Entscheidungsdatum: 24.06.2010
Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss der 1. Zivilkammer des Landgerichts Rostock vom 25. September 2009 wird auf Kosten der Beklagten als unzulässig verworfen.
I.
Die Parteien sind die Mitglieder einer Wohnungseigentümergemeinschaft. Die Kläger wenden sich gegen verschiedene Beschlüsse, die auf zwei Eigentümerversammlungen gefasst wurden. Das Amtsgericht hat drei der angegriffenen Beschlüsse für ungültig erklärt. Gegen das ihnen spätestens am 14. Oktober 2008 zugestellte Urteil haben die Beklagten am 3. November 2008 bei dem Landgericht Stralsund Berufung eingelegt. Nach Eingang der Akten am 11. November 2008 hat der Vorsitzende der Berufungszivilkammer die Vorlage der Akten an die Beschwerdezivilkammer zur Prüfung einer Übernahme der Sache verfügt. Deren Vorsitzende hat die Akten am 20. November 2008 an die Berufungskammer unter Hinweis darauf zurückgesandt, zuständig sei nach § 72 Abs. 2 Satz 1 GVG das Landgericht Rostock. Unter dem 25. November 2008 ist den Beklagten ein entsprechender Hinweis erteilt worden. Am 3. Dezember 2008 haben sie die Abgabe der Sache an das Landgericht Rostock beantragt und am 5. Dezember 2008 nochmals Berufung – nunmehr bei diesem Gericht – eingelegt. Das Rechtsmittel haben sie sogleich begründet und mit einem Wiedereinsetzungsantrag verbunden. Das Landgericht Rostock (im Folgenden Berufungsgericht) hat den Wiedereinsetzungsantrag zurückgewiesen. Dagegen richtet sich die Rechtsbeschwerde der Beklagten.
II.
Die gemäß §§ 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, 238 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO statthafte Rechtsbeschwerde ist unzulässig, weil die besonderen Zulässigkeitsvoraussetzungen des § 574 Abs. 2 ZPO nicht vorliegen.
1. Der Rechtssache kommt keine grundsätzliche Bedeutung zu. Entgegen der Auffassung der Beklagten hängt die Beantwortung der Frage, ob das Berufungsgericht die beantragte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu Recht versagt hat, nicht von klärungsbedürftigen Rechtsfragen ab. Die für die Beurteilung des Falles maßgeblichen Obersätze lassen sich der höchstrichterlichen Rechtsprechung ohne weiteres entnehmen (dazu unten 2. b). Für die Aufstellung weiterer sachverhaltsbezogener Leitlinien (dazu Senat, BGHZ 154, 221, 225) zur Fortbildung des Rechts besteht kein Anlass.
2. Es ist auch keine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich, weil die Rüge, das Berufungsgericht habe die Beklagten in deren Recht auf Gewährleistung wirkungsvollen Rechtsschutzes und eines fairen Verfahrens verletzt (Art. 2 i.V.m. dem Rechtsstaatsprinzip; Art. 19 Abs. 4 GG), nicht durchgreift. Das Berufungsgericht hat die an die Wiedereinsetzungsvoraussetzungen zu stellenden Anforderungen – auch unter Berücksichtigung der aus Art. 103 Abs. 1 GG folgenden verfassungsrechtlichen Vorgaben (dazu Senat, BGHZ 151, 221, 227) – nicht überspannt. Insbesondere hat es den Zugang zur Rechtsmittelinstanz nicht in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigender Weise erschwert (zu diesen Kriterien vgl. nur BVerfGE 78, 88, 99; 84, 366, 369 f.; Senat, aaO, 227 f.; jeweils m.w.N.).
a) Die Erwägung des Berufungsgerichts, die nicht fristwahrende Einlegung der Berufung bei dem Landgericht Stralsund (vgl. Senat, Beschl. v. 10. Dezember 2009, V ZB 67/09, WuM 2010, 107 f.) beruhe auf verschuldeter Rechtsunkenntnis des Prozessbevollmächtigten der Beklagten, wird von der Rechtsbeschwerde nicht mit Gründen nach § 574 Abs. 2 ZPO (zu den Anforderungen Senat, Beschl. v. 25. März 2010, V ZB 159/09, Rdn. 5 m.w.N., juris) angegriffen. Sie ist davon abgesehen auch zutreffend. An den mit der Berufungseinlegung betrauten Rechtsanwalt sind mit Blick auf die Ermittlung des zuständigen Rechtsmittelgerichts hohe Sorgfaltsanforderungen zu stellen. Die Rechtsmittelzuständigkeit abzuklären, ist zuvörderst seine Aufgabe. Im Zeitpunkt der Berufungseinlegung war § 72 Abs. 2 GVG in der hier einschlägigen Fassung bereits über ein Jahr in Kraft. Das vor diesem Hintergrund ohne weiteres gegebene Verschulden ihres Prozessbevollmächtigten müssen sich die Beklagten zurechnen lassen (§ 85 Abs. 2 ZPO).
b) Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde liegt eine Überspannung der Wiedereinsetzungsanforderungen nicht in der Annahme des Berufungsgerichts, eine fristgerechte Weiterleitung der Berufung an das zuständige Rechtsmittelgericht habe im ordentlichen Geschäftsgang nicht erwartet werden können. Es könne daher nicht davon ausgegangen werden, dass sich das Verschulden des Prozessbevollmächtigten nicht mehr auf die Fristversäumung ausgewirkt habe.
aa) Anders als in Fällen, in denen fristgebundene Rechtsmittelschriftsätze irrtümlich bei dem im vorangegangenen Rechtszug mit der Sache bereits befassten Gericht eingereicht werden (vgl. dazu etwa Senat, Beschl. v. 28. Juni 2007, V ZB 187/06, MDR 2007, 1276, 1277 m.w.N.), besteht keine generelle Fürsorgepflicht des für die Rechtsmitteleinlegung unzuständigen Rechtsmittelgerichts, durch Hinweise oder andere geeignete Maßnahmen eine Fristversäumung des Rechtsmittelführers zu verhindern (vgl. nur BGH, Beschl. v. 15. Juni 2004, VI ZB 75/03, NJW-RR 2004, 1655, 1656; Beschl. v. 18. März 2008, VIII ZB 4/06, NJW 2008, 1890, 1891; jeweils m.w.N.). Die Abgrenzung dessen, was im Rahmen einer fairen Verfahrensgestaltung an richterlicher Fürsorge von Verfassungs wegen geboten ist, kann sich nicht nur am Interesse der Rechtsuchenden an einer möglichst weitgehenden Verfahrenserleichterung orientieren, sondern muss auch berücksichtigen, dass die Justiz im Interesse ihrer Funktionsfähigkeit vor zusätzlicher Belastung geschützt werden muss. Einer Partei und ihrem Prozessbevollmächtigten muss die Verantwortung für die Ermittlung des richtigen Adressaten fristgebundener Verfahrenserklärungen nicht allgemein abgenommen und auf unzuständige Gerichte verlagert werden (vgl. BVerfGE 93, 99, 114; BVerfG NJW 2001, 1343; 2006, 1579; BGH, Beschl. v. 5. Oktober 2005, VIII ZB 125/04, NJW 2005, 3776, 3777; Beschl. v. 18. März 2008, aaO, 1891).
bb) Etwas anders gilt allerdings dann, wenn die Unzuständigkeit des angerufenen Gerichts „ohne weiteres“ bzw. „leicht und einwandfrei“ zu erkennen war und die nicht rechtzeitige Aufdeckung der nicht gegebenen Zuständigkeit auf einem offenkundig nachlässigen Fehlverhalten des angerufenen Gerichts beruht (vgl. BVerfG NJW 2002, 3692, 3693; 2006, 1579). In diesen Fällen stellt es für die Funktionsfähigkeit des angerufenen Gerichts keine nennenswerte Belastung dar, einen fehlgeleiteten Schriftsatz im Rahmen des üblichen Geschäftsgangs an das zuständige Gericht weiterzuleiten. Geschieht dies nicht, geht die nachfolgende Fristversäumnis nicht zu Lasten des Rechtsuchenden (BVerfG NJW 2006, 1579); das Verschulden des Prozessbevollmächtigten wirkt sich dann nicht mehr aus (vgl. nur BGH, Beschl. v. 5. Oktober 2005, aaO, NJW 2005, 3776, 3777 m.w.N.). Ein solcher Fall liegt hier jedoch nicht vor.
(1) Anders als der Prozessbevollmächtigte der Beklagten bei der Einlegung der Berufung musste der Vorsitzende der Berufungszivilkammer nicht schon nach Vorlage der Akten mit aller Sorgfalt ermitteln, welches Gericht für die Berufung zuständig war. Das Rechtsmittel war ausdrücklich an das - grundsätzlich für Rechtsmittel gegen Urteile des Amtsgerichts Wolgast zuständige - Landgericht Stralsund adressiert. Vor diesem Hintergrund stellt es jedenfalls kein offenkundig nachlässiges Fehlverhalten dar, wenn sich der Vorsitzende in diesem frühen Verfahrensstadium im Kern auf die gerichtsinterne Zuständigkeit konzentriert, er die Akten einer anderen Kammer zur Prüfung einer Übernahme zugeleitet und er die Beklagten nicht sofort auf diese Umstände hingewiesen hat. Dass der Vorsitzende erst nach dem Eingang der Prozessakten bei dem Berufungsgericht tätig geworden ist, rechtfertigt keine andere Beurteilung. Diese Vorgehensweise ist zumindest gut vertretbar. Da die Zuständigkeit in vielen Fällen frühestens nach Eingang der Prozessakten beurteilt werden kann – oftmals lässt sich Klarheit hierüber sogar erst nach Eingang der Rechtsmittelbegründung gewinnen –, vermeidet das gewählte Verfahren im Regelfall, dass die Akten zur Prüfung formeller Verfahrensfragen in wenig prozessökonomischer Weise mehrfach vorgelegt und bearbeitet werden müssen.
(2) Nicht zu beanstanden ist, dass die Beschwerdezivilkammer, der die Akten am 11. November 2008 zugeleitet worden sind, die Zuständigkeit nicht innerhalb der jedenfalls am 14. November 2008 ablaufenden Berufungsfrist geprüft hat. Zu einer vorrangigen und beschleunigten Befassung mit der Sache bestand keine Veranlassung. Jedenfalls liegt auch insofern kein offenkundig nachlässiges Fehlverhalten des Landgerichts Stralsund vor. Beschleunigte Hinweise an die Beklagten nach Ablauf des 14. November 2008 hätten an der Versäumung der Berufungsfrist nichts mehr ändern können.
cc) Nach allem kommt es nicht mehr darauf an, ob die beantragte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand auch daran scheitert, dass den Beklagten das angefochtene Urteil jedenfalls nach ihren eigenen Angaben in der Berufungsschrift bereits am 2. Oktober 2008 zugestellt worden ist.
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
Krüger Klein Stresemann
Czub Roth