Entscheidungsdatum: 10.05.2016
Auf die Nichtzulassungsbeschwerde der Kläger wird das Urteil der Zivilkammer 18 des Landgerichts Berlin vom 16. März 2015 aufgehoben.
Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Nichtzulassungsbeschwerdeverfahrens, an eine andere Kammer des Berufungsgerichts zurückverwiesen.
Gerichtskosten für das Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren werden nicht erhoben.
Der Streitwert für das Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren wird auf 92.458,63 € festgesetzt; davon entfallen 55.117,83 € auf den Kläger zu 1, weitere 22.000 € auf die Klägerin zu 2, und weitere 15.340,80 € auf beide Kläger.
I.
Die Kläger sind seit dem 1. Juli 1994 Mieter einer Wohnung der Beklagten in Berlin, die mit asbesthaltigen Fußbodenplatten ausgestattet worden war. Mit Schreiben vom 11. März 2013 teilte die Beklagte den Mietern des Wohnkomplexes mit, solange die Platten nicht beschädigt seien, gehe keine Gefährdung von ihnen aus.
Die Kläger behaupten, soweit im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren von Interesse, die verlegten Fußbodenplatten hätten bei Überlassung der Wohnung - als in Deutschland schon ein Asbestverbot gegolten habe - Schnittkanten aufgewiesen; dort seien Asbestfasern ausgetreten. Zum Beweis haben sie die Einholung eines Sachverständigengutachtens beantragt.
Das Amtsgericht hat die auf Schmerzensgeld, Schadensersatz, Feststellung der Ersatzpflicht für alle materiellen und immateriellen Schäden, Rückerstattung überzahlter Miete sowie Erstattung vorgerichtlicher Anwaltskosten gerichtete Klage abgewiesen. Das Berufungsgericht hat den nachfolgenden Beweisbeschluss erlassen, der dem Prozessbevollmächtigen der Kläger am 16. Januar 2015 zugestellt worden ist:
"I. Es soll Beweis erhoben werden über die Behauptung der Kläger, bereits an den Schnittkanten der ursprünglich in ihrer Wohnung verlegten Fußbodenplatten, die dadurch entstanden seien, dass man die genormten Platten zugeschnitten habe, um kleine Flächen auszugleichen […], seien Asbestfasern ausgetreten, wodurch eine Gesundheitsgefährdung bestanden habe,
durch Einholung eines Sachverständigengutachtens des […] Dipl.-Geol. W. R. […].
II. Die Einholung des Gutachtens wird davon abhängig gemacht, dass die Kläger binnen zwei Wochen einen Auslagenvorschuss in Höhe von 1.500 € bei der Gerichtskasse einzahlen."
Da der Auslagenvorschuss nicht fristgerecht bis zum 30. Januar 2015 entrichtet worden ist, hat das Berufungsgericht mit Verfügung vom 16. Februar 2015 Termin zur mündlichen Berufungsverhandlung für den 16. März 2015 anberaumt. Am 18. Februar 2015 - vor der mündlichen Verhandlung - ist der angeordnete Auslagenvorschuss bei der Gerichtskasse eingegangen.
Das Berufungsgericht hat von der Einholung des Sachverständigengutachtens abgesehen, die Berufung der Kläger zurückgewiesen und die Revision nicht zugelassen. Hiergegen richtet sich die Nichtzulassungsbeschwerde der Kläger, mit der sie ihr Klagebegehren weiterverfolgen.
II.
Die Nichtzulassungsbeschwerde ist begründet, weil die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts erfordert (§ 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Alt. 2 ZPO). Das Berufungsgericht hat den Anspruch der Kläger auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) in entscheidungserheblicher Weise verletzt. Dies führt gemäß § 544 Abs. 7 ZPO zur Aufhebung des angefochtenen Urteils.
1. Das Berufungsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung, soweit für das Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde von Bedeutung, im Wesentlichen ausgeführt:
Ein Schadensersatzanspruch aus § 536a Abs. 1 BGB, gestützt auf den behaupteten Faseraustritt aus den Schnittkanten bei der Überlassung der Mietsache bereits verlegter Fußbodenplatten, sei nicht gegeben, weil die Kläger beweisfällig geblieben seien. Aufgrund der nicht fristgerechten Einzahlung des Auslagenvorschusses sei der Beweisantrag auf Einholung eines Sachverständigengutachtens gemäß § 296 Abs. 2 ZPO als verspätet zurückzuweisen. Die Ausführung des Beweisbeschlusses hätte das Verfahren verzögert, weil eine Erstattung des Gutachtens bis zum Verhandlungstermin offensichtlich nicht möglich gewesen wäre. Die verspätete Einzahlung des Auslagenvorschusses verstoße gegen die Prozessförderungspflicht (§ 282 ZPO) und beruhe auf grober Nachlässigkeit. Unabhängig davon sei die Zurückweisung des Beweismittels gemäß § 356 ZPO beziehungsweise nach §§ 379, 402 ZPO angezeigt, weil seine Zulassung zu einer Verzögerung des Prozesses geführt hätte.
2. Mit Erfolg macht die Nichtzulassungsbeschwerde geltend, dass das Berufungsgericht den Anspruch der Kläger auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) verletzt hat. Bleibt wie im vorliegenden Fall ein Angriffs- oder Verteidigungsmittel einer Partei deswegen unberücksichtigt, weil der Tatrichter es in offenkundig fehlerhafter Anwendung von Präklusionsnormen zu Unrecht zurückgewiesen hat, so ist zugleich das rechtliche Gehör der Partei verletzt (vgl. BGH, Beschlüsse vom 17. Juli 2012 - VIII ZR 273/11, NJW 2012, 3787 Rn. 9; vom 2. September 2013 - VII ZR 242/12, juris Rn. 7; vom 15. Juli 2014 - VI ZR 145/14, juris Rn. 5; jeweils mwN).
Mit der vom Berufungsgericht gegebenen Begründung können weder eine verschuldensunabhängige Haftung aus § 536a Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 BGB, die gemäß § 253 Abs. 2 BGB auch Schmerzensgeld umfasst, noch die unbeschadet davon bestehenden Rechte des Mieters aus § 536 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 BGB (Senatsurteil vom 3. Juli 2013 - VIII ZR 191/12, NJW 2013, 2660 Rn. 8) abgelehnt werden.
a) Hat das Gericht die Akten nach Erlass eines Beweisbeschlusses gemäß § 379 Satz 2, § 402 ZPO wegen nicht fristgerechter Einzahlung des Auslagenvorschusses durch den Beweisführer nicht an den Sachverständigen versandt, sondern Termin zur mündlichen Verhandlung bestimmt, so kann zwar unter den Voraussetzungen des § 296 Abs. 2, § 525 ZPO der Beweisantrag auch dann als verspätet zurückgewiesen werden, wenn der Kostenvorschuss bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung noch eingezahlt wird (BGH, Urteil vom 5. Mai 1982 - VIII ZR 152/81, NJW 1982, 2559 unter 2 b; Beschluss vom 27. November 1997 - III ZR 246/96, NJW 1998, 761 unter 1 b; Zöller/Greger, ZPO, 31. Aufl., § 379 Rn. 7).
Jedoch hat das Berufungsgericht die Voraussetzungen des § 296 Abs. 2 ZPO, wonach Angriffs- und Verteidigungsmittel, die entgegen § 282 Abs. 1 ZPO nicht rechtzeitig vorgebracht werden oder entgegen § 282 Abs. 2 ZPO nicht rechtzeitig mitgeteilt werden, zurückgewiesen werden können, wenn ihre Zulassung nach der freien Überzeugung des Gerichts die Erledigung des Rechtsstreits verzögern würde und die Verspätung auf grober Fahrlässigkeit beruht, aus Gründen als gegeben erachtet, die im Prozessrecht keine Stütze mehr finden.
aa) Bereits die Fristsetzung zur Einzahlung des Auslagenvorschusses von 1.500 € von nur zwei Wochen war nach Lage des Falles im Hinblick auf die bereits dem Prozessbevollmächtigen der Kläger zuzubilligende Zeit zur Prüfung sowie zur Korrespondenz mit den Klägern (beziehungsweise deren Rechtsschutzversicherer) sowie der auch ihnen gebührenden Zeit zur Prüfung des Beweisbeschlusses und zur Bewirkung der - nicht unbedeutenden - Zahlung unverhältnismäßig kurz und deshalb unwirksam (vgl. OLG Frankfurt am Main, NJW-RR 2010, 717, 718; NJW 1986, 731 f.; Zöller/Greger, aaO, § 379 Rn. 6; Musielak/Voit/Huber, ZPO, 13. Aufl., § 379 Rn. 7; Wieczorek/Schütze/Ahrens, ZPO, 4. Aufl., § 379 Rn. 17; Hk-ZPO/Eichele, 6. Aufl., § 379 Rn. 5; Thomas/Putzo/Reichold, ZPO, 36. Aufl., § 379 Rn. 1).
bb) Auch eine Verzögerung des Verfahrens im Sinne des § 296 Abs. 2 ZPO durch die nicht fristgerechte Einzahlung des Auslagenvorschusses kann hier nicht angenommen werden, weil im gegebenen Fall ohne jeden Aufwand erkennbar ist, dass die Verspätung allein nicht kausal für eine Verzögerung ist (vgl. BVerfGE 75, 302, 316 f.; BVerfG, NJW 1995, 1417 f.; BGH, Urteil vom 3. Juli 2012 - VI ZR 120/11, NJW 2012, 2808 Rn. 12, mwN). Unter Berücksichtigung der zu erwartenden Zeitspanne, die die Befunderhebung durch den Sachverständigen in Anspruch nimmt, sowie des den Parteien gebührenden angemessenen Zeitraums zur Stellungnahme (§ 411 Abs. 4 ZPO) drängt sich ohne weitere Erwägungen auf, dass ein Sachverständigengutachten bei fristgerechter Einzahlung des Auslagenvorschusses bis zum 30. Januar 2015 nicht innerhalb von sechs Wochen bis zur mündlichen Berufungsverhandlung hätte eingeholt werden können.
cc) Überdies hat das Berufungsgericht zu der für eine Zurückweisung erforderlichen groben Nachlässigkeit keine Feststellungen getroffen. Grobe Nachlässigkeit im Sinne des § 296 Abs. 2 ZPO liegt nur dann vor, wenn eine Prozesspartei ihre Pflicht zur Prozessförderung in besonders gravierender Weise vernachlässigt, wenn sie also dasjenige unterlässt, was nach dem Stand des Verfahrens jeder Partei als notwendig hätte einleuchten müssen (BGH, Urteile vom 24. September 1986 - VIII ZR 255/85, NJW 1987, 501 unter II 2 b cc; vom 15. Oktober 2002 - X ZR 69/01, NJW 2003, 200 unter II 6 b; jeweils mwN). Die diesen Vorwurf begründenden Tatsachen muss das Gericht in seinem Urteil feststellen (BGH, Urteil vom 15. Oktober 2002 - X ZR 69/01, aaO; Beschluss vom 2. September 2013 - VII ZR 242/12, aaO Rn. 13). Daran fehlt es hier. Die nicht fristgerechte Zahlung des Auslagenvorschusses indiziert noch keine grobe Fahrlässigkeit (vgl. BVerfG, NJW 2000, 1327; MünchKommZPO/Damrau, 4. Aufl., § 379 Rn. 10).
dd) Ferner fehlt es im gegebenen Fall an der Ausübung des dem Berufungsgerichts bei der Entscheidung nach § 296 Abs. 2 ZPO eingeräumten Ermessens (vgl. BVerfGE 69, 145, 150; BVerfG, NJW 2000, 1327; BGH, Urteil vom 21. September 1982 - VI ZR 272/80, WM 1982, 1281 unter II 3; Beschluss vom 2. September 2013 - VII ZR 242/12, aaO Rn. 15). Die vom Berufungsgericht gewählte Formulierung, wonach der Beweisantrag als verspätet zurückzuweisen "war", spricht im Gegenteil dafür, dass es sich als gebunden angesehen hat.
ee) Ohnehin hätte eine Zurückweisung als verspätet nicht bereits aufgrund der mündlichen Berufungsverhandlung vom 16. März 2015 ausgesprochen, sondern erst nach einem Hinweis des Gerichts und Gelegenheit zur Äußerung erfolgen dürfen (vgl. BGH, Beschluss vom 25. Januar 2012 - IV ZR 230/11, juris Rn. 18 f.; Urteil vom 25. Oktober 2013 - V ZR 147/12, NJW 2014, 550 Rn. 25; Zöller/Greger, aaO, § 139 Rn. 19, § 296 Rn. 32).
b) Auch gemäß § 379 Satz 2, § 402 ZPO durfte das Berufungsgericht nicht von der Beweiserhebung absehen, weil - wie ausgeführt - die Frist zur Zahlung des Auslagenvorschusses unter den gegebenen Umständen zu kurz bemessen (vgl. Musielak/Voit/Huber, ZPO, aaO, § 402 Rn. 14) und die verspätete Zahlung des Auslagenvorschusses offenkundig nicht kausal für eine Verzögerung war (siehe BGH, Beschluss vom 10. Februar 2011 - VII ZR 155/09, NJW-RR 2011, 526 Rn. 7).
c) Nach § 356 ZPO durfte das Berufungsgericht - selbst wenn, was hier offen bleiben kann, diese Bestimmung nicht ohnehin von den Sondervorschriften der § 379 Satz 2, § 402 ZPO verdrängt werden sollte (vgl. Zöller/Greger, aaO, § 356 Rn. 5; Wieczorek/Schütze/Ahrens, aaO, § 356 Rn. 10, 31, § 379 Rn. 2; Hk-ZPO/Eichele, aaO, § 356 Rn. 1; Thomas/Putzo/Reichold, aaO, § 356 Rn. 3; anders wohl Musielak/Voit/Huber, aaO, § 356 Rn. 4) - die Beweiserhebung schon deshalb nicht unterlassen, weil die Kläger den ihnen auferlegten Auslagenvorschuss vor der mündlichen Berufungsverhandlung entrichtet haben (vgl. BGH, Urteil vom 16. März 2009 - II ZR 32/08, NJW 2009, 1598 Rn. 16; siehe auch Urteil vom 20. März 2007 - VI ZR 254/05, NJW 2007, 2122 Rn. 15).
3. Das angefochtene Urteil beruht auf der dargestellten Verletzung des rechtlichen Gehörs. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass das Berufungsgericht nach Beweisaufnahme zu einem den Klägern günstigeren Ergebnis gekommen wäre. Das Berufungsurteil ist deshalb aufzuheben und der Rechtsstreit zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 544 Abs. 7 ZPO). Dabei macht der Senat von den Möglichkeiten des § 563 Abs. 1 Satz 2 ZPO sowie - hinsichtlich der Kosten des Nichtzulassungsbeschwerdeverfahrens - des § 21 Abs. 1 Satz 1 GKG Gebrauch.
Dr. Milger Dr. Achilles Dr. Fetzer
Dr. Bünger Kosziol