Entscheidungsdatum: 09.10.2014
Gemäß § 71 Abs. 3 Nr. 1a und 1b AufenthG in der Fassung vom 22. November 2011 ist die Bundespolizei für Abschiebungen zuständig, sofern der unerlaubt eingereiste Ausländer im grenznahen Raum (innerhalb von 30 km Entfernung von der Grenze) aufgegriffen wird; eines unmittelbaren zeitlichen Zusammenhangs mit der unerlaubten Einreise bedarf es nicht mehr (Abgrenzung zu dem Senatsbeschluss vom 28. April 2011, V ZB 239/10, FGPrax 2011, 200).
Auf die Rechtsbeschwerde wird unter Zurückweisung des Rechtsmittels im Übrigen festgestellt, dass der Beschluss des Amtsgerichts Eisenhüttenstadt vom 18. Juli 2013 den Betroffenen bis zum Ablauf des 15. August 2013 in seinen Rechten verletzt hat.
Die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Auslagen des Betroffenen in allen Instanzen werden der Bundesrepublik Deutschland zu 2/3 auferlegt. Im Übrigen findet eine Auslagenerstattung nicht statt. Gerichtskosten werden in allen Instanzen nicht erhoben.
Der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens beträgt 5.000 €.
I.
Der Betroffene, ein georgischer Staatsangehöriger, wurde am 10. Juli 2013 am Bahnhof Frankfurt/Oder festgenommen und äußerte ein Asylbegehren. Über einen Pass oder einen Aufenthaltstitel verfügte er nicht. Mit Beschluss vom 11. Juli 2013 ordnete das Amtsgericht Frankfurt/Oder zunächst Sicherungshaft bis zum 18. Juli 2013 an. Am gleichen Tag ging das Asylgesuch des Betroffenen bei dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) ein. Der Betroffene wurde in Eisenhüttenstadt inhaftiert. Mit Bescheid vom 31. Juli 2013 lehnte das BAMF den Asylantrag als offensichtlich unbegründet ab.
Auf Antrag der beteiligten Behörde, der Bundespolizeidirektion Berlin, hat das Amtsgericht Eisenhüttenstadt mit Beschluss vom 18. Juli 2013 Haft bis zum 19. September 2013 angeordnet. Die Beschwerde des Betroffenen hat das Landgericht Frankfurt (Oder) nach dessen Anhörung durch Beschluss vom 15. August 2013 zurückgewiesen. Dagegen wendet sich der Betroffene mit der Rechtsbeschwerde, mit der er nach der am 29. August 2013 erfolgten Abschiebung die Rechtswidrigkeit der Haftanordnung feststellen lassen will. Die beteiligte Behörde beantragt die Zurückweisung der Rechtsbeschwerde.
II.
Das Beschwerdegericht meint, die Bundespolizei sei sachlich und örtlich für die Beantragung der Sicherungshaft zuständig gewesen. Dies ergebe sich aus der anwendbaren neuen Fassung des § 71 Abs. 3 Nr. 1a AufenthG. Der Betroffene sei im grenznahen Raum angetroffen worden; eine zeitliche Beschränkung enthalte die Vorschrift nicht mehr. Die Zuständigkeit des Amtsgerichts Eisenhüttenstadt ergebe sich aus § 416 Satz 2 FamFG. Der Haftantrag sei zulässig. Der Betroffene sei aufgrund des Asylbescheids vom 31. Juli 2013 vollziehbar ausreisepflichtig; dieser stelle zugleich die erforderliche Rückkehrentscheidung dar. Der Haftgrund des § 62 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 AufenthG sei gegeben und das Beschleunigungsgebot sei eingehalten worden.
III.
Die Rechtsbeschwerde ist zulässig. Entgegen der Auffassung der beteiligten Behörde hängt die Rechtsmittelbefugnis des Betroffenen nicht von der Angabe zutreffender Personalien ab. In der Sache hat das Rechtsmittel teilweise Erfolg.
1. Die Haftanordnung des Amtsgerichts war schon deshalb rechtswidrig, weil der Haftantrag unzulässig war.
a) Das Vorliegen eines zulässigen Haftantrags ist eine in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen zu prüfende Verfahrensvoraussetzung. Zulässig ist der Haftantrag der beteiligten Behörde nur, wenn er den gesetzlichen Anforderungen an die Begründung entspricht. Erforderlich sind Darlegungen zu der zweifelsfreien Ausreisepflicht, zu den Abschiebungsvoraussetzungen, zu der Erforderlichkeit der Haft, zu der Durchführbarkeit der Abschiebung und zu der notwendigen Haftdauer (§ 417 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 bis 5 FamFG). Zwar dürfen die Ausführungen zur Begründung des Haftantrags knapp gehalten sein, sie müssen aber die für die richterliche Prüfung des Falls wesentlichen Punkte ansprechen. Fehlt es daran, darf die beantragte Sicherungshaft nicht angeordnet werden (st. Rspr., Senat, Beschlüsse vom 10. Mai 2012 - V ZB 246/11, InfAuslR 2012, 328 ff. Rn. 10; vom 6. Dezember 2012 - V ZB 118/12, juris; vom 31. Januar 2013 - V ZB 20/12, FGPrax 2013, 130 f., jeweils mwN).
b) Zu den gemäß § 417 Abs. 2 Satz 2 Nr. 5 FamFG darzulegenden Abschiebungsvoraussetzungen gehört die nach § 59 AufenthG erforderliche Abschiebungsandrohung. Fehlt es an einer für die Vollstreckung der Abschiebung notwendigen Voraussetzung, darf auch eine kraft Gesetzes (§ 58 Abs. 2 Satz 1 AufenthG) vollziehbare Ausreisepflicht nicht ohne weiteres durchgesetzt werden. Eine bestehende Fluchtgefahr berechtigt die Behörde zwar dazu, von einer Fristsetzung für die freiwillige Ausreise abzusehen (§ 59 Abs. 1 Satz 2 AufenthG), macht die Abschiebungsandrohung aber nicht entbehrlich. Der Haftantrag muss daher entweder Ausführungen zu einer Abschiebungsandrohung enthalten oder dazu, dass es einer solchen ausnahmsweise nicht bedurfte (z.B. nach § 59 Abs. 1 Satz 3 AufenthG oder nach § 34a Abs. 1 Satz 3 AsylVfG; eingehend zum Ganzen Senat, Beschluss vom 16. Mai 2013 - V ZB 44/12, InfAuslR 2013, 349 Rn. 9 ff. mwN).
c) Solche Angaben fehlten in dem Haftantrag. Auch in der Sache gehen das Beschwerdegericht - ebenso wie die Vertreterin der beteiligten Behörde in der Anhörung vor dem Beschwerdegericht - davon aus, dass der Betroffene bei Anordnung der Haft nicht vollziehbar ausreisepflichtig und Georgien nach dem bilateralen Abkommen zur Rückübernahme nicht verpflichtet war. Erst der ablehnende Bescheid des BAMF vom 31. Juli 2013 enthielt nach den Feststellungen des Beschwerdegerichts die erforderliche Abschiebungsandrohung.
2. Der Mangel der Haftanordnung ist jedoch im Beschwerdeverfahren geheilt worden.
a) Das Landgericht hat nach ergänzender Stellungnahme der beteiligten Behörde und Erörterung mit den Beteiligten im Rahmen der Anhörung selbst Feststellungen zu der Durchführbarkeit der Abschiebung getroffen. Hierdurch ist der Mangel in der Begründung des Haftantrags behoben worden (vgl. Senat, Beschluss vom 16. Juli 2014 - V ZB 80/13 Rn. 24, juris). Auch der Sache nach war der Betroffene im Zeitpunkt der Beschwerdeentscheidung vollziehbar ausreisepflichtig.
b) Zutreffend geht das Beschwerdegericht ferner von der Zuständigkeit der Bundespolizei aus.
aa) Allerdings hat der Senat für die Zuständigkeitsvorschrift des § 71 Abs. 3 Nr. 1 AufenthG in der bis zum 25. November 2011 geltenden Fassung angenommen, dass eine die Zuständigkeit der Bundespolizei begründende Grenzmaßnahme nur vorlag, wenn ein Ausländer in grenznahem Gebiet in unmittelbarem zeitlichem Zusammenhang mit seiner unerlaubten Einreise angetroffen wurde (Senat, Beschluss vom 28. April 2011 - V ZB 239/10, FGPrax 2011, 200). Dies ist jedoch seit der Neufassung des § 71 Abs. 3 AufenthG vom 22. November 2011 überholt, die mit Wirkung zum 26. November 2011 in Kraft getreten ist (BGBl. I 2258).
bb) Gemäß § 71 Abs. 3 Nr. 1a AufenthG ist die Bundespolizei seither für Abschiebungen an der Grenze zuständig, sofern der Ausländer „bei oder nach“ der unerlaubten Einreise über eine Binnengrenze aufgegriffen wird. Dass das Erfordernis eines unmittelbaren zeitlichen Zusammenhangs mit der unerlaubten Einreise nicht mehr besteht, bestätigt zudem die Regelung des § 71 Abs. 3 Nr. 1b AufenthG, wonach es sogar ausreicht, wenn sich der unerlaubt eingereiste Ausländer fortbewegt und in einem anderen Grenzraum aufgegriffen wird (vgl. GK-AufenthG/Gutmann [2012] § 71 Rn. 137). Entgegen der Ansicht der Rechtsbeschwerde ergibt sich nichts anderes aus der Gesetzesbegründung. Zwar ist dort ausgeführt, dass die Zuständigkeit der Bundespolizei unverändert bleiben sollte (BT-Drucks. 17/5470, S. 25 f.); der Gesetzgeber hat die Änderung aber offenbar als Klarstellung verstanden.
cc) Danach reichte es für die Begründung der Zuständigkeit aus, dass der Betroffene unerlaubt eingereist war und im grenznahen Raum aufgegriffen wurde (also innerhalb von 30 km Entfernung von der Grenze, vgl. Senat, Beschluss vom 28. April 2011 - V ZB 239/10, FGPrax 2011, 200 Rn. 7). Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde war die Bundespolizei auch für die Beantragung der Haft (weiter) zuständig. Dies ergibt sich aus § 71 Abs. 3 Nr. 1e AufenthG. Dass zwischen dem Aufgreifen und dem Haftantrag mehrere Tage lagen, ändert nichts daran, dass eine Abschiebung an der Grenze erfolgte; der Betroffene war bereits zuvor auf Antrag der Bundespolizei inhaftiert worden.
c) Die örtliche Zuständigkeit des Amtsgerichts Eisenhüttenstadt hat der Senat nicht zu prüfen (§ 72 Abs. 2 FamFG; vgl. Senat, Beschluss vom 6. Mai 2010 - V ZB 193/09, InfAuslR 2010, 361 Rn. 16). Hinsichtlich der weiteren Rügen der Rechtsbeschwerde wird von einer Begründung abgesehen (§ 74 Abs. 7 FamFG).
IV.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 81 Abs. 1 Satz 1 und 2, § 83 Abs. 2, § 430 FamFG, Art. 5 Abs. 5 EMRK analog. Die Kostenquote trägt dem Umstand Rechnung, dass die Rechtsbeschwerde nur für einen Teil des beanstandeten Haftzeitraums Erfolg hat. Die Festsetzung des Beschwerdewerts folgt aus § 36 Abs. 2 und 3 GNotKG.
Stresemann Roth Brückner
Weinland Kazele