Entscheidungsdatum: 23.04.2015
Auf die Nichtzulassungsbeschwerde des Beklagten wird das Urteil des 2. Zivilsenats des Hanseatischen Oberlandesgerichts Bremen vom 25. Juli 2014 aufgehoben.
Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Verfahrens der Nichtzulassungsbeschwerde, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Der Gegenstandswert des Beschwerdeverfahrens beträgt 151.370 €.
I.
Die Klägerin ist Inhaberin eines Schlachthofs; der Beklagte ist Viehhändler. Die Klägerin war Eigentümerin von Betriebsgrundstücken, die mit Briefgrundschulden in Höhe von 300.000 DM und von 200.000 DM belastet sind. Die Grundschulden valutierten nicht mehr; die Grundschuldbriefe befanden sich im Besitz der Klägerin.
Die Parteien standen in einer langjährigen Geschäftsbeziehung. Der Beklagte belieferte die Klägerin mit Schlachtvieh. Die daraus entstandenen Forderungen des Beklagten konnte die Klägerin in einem großen Umfang nicht begleichen, wodurch Zahlungsrückstände (von ca. 200.000 €) entstanden. Der Beklagte wollte im Juni 2003 bereits geliefertes Vieh durch Mitarbeiter von der Klägerin wieder abholen lassen. Dabei gelangte er in den Besitz der Grundschuldbriefe. Das gelieferte Vieh blieb bei der Klägerin, und der Beklagte setzte die Lieferungen fort.
Die Parteien verhandelten danach - ohne Ergebnis - u.a. auch über eine Abtretung der Grundschulden an den Beklagten. Die Klägerin forderte im Jahre 2009 ohne Erfolg die Herausgabe der Grundschuldbriefe; ihre Verbindlichkeiten aus Viehlieferungen führte sie nicht zurück. Im Jahre 2012 klagte der Beklagte gegen die Klägerin auf Bezahlung seiner Forderungen. Außerhalb dieses Rechtsstreits schlossen die Parteien am 7. November 2012 einen Vergleich. Danach hat die Klägerin die auf einen Betrag von 183.370 € festgestellte Forderung des Beklagten in Raten (ohne Zinsen) zu begleichen. Über die sich in dem Besitz des Beklagten befindenden Grundschuldbriefe wurde bei dem Abschluss des Vergleichs nicht gesprochen.
Die Klägerin hat gegen den Beklagten Klage auf Herausgabe der Grundschuldbriefe erhoben. Der Beklagte hat zunächst Klageabweisung beantragt. Das Landgericht hat ihn zur Herausgabe der Briefe Zug um Zug gegen Zahlung von 146.370 € verurteilt und die weitergehende Klage abgewiesen. Die Klägerin hat Berufung eingelegt und der Beklagte mit seiner Anschlussberufung die Erhöhung des Zug um Zug Vorbehalts auf 151.370 € beantragt. Das Oberlandesgericht hat den Beklagten ohne den Zug um Zug Vorbehalt zur Herausgabe der Briefe verurteilt. Dagegen wendet er sich mit der Nichtzulassungsbeschwerde.
II.
Das Berufungsgericht meint, dass die Klägerin nach § 985, § 952 Abs. 2 BGB die Herausgabe der Briefe verlangen könne. Auf ein Recht zum Besitz könne sich der Beklagte nicht berufen, nachdem mit dem Abschluss des Vergleichs feststehe, dass es zu einer Abtretung der Grundschulden an ihn nicht mehr kommen werde. Eine weitergehende Sicherungsabrede, nach der der Beklagte so lange im Besitz der Briefe bleiben solle, bis die bei deren Hingabe bestehenden Verbindlichkeiten der Klägerin getilgt seien, sei nicht zustande gekommen. Den Angaben des Geschäftsführers der Klägerin bei seiner Anhörung durch das erstinstanzliche Gericht sei eine derartige Abrede nicht zu entnehmen. Dem Beweisangebot des Beklagten, den Geschäftsführer als Partei zu vernehmen, müsse nicht nachgegangen werden. Es sei nämlich nichts dafür ersichtlich, dass für den Geschäftsführer der Klägerin erkennbar gewesen sei, dass die Briefe auch dann bei dem Beklagten verbleiben sollten, wenn es nicht zu einer wirksamen Abtretung komme.
III.
Das angefochtene Berufungsurteil ist auf die Nichtzulassungsbeschwerde des Beklagten nach § 544 Abs. 7 ZPO aufzuheben, weil das Berufungsgericht seinen Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) in entscheidungserheblicher Weise verletzt hat.
1. Art. 103 Abs. 1 GG verpflichtet in Verbindung mit den Grundsätzen der Zivilprozessordnung die Gerichte, erheblichen Beweisanträgen nachzugehen (BVerfGE 69, 141, 143; BVerfG, NJW 1993, 254; WM 2012, 492, 493). Die Nichtberücksichtigung eines erheblichen Beweisangebots, die im Prozessrecht keine Stütze hat, verstößt gegen Art. 103 Abs. 1 GG (Senat, Beschluss vom 28. April 2011 - V ZR 182/10, juris Rn. 10; Beschluss vom 12. Juni 2014 - V ZR 308/13, juris Rn. 6; BGH, Beschluss vom 11. Mai 2010 - VIII ZR 212/07, NJW-RR 2010, 1217, 1281 - std. Rspr.).
2. Ein solcher Verstoß ist dem Berufungsgericht dadurch unterlaufen, dass es dem Beweisantrag des Beklagten, den Geschäftsführer der Klägerin nach § 445 Abs. 1 ZPO, zu der Behauptung zu vernehmen, es sei vereinbart worden, dass er die Briefe bis zur vollständigen Tilgung der Schuld der Klägerin behalten dürfe, nicht entsprochen hat.
a) Das Berufungsgericht durfte den Beweisantrag nicht mit der Begründung übergehen, es sei schon nicht ersichtlich, dass für den Geschäftsführer der Klägerin bei der Hingabe der Briefe die Begründung eines so weit gehenden Besitzrechts des Beklagten erkennbar gewesen sei. Denn darin liegt eine unzulässige Würdigung des Sachverhalts vor Feststellung der für die Auslegung der Abreden der Parteien maßgeblichen Tatsachen.
aa) Das von dem Beklagten unter Beweis gestellte Vorbringen ist nach den Rechtsausführungen des Berufungsgerichts erheblich. Es nimmt zu Recht an, dass Vereinbarungen über obligatorische Rechte an einem Hypothekenoder Grundschuldbrief möglich sind, mit denen denen sich der Inhaber des Grundpfandrechts einem anderen gegenüber verpflichtet, ihm den Brief solange zu belassen, bis dieser wegen seiner Forderung befriedigt ist (vgl. RGZ 66, 24, 27; 91, 155, 158; Staudinger/Gursky, BGB [2011], § 952 Rn. 22).
bb) Die Auslegung des Vereinbarten nach §§ 133, 157 BGB ist zwar rechtliche Würdigung, ihr hat aber die Feststellung der Tatsachen vorauszugehen, die für die Auslegung wesentlich sein können (BGH, Urteil vom 23. Februar 1956 - II ZR 207/54, BGHZ 20, 109, 111; Urteil vom 19. März 1992 - IX ZR 120/91, NJW-RR 1992, 772, 773). Bevor die Auslegung stattfinden kann, müssen die Tatsachen, die der Würdigung zugrunde zu legen sind (der Wortlaut der Erklärungen und die sonstigen Umstände, die der Aufhellung oder der Aufdeckung des Parteiwillens dienen können), mit den üblichen Mitteln des Beweisverfahrens geklärt werden (BGH, Urteil vom 26. Oktober 1983 - IVa ZR 80/82, NJW 1984, 721, 722).
Dabei geht das Zivilprozessrecht von dem Grundsatz der Pflicht des Gerichts zur Erschöpfung der Beweisaufnahme aus. Das Gericht muss grundsätzlich alle angetretenen und angebotenen Beweise erheben, soweit nicht ein bestimmter Grund zur Ablehnung des Antrags gegeben ist (BGH, Urteil vom 19. Februar 1970 - III ZR 139/67, BGHZ 53, 245, 259). Ein erhebliches Beweisangebot kann - wenn es nicht aus besonderen Vorschriften der Zivilprozessordnung (z.B. wegen Verspätung) zurückzuweisen ist - nur dann außer Acht bleiben, wenn das Beweismittel ungeeignet ist, weil es im Einzelfall zur Beweisbehauptung erkennbar keine sachdienlichen Ergebnisse erbringen kann, oder wenn die Partei ohne greifbare Anhaltspunkte für das Vorliegen eines bestimmten Sachverhalts willkürlich Behauptungen „aufs Geratewohl" oder „ins Blaue hinein" aufstellt, so dass der Beweisantritt nicht dem Beweis vorgetragener Tatsachen zu dienen bestimmt ist, sondern stattdessen die Ausforschung von Tatsachen bezweckt (BVerfG, NJW 2009, 1585 Rn. 24 und 26; WM 2012, 492, 493). An Beidem fehlt es hier.
(1) Die Vernehmung des Geschäftsführers der Klägerin ist ein offensichtlich geeignetes Beweismittel, um das für die Auslegung von Vereinbarungen maßgebende Gesamtverhalten der Erklärenden einschließlich der Entstehungsgeschichte und des Zwecks der Erklärungen (vgl. Senat, Urteil vom 20. Dezember 1974 - V ZR 132/73, BGHZ 63, 359, 362; Urteil vom 19. März 1992 - IX ZR 120/91, NJW-RR 1992, 772, 773) zu ermitteln.
(2) Dass den Behauptungen des Beklagten zu dem mit der Aushändigung der Grundschuldbriefe vereinbarten Zweck jeglicher tatsächlicher Anhaltspunkt fehlt und sich der Vortrag daher als ein nicht beweiserheblicher Rechtsmissbrauch darstellt (vgl. Senat, Urteil vom 13. Dezember 2002 - V ZR 359/01, NJW-RR 2003, 491; Urteil vom 12. Juni 2008 - V ZR 221/07, WM 2008, 2068 Rn. 9), ist von dem Berufungsgericht nicht festgestellt und liegt nach den getroffenen Feststellungen (hohe Verbindlichkeiten der Klägerin aus vorangegangenen Lieferungen, vorheriges Anbieten der Briefe als Sicherheit, Aushändigung oder Mitnahme durch Mitarbeiter des Beklagten zur Abwendung der Abholung bereits gelieferter Tiere) fern.
b) Dem Beweisantrag hätte das Berufungsgericht auch ungeachtet dessen nachgehen müssen, dass seiner Ansicht nach den Angaben des in erster Instanz angehörten Geschäftsführers der Klägerin die von dem Beklagten behauptete Abrede nicht zu entnehmen ist. Eine Anhörung einer Partei nach § 141 ZPO kann die von dem Gegner beantragte Vernehmung gemäß § 445 ZPO nicht ersetzen (vgl. Senat, Urteil vom 16. Oktober 1987 - V ZR 170/86, NJW-RR 1988, 394, 395; Beschluss vom 28. April 2011 - V ZB 220/10, juris Rn. 13; BGH, Urteil vom 3. Juli 1967 - VII ZR 48/65, LM Nr. 3 zu § 141 ZPO).
c) Die Nichterhebung des Beweises ist schließlich nicht - wie die Erwiderung meint - gemäß § 445 Abs. 2 ZPO gerechtfertigt. Nach dieser Vorschrift ist ein Beweisantrag, den Gegner als Partei zu vernehmen (§ 445 Abs. 1 ZPO), nur dann zurückzuweisen, wenn das Gericht auf Grund einer Würdigung anderer Beweise (§ 286 ZPO), der Offenkundigkeit der zu beweisenden Tatsache (§ 291 ZPO) oder gesetzlicher Beweisregeln (§§ 415 bis 418 ZPO) bereits von dem Gegenteil der zu beweisenden Tatsache überzeugt ist (vgl. MüKo-ZPO/Schreiber, 4. Aufl., § 445 Rn. 10; Musielak/Voit/Huber, ZPO, 12. Aufl., § 445 Rn. 7; Zöller/Greger, ZPO, 30. Aufl., § 445 Rn. 4). Die Wahrscheinlichkeit des Gegenteils der unter Beweis durch Parteivernehmung gestellten Tatsache rechtfertigt die Zurückweisung des Beweisantrags dagegen nicht (BGH, Urteil vom 6. Juli 1960 - IV ZR 322/59, BGHZ 33, 63, 66; Urteil vom 8. Juni 2012 - XI ZR 262/10, BGHZ 193, 159 Rn. 39). Das Berufungsgericht hätte den Beweisantrag daher nicht mit der Begründung zurückweisen dürfen, dass für die unter Beweis gestellten Behauptungen zum Inhalt der Vereinbarung nichts ersichtlich sei.
IV.
In der neuen Verhandlung wird das Berufungsgericht die unterlassene Beweisaufnahme zu den der Überlassung der Grundschuldbriefe zugrunde liegenden Erklärungen und Umständen nachzuholen haben.
Für das weitere Verfahren weist der Senat darauf hin, dass vertragliche Vereinbarungen nach § 157 BGB so auszulegen sind, wie es der Grundsatz von Treu und Glauben (§ 242 BGB) erfordert. Die Rückforderung eines Grundschuld- oder Hypothekenbriefs vor Tilgung der Verbindlichkeiten, deretwegen der Brief dem Besitzer als Sicherheit ausgehändigt worden ist, findet jedoch in den Grundsätzen von Treu und Glauben nicht nur keinen Rückhalt, sondern widerspricht diesen geradezu (vgl. RGZ 91, 155, 158). Dieser Gesichtspunkt könnte bei der Auslegung des Vereinbarten zum Tragen kommen, wenn - wie der Beklagte vorträgt - der mit der Aushändigung der Briefe verfolgte Zweck für die Klägerin darin bestanden haben sollte, trotz hoher Verbindlichkeiten die für ihren Geschäftsbetrieb wichtige Geschäftsbeziehung aufrechtzuerhalten und dem Beklagten mit den Briefen eine Sicherheit für weitere Lieferungen an die Hand zu geben. Eine Abtretung der Grundschulden hätte dem Interesse der Klägerin dagegen widersprochen, weil die dann mögliche Kündigung der Grundschulden durch den Beklagten nach § 1193 BGB und eine anschließende Vollstreckung in ihre Betriebsgrundstücke nach § 1192 Abs.1, § 1147 BGB geeignet gewesen wären, ihrem Geschäft die Grundlage zu entziehen.
Stresemann Schmidt-Räntsch Czub
Kazele Göbel