Entscheidungsdatum: 12.11.2015
Ob die in § 72 Abs. 2 GVG für die Berufung in Wohnungseigentumssachen vorgesehene Zuständigkeitskonzentration eintritt, richtet sich allein danach, ob es sich um eine Streitigkeit im Sinne von § 43 Nr. 1 bis 4 oder Nr. 6 WEG handelt; dagegen ist es unerheblich, wenn in erster Instanz nicht der nach dem Geschäftsverteilungsplan für diese Streitigkeiten zuständige Amtsrichter entschieden hat.
Die Rechtsbeschwerden gegen die Beschlüsse der 1. Zivilkammer des Landgerichts Potsdam vom 20. Februar 2015 und der 6. Zivilkammer des Landgerichts Frankfurt (Oder) vom 26. Januar 2015 werden auf Kosten des Klägers als unzulässig verworfen.
Der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens beträgt einheitlich 5.000 €.
I.
Die Parteien sind Mitglieder derselben Wohnungseigentümergemeinschaft. Der Kläger macht gegen die Beklagten einen Unterlassungsanspruch geltend, der sich auf die Art und Weise der Parkplatznutzung bezieht. Das Amtsgericht Potsdam hat die Klage mit Urteil vom 15. Juli 2014 abgewiesen. Die darin enthaltene Rechtsmittelbelehrung bezeichnet das Landgericht Frankfurt (Oder) als zuständiges Berufungsgericht. Das Urteil ist dem Kläger am 21. Juli 2014 zugestellt worden.
Mit einem am 8. August 2014 eingegangenen Schriftsatz hat der Kläger bei dem Landgericht Potsdam Berufung eingelegt und mitgeteilt, dass er von dessen Zuständigkeit ausgehe; es handele sich um eine allgemeine Zivilsache, weil in erster Instanz nicht die Abteilung für Wohnungseigentumssachen, sondern das Prozessgericht tätig geworden sei. Zugleich bat er darum, vorab über die Zuständigkeit zu entscheiden, den Rechtsstreit ggf. an das für Wohnungseigentumssachen zuständige Landgericht Frankfurt (Oder) zu verweisen oder einen rechtzeitigen richterlichen Hinweis zu erteilen.
Mit Beschluss vom 13. Oktober 2014 hat das Landgericht Potsdam auf seine Unzuständigkeit hingewiesen und die Verwerfung der Berufung als unzulässig angekündigt. Daraufhin hat der Kläger am 29. Oktober 2014 bei dem Landgericht Frankfurt (Oder) Berufung eingelegt und Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt. Mit Beschluss vom 26. Januar 2015 hat das Landgericht Frankfurt (Oder) die Berufung als unzulässig verworfen. Das Landgericht Potsdam hat die Berufung seinerseits mit Beschluss vom 20. Februar 2015 mangels Zuständigkeit als unzulässig verworfen. Mit den gegen beide Beschlüsse gerichteten Rechtsbeschwerden möchte der Kläger eine Sachentscheidung über seine Berufung erreichen.
II.
Das Landgericht Potsdam stützt die Verwerfung der Berufung darauf, dass es nicht zuständig sei. Das Rechtsmittel beziehe sich auf eine Wohnungseigentumssache im Sinne von § 43 Nr. 1 WEG. Zuständiges Berufungsgericht sei daher das Landgericht Frankfurt (Oder). Es sei unerheblich, dass in erster Instanz nicht der nach dem Geschäftsverteilungsplan für Wohnungseigentumssachen zuständige Amtsrichter entschieden habe.
Das Landgericht Frankfurt (Oder) hält sich aus denselben Gründen für zuständig. Die Berufungsfrist sei jedoch nicht gewahrt worden. Wiedereinsetzung in den vorigen Stand sei dem Kläger nicht zu gewähren, weil sein Prozessbevollmächtigter die Versäumung der Frist verschuldet habe. Die Zuständigkeitsregelung des § 72 Abs. 2 GVG sei eindeutig und die Rechtsbehelfsbelehrung richtig gewesen. Durch die Bitte um einen richterlichen Hinweis könne sich der Anwalt nicht seiner eigenen Verantwortung entledigen. Das Landgericht Potsdam sei zu einer Weiterleitung innerhalb der Berufungsfrist nicht verpflichtet gewesen. Es habe seine Unzuständigkeit nicht ohne eingehende Rechtsprüfung erkennen können.
III.
Die verbundenen, gemäß § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO statthaften Rechtsmittel des Klägers sind unzulässig, weil es an den besonderen Zulässigkeitsvoraussetzungen des § 574 Abs. 2 ZPO fehlt. Weder ist eine grundsätzliche Bedeutung anzunehmen noch ist eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich. Insbesondere ist der Zugang zur Rechtsmittelinstanz nicht in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigender Weise erschwert worden (vgl. dazu Senat, Beschluss vom 20. Januar 2011 - V ZB 193/10, NZM 2011, 488 Rn. 7 mwN). Zwar durfte das Landgericht Potsdam die Berufung nicht - wie geschehen - vor einer rechtskräftigen Entscheidung über das bei dem Landgericht Frankfurt (Oder) eingelegte Rechtsmittel verwerfen, sondern musste den Ausgang des Rechtsbeschwerdeverfahrens abwarten; auch wenn die unterliegende Partei mehrmals und bei verschiedenen Gerichten Berufung einlegt, handelt es sich um ein einheitliches Rechtsmittel, das nur verworfen werden darf, wenn keine der Einlegungen erfolgreich war (vgl. zum Ganzen Senat, Beschluss vom 11. Juni 2015 - V ZB 34/13, NJW 2015, 3171 Rn. 9 ff. mwN). Dieser Verfahrensfehler hat sich jedoch nicht ausgewirkt, weil die Berufung insgesamt unzulässig war.
1. Rechtsfehlerfrei verneint das rechtzeitig angerufene Landgericht Potsdam seine Zuständigkeit.
a) Zuständig für die Entscheidung über die Berufung ist gemäß § 72 Abs. 2 GVG i.V.m. § 3 der brandenburgischen Gerichtszuständigkeitsverordnung (GVBl. II Nr. 62) das erst nach Ablauf der Berufungsfrist angerufene Landgericht Frankfurt (Oder), weil der Streit der Parteien eine Wohnungseigentumssache im Sinne von § 43 Nr. 1 WEG ist.
aa) Zu den Wohnungseigentumssachen gehören gemäß § 43 Nr. 1 WEG Streitigkeiten über die sich aus der Gemeinschaft der Wohnungseigentümer und aus der Verwaltung des gemeinschaftlichen Eigentums ergebenden Rechte und Pflichten der Wohnungseigentümer untereinander. Hier streiten die Parteien ausschließlich um die Nutzung des Gemeinschaftseigentums; der Kläger macht geltend, dass die Beklagten teilweise im Bereich des Gemeinschaftseigentums parkten. Ohne Erfolg verweist die Rechtsbeschwerde darauf, dass die Parteien auch über den Umfang des Sondereigentums und damit über die sachenrechtlichen Grundlagen der Gemeinschaft stritten. Hierfür wären zwar die allgemeinen Zivilgerichte zuständig (vgl. Senat, Beschluss vom 11. Juni 2015 - V ZB 34/13, NJW 2015, 3171 Rn. 8 mwN). Ein solcher Verfahrensgegenstand ergibt sich aus dem Urteil des Amtsgerichts aber schon deshalb nicht, weil darin mit Tatbestandswirkung (§ 314 ZPO) festgestellt wird, dass die Beklagten unstreitig das Gemeinschaftseigentum zum Parken in Anspruch nehmen und insoweit Unterlassung verlangt wird. Nichts anderes folgt daraus, dass die Beklagten, die ihr Teileigentum von dem Kläger erworben haben, aus dem Kaufvertrag Ansprüche auf Einräumung von Sondereigentum an der Parkfläche in größerem Umfang ableiten. Solche schuldrechtlichen Ansprüche sind nämlich weder Streitgegenstand noch betreffen sie die sachenrechtlichen Grundlagen der Gemeinschaft.
bb) Ob die in § 72 Abs. 2 GVG für die Berufung in Wohnungseigentumssachen vorgesehene Zuständigkeitskonzentration eintritt, richtet sich allein danach, ob es sich um eine Streitigkeit im Sinne von § 43 Nr. 1 bis 4 oder Nr. 6 WEG handelt (vgl. auch Senat, Beschluss vom 10. Dezember 2009 - V ZB 67/09, NJW 2010, 1818 Rn. 7); dagegen ist es unerheblich, wenn - wie hier - in erster Instanz nicht der nach dem Geschäftsverteilungsplan für diese Streitigkeiten zuständige Amtsrichter entschieden hat. Rechtstechnisch bezieht sich die Zuständigkeitsregelung nicht auf das erstinstanzlich entscheidende Gericht, anders als die in § 119 Abs. 1 Nr. 1a GVG enthaltene Zuständigkeitsregelung für die gegen die Entscheidungen der Familiengerichte gerichteten Rechtsmittel (vgl. hierzu BGH, Beschluss vom 7. Dezember 1994 - XII ZB 202/94, NJW-RR 1995, 380, 381). Ohnehin sieht das Gerichtsverfassungsgesetz die Bildung von gesonderten Abteilungen wie für Familien- und Betreuungssachen (§§ 23b, 23c GVG) für Wohnungseigentumssachen nicht vor (vgl. zum Ganzen auch LG Duisburg, NZM 2014, 834, 835).
2. Es ist ferner nicht zu beanstanden, dass das Landgericht Potsdam dem Antrag des Klägers auf Verweisung des Rechtsstreits an das Landgericht Frankfurt (Oder) in analoger Anwendung von § 281 ZPO nicht entsprochen hat.
a) Die Voraussetzungen für eine solche Verweisung sind nur dann gegeben, wenn die Frage, ob eine Streitigkeit im Sinne der genannten Regelungen vorliegt, für bestimmte Fallgruppen noch nicht höchstrichterlich geklärt ist und man über deren Beantwortung mit guten Gründen unterschiedlicher Auffassung sein kann. Nur in diesen Fällen hat es der Senat für geboten erachtet, dass das zuerst angerufene Gericht das Verfahren in entsprechender Anwendung von § 281 ZPO an das eigentlich zuständige Berufungsgericht verweist (vgl. Senat, Beschluss vom 10. Dezember 2009 - V ZB 67/09, NJW 2010, 1818 Rn. 11).
b) Diese Voraussetzungen liegen nicht vor. Wie ausgeführt, ist es für die Zuständigkeit des Berufungsgerichts gemäß § 72 Abs. 2 GVG unerheblich, ob in erster Instanz der nach dem Geschäftsverteilungsplan zuständige Amtsrichter entschieden hat. Der Kläger kann seine gegenteilige Rechtsauffassung weder auf Rechtsprechung noch auf Literatur stützen.
3. Schließlich hält auch die Entscheidung des Landgerichts Frankfurt(Oder) rechtlicher Nachprüfung stand, mit der die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand versagt worden ist. Da die Rechtslage eindeutig und die erteilte Rechtsmittelbelehrung richtig war, beruht die Versäumung der Berufungsfrist auf einem Verschulden des Prozessbevollmächtigten des Klägers (§ 85 Abs. 2 ZPO). Nicht zu beanstanden ist auch die Annahme, die Ursächlichkeit der schuldhaften Fristversäumnis sei nicht im Hinblick auf das Verhalten des Vorsitzenden der Zivilkammer des zunächst angerufenen Landgerichts Potsdam entfallen.
a) Es entspricht der gefestigten Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, dass keine generelle Fürsorgepflicht des unzuständigen Rechtsmittelgerichts besteht, durch Hinweise oder andere geeignete Maßnahmen eine Fristversäumung des Rechtsmittelführers zu verhindern. Die Abgrenzung dessen, was im Rahmen einer fairen Verfahrensgestaltung an richterlicher Fürsorge aus verfassungsrechtlichen Gründen geboten ist, kann sich nicht nur an dem Interesse der Rechtsuchenden an einer möglichst weitgehenden Verfahrenserleichterung orientieren, sondern muss auch berücksichtigen, dass die Justiz im Interesse ihrer Funktionsfähigkeit vor zusätzlicher Belastung geschützt werden muss. Einer Partei und ihrem Prozessbevollmächtigten muss die Verantwortung für die Ermittlung des richtigen Adressaten fristgebundener Verfahrenserklärungen nicht allgemein abgenommen und auf unzuständige Gerichte verlagert werden. Etwas anderes gilt nur dann, wenn die Unzuständigkeit des angerufenen Gerichts „ohne weiteres“ bzw. „leicht und einwandfrei“ zu erkennen war und die nicht rechtzeitige Aufdeckung der nicht gegebenen Zuständigkeit auf einem offenkundig nachlässigen Fehlverhalten des angerufenen Gerichts beruht. In diesen Fällen stellt es für die Funktionsfähigkeit des angerufenen Gerichts keine nennenswerte Belastung dar, einen fehlgeleiteten Schriftsatz im Rahmen des üblichen Geschäftsgangs an das zuständige Gericht weiterzuleiten (vgl. zum Ganzen Senat, Beschluss vom 24. Juni 2010 - V ZB 170/09, WuM 2010, 592 Rn. 7 f.; Beschluss vom 14. Juli 2011 - V ZB 67/11, NJW 2011, 3306 Rn. 11, jeweils mwN).
b) Ein solcher Fall liegt nicht vor. Da die Art der Streitigkeit maßgeblich ist, war die Unzuständigkeit des Landgerichts Potsdam bei Eingang der Berufungsschrift - anders als bei der Einreichung einer Berufung bei einem örtlich offensichtlich unzuständigen Gericht (dazu BGH, Beschluss vom 20. April 2011 - VII ZB 78/09, NJW 2011, 2053 Rn. 11 ff.) - nicht leicht und einwandfrei erkennbar. Nach Eingang der Akten wäre dies nur bei einer genaueren Prüfung durch den Berichterstatter erkennbar gewesen; dieser hatte jedoch keine Veranlassung, sich vor Eingang der Rechtsmittelbegründung in die Sache einzulesen. Andernfalls würde eine richterliche Einarbeitung in einem Verfahrensstadium verlangt, in dem noch nicht sicher ist, ob das Rechtsmittel durchgeführt werden wird und worin die Rechtsmittelangriffe bestehen sollen (näher Senat, Beschluss vom 14. Juli 2011 - V ZB 67/11, NJW 2011, 3306 Rn. 12).
c) Aus denselben Gründen war der Vorsitzende - anders als die Rechtsbeschwerde meint - nicht gehalten, darauf hinzuweisen, dass die Zuständigkeitsprüfung nicht innerhalb der laufenden Berufungsfrist erfolgen werde. Insoweit verlangt der Kläger schon keinen Hinweis im Sinne von § 139 ZPO, sondern eine tatsächliche und zudem fristgebundene Information.
IV.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
Stresemann Czub Brückner
Weinland Haberkamp