. Sp.: "trial and error"). Der Fachmann konnte der E02 mithin nichts entnehmen, das ihm Veranlassung hätte geben können, die Mikrokugeln einer bereits geschmolzenen Polymerzusammensetzung beizugeben.
b) Auch aus der Entgegenhaltung E01 ergibt sich für den Fachmann keine ausreichende Anregung, zur Lehre des Patentanspruchs 1 zu gelangen.
Diese Schrift, die ein Verfahren zur Herstellung von thermoplastischen Kunststoffschäumen mit syntaktischer Schaumstruktur betrifft, erörtert einleitend die verschiedenen im Stand der Technik auf diesem Gebiet bekannten Verfahren. Sie führt hierzu aus, dass im Stand der Technik davon ausgegangen werde, dass die - unerwünschte - vorzeitige Expansion von Mikrokugeln, die an sich durch die zum Aufschmelzen der Kunststoffe erforderlichen Temperaturen oberhalb der Expansionstemperaturen der Mikrokugeln begünstigt werde, durch den hohen Druck in den Kunststoffverarbeitungsmaschinen unterdrückt werde. Entgegen dieser Annahme sei jedoch der Druckaufbau während der Verarbeitung in der Spritzgussmaschine oder im Extruder nicht in allen Phasen gewährleistet, in denen es zur Expansion der Mikrokugeln kommen könne (Sp. 2 Z. 46-59). Ein für den erforderlichen Druckaufbau hermetischer Abschluss des Extruder- oder Spritzgussmaschinenzylinders könne jedoch nicht erfolgen, solange das Volumen zwischen Schneckenkern und Zylinderwandung noch überwiegend mit festen, unaufgeschmolzenen und gegeneinander bewegten Kunststoffpartikeln gefüllt sei. Vielmehr gewähre erst ein relativ hoher Schmelzanteil zwischen den Feststoffpartikeln den druckfesten Verschluss. Um auch Massenkunststoffe verwenden zu können, deren Schmelz- oder Erweichungstemperaturen im Bereich oder über der Expansionstemperatur der Mikroballons liegen, sieht die Schrift vor, den zu verarbeitenden Matrixkunststoffen, deren Erweichungs- oder Schmelztemperaturen zwischen 375 K und 450 K liegen können, Komponenten zuzumischen, die bereits vor dem Erreichen der Temperaturen, bei denen die Expansion der Mikroballons unter Normalbedingungen beginnen würde, Schmelzanteile bilden. Durch die früh gebildeten Schmelzanteile soll der Aufbau von Druck noch vor dem Schmelzen des - dem druckfesten Verschluss wegen seiner Partikularität entgegenstehenden (Sp. 3 Z. 3-13) - Matrixkunststoffes ermöglicht und die Expansion der Mikroballons im Extruder oder der Spritzgussmaschine während der Existenz fester, höherschmelzender Matrixkunststoffanteile wirksam verhindert und ferner die Einwirkung von Scherkräften auf die Mikrokugeln weitgehend vermieden werden (Sp. 4 Z. 22-39). Nach einer als vorteilhaft dargestellten Ausführungsform sollen gemahlene Matrixkunststoffe verwendet werden, mit denen die nicht expandierten Mikrokugeln und die Zusatzkomponenten vor dem Extrudieren gemischt werden, um so einen hohen Verteilungsgrad der Mikrokugeln im Kunststoff bereits vor der Verarbeitung über die Schmelze zu erreichen (Sp. 4 Z. 48-54). Der Grundgedanke der E01 besteht mithin darin, einer vorzeitigen Expansion der Mikrokugeln aufgrund der zum Aufschmelzen des Polymers erforderlichen Temperatur durch Druckaufbau entgegenzuwirken. Vor diesem Hintergrund bot die E01 dem Fachmann keine Veranlassung, die Mikrokugeln in die bereits geschmolzene Polymermischung zu geben.
c) Ebenso wenig ergibt sich aus den Entgegenhaltungen E04, E05 und E18 für den Fachmann eine Anregung zu dem erfindungsgemäßen Verfahren. In keinem dieser Patentdokumente ist von der Zufügung der Mikrokugeln in eine bereits geschmolzene Polymermasse die Rede. Dies gilt insbesondere auch für die von der Klägerin in der mündlichen Verhandlung hervorgehobene Passage in der Beschreibung der E18, wonach es vorzugswürdig sei, die Mikrokugeln erst am Abflussende des Extruders hinzuzufügen (Sp. 10 Z. 62-67). Mit dem Hinzufügen am Abflussende wird bei dem Verfahren nach der E18 nicht das Expansionsverhalten gesteuert, da es sich nicht um expandierende Kugeln handelt. Es ergibt sich mithin lediglich, an welcher Stelle die Mikrokugeln hinzuzufügen sind. Dass die Polymerzusammensetzung zu diesem Zeitpunkt bereits vollständig geschmolzen sei, lässt sich dieser Aussage dagegen nicht entnehmen und wäre in diesem Kontext auch ohne Belang.
III. Das angefochtene Urteil des Patentgerichts stellt sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig dar (§ 119 Abs. 1 PatG). Der vom Patentgericht festgestellte Sachverhalt erlaubt nicht die Schlussfolgerung, dass das Streitpatent gegenüber dem Inhalt der Anmeldung in der eingereichten Fassung unzulässig erweitert worden ist.
1. Gemäß Art. II § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 IntPatÜbkG ist ein europäisches Patent mit Wirkung für das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland für nichtig zu erklären, wenn sein Gegenstand über den Inhalt der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung hinausgeht. Der danach maßgebliche Inhalt ist anhand der Gesamtheit der ursprünglich eingereichten Unterlagen zu ermitteln. Er ist nicht auf den Gegenstand der in der Anmeldung formulierten Patentansprüche beschränkt. Entscheidend ist vielmehr, was der mit durchschnittlichen Kenntnissen und Fähigkeiten ausgestattete Fachmann des betreffenden Gebiets der Technik der Gesamtheit der ursprünglichen Unterlagen als zur Erfindung gehörend entnehmen kann (BGH, Urteil vom 24. Januar 2012 - X ZR 88/09, GRUR 2012, 475 Rn. 31 - Elektronenstrahltherapiesystem; Urteil vom 8. Juli 2010 - Xa ZR 124/07, GRUR 2010, 910 Rn. 46 - Fälschungssicheres Dokument; Urteil vom 22. Dezember 2009 - X ZR 28/06, GRUR 2010, 513 Rn. 29 - Hubgliedertor II).
2. Aus den Feststellungen des Patentgerichts ergibt sich nicht, dass der Gesamtheit der ursprünglich eingereichten Unterlagen, deren Inhalt der Veröffentlichung WO 00/06637 entspricht, ein Verfahren, bei dem die Polymerzusammensetzung vor dem Schmelzmischen mit den expandierbaren polymeren Mikrokugeln in bereits geschmolzenem Zustand bereit gestellt wird ("melt mixing the molten polymer composition and the plurality of expandable polymeric microspheres" - Merkmal 4), nicht als zur Erfindung gehörend zu entnehmen ist.
a) Allerdings hat das Patentgericht zu Recht angenommen, dass dem Text der Anmeldung Merkmal 4 nicht ausdrücklich zu entnehmen ist.
aa) Nach Patentanspruch 23 in der Fassung der Anmeldung ist der erste Verfahrensschritt das Schmelzmischen einer Polymerzusammensetzung und mehrerer Mikrokugeln. Eine eindeutige Festlegung dahingehend, dass die Polymerzusammensetzung bei der Zugabe der Mikrokugeln in geschmolzenen Zustand vorliegen müsse, enthält der Wortlaut des Patentanspruchs damit nicht.
bb) Ebenso wenig lassen diejenigen Passagen in der Beschreibung der Anmeldung, die den Ablauf des Verfahrens im Einzelnen schildern, für sich genommen eindeutige Rückschlüsse auf die Offenbarung des Merkmals 4 des Verfahrens gemäß Patentanspruch 1 in der erteilten Fassung zu.
b) Es kann jedoch nicht ausgeschlossen werden, dass sich dem Fachmann Merkmal 4 gleichwohl unmittelbar und eindeutig aus dem Zusammenhang der Beschreibung ergibt.
aa) Das Patentgericht hat das Vorbringen der Beklagten, aus sämtlichen Ausführungsbeispielen, die Hot-Melt-Polymerzusammensetzungen betreffen, ergebe sich die im erteilten Patent geschützte Verfahrensführung, für unerheblich erachtet, weil weder dem Streitpatent noch den ursprünglichen Unterlagen eine entsprechende stoffliche Einschränkung hinsichtlich der eingesetzten Polymerzusammensetzung etwa auf Hot-Melt-Polymere und eine Einschränkung der Verfahrensführung, insbesondere der Temperatur bei den einzelnen Verfahrensschritten, zu entnehmen sei. Mit dieser Begründung kann jedoch die Offenbarung einer Merkmal 4 umfassenden technischen Lehre nicht ausgeschlossen werden.
bb) Nach der ständigen Rechtsprechung des Senats ist für die Ursprungsoffenbarung des Gegenstands eines Patentanspruchs erforderlich, dass der Fachmann die im Anspruch bezeichnete technische Lehre den Ursprungsunterlagen - "unmittelbar und eindeutig" (BGH, Urteil vom 11. September 2001 - X ZR 168/98, BGHZ 148, 383, 389 - Luftverteiler; Urteil vom 16. Dezember 2008 - X ZR 89/07, BGHZ 179, 168 Rn. 25 - Olanzapin; Urteil vom 8. Juli 2010 - Xa ZR 124/07, GRUR 2010, 910, Rn. 62 - Fälschungssicheres Dokument) - als mögliche Ausführungsform der Erfindung entnehmen kann (Urteil vom 21. September 1993 - X ZR 50/91, Mitt. 1996, 204, 206 - Spielfahrbahn 03; Beschluss vom 11. September 2001 - X ZB 18/00, GRUR 2002, 49, 51 - Drehmomentübertragungseinrichtung; Urteil vom 18. Februar 2010 - Xa ZR 52/08, GRUR 2010, 599 = BlPMZ 2010, 269, Rn. 22, 24 - Formteil). Dabei hat der Senat zur Vermeidung einer unbilligen Beschränkung des Anmelders bei der Ausschöpfung des Offenbarungsgehalts auch Verallgemeinerungen ursprungsoffenbarter Ausführungsbeispiele zugelassen. Er hat einen "breit" formulierten Anspruch unter dem Gesichtspunkt der unzulässigen Erweiterung jedenfalls dann für unbedenklich erachtet, wenn sich ein in der Anmeldung beschriebenes Ausführungsbeispiel der Erfindung für den Fachmann als Ausgestaltung der im Anspruch umschriebenen allgemeineren technischen Lehre darstellt und diese Lehre in der beanspruchten Allgemeinheit für ihn bereits der Anmeldung - sei es in Gestalt eines in der Anmeldung formulierten Anspruchs, sei es nach dem Gesamtzusammenhang der Unterlagen - als zu der angemeldeten Erfindung gehörend entnehmbar ist (BGH, GRUR 2002, 49, 51 - Drehmomentübertragungseinrichtung). Solche Verallgemeinerungen sind vornehmlich dann zugelassen worden, wenn von mehreren Merkmalen eines Ausführungsbeispiels, die zusammengenommen, aber auch für sich betrachtet dem erfindungsgemäßen Erfolg förderlich sind, nur eines oder nur einzelne in den Anspruch aufgenommen worden sind (ständige Rechtsprechung seit BGH, Beschluss vom 23. Januar 1990 - X ZB 9/89, BGHZ 110, 123, 126 - Spleißkammer; zuletzt Urteil vom 24. Januar 2012 - X ZR 88/09, GRUR 2012, 475 Rn. 34 - Elektronenstrahltherapiesystem). Als zulässig ist jedoch auch die Verallgemeinerung einer chemischen Verbindung angesehen worden (BGH, Urteil vom 18. Dezember 1975 - X ZR 51/72, BGHZ 66, 17, 30 - Alkylendiamine I).
cc) Es würde daher für die Offenbarung einer Merkmal 4 umfassenden technischen Lehre genügen, wenn der fachmännische Leser den Hot-Melt-Polymerzusammensetzungen betreffenden Ausführungsbeispielen der Ursprungsunterlagen entnähme, dass bei diesen Ausführungsbeispielen die Mikrokugeln einer Polymerschmelze zugegeben werden. Denn in diesem Fall entnähme er den Ursprungsunterlagen damit, dass die Erfindung jedenfalls so ausgeführt werden kann, wie nunmehr in Patentanspruch 1 unter Schutz gestellt. Das angefochtene Urteil schließt ein solches fachmännisches Verständnis nicht aus, sondern legt es vielmehr zugrunde.
IV. Das angefochtene Urteil ist somit aufzuheben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Patentgericht zurückzuverweisen (§ 119 Abs. 2, Abs. 3 Satz 1 PatG). Eine abschließende Sachentscheidung durch den Senat ist nicht angezeigt (§ 119 Abs. 5 PatG).
1. Die Sache ist nicht zur Endentscheidung reif (§ 119 Abs. 5 Satz 2 PatG).
a) Der Senat kann aufgrund der Feststellungen des Patentgerichts und des Sach- und Streitstandes am Schluss der mündlichen Verhandlung nicht abschließend beurteilen, ob das Streitpatent wegen unzulässiger Erweiterung für nichtig zu erklären ist. Hierzu bedarf es vielmehr zusätzlicher Feststellungen zu den Kenntnissen des Fachmanns über Beschaffenheit und Eigenschaften der in den Ursprungsunterlagen beschriebenen Hot-Melt-Zusammensetzungen, die der Senat nicht ohne Einholung des Gutachtens eines gerichtlichen Sachverständigen zu treffen vermag.
b) Auch über die Patentfähigkeit des Gegenstands des Streitpatents kann nicht abschließend entschieden werden. Zwar erweist sich der Gegenstand des Patentanspruchs 1, wie ausgeführt, als patentfähig. Ob auch der Gegenstand des Patentanspruchs 15 patentfähig ist, kann aber ohne ergänzende Feststellungen gleichfalls nicht beurteilt werden.
Das Patentgericht hat dies - nach seinem Ausgangspunkt folgerichtig -nicht geprüft. Patentanspruch 15 in der im Berufungsverfahren zuletzt verteidigten Fassung beschreibt die geschützte Sache lediglich als adhäsives Acrylat- oder Methacrylatpolymer oder -copolymer, das durch das Verfahren nach Patentanspruch 1 erhältlich ist. Die Patentfähigkeit dieses Gegenstands hängt mithin davon ab, ob sich das Ergebnis des Verfahrens durch mindestens ein nicht durch ein nahegelegtes Verfahren erhältliches Sachmerkmal von den Ergebnissen sämtlicher im Stand der Technik bekannter Verfahren unterscheidet. Die Klägerin hat erstinstanzlich unter Bezugnahme auf das Gutachten O. vom 18. März 2011 (G2a) geltend gemacht, dass sich die nach dem Verfahren nach der E01 erhältlichen Erzeugnisse nicht von den erfindungsgemäßen Erzeugnissen unterscheiden. Demgegenüber hat die Beklagte unter Bezugnahme auf das Gutachten S. vom 7. April 2011 (G3) die Aussagekraft des Gutachtens O. beanstandet. Es kann dahinstehen, ob der Senat die Begründetheit dieser Beanstandungen abschließend beurteilen könnte. Jedenfalls stünde damit noch nicht fest, dass die Behauptung der Klägerin nicht gleichwohl zutreffend ist. Auch dies könnte nicht ohne Einholung eines Sachverständigengutachtens geklärt werden.
2. Eine Entscheidung durch den Senat ist auch nicht nach § 119 Abs. 5 Satz 1 PatG angebracht.
a) Nach dieser Bestimmung kann der Bundesgerichtshof in der Sache selbst entscheiden, wenn dies sachdienlich ist. In der Begründung des Gesetzentwurfs zur Vereinfachung und Modernisierung des Patentrechts (BT-Drucks. 16/11339, S. 25) zu dieser Vorschrift wird erläutert, dass der Bundesgerichtshof in einer noch nicht zur Endentscheidung reifen Sache selbst die notwendigen Feststellungen treffen und abschließend in der Sache entscheiden könne, wenn dies im Sinne der Verfahrensökonomie geboten sei. Eine Zurückweisung an das Patentgericht soll vermieden werden, wenn das Verfahren einfacher und schneller in der Berufungsinstanz abschließend erledigt werden kann. Für die Entscheidung der Frage, ob eine wegen fehlender Entscheidungsreife gebotene weitere Sachaufklärung dem Patentgericht übertragen wird oder in dem zu diesem Zweck fortgesetzten Berufungsverfahren vor dem Bundesgerichtshof erfolgt, kommt es mithin in erster Linie darauf an, auf welchem Weg die noch offenen Sachfragen möglichst effizient und zügig geklärt werden können.
b) Danach hält der Senat eine Fortsetzung des Berufungsverfahrens nicht für sachdienlich.
Die erforderliche Sachaufklärung könnte, wie ausgeführt, im Berufungsverfahren nur mithilfe eines vom Senat zu bestellenden Sachverständigen erfolgen. Hingegen kann der Senat nicht ausschließen, dass das Patentgericht die noch offenen Fragen aufgrund eigener Sachkunde entscheiden kann. Denn die Sachkunde seiner technischen Richter kann dem Patentgericht möglicherweise eine fundierte Auseinandersetzung mit den von den Parteien vorgelegten Gutachten erlauben, die es gestattet, sowohl die Frage der Ursprungsoffenbarung als auch gegebenenfalls die Frage der Patentfähigkeit des Gegenstands des Patentanspruchs 15 ohne Beratung durch einen gerichtlichen Sachverständigen abschließend zu klären. Sollte insbesondere die Beantwortung der Frage, ob und inwieweit sich die Erzeugnisse nach dem Verfahren der E01 von den erfindungsgemäßen unterscheiden, die Einholung des Gutachtens eines gerichtlichen Sachverständigen erfordern, wird es entscheidend darauf ankommen, welche Randbedingungen bei gegebenenfalls erforderlichen Versuchen zu beachten sind; auch insoweit ist das Patentgericht aufgrund seiner Besetzung mit rechtskundigen und technischen Mitgliedern am besten in der Lage, die Beweiserhebung sachgerecht zu steuern.
V. Für die erneute Verhandlung vor dem Patentgericht weist der Senat auf Folgendes hin:
1. Bei der Ermittlung des Offenbarungsgehalts der ursprünglichen Unterlagen wird zu prüfen sein, ob aus der Sicht des Fachmanns das Mischen der Harzpartikel und der Additive unter Wärmezufuhr zumindest bei einzelnen Ausführungsbeispielen zwangsläufig zum Schmelzen der Mischung führt, bevor die Mikrokugeln zugegeben werden (S. 16 Z. 12-17). Nach der Darstellung des Ablaufs des Extrusionsverfahrens in der Beschreibung der Anmeldung wird zunächst das Polymerharz, das in jeder beliebigen geeigneten Form, wie beispielsweise als Granulat, Fäden oder Stränge verwendet werden kann, in den Extruder gegeben, um es zu erweichen und in kleine, zur Extrusion geeignete Teile zu zermahlen (S. 16 Z. 4-8). Beim folgenden Verfahrensschritt werden in den Fällen, in denen den Harzpartikeln noch weitere Additive zugefügt werden, die Komponenten mit Ausnahme der Mikrokugeln in einen zweiten Extruder gegeben, um sie in der Knetzone des Extruders zu vermischen. Hierbei wird für den Mischvorgang angegeben, bei welcher Temperatur er vorzugsweise durchgeführt werden soll. Als Parameter für die Temperatur wird lediglich die Expansion der Mikrokugeln genannt: die vorzuziehende Temperatur soll unter derjenigen liegen, die zur Expansion der Mikrokugeln führt. Wird die Temperatur höher gewählt, was nach der Beschreibung möglich ist, muss sie nach dem Mischen und vor dem Beifügen der Mikrokugeln wieder heruntergesetzt werden. Zu der Frage, wie sich die Temperatur auf die Polymermischung auswirkt bzw. auswirken soll, nämlich, dass diese schmelzen soll, enthält die Beschreibung der Anmeldung an dieser Stelle keine Aussage. Es fehlt insbesondere die Angabe, dass die Erwärmung auch ein Aufschmelzen der Polymerzusammensetzung bewirkt haben muss, bevor die Mikrokugeln zugegeben werden. Möglicherweise führt aber aus der Sicht des Fachmanns dieser Verfahrensschritt zwangsläufig zum Schmelzen der Mischung, bevor die Mikrokugeln zugegeben werden.
2. Auf Seite 5 (Z. 8 und Z. 23) der Beschreibung wird wie in Patentanspruch 23 in der Fassung der Anmeldung ausgeführt, dass eine Polymerzusammensetzung mit den Mikrokugeln schmelzgemischt wird, so dass auch der Verfahrensschritt des Schmelzmischens Aufschluss darüber geben könnte, ob die Merkmale 1.2 und 4 des Patentanspruchs 1 bereits in den Anmeldeunterlagen offenbart sind. Bei der Darstellung des Verfahrensablaufs ist nämlich erstmals bei diesem Verfahrensschritt von einem geschmolzenen Polymerharz die Rede (S. 16 Z. 27 der Beschreibung der Anmeldung). Sind die Harzpartikel und Additive gut gemischt, werden die expandierbaren Mikrokugeln dieser Mischung zugefügt, wobei die Beschreibung zur Bezeichnung dieser Mischung allerdings lediglich den Begriff "resulting mixture" verwendet und an dieser Stelle gerade nicht von einer "molten mixture" spricht. Jedoch wird der Begriff "molten polymer resin" im Zusammenhang mit der Beschreibung des Zwecks des Schmelzmischens verwendet, der darin bestehen soll, eine expandierbare und extrudierbare Zusammensetzung herzustellen, in der die expandierbaren polymeren Mikrokugeln und andere Additive gleichmäßig in dem geschmolzenen Polymerharz verteilt sind (S. 26 Z. 22-27 der Beschreibung der Anmeldung). Zu prüfen wird daher sein, ob dieser Stelle vor dem Hintergrund des allgemeinen Fachwissens entnommen werden kann, dass die Polymermasse bereits geschmolzen vorliegt, wenn die Mikrokugeln beigegeben werden.
3. Hingegen würde es für eine Ursprungsoffenbarung des Merkmals 4 nicht genügen, wenn sich bei der Nacharbeitung von Ausführungsbeispielen der Ursprungsunterlagen zwar objektiv ergäbe, dass die Polymerzusammensetzung bereits in einem geschmolzenen Zustand vorliegt, wenn die Mikrokugeln beigegeben werden, dies aber für den Fachmann anhand der Ursprungsunterlagen nicht ohne weiteres erkennbar wäre.
Denn zwar bestehen, wie ausgeführt, gegen eine allgemeinere, von für ein Ausführungsbeispiel dargestellten Einzelheiten abstrahierende Formulierung eines Patentanspruchs keine grundsätzlichen Bedenken. Eine solche Abstraktion ist jedoch dann nicht mehr durch die Ursprungsoffenbarung gedeckt, wenn mit der allgemeinen Formulierung auf eine als solche nicht genannte oder für den Fachmann ohne Weiteres erkennbare Eigenschaft des Gegenstands der Erfindung abgehoben wird. Wäre für den Fachmann nicht erkennbar, dass jedenfalls bei Ausführungsbeispielen die Mikrokugeln der Polymerschmelze zugegeben werden, enthielte Merkmal 4 ein Unterscheidungskriterium für die Wahl einer zur Erzielung des erfindungsgemäßen Erfolgs geeigneten Verfahrensführung, das in den Prioritätsunterlagen weder offenbart noch diesen als zur Erfindung gehörend zu entnehmen wäre.
Meier-Beck Keukenschrijver Mühlens
Grabinski Bacher