Entscheidungsdatum: 29.06.2010
Crimpwerkzeug III
1. Die Patentauslegung besteht in der Bestimmung, wie der Patentanspruch nach objektiven Kriterien aus fachlicher Sicht zu bewerten ist. Durch Bewertung seines Wortlauts aus der Sicht des Fachmanns ist zu bestimmen, was sich aus den Merkmalen des Patentanspruchs im Einzelnen und in ihrer Gesamtheit als Lehre zum technischen Handeln ergibt .
2. Die bloße Darlegung, die vom Oberlandesgericht im Patentverletzungsprozess vorgenommene Auslegung des Patents sei rechtsfehlerhaft, füllt einen Revisionszulassungsgrund nicht aus .
Ein Revisionszulassungsgrund ist jedoch gegeben, sobald der Bundesgerichtshof seiner Entscheidung im Nichtigkeitsberufungsverfahren eine Auslegung des Patents zugrunde gelegt hat, die in einem für den Patentverletzungsprozess entscheidungserheblichen Punkt von derjenigen abweicht, die das Oberlandesgericht seinem mit der Nichtzulassungsbeschwerde angefochtenen Urteil zugrunde gelegt hatte .
Ergibt sich dieser Zulassungsgrund erst nach Ablauf der Frist zur Begründung der eingelegten Nichtzulassungsbeschwerde, muss er mittels eines Gesuchs auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand geltend gemacht werden .
Da die Streitsache Fragen aufwirft, die bislang noch nicht Gegenstand höchstrichterlicher Entscheidung in Patentsachen waren, weist der Senat auf Folgendes hin:
I. Mit der allein noch streitigen Widerklage nimmt die Beklagte die Kläger aus dem mit Wirkung für die Bundesrepublik Deutschland erteilten und von dritter Seite mittels Nichtigkeitsklage angegriffenen europäischen Patents 542 144 (Klagepatents) auf Unterlassung in Anspruch, weil die Kläger ein Crimpwerkzeug herstellen, das sie beabsichtigen, auch in der Bundesrepublik Deutschland zu vertreiben.
Das Oberlandesgericht hat die Kläger mit Urteil vom 26. November 2003 antragsgemäß verurteilt, weil die angegriffene Ausführungsform vom Klagepatent wortsinngemäß Gebrauch mache. Die Revision ist nicht zugelassen worden. Hiergegen wenden sich die Kläger mit der Nichtzulassungsbeschwerde.
Der Senat hat das Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren wegen des zunächst noch anhängig gewesenen Nichtigkeitsverfahrens ausgesetzt. Nachdem der Xa Zivilsenat mit Urteil vom 12. März 2009 über die erhobene Nichtigkeitsklage rechtkräftig entschieden hatte (Xa ZR 158/04, GRUR 2009, 835 - Crimpwerkzeug II), machen die Kläger geltend, die Revision sei nun schon deshalb zuzulassen, weil ein Widerspruch zwischen den Beurteilungen des Patents im Nichtigkeits- und im Verletzungsprozess vorliege.
II. 1. Das Klagepatent betrifft eine Vorrichtung zum Verbinden eines Drahtes mit einem Kontaktelement oder dergleichen durch Verformen von Klemmorganen des Kontaktelements mittels Druckorganen eines auswechselbar in einer Presse angeordneten Crimpwerkzeugs. Die Vorrichtung nach Patentanspruch 1 weist dazu gemäß der Merkmalsgliederung nach dem Urteil des Xa Zivilsenats vom 12. März 2009 u.a. folgendes Merkmal 4 auf (vgl. GRUR 2009, 835 Tz. 17 - Crimpwerkzeug II):
Die Auflagepunkte für die erste Verstellscheibe werden durch zwei an der Oberfläche der Druckplatte angeordnete Druckflächen gebildet, die
a) teilkreisförmig sind,
b) um 180° Grad versetzt sind und
c) eine ansteigende Oberfläche aufweisen.
2. Das Oberlandesgericht hat die Gefahr einer Patentverletzung bejaht, weil es Merkmal 4 dahin ausgelegt hat, dass die Auflagepunkte Druckflächen beliebiger Ausdehnung darstellen könnten. Dieses Verständnis widerspricht der Auslegung des Patentanspruchs durch den Xa Zivilsenat in seiner Entscheidung vom 12. März 2009. Danach kennzeichnet gerade eine beschränkte Größe der Druckflächen die Lehre zum technischen Handeln nach dem Klagepatent. Denn nur durch die Abstützung der Druckplatte an den Ringflächen der Verstellscheibe mittels relativ kleiner Druckflächen ("Auflagepunkte") würden eine zentrierte und stabile Ausgestaltung der Verstelleinrichtung und eine sichere und genaue Höheneinstellung erreicht (vgl. GRUR 2009, 835 Tz. 31 - Crimpwerkzeug II). Legt man diese Patentauslegung zugrunde, kommt auf der Grundlage der bisherigen Feststellungen des Berufungsgerichts eine Verurteilung der Kläger nicht in Betracht.
3. Die im Nichtigkeitsverfahren erfolgte, von der früheren Auslegung des Oberlandesgerichts abweichende Bewertung des Patentanspruchs durch den Xa Zivilsenat führt nicht ohne weiteres zur Zulassung der Revision (vgl. hierzu BGHZ 160, 214 Tz. 1 - Produktionsrückstandsentsorgung; BGHZ 158, 372 - Druckmaschinen-Temperierungssystem). Denn sie bedeutet keine Änderung der Schutzrechtslage, die - entsprechend einer Rechtsänderung (Busse/Keukenschrijver, Patentgesetz, 6. Aufl., § 143 PatG Rdn. 309) - jederzeit von Amts wegen zu beachten wäre.
4. a) Zur Zulassung der Revision bedarf es deshalb eines der gesetzlichen Zulassungsgründe. Im Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde sind allerdings - sieht man von den Möglichkeiten im Falle einer Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ab - grundsätzlich nur die der Sache nach geltend gemachten Zulassungsgründe zu prüfen, die bis zum Ablauf der Begründungsfrist vorgetragen worden sind (vgl. BGHZ 152, 7, 8; BGH, Beschl. v. 31.10.2002 - V ZR 100/02, NJW 2003, 754, 755). Der in der Literatur vertretenen Gegenmeinung, der Bundesgerichtshof sei wie im Revisionsverfahren nach § 557 Abs. 3 Satz 1 ZPO nicht an die vorgetragenen Zulassungsgründe gebunden (vgl. Musielak/Ball, ZPO, 7. Aufl., § 544 Rdn. 22a), vermag der Senat nicht beizutreten. Das Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren ist von dem Verfahren der (zugelassenen) Revision getrennt zu betrachten. Für das Erstere erfolgt kein Verweis auf § 557 Abs. 3 ZPO und wegen der Regelung in § 544 Abs. 2 Satz 3 ZPO ist eine über das Begründungserfordernis des § 544 Abs. 2 Satz 1 ZPO hinausgehende Darlegung der Zulassungsgründe gefordert, der es bei einer umfassenden Prüfungskompetenz nicht bedurft hätte.
b) Die im Streitfall innerhalb der verlängerten Frist des § 544 Abs. 1 Satz 2 ZPO vorgebrachte Begründung rechtfertigt die Zulassung der Revision nicht. Von einer näheren Begründung wird abgesehen (§ 544 Abs. 4 Satz 2 2. Halbs. ZPO).
c) Einen Zulassungsgrund enthält die fristgerechte Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde auch dann nicht, wenn man zu Gunsten der Kläger unterstellt, angesichts der gegen das Verständnis des Oberlandesgericht erhobenen Rügen sei auch dessen Auslegung von Merkmal 4 beanstandet gewesen.
Der beschließende Senat geht dabei davon aus, dass die insoweit vom Xa Zivilsenat vorgenommene Auslegung den Sinngehalt richtig wiedergibt, der dem Patentanspruch nach dem, was in ihm Ausdruck gefunden hat, gerecht wird. Denn eine falsche Patentauslegung des Oberlandesgerichts füllt für sich einen Zulassungsgrund nicht aus. Da das Patent hinsichtlich seiner Auslegung wie ein Rechtssatz zu behandeln ist (vgl. BGHZ 180, 215 Tz. 16 - Straßenbaumaschine m.w.N.; Busse/Keukenschrijver, Patentgesetz, 6. Aufl., § 14 Rdn. 48) und die Auslegung eine unmittelbare Aussage nur hinsichtlich des betreffenden Schutzrechts erlaubt, liegt hierin an sich lediglich ein Rechtsanwendungsfehler in einem Einzelfall. Solche Rechtsfehler haben regelmäßig keine grundsätzliche Bedeutung und erfordern regelmäßig auch nicht zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts. Etwas anderes gilt erst bei Hinzutreten besonderer Umstände, die dazu führen, dass über den Einzelfall hinaus die Interessen der Allgemeinheit nachhaltig berührt sind (vgl. BGHZ 172, 250 Tz. 12). Das kann etwa bei einer Missachtung grundlegender Auslegungsregeln und der damit einhergehenden Gefahr einer wiederholt fehlerhaften Patentauslegung der Fall sein. Für das Vorliegen solch besonderer Umstände ist innerhalb der Frist von § 544 Abs. 1 Satz 2 ZPO jedoch nichts dargetan.
5. Ein besonderer Umstand hat sich jedoch nachträglich ergeben, nämlich dadurch, dass das Klagepatent hinsichtlich des Merkmals 4 im Patentnichtigkeitsverfahren mit der Entscheidung des Xa Zivilsenats vom 12. März 2009 höchstrichterlich eine andere Auslegung erfahren hat und diese von entscheidungserheblicher Bedeutung für die Frage ist, ob die angegriffene Ausführungsform das Klagepatent verletzt. Damit kommt zu der Fehlerhaftigkeit der Auslegung des Oberlandesgerichts ein entscheidungserheblicher offenkundiger Widerspruch zu der dasselbe Patent betreffenden Rechtsanwendung des Bundesgerichtshofs hinzu.
Mit diesem Widerspruch ist zwar nicht der sich unmittelbar aus dem Wortlaut des Gesetzes ergebende Zweck erfüllt, Divergenzen in den von der Rechtsprechung der Entscheidungsfindung zugrunde gelegten Rechtssätzen zu vermeiden. Denn mit der Auslegung des Patents wird gerade kein Rechtssatz aufgestellt. Indes ist die Zulassung der Revision zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung auf eine solche (echte) Divergenz im Rechtssatz nicht beschränkt (vgl. BGHZ 172, 250 Tz. 12 m.w.N.), wenn der Rechtsfehler zu einem vergleichbaren nicht hinnehmbaren Zustand führt. Das ist bei dem hier vorliegenden Widerspruch zwischen der Patentauslegung des Bundesgerichtshofs und der des Oberlandesgerichts der Fall.
Nach ständiger Rechtsprechung verlangt das mit der Patentauslegung erstrebte Erkenntnisziel, dass kein Unterschied gemacht wird, ob die Auslegung zur Beurteilung der Patentfähigkeit oder zur Prüfung vorgenommen wird, ob das Patent verletzt wird (z.B. BGHZ 156, 179 Tz. 38 - blasenfreie Gummibahn I; Benkard/Rogge, Patentgesetz, 10. Aufl., § 22 PatG Rdn. 55). In beiden Fällen ist maßgeblich, wie der Patentanspruch nach objektiven Kriterien aus fachlicher Sicht zu bewerten ist (vgl. Sen.Urt. v. 22.12.2009 - X ZR 56/08 Tz. 29, GRUR 2010, 214 - Kettenradanordnung II). Es ist also gleichermaßen durch Bewertung seines Wortlauts aus der Sicht des Fachmanns zu bestimmen, was sich aus den Merkmalen des Patentanspruchs im Einzelnen und in ihrer Gesamtheit als Lehre zum technischen Handeln ergibt, für die Schutz beansprucht wird bzw. die unter Schutz gestellt ist (vgl. BGHZ 172, 298 Tz. 38 - Zerfallszeitmessgerät).
Hiermit vertrüge sich nicht, wenn die vom Oberlandesgericht im Verletzungsrechtsstreit vorgenommene Patentauslegung nicht überprüft und ggf. korrigiert werden könnte, sobald diese Auslegung in einem entscheidungserheblichen Punkt von der Bestimmung des Sinngehalts abweicht, die der Bundesgerichtshof seiner Entscheidung im Nichtigkeitsprozess zugrunde gelegt hat, und die Korrektur nur deshalb unterbleiben müsste, weil das Oberlandesgericht zuerst entschieden und die Revision nicht zugelassen hat. Durch Fortbestehen dieses offenkundigen Widerspruchs zu dieselbe Frage betreffender höchstrichterlicher Rechtsauffassung würde das Vertrauen in die Rechtsprechung nachhaltig beeinträchtigt. Die Funktionsfähigkeit des Prinzips der Trennung von Nichtigkeits- und Verletzungsverfahren wäre infrage gestellt. Das allgemeine Interesse an der Verhinderung widerstreitender Rechtstitel gewinnt dadurch gerade in Patentsachen eine Bedeutung, die es erfordert, dass in den erörterten Fällen die Revision zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zugelassen werden kann (§ 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Alt. 2 ZPO). Das steht nicht zuletzt in Einklang sowohl mit dem Umstand, dass im Patentverletzungsrechtsstreit die Entscheidung über die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision bis zur rechtskräftigen Entscheidung im Patentnichtigkeitsverfahren ausgesetzt werden kann (BGHZ 158, 372 - Druckmaschinen-Temperierungssystem), als auch mit der gerichtlichen Organisation in Patentsachen, weil hiernach das Nichtigkeits- und das Verletzungsverfahren letztinstanzlich vor dem Bundesgerichtshof zu führen sind.
Der Umstand, dass nach ständiger Rechtsprechung jedes mit der Patentauslegung befasste Gericht die Bestimmung des Sinngehalts eines Patentanspruchs in Beantwortung einer Rechtsfrage (z.B. BGHZ 164, 261, 273 - Seitenspiegel; BGHZ 172, 312 Tz. 38 - Zerfallszeitmessgerät) eigenverantwortlich (BGHZ 180, 215 Tz. 16 - Straßenbaumaschine) vorzunehmen hat und dass deshalb der zur Entscheidung über die vorliegende Nichtzulassungsbeschwerde berufene Zivilsenat des Bundesgerichtshofs nicht an die Auslegung durch den Xa Zivilsenat gebunden wäre, ändert nichts daran, dass der Zulassungsgrund des § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Alt. 2 ZPO nachträglich entstanden ist. Denn insoweit gilt nichts anderes als im Fall der (echten) Divergenz im Rechtssatz. Dort genügt für die Anerkennung als Zulassungsgrund, dass die zu klärende Frage für die Revisionsentscheidung streiterheblich ist; auf das Ergebnis der Klärung kommt es hingegen nicht an (vgl. MünchKommZPO/Wenzel, 3. Aufl., § 543 Rdn. 26).
6. Da der Zulassungsgrund erst nachträglich entstanden ist, konnten die Kläger innerhalb der Frist für die Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde sich hierzu nicht erklären und diesen Grund nicht rechtswahrend geltend machen. Dies berührt ihren Anspruch auf rechtliches Gehör, der von Verfassungs wegen zu wahren ist. Hierzu reicht jedoch das Verfahren nach § 233 ZPO zur Wiedereinsetzung in den vorigen Stand aus (vgl. Zöller/Greger, ZPO, 28. Aufl., § 233 Rdn. 3). Hiernach kann der Beschwerdeführer beantragen, ihm Wiedereinsetzung in die insoweit versäumte Frist zur Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde zu gewähren.
Scharen Gröning Berger
Grabinski Hoffmann