Entscheidungsdatum: 18.07.2013
In vor dem 1. Dezember 2001 eröffneten Insolvenzverfahren ist zwölf Jahre nach Insolvenzeröffnung über den Antrag auf Restschuldbefreiung zu entscheiden.
Auf die Rechtsbeschwerde des Schuldners wird der Beschluss der 2. Zivilkammer des Landgerichts Regensburg vom 15. Januar 2013 aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Landgericht zurückverwiesen.
Der Wert des Rechtsbeschwerdeverfahrens wird auf 5.000 € festgesetzt.
I.
Am 18. Februar 1999 stellte der Schuldner den Antrag, über sein Vermögen das Insolvenzverfahren zu eröffnen und ihm Restschuldbefreiung zu gewähren. Das Insolvenzgericht eröffnete durch Beschluss vom 4. März 1999 das Insolvenzverfahren und bestellte den weiteren Beteiligten zum Insolvenzverwalter. Das Insolvenzverfahren dauert noch an.
Im Oktober 2010 hat der Schuldner beantragt, ihm vorzeitig die Restschuldbefreiung zu erteilen. Diesen Antrag hat das Insolvenzgericht abgelehnt. Auf die sofortige Beschwerde des Schuldners hat das Landgericht den Beschluss des Insolvenzgerichts aufgehoben und weitere Ermittlungen eingefordert. Nach deren Durchführung hat das Insolvenzgericht durch Beschluss vom 17. November 2011 den schuldnerischen Antrag erneut abgelehnt. Auch gegen diesen Beschluss hat der Schuldner sofortige Beschwerde eingelegt. Das Landgericht hat das Rechtsmittel am 15. Januar 2013 durch den Einzelrichter zurückgewiesen und die Rechtsbeschwerde zugelassen.
II.
Die Rechtsbeschwerde ist nach § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 ZPO, §§ 6, 300 Abs. 3 Satz 2 analog InsO statthaft, weil sie vom Landgericht zugelassen worden ist (§ 574 Abs. 3 ZPO). Sie ist auch im Übrigen (§ 575 Abs. 1 bis 3 ZPO) zulässig. Sie führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das Beschwerdegericht.
1. Entscheidet der originäre Einzelrichter - wie hier - in einer Sache, der er rechtsgrundsätzliche Bedeutung beimisst, über die Beschwerde und lässt er die Rechtsbeschwerde zu, so ist die Zulassung wirksam. Auf die Rechtsbeschwerde unterliegt die Entscheidung jedoch wegen fehlerhafter Besetzung des Beschwerdegerichts der Aufhebung von Amts wegen, weil der Einzelrichter in Rechtssachen, denen er grundsätzliche Bedeutung beimisst, zwingend das Verfahren an das Kollegium zu übertragen hat (§ 4 InsO, § 568 ZPO). Bejaht er mit der Zulassungsentscheidung zugleich die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache, ist seine Entscheidung objektiv willkürlich und verstößt gegen das Verfassungsgebot des gesetzlichen Richters nach Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG (BGH, Beschluss vom 13. März 2003 - IX ZB 134/02, BGHZ 154, 200, 201 ff; vom 22. November 2011 - VIII ZB 81/11, NJW-RR 2012, 125 Rn. 8 f; vom 28. Juni 2012 - IX ZB 298/11, ZInsO 2012, 1439 Rn. 3; vom 25. Oktober 2012 - IX ZB 263/11, WM 2013, 272 Rn. 5).
Schon deswegen war die angefochtene Entscheidung aufzuheben und die Sache an die Vorinstanz zurückzuverweisen.
2. Die angefochtene Entscheidung ist auch im Ergebnis nicht richtig.
a) Das Beschwerdegericht hat ausgeführt: Da das Insolvenzverfahren vor dem 1. Dezember 2001 eröffnet worden sei, seien nach Art. 103a EGInsO die Vorschriften des Insolvenzrechtsänderungsgesetztes 2001 nicht anzuwenden. Die Wohlverhaltensperiode beginne vielmehr erst mit der Aufhebung des Insolvenzverfahrens, zu der es noch nicht gekommen sei, und dauere sieben Jahre. Auch bei einer grob nachlässigen Behandlung des Insolvenzverfahrens wie der hier behaupteten zögerlichen Verfahrensbetreibung durch den Insolvenzverwalter habe der Schuldner keinen gesetzlichen Anspruch auf eine vorzeitige Erteilung der Restschuldbefreiung.
b) Diese Ausführungen halten einer rechtlichen Nachprüfung nicht stand.
aa) Allerdings trifft der Ausgangspunkt des Beschwerdegerichts zu. Da das Insolvenzverfahren vor dem 1. Dezember 2001 eröffnet worden ist, findet nach dem Wortlaut der Übergangsregelung des Art. 103a EGInsO im Grundsatz § 287 Abs. 2 InsO in der Fassung vom 5. Oktober 1994 Anwendung, wonach der Schuldner seine pfändbaren Forderungen auf Bezüge aus einem Dienstverhältnis oder an deren Stelle tretende laufende Bezüge für die Zeit von sieben Jahren nach der Aufhebung des Insolvenzverfahrens an einen vom Gericht zu bestimmenden Treuhänder abzutreten hat, und nicht § 287 Abs. 2 InsO in der Fassung vom 26. Oktober 2001, wonach die Abtretung für die Zeit von sechs Jahren nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens erfolgt.
Der Gesetzgeber hat mit der Neufassung des § 287 Abs. 2 InsO eine Verkürzung der bisherigen langen Verfahrensdauer angeordnet, ohne die neue Regelung auf die Altfälle zu erstrecken. Der Senat ist in ständiger Rechtsprechung von der Wirksamkeit des Art. 103a EGInsO ausgegangen (vgl. BGH, Beschluss vom 23. Juli 2004 - IX ZA 9/04, NZI 2004, 635; vom 17. Februar 2005 - IX ZB 237/04, nv; vom 30. März 2006 - IX ZB 255/05, nv Rn. 4; vom 11. Oktober 2007 - IX ZB 72/06, NZI 2008, 49 Rn. 8). Hierbei hat er eine Verkürzung der gesetzlich vorgesehenen Laufzeit im Wege richterlicher Rechtsfortbildung abgelehnt. Denn der Schuldner musste sich bei Eröffnung des Insolvenzverfahrens darauf einrichten, dass die Wohlverhaltensphase erst mit der Verfahrensbeendigung beginnen und sieben Jahre betragen würde. Erwartungen des Schuldners sind somit nicht enttäuscht worden. Es ist Gesetzesänderungen mit stichtagsbezogenen Übergangsregelungen immanent, dass vergleichbare Fälle aufgrund eines von dem Betroffenen oft nicht beeinflussbaren zeitlichen Moments unterschiedlich behandelt werden müssen. Dies stellt keine willkürliche Ungleichbehandlung dar (BGH, Beschluss vom 11. Oktober 2007, aaO). Allerdings hat sich der Senat vorbehalten, diese Frage einer Überprüfung zu unterziehen (BGH, Beschluss vom 30. September 2010 - IX ZA 35/10, NZI 2011, 25 Rn. 3).
bb) Nach der Rechtsprechung des Senats ist in den Verfahren, die nach dem 30. November 2001 eröffnet worden sind, so dass die Laufzeit der Abtretungserklärung mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens beginnt, gemäß § 300 Abs. 1 InsO nach Ablauf von sechs Jahren nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens über den Antrag auf Restschuldbefreiung zu entscheiden, auch wenn das Insolvenzverfahren noch nicht abschlussreif ist (BGH, Beschluss vom 3. Dezember 2009 - IX ZB 247/08, BGHZ 183, 258 Rn. 14, 20, 28; vom 16. Februar 2012 - IX ZB 209/11, NZI 2012, 330 Rn. 7; vom 11. Oktober 2012 - IX ZB 230/09, NZI 2012, 892 Rn. 8; vom 11. April 2013 - IX ZB 94/12, NZI 2013, 601 Rn. 5). Die Erwägung des Beschwerdegerichts, dass in diesen Fällen dem Schuldner die Restschuldbefreiung erteilt wird, ohne dass er verpflichtet gewesen wäre, einer Erwerbstätigkeit zugunsten der Gläubiger nachzugehen, spricht nicht durchschlagend gegen diesen Weg; vielmehr ist der Gesetzgeber aufgerufen, die Erwerbsobliegenheit für alle Schuldner im eröffneten Verfahren zu regeln, wenn er dies für notwendig erachtet (vgl. § 287b InsO in der Fassung der Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses des Bundestags zum Gesetz zur Verkürzung des Restschuldbefreiungsverfahrens und zur Stärkung der Gläubigerrechte vom 15. Mai 2013, BT-Drucks. 17/13535).
cc) Inzwischen finden sich Stimmen, die Art. 103a EGInsO verfassungskonform dahin auslegen, dass auch in vor dem 1. Dezember 2001 eröffneten Altverfahren in entsprechender Anwendung von § 300 InsO dem Schuldner vorzeitig die Restschuldbefreiung erteilt werden muss. Zur Begründung wird angeführt, eine mehr als zehnjährige Dauer eines eröffneten Verfahrens einer natürlichen Person habe außerhalb des Erwartungshorizonts des Gesetzgebers gelegen. Erst seit dem Jahr 2008 sei die Problematik überlanger Insolvenzverfahren im Zusammenhang mit der Erteilung der Restschuldbefreiung erörtert und durch die Rechtsprechung des Senats, beginnend durch den Beschluss vom 3. Dezember 2009 (aaO), zugunsten der Schuldner entschieden worden. Unter Berücksichtigung der bei Änderung der Insolvenzordnung zum 1. Dezember 2001 angestellten Überlegungen sei zwischenzeitlich eine Situation eingetreten, in der eine sachlich nicht gerechtfertigte Ungleichbehandlung der Schuldner von Altverfahren im Vergleich zu Schuldnern, deren Insolvenzverfahren nach dem 30. November 2001 eröffnet worden seien, auch unter Berücksichtigung des dem Gesetzgeber zustehenden Beurteilungs- und Prognosespielraums vorliege (AG Göttingen, ZInsO 2012, 1330). In einem ähnlichen Sinn wird vertreten, es sei eine willkürliche Ungleichbehandlung erreicht, wenn das vorgeschaltete Insolvenzverfahren, an das sich nach früherer Rechtslage noch ein siebenjähriges Restschuldbefreiungsverfahren anschließe, mehr als eineinhalb Mal so lang sei wie das gegenwärtige Restschuldbefreiungsverfahren und alle Verfahren zusammen, vom Eröffnungsantrag bis zum Ende der Rückzahlungsfrist für die gestundeten Kosten, mindestens den dreifachen Zeitraum der Abtretungsfrist dauerten (FK-InsO/Ahrens, 7. Aufl., § 300 Rn. 30).
Nach anderer Ansicht scheidet eine Verkürzung der gesetzlich vorgesehenen Laufzeit bei den Altfällen im Wege richterlicher Rechtsfortbildung angesichts des eindeutigen Wortlauts der Übergangsregelung, deren Verfassungsmäßigkeit nicht zu bezweifeln sei, aus (D. Fischer in Ahrens/Gehrlein/Ringstmeier, InsO, § 287 Rn. 34; Sternal, NZI 2013, 417, 422).
dd) Der Senat hält es fast 12 Jahre nach Einführung des Insolvenzrechtsänderungsgesetzes 2001 für geboten, die Schuldner, über deren Vermögen vor dem 1. Dezember 2001 das Insolvenzverfahren eröffnet worden ist, unabhängig vom Verfahrensstand vorzeitig in den Genuss der Restschuldbefreiung kommen zu lassen. Art. 103a EGInsO ist im Hinblick auf Art. 3 Abs. 1 GG verfassungskonform dahin auszulegen, dass diesen Schuldnern 12 Jahre nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens gemäß § 300 InsO in entsprechender Anwendung der oben zitierten Rechtsprechung (BGH, Beschluss vom 3. Dezember 2009 - IX ZB 247/08, BGHZ 183, 258 Rn. 14, 20, 28; vom 16. Februar 2012 - IX ZB 209/11, NZI 2012, 330 Rn. 7; vom 11. Oktober 2012 - IX ZB 230/09, NZI 2012, 892 Rn. 8; vom 11. April 2013 - IX ZB 94/12, NZI 2013, 601 Rn. 5) die Restschuldbefreiung zu erteilen ist, unabhängig davon, ob das vor dem 1. Dezember 2001 eröffnete Insolvenzverfahren noch läuft oder der Schuldner sich zwischenzeitlich in der Wohlverhaltensperiode befindet. Diese Voraussetzungen sind vorliegend gegeben, weil das Insolvenzverfahren über das Vermögen des Schuldners am 4. März 1999 eröffnet worden ist.
(1) Für den Gesetzgeber lag es außerhalb jeder Vorstellung, dass ein Insolvenzverfahren sich - wie vorliegend - über vierzehn Jahre hinziehen kann. Die Änderung des § 287 Abs. 2 InsO wurde 2001 erst durch den Rechtsausschuss des Bundestages vorgeschlagen. Erklärtes Ziel war die Verkürzung der Wohlverhaltensperiode, weil ein durchschnittlicher Schuldner nicht in der Lage sei, über einen so erheblichen Zeitraum sein Leben an den Pfändungsfreigrenzen auszurichten. Mit der Festlegung des Beginns der Laufzeit der Abtretung auf die Verfahrenseröffnung sollte die für den Schuldner unbefriedigende Situation beseitigt werden, dass sich in Einzelfällen das Insolvenzverfahren über einen Zeitraum von "zwei" Jahren erstreckte, ohne dass nennenswerte Vermögenswerte des Schuldners feststellbar wären oder er für diese Verfahrensverzögerung verantwortlich wäre. Auch unter Gleichbehandlungsgesichtspunkten sei es kaum vermittelbar, wenn in ähnlich gelagerten Fällen ein Schuldner deutlich später in das Restschuldbefreiungsverfahren gelange als ein vergleichbarer anderer. Insofern sei es geboten, die Laufzeit der Abtretung mit einem Ereignis beginnen zu lassen, das einerseits leicht feststellbar, andererseits von der Dauer des Insolvenzverfahrens, die teilweise auch durch die Gerichtsbelastung beeinflusst werde, unabhängig sei (BT-Drucks. 14/6468 S. 8).
Danach sollte ein Schuldner spätestens nach neun Jahren die Restschuldbefreiung erreichen können. Vorliegend ist zwar im Herbst 2012 der Schlusstermin abgehalten und dem Schuldner die Restschuldbefreiung angekündigt worden. Das Insolvenzverfahren ist jedoch bislang nicht aufgehoben oder eingestellt worden, lief also zum Zeitpunkt der angefochtenen Entscheidung bereits über 13 Jahre. Für die Verfahrensverzögerungen war nach den Feststellungen des Beschwerdegerichts jedenfalls nicht der Schuldner verantwortlich. Das hat zur Folge, dass unter Anwendung des alten Rechts der Schuldner Restschuldbefreiung frühestens im Juli 2020 erlangen könnte, mithin mehr als 21 Jahre nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens.
(2) Der Senat hat schon im Beschluss vom 30. September 2010 (IX ZA 35/10, NZI 2011, 25 Rn. 3) auf die bedenklichen Auswirkungen einer überlangen Dauer des Insolvenzverfahrens auf die Restschuldbefreiung in Altverfahren hingewiesen und sich ausdrücklich vorbehalten, seine die wörtliche Auslegung der Übergangsbestimmung bestätigende Auffassung künftig einer Überprüfung zu unterziehen. Nachdem seit dieser Entscheidung weitere zwei Jahre verstrichen sind, hält er nunmehr unter den eingangs genannten Voraussetzungen eine willkürliche Ungleichbehandlung der Schuldner der Altverfahren zu den Schuldnern der erst ab 1. Dezember 2001 eingeleiteten Insolvenzverfahren erreicht, die dazu zwingt, die Überleitungsvorschrift in diesen Fällen verfassungskonform einschränkend auszulegen. Es kann unter Gleichbehandlungsgesichtspunkten fortan nicht mehr hingenommen werden, dass Schuldner in Altverfahren erst nach mehr als 12 Jahren die Restschuldbefreiung erreichen und über diese lange Zeit alles, was sie oberhalb der Pfändungsfreibeträge erwirtschaften, an den Insolvenzverwalter oder Treuhänder abgeben müssen. Daher ist einem Altschuldner fortan 12 Jahre nach Insolvenzeröffnung gemäß § 300 InsO nach Anhörung der Insolvenzgläubiger, des Insolvenzverwalters oder des Treuhänders und des Schuldners die Restschuldbefreiung zu erteilen, sofern - sollte das Insolvenzverfahren noch nicht aufgehoben oder eingestellt sein - ihm die Restschuldbefreiung nicht nach § 290 InsO oder - sollte er sich bereits in der Wohlverhaltensperiode befinden - nach §§ 295 ff InsO zu versagen ist.
Kayser Vill Pape
Grupp Möhring