Entscheidungsdatum: 25.10.2012
Für die Berechnung des pfändbaren Arbeitseinkommens ist Arbeitslosengeld II mit Arbeitseinkommen nicht zusammenzurechnen, wenn der Schuldner nur deshalb Arbeitslosengeld II erhält, weil sein Arbeitseinkommen bei anderen Personen berücksichtigt wird, die mit ihm in einer Bedarfsgemeinschaft leben.
Dem weiteren Beteiligten wird gegen die Versäumung der Frist zur Einlegung und Begründung der Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss der Zivilkammer 85 des Landgerichts Berlin vom 29. März 2011 Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt.
Auf die Rechtsbeschwerde des weiteren Beteiligten wird der vorbezeichnete Beschluss aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Beschwerdegericht zurückverwiesen.
Der Wert des Rechtsbeschwerdeverfahrens wird auf 1.500 € festgesetzt.
I.
Der Treuhänder erstrebt Zahlungen aus der Abtretung von pfändbaren Lohnanteilen des Schuldners in der Wohlverhaltensperiode. Der Schuldner bezog nach der Aufhebung des Insolvenzverfahrens ab dem 15. September 2009 aus einem Arbeitsverhältnis mit der Bundesagentur für Arbeit ein monatliches Nettoeinkommen von rund 1.400 €. Ergänzend erhielt er Arbeitslosengeld II in Höhe von monatlich 392,43 €, weil er zusammen mit seiner Lebensgefährtin, deren drei Kindern und einem gemeinsamen Kind in einer Bedarfsgemeinschaft gemäß § 7 Abs. 2 und 3 SGB II lebte.
Der Treuhänder hat beim Insolvenzgericht beantragt anzuordnen, dass die Arbeitseinkünfte des Schuldners mit den ergänzend bezogenen Sozialleistungen gemäß § 850e Nr. 2a ZPO zusammengerechnet werden und der pfändbare Anteil bei der Arbeitgeberin zu entnehmen ist. Das Insolvenzgericht hat den Antrag zurückgewiesen. Die sofortige Beschwerde des Treuhänders hat keinen Erfolg gehabt. Mit der vom Beschwerdegericht durch den Einzelrichter zugelassenen Rechtsbeschwerde verfolgt der Treuhänder sein Begehren weiter.
II.
Nach Bewilligung der beantragten Prozesskostenhilfe hat der weitere Beteiligte fristgerecht im Sinne von § 234 Abs. 1 Satz 1, 2 ZPO Wiedereinsetzung in den vorigen Stand in die versäumten Fristen zur Einlegung und Begründung der Rechtsbeschwerde nach § 575 Abs. 1, 2 ZPO beantragt. Zudem hat er die versäumten Rechtshandlungen binnen der in § 236 Abs. 2 Satz 2, § 234 Abs. 1 ZPO geregelten Fristen nachgeholt, so dass ihm Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren war.
III.
Die Rechtsbeschwerde ist nach § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, § 793 ZPO statthaft, weil sie vom Landgericht zugelassen worden ist (§ 574 Abs. 3 Satz 2 ZPO). Das Insolvenzgericht hat bei der Prüfung der § 292 Abs. 1 Satz 3, § 36 Abs. 1 Satz 2 InsO, § 850e Nr. 2a ZPO als besonderes Vollstreckungsgericht nach § 36 Abs. 4 Satz 1 InsO entschieden, so dass sich der Rechtsmittelzug nach den vollstreckungsrechtlichen Vorschriften bestimmt (vgl. BGH, Beschluss vom 5. Juni 2012 - IX ZB 31/10, WM 2012, 1444 Rn. 3). Die Rechtsbeschwerde ist nach Gewährung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand auch im Übrigen (§ 575 Abs. 1 bis 3 ZPO) zulässig. Sie führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das Beschwerdegericht.
1. Entscheidet der originäre Einzelrichter - wie hier - in einer Sache, der er rechtsgrundsätzliche Bedeutung beimisst, über die Beschwerde und lässt er die Rechtsbeschwerde zu, so ist die Zulassung wirksam. Auf die Rechtsbeschwerde unterliegt die Entscheidung jedoch wegen fehlerhafter Besetzung des Beschwerdegerichts der Aufhebung von Amts wegen, weil der Einzelrichter in Rechtssachen, denen er grundsätzliche Bedeutung beimisst, zwingend das Verfahren an das Kollegium zu übertragen hat. Bejaht er mit der Zulassungsentscheidung zugleich die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache, ist seine Entscheidung objektiv willkürlich und verstößt gegen das Verfassungsgebot des gesetzlichen Richters nach Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG (BGH, Beschluss vom 13. März 2003 - IX ZB 134/02, BGHZ 154, 200, 201 ff; vom 22. November 2011 - VIII ZB 81/11, NJW-RR 2012, 125 Rn. 8 f; vom 28. Juni 2012 - IX ZB 298/11, ZInsO 2012, 1439 mwN).
Die angefochtene Entscheidung ist daher aufzuheben und die Sache zur erneuten Entscheidung an den Einzelrichter zurückzuverweisen (§ 577 Abs. 4 Satz 1 ZPO).
2. Für das weitere Verfahren weist der Senat darauf hin, dass das Beschwerdegericht in der Sache richtig entschieden hat.
a) Die Befugnis des Treuhänders, beim Insolvenzgericht in der Wohlverhaltensperiode die Anordnung der Zusammenrechnung von Arbeitseinkünften des Schuldners mit pfändbaren Sozialleistungen zu beantragen, folgt aus § 292 Abs. 1 Satz 3 InsO in Verbindung mit § 36 Abs. 1 Satz 2, Abs. 4 Satz 2 InsO, § 850e Nr. 2a ZPO. Die Abtretungserklärung des Schuldners erfasst nach § 287 Abs. 2 Satz 1 InsO, § 400 BGB nur die pfändbaren Teile seiner Einkünfte. Die Höhe der unpfändbaren Einkommensteile richtet sich entsprechend § 36 Abs. 1 Satz 2 InsO nach den Pfändungsgrenzen des Einzelzwangsvollstreckungsrechts. Die Zusammenrechnung von Arbeitseinkünften mit Sozialleistungen kann zu einer Überschreitung der Pfändungsgrenzen des § 850c ZPO und damit zu abführbaren Beträgen an den Treuhänder führen.
b) Die Voraussetzungen, unter denen Sozialleistungen gemäß § 850e Nr. 2a ZPO mit Arbeitseinkünften zusammengerechnet werden dürfen, liegen nach dem Wortlaut dieser Norm vor. Der Antrag des Treuhänders bezieht sich auf pfändbare laufende Geldleistungen im Sinne von § 54 Abs. 4 SGB I, nicht auf unpfändbare Dienst- oder Sachleistungen nach § 54 Abs. 1 SGB I. Ein Ausnahmetatbestand gemäß § 54 Abs. 3 und 5 SGB I greift nicht ein. Eine Billigkeitsprüfung, wie sie in der bis zum 17. Juni 1994 geltenden Fassung des § 850e Nr. 2a ZPO noch vorgesehen war, findet nach der Neufassung der Vorschrift durch das Zweite Gesetz zur Änderung des Sozialgesetzbuchs (BGBl. 1994 I, S. 1229, 1251) nicht mehr statt.
c) Sinn und Zweck der gesetzlichen Regelung verbieten es jedoch, das vom Schuldner bezogene Arbeitslosengeld II unter den im Streitfall gegebenen Umständen mit seinem Arbeitseinkommen zusammenzurechnen, weil die Zuerkennung öffentlicher Leistungen ausschließlich auf der Art der Leistungsberechnung beruht.
aa) Die Regelungen über die Zusammenrechnung mehrerer Arbeitseinkommen nach § 850e Nr. 2 ZPO und über die Zusammenrechnung von Arbeitseinkommen mit laufenden Geldleistungen nach dem Sozialgesetzbuch gemäß § 850e Nr. 2a ZPO dienen dem Interesse des Gläubigers an einer Befriedigung seiner Forderung unter Wahrung der berechtigten Belange des Schuldners. Jene bestehen darin, dass ihm von seinem Arbeitseinkommen ein Betrag verbleiben muss, der sein Existenzminimum sichert und ihm dadurch ein menschenwürdiges Leben ermöglicht. Bezieht der Schuldner mehrere Einkünfte, verlangen diese Belange nicht, ihm den nach dem Gesetz pfändungsfreien Betrag auf jedes Einkommen zu gewähren. Er ist vielmehr ausreichend geschützt, wenn das Gesamteinkommen in Höhe des gesetzlich vorgesehenen Betrags pfändungsfrei bleibt.
bb) In Anbetracht dieses Normzwecks verbietet sich die Hinzurechnung der dem Schuldner gewährten Sozialleistung zu seinem Arbeitseinkommen. Der Schuldner lebt mit seiner Lebensgefährtin und deren Kindern sowie einem gemeinsamen Kind zusammen und bildet mit ihnen eine Bedarfsgemeinschaft nach § 7 Abs. 3 Nr. 1, Nr. 3 Buchst. c und Nr. 4 SGB II. Bei der Berechnung der Hilfebedürftigkeit der Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft wird das Einkommen des Schuldners gemäß § 9 Abs. 2 Satz 1 und 2 SGB II anteilig berücksichtigt. Infolge dieser rechnerischen Aufteilung des Arbeitseinkommens des Schuldners gilt auch dieser selbst als hilfebedürftig, obwohl er Arbeitseinkommen bezieht, das seinen sozialrechtlichen Bedarf übersteigt. Die Gewährung von Arbeitslosengeld II an den Schuldner beruht somit darauf, dass sein Einkommen sozialrechtlich anderen Mitgliedern der Bedarfsgemeinschaft zugeordnet wird. Die Sozialleistung stellt sich unter diesen Umständen nicht als eigenes Einkommen dar, welches dem Schuldner zusätzlich zu seinem Arbeitseinkommen zur Verfügung steht. Wertend betrachtet ersetzt es vielmehr einen Teil des Arbeitseinkommens, der innerhalb der Bedarfsgemeinschaft sozialrechtlich anders zugeordnet wird. Eine Zusammenrechnung der Sozialleistung und des Arbeitseinkommens zum Zweck einer einheitlichen Bestimmung des pfändbaren Betrags ist bei dieser Sachlage nicht gerechtfertigt.
Kayser Raebel Gehrlein
Grupp Möhring