Entscheidungsdatum: 25.01.2012
Der Beklagten wird in Ergänzung des Senatsbeschlusses vom 23. November 2011 Rechtsanwalt Prof. Dr. K. beigeordnet.
Der Beklagten wird gegen die Versäumung der Frist zur Einlegung und Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt.
Auf die Beschwerde der Beklagten wird die Revision gegen das Urteil des 1. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Rostock vom 2. Februar 2011 zugelassen.
Das vorbezeichnete Urteil wird gemäß § 544 Abs. 7 ZPO aufgehoben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Streitwert: 40.000 €.
I. Der Kläger verlangt von der Beklagten die Rückzahlung eines Darlehens in Höhe von 40.000 € nebst Verzugszinsen und vorgerichtlichen Kosten. Über das angebliche Darlehen, dessen Gewährung die Beklagte bestreitet, verhält sich ein vom Kläger handgeschriebenes, auf den 20.08.09 datiertes und von beiden Parteien unterzeichnetes Schriftstück mit folgendem Text:
"Heute habe ich, Holger P. , Elena S. 40000, € für ihr Abitur gegeben. Die Rückzahlung erfolg ohne Zinsen sobald es für Frau S. möglich ist."
Der Kläger hat den Darlehensvertrag wegen arglistiger Täuschung angefochten. Er hat behauptet, die Beklagte habe ihn darüber getäuscht, dass sie den Darlehensbetrag als Schulgeld für eine Privatschule benötige und verwenden wolle, um dort ihr Abitur zu machen.
Die Beklagte hat behauptet, an dem genannten Tage nicht mit dem Kläger zusammen gewesen zu sein; dieser habe einen Blanko-Zettel mit ihrer Unterschrift an sich genommen.
Die Vorinstanzen haben der Klage stattgegeben.
II. Das Berufungsgericht hat angenommen, dass ein Anspruch des Klägers auf Rückzahlung von 40.000 € aus § 812 Abs. 1 Satz 1 BGB und auf Erstattung vorgerichtlicher Anwaltskosten aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 263 StGB bestehe.
Es sei davon auszugehen, dass die Beklagte den Darlehensbetrag von 40.000 € empfangen habe, da sie den Beweiswert der in dem Schriftstück enthaltenen entsprechenden Bestätigung, die ein Zeugnis gegen sich selbst darstelle, nicht habe entkräften können. Weder habe sie beweisen können, dass ein Blankettmissbrauch des Klägers vorliege, noch dass der Kläger ihr den Betrag nicht am 20. August 2009 in ihrer Wohnung übergeben habe, weil sie den ganzen Tag in der Wohnung des Zeugen Prinz von S. verbracht habe.
Die diese Behauptung bestätigende Aussage des Zeugen Prinz von S. hat das Berufungsgericht auch angesichts von Zweifeln an der Glaubwürdigkeit des Zeugen als Gefälligkeitsaussage gewertet. Soweit die Beklagte im Schriftsatz vom 14. Januar 2011 hilfsweise weitere Zeugen benannt habe, sei dieses Beweisangebot als verspätet nach §§ 530, 520 ZPO i.V.m. § 296 Abs. 1 ZPO zurückzuweisen.
Der zudem unabhängig von der Richtigkeit des angegebenen Datums zustande gekommene Darlehensvertrag sei wirksam angefochten, weil die Beklagte nicht vorgehabt habe, das Geld für die Nachholung ihres Abiturs zu verwenden.
III. Indem das Berufungsgericht dem Antrag der Beklagten auf Vernehmung der Zeugen T. und S aus dem nachgelassenen Schriftsatz vom 14. Januar 2011 nicht mehr nachgegangen ist, hat es ihren Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) verletzt. Die Zurückweisung dieses Beweisantrags nach § 530 ZPO i.V.m. § 296 Abs. 1 ZPO hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
1. Die Benennung dieser Zeugen erst im nachgelassenen Schriftsatz und damit außerhalb der Berufungsbegründungsfrist des § 520 Abs. 2 ZPO war entschuldigt, wie sich ohne weitere Darlegung eines Entschuldigungsgrundes durch die Beklagte bereits aus dem Akteninhalt ergab.
a) Grundsätzlich sind die Parteien zwar gehalten, zu einem Beweisthema sofort alle Zeugen zu benennen, auf die sie sich berufen wollen, und ist es ihnen nicht gestattet, einzelne Beweismittel zurückzuhalten, um diese dann je nach dem Erfolg einer zunächst durchgeführten Beweisaufnahme ggf. sukzessive in den Prozess einzuführen. Dies gilt nicht nur bei bewusstem Zurückhalten aus Prozesstaktik oder aus anderen Gründen, sondern auch, wenn ein weiterer Zeuge zunächst nur aus Nachlässigkeit nicht benannt wurde, weil im Rahmen von § 296 Abs. 1 ZPO bereits leichte Fahrlässigkeit schadet (vgl. statt aller Zöller/Greger, ZPO 29. Aufl. § 296 Rn. 23).
b) So liegt die Sache hier nicht. Vielmehr konnte die Beklagte erst nach dem Verlauf der Verhandlung vom 8. Dezember 2010 mit der Parteianhörung des Klägers und der Vernehmung des Zeugen Prinz von S. erkennen, dass es auch auf die anderen, nunmehr von ihr benannten Zeugen ankommen kann. Die Bedeutung einer Aussage der Zeugen S und T. lag vor diesem Beweistermin und dessen Verlauf nicht auf der Hand.
Die Beklagte hatte vielmehr aus ihrer Sicht den Beweis zu erbringen, dass sie sich den ganzen Tag beim Zeugen Prinz von S. aufgehalten hatte, um die gegen sie sprechende Urkunde entkräften zu können. Für dieses Beweisthema waren die Zeugen S. und T. , die jeweils nur für einen Ausschnitt des Tages Angaben machen konnten, kein geeignetes Beweismittel.
Dies änderte sich erst aufgrund der Angaben des Klägers im Termin, als er sich erstmalig eindeutig dahingehend festlegte, dass die Geldübergabe am späten Abend - jedenfalls nach 20 Uhr - stattgefunden habe. Erst danach konnte die Beklagte davon ausgehen, mit einer Aussage des Zeugen S. die Darstellung des Klägers und damit die Indizwirkung des Schuldscheins erschüttern zu können.
Auch unter dem Gesichtspunkt der Zweifel des Berufungsgerichts an der Glaubwürdigkeit des Zeugen Prinz von S. wurden erst jetzt die Zeugen S. und T. relevant, weil sie nach dem Vorbringen der Beklagten partiell die Aussagen des Zeugen Prinz von S. bestätigen und damit dessen vom Berufungsgericht angezweifelte Glaubwürdigkeit stärken können. Diese Notwendigkeit musste die Beklagte nicht vorhersehen.
Ihr Beweisantrag stellt sich damit zugleich als Reaktion auf das Ergebnis der durchgeführten Beweisaufnahme dar. Deren grundsätzliche Zulässigkeit ergibt sich aus §§ 279 Abs. 3, 285 ZPO. Der Sinn dieser Regelungen besteht darin, der Partei eine solche Reaktion zu ermöglichen, was die Möglichkeit zum Stellen neuer Beweisanträge einschließt (Zöller/Greger, aaO § 285 Rn. 1; MünchKomm-ZPO/Prütting, 3. Aufl. § 285 Rn. 3; Musielak/Foerste, 8. Aufl. ZPO § 285 Rn. 3; Prütting/Gehrlein/Laumen, ZPO 3. Aufl. § 285 Rn. 1; Hk-ZPO/Saenger, 3. Aufl. § 285 Rn. 3). Aus § 530 ZPO folgt nichts anderes. Konnte die Partei die Erheblichkeit ihres Angriffs- oder Verteidigungsmittels erst nach Fristablauf (hier: Ende der Berufungsbegründungsfrist) erkennen, so ist sie ausreichend entschuldigt (Prütting/Gehrlein/Oberheim aaO § 531 Rn. 11).
Es kommt hinzu, dass den Parteien vom Berufungsgericht ausdrücklich nachgelassen wurde, schriftlich zum Ergebnis der Beweisaufnahme Stellung zu nehmen. Ein solches Vorgehen ergibt nur dann einen Sinn, wenn die fristgerecht abgegebene Stellungnahme berücksichtigt und die Partei nicht mit ihrer Reaktion auf den Verlauf des Beweistermins präkludiert wird.
2. Unabhängig davon liegt ein weiterer selbständiger Verstoß gegen die Verpflichtung zur Gewährung rechtlichen Gehörs darin, dass das Berufungsgericht den Beweisantritt der Beklagten als verspätet zurückgewiesen hat, ohne ihr zuvor Gelegenheit zur Äußerung hinsichtlich der beabsichtigten Zurückweisung zu geben.
Insoweit kann es offen bleiben, ob die vorgeschriebene Verhandlung über die Beweisaufnahme generell nicht nach § 283 ZPO durchgeführt werden kann (so BGH, Urteil vom 12. März 2004 - V ZR 37/03, NJW 2004, 2019 unter II 2 b bb; Zöller/Greger aaO § 285 Rn. 2). Jedenfalls muss das Gericht, das in einem nachgelassenen Schriftsatz enthaltenes Vorbringen einer Partei als verspätet zurückweisen will, die mündliche Verhandlung wiedereröffnen und auf die beabsichtigte Präklusion hinweisen, um der Partei Gelegenheit zur Stellungnahme und ggf. zur Entschuldigung der Verspätung zu geben. Die Zurückweisung ohne einen vorherigen Hinweis und Gelegenheit zur Äußerung scheidet aus (Zöller/Greger aaO § 296 Rn. 32; Musielak/Huber, aaO § 296 Rn. 35; Musielak/Foerste aaO § 283 Rn. 13; Stein/Jonas/Leipold, ZPO 22. Aufl. § 296 Rn. 172; Prütting/Gehrlein/Deppenkemper aaO § 296 Rn. 29).
3. Die vorstehenden Gehörsverstöße sind entscheidungserheblich. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass das Gericht nach einer Vernehmung der ergänzend benannten Zeugen seine Bedenken gegen die Glaubwürdigkeit des Zeugen Prinz von S. nicht aufrecht erhalten hätte, wenn diese seine Angaben zur Anwesenheit der Beklagten auch nur für einen Teil der von ihm bekundeten Zeiträume bestätigt hätten, und dass es dann die Beweiskraft des "Zeugnisses gegen sich selbst" durch die unterschriebene Urkunde als erschüttert betrachtet hätte.
Wendt Harsdorf-Gebhardt Dr. Karczewski
Lehmann Dr. Brockmöller