Entscheidungsdatum: 28.04.2011
Eine in die Zuständigkeit der Bundespolizei fallende Zurückschiebung an der Grenze ist nur gegeben, wenn der Ausländer in unmittelbarem zeitlichem Zusammenhang mit seiner unerlaubten Einreise im Grenzgebiet angetroffen wird .
Dem Betroffenen wird Verfahrenskostenhilfe für die Begründung der Rechtsbeschwerde bewilligt und Rechtsanwalt Dr. Baukelmann beigeordnet.
Dem Betroffenen wird Wiedereinsetzung gegen die Versäumung der Frist zur Einlegung und zur Begründung der Rechtsbeschwerde gewährt.
Auf die Rechtsbeschwerde wird festgestellt, dass der Beschluss der 5. Zivilkammer des Landgerichts Frankfurt/Oder vom 22. April 2010 und der Beschluss des Amtsgerichts Eisenhüttenstadt vom 11. März 2010 den Betroffenen in seinen Rechten verletzt haben.
Gerichtskosten werden nicht erhoben. Die notwendigen Auslagen des Betroffenen werden der Bundesrepublik Deutschland auferlegt.
Der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens beträgt 3.000 €.
I.
Der Betroffene reiste am 9. März 2010 auf dem Luftweg aus Kamerun über Frankreich in Berlin ein. Als er sich am Abend des nächsten Tages am Bahnhof von Eisenhüttenstadt hilfesuchend an Beamte der Bundespolizei (Beteiligte zu 2) wandte, wurde er festgenommen. Die Beteiligte zu 2 verfügte seine Zurückschiebung nach Kamerun.
In dem von der Beteiligten zu 2 gestellten Antrag auf Anordnung der Haft zur Sicherung der Zurückschiebung heißt es, der Betroffene sei einem Regionalexpress aus Berlin kommend am 10. März 2010 um 18:18 Uhr in Eisenhüttenstadt eingetroffen mit der Absicht, sich in die Zentrale Ausländerbehörde des Landes Brandenburg in Eisenhüttenstadt zu begeben.
Das Amtsgericht hat am 11. März 2010 die Haft zur Sicherung der Zurückschiebung bis längstens 10. Juni 2010 angeordnet. Die dagegen gerichtete Beschwerde des Betroffenen ist ohne Erfolg geblieben. Mit der Rechtsbeschwerde will der zwischenzeitlich aus der Haft entlassene Betroffene die Feststellung erreichen, dass die Haftanordnung und die Beschwerdeentscheidung ihn in seinen Rechten verletzt haben.
II.
Das Beschwerdegericht hält den Betroffenen für vollziehbar ausreisepflichtig, den Haftgrund des § 62 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 AufenthG für gegeben und eine Rückführung des Betroffenen nach Kamerun bis zum 10. Juni 2010 für nicht ausgeschlossen. Eine Aufenthaltsgestattung habe der Betroffene auch nicht durch den aus der Haft heraus gestellten Asylantrag erlangt, da der Antrag von dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge am 19. April 2010 als offensichtlich unbegründet abgelehnt worden sei.
III.
Die auch nach der Haftentlassung des Betroffenen zulässige Rechtsbeschwerde (vgl. Senat, Beschluss vom 29. April 2010 - V ZB 218/09, FGPrax 2010, 210 Rn. 9; Beschluss vom 17. Juni 2010 - V ZB 13/10, Rn. 7, juris) ist begründet.
Die Haftanordnung des Amtsgerichts und die Entscheidung des Beschwerdegerichts verletzen den Betroffenen in seinen Rechten. Die Beteiligte zu 2 war für die Beantragung von Sicherungshaft nicht zuständig. Damit fehlt es an einer rechtmäßigen Haftanordnung. Eine solche setzt nach § 417 Abs. 1 FamFG einen ordnungsgemäßen Antrag durch die zuständige Behörde voraus. Das Vorliegen eines wirksamen Haftantrags ist in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen zu prüfen (Senat, Beschluss vom 18. März 2010 - V ZB 194/09, FGPrax 2010, 156 Rn. 11). Darauf, ob die Sicherungshaft materiell zu Recht angeordnet worden ist, kommt es nicht an. Denn nach Art. 104 Abs. 1 Satz 1 GG darf die in Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG gewährleistete Freiheit der Person nur aufgrund eines förmlichen Gesetzes und nur unter Beachtung der darin vorgeschriebenen Formen beschränkt werden (BVerfG, NVwZ-RR 2009, 304 Rn. 10 f. [zu § 3 u. § 11 FrEntzG]).
Eine Zuständigkeit der Beteiligten zu 2 zur Beantragung von Sicherungshaft ergab sich nicht aus der Vorschrift des § 71 Abs. 3 Nr. 1 AufenthG, nach der die Bundespolizei u.a. für Zurückschiebungen an der Grenze und in diesem Zusammenhang auch für die Beantragung von Sicherungshaft zuständig ist. Eine generelle Zuständigkeit der Bundespolizei für die Zurückschiebung von unerlaubt eingereisten Ausländern, die sich im Grenzgebiet aufhalten, wird hierdurch nicht begründet. Die räumliche Beschränkung ("an der Grenze") stellt vielmehr klar, dass eine Zuständigkeit der Bundespolizei nur für Grenzschutzmaßnahmen begründet worden ist. Dabei ist das Grenzgebiet zwar entsprechend § 2 Abs. 2 Nr. 3 BPolG zu bestimmen, umfasst also auch den grenznahen Raum bis zu einer Tiefe von 30 Kilometern (vgl. GK-AufenthG/Gutmann, Stand März 2011, § 71 Rn. 136). Eine Grenzmaßnahme ist aber nur gegeben, wenn ein Ausländer in diesem Gebiet in unmittelbarem zeitlichem Zusammenhang mit seiner unerlaubten Einreise angetroffen wird (vgl. Hailbronner, Ausländerrecht, Stand Juni 2010, § 57 AufenthG Rn. 30; GK-AufenthG/Gutmann, aaO, Rn. 137; Westphal/Stoppa, Ausländerrecht für die Polizei, 3. Aufl., S. 557; Brückl/Peißl, BayVBl 1993, 245; unzutreffend daher: OLG Brandenburg, Beschluss vom 11. Mai 2009 - 11 Wx 12/09 Rn. 12, juris). Fehlt dieser Zusammenhang, ist für die Zurückschiebung von Ausländern, die im Grenzgebiet aufgegriffen werden, und für eine damit verbundene Beantragung von Sicherungshaft die Ausländerbehörde sachlich zuständig (§ 71 Abs. 1 AufenthG).
Soweit sich etwas anderes aus Nr. 71.3.1.2.2 der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zum Aufenthaltsgesetz vom 26. Oktober 2009 (GMBl 2009, 878, 1200) ergibt - danach ist die Grenzbehörde auch zuständig für die Zurückschiebung von Ausländern, die in das Bundesgebiet bereits eingereist sind, sich danach weiter fortbewegen und in einem anderen Grenzraum angetroffen werden - ist dies wegen des Vorrangs des Gesetzes unbeachtlich. Die durch Gesetz festgelegte Kompetenz einer Behörde kann durch eine allgemeine Verwaltungsvorschrift nicht erweitert werden.
Der notwendige unmittelbare Zusammenhang zwischen dem Grenzübertritt des Betroffenen und dessen Ergreifen durch die Bundespolizei fehlte hier. Der Aufenthalt des Betroffenen an der deutsch-polnischen Grenze in Eisenhüttenstadt war nicht auf eine unerlaubte Einreise in dieses Gebiet zurückzuführen, sondern beruhte darauf, dass sich die Ausländerbehörde, die er - nach seiner Einreise über einen Berliner Flughafen am Vortag - aufsuchen wollte, in einer grenznah gelegenen Stadt befindet. Das reicht zur Begründung der Zuständigkeit der Beteiligten zu 2 nicht aus.
IV.
Die Entscheidung über die Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe folgt aus § 76 Abs. 1 FamFG, § 114 Satz 1 ZPO, § 78 Abs. 1 FamFG. Die Kostenentscheidung beruht auf § 81 Abs. 1 Satz 1 und 2, § 83 Abs. 2 FamFG, § 128c Abs. 3 Satz 2 KostO.
Krüger Lemke Schmidt-Räntsch
Stresemann Czub