Bundesgerichtshof

Entscheidungsdatum: 16.02.2012


BGH 16.02.2012 - IX ZB 209/11

Restschuldbefreiung: Versagung wegen Beeinträchtigung der Gläubigerbefriedigung; Glaubhaftmachung des Versagungsgrund durch Vorlage eines Strafurteils


Gericht:
Bundesgerichtshof
Spruchkörper:
9. Zivilsenat
Entscheidungsdatum:
16.02.2012
Aktenzeichen:
IX ZB 209/11
Dokumenttyp:
Beschluss
Vorinstanz:
vorgehend LG Halle (Saale), 25. Januar 2011, Az: 3 T 8/10vorgehend AG Halle (Saale), 16. August 2010, Az: 59 IK 103/03
Zitierte Gesetze

Tenor

Dem Schuldner wird wegen der Versäumung der Frist zur Einlegung und Begründung der Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss der 3. Zivilkammer des Landgerichts Halle vom 25. Januar 2011 Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bewilligt.

Auf die Rechtsmittel des Schuldners werden der Beschluss der 3. Zivilkammer des Landgerichts Halle vom 25. Januar 2011 und der Beschluss des Amtsgerichts Halle vom 16. August 2010 aufgehoben.

Der Antrag der weiteren Beteiligten zu 2 auf Versagung der Restschuldbefreiung wird abgelehnt.

Dem Schuldner wird Restschuldbefreiung erteilt.

Die weitere Beteiligte zu 2 hat die Kosten der Rechtsmittel zu tragen.

Der Wert des Rechtsbeschwerdeverfahrens wird auf 5.000 € festgesetzt.

Gründe

I.

1

Am 21. Mai 2003 stellte der Schuldner einen Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens und beantragte Restschuldbefreiung. Das Verfahren wurde am 26. Mai 2003 eröffnet und der weitere Beteiligte zu 1 zum Treuhänder bestellt. Das Insolvenzverfahren ist bis heute nicht abgeschlossen. Der Schuldner wurde am 23. Mai 2008 durch das Landgericht Halle, rechtskräftig seit dem 24. Juli 2009, wegen Betruges in sieben Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und acht Monaten verurteilt. Am 27. April 2010 hörte das Insolvenzgericht die Verfahrensbeteiligten zum Antrag des Schuldners auf Restschuldbefreiung an. Die weitere Beteiligte zu 2 beantragte, dem Schuldner die Restschuldbefreiung zu versagen. Zur Begründung führte sie aus, der Schuldner habe die Befriedigung der Insolvenzgläubiger vorsätzlich beeinträchtigt, indem er unangemessene Verbindlichkeiten begründet sowie die Verfahrenseröffnung absichtlich verzögert habe, was ein Versagungsgrund nach § 290 Abs. 1 Nr. 4 InsO sei. Dem Schuldner sei seit 1999 seine Zahlungsunfähigkeit bekannt; durch verschiedene Täuschungshandlungen habe er über Jahre seine finanzielle Lage verschleiert. Zur Glaubhaftmachung nahm die weitere Beteiligte zu 2 Bezug auf näher angegebene Seiten des vorgelegten Strafurteils.

2

Das Amtsgericht hat die Restschuldbefreiung nach § 290 Abs. 1 Nr. 4 InsO versagt. Das Landgericht hat die sofortige Beschwerde des Schuldners zurückgewiesen. Mit der Rechtsbeschwerde möchte der Schuldner weiterhin die Erteilung der Restschuldbefreiung erreichen.

II.

3

Dem Schuldner ist wegen der Versäumung der Frist zur Einlegung und Begründung der Rechtsbeschwerde Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren (§§ 233, 234 Abs. 2, § 575 Abs. 1 und 2 ZPO). Die Fristversäumung ist unverschuldet (§ 233 ZPO), weil der Schuldner wegen seiner Mittellosigkeit außerstande war, durch die Beauftragung eines beim Bundesgerichtshof zugelassenen Rechtsanwalts die Einlegungs- und Begründungsfrist einzuhalten. Die Wiedereinsetzungsfrist ist gewahrt.

III.

4

Die Rechtsbeschwerde ist statthaft (§ 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO, §§ 6, 7, 289 Abs. 2 InsO, Art. 103f EGInsO) und auch im Übrigen zulässig (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 ZPO). Sie hat in der Sache Erfolg.

5

1. Das Beschwerdegericht hat ausgeführt: Allerdings liege der vom Insolvenzgericht angenommene Versagungsgrund nach § 290 Abs. 1 Nr. 4 InsO nicht vor. Nach dem Strafurteil habe der Schuldner im letzten Jahr vor Stellung des Insolvenzantrags keine Kredite mehr aufgenommen oder unangemessene Verbindlichkeiten begründet. Auch habe der Schuldner die Eröffnung des Insolvenzverfahrens nicht verzögert. Doch seien die Voraussetzungen des § 290 Abs. 1 Nr. 2 InsO erfüllt. Der Schuldner habe innerhalb der letzten drei Jahre vor der Antragstellung vorsätzlich schriftlich unrichtige Angaben über seine wirtschaftlichen Verhältnisse gemacht. Denn er habe nach den strafgerichtlichen Feststellungen im Kreditvertrag mit der Citibank die Abtretung der pfändbaren Anteile seiner Gehaltszahlungen erklärt, obwohl diese bereits abgetreten gewesen seien. Dieser Versagungsgrund dürfe berücksichtigt werden, auch wenn die weitere Beteiligte zu 2 sich hierauf im Termin zur Anhörung der Verfahrensbeteiligten über den Antrag des Schuldners auf Restschuldbefreiung nicht berufen habe. Denn sie habe noch vor der Entscheidung durch das Insolvenzgericht den neuen Versagungsgrund nachgeschoben. Dies sei zulässig, weil sie im Schlusstermin einen zulässigen Versagungsantrag gestellt habe.

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2. Diese Ausführungen halten rechtlicher Nachprüfung im entscheidenden Punkt nicht stand.

7

a) Mit Recht hat das Insolvenzgericht allerdings über den Antrag des Schuldners auf Erteilung der Restschuldbefreiung nach Ende der Laufzeit der Abtretungserklärung gemäß § 287 Abs. 2 InsO vor Beendigung des Insolvenzverfahrens nach Abhalten eines besonderen Anhörungstermins entschieden. Damit folgt es der Rechtsprechung des Senats, wonach gemäß § 300 Abs. 1 InsO nach Ablauf von sechs Jahren nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens über den Antrag auf Restschuldbefreiung zu entscheiden ist, auch wenn das Insolvenzverfahren noch nicht abschlussreif ist (Beschluss vom 3. Dezember 2009 - IX ZB 247/08, BGHZ 183, 258 Rn. 20, 28; vom 12. Mai 2011 - IX ZB 229/10, ZInsO 2011, 1126 Rn. 6 f). Die Gläubiger können zwar zu diesem Zeitpunkt nicht die Versagungsgründe des § 296 InsO geltend machen, weil der Schuldner die Obliegenheiten des § 295 InsO nur in der Wohlverhaltensperiode zu beachten hat. Sie können sich aber auf die Versagungsgründe des § 290 InsO berufen (BGH, Beschluss vom 3. Dezember 2009, aaO Rn. 23 f).

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b) Frei von Rechtsfehlern hat das Beschwerdegericht ausgeführt, dass der von der weiteren Beteiligten zu 2 im Anhörungstermin genannte Versagungsgrund gemäß § 290 Abs. 1 Nr. 4 InsO nicht vorlag, weil die weitere Beteiligte zu 2 Täuschungs- oder Verschwendungshandlungen in dem letzten Jahr vor Antragstellung nicht glaubhaft gemacht hat. Dem Strafurteil, auf das sie zur Glaubhaftmachung verwiesen hat, lagen Straftaten aus den Jahren 1999 bis 2001 zugrunde.

9

Dass der Schuldner in Kenntnis seiner Zahlungsunfähigkeit nicht bereits 2002 einen Insolvenzantrag gestellt hat, stellt keinen Versagungsgrund nach § 290 Abs. 1 Nr. 4 InsO dar. Nach dieser Regelung ist dem Schuldner die Restschuldbefreiung zu versagen, wenn er im letzten Jahr vor Insolvenzantragsstellung die Befriedigung der Insolvenzgläubiger dadurch beeinträchtigt, dass er ohne Aussicht auf eine Besserung seiner wirtschaftlichen Lage die Eröffnung des Insolvenzverfahrens verzögert. Durch diesen Versagungsgrund wollte der Gesetzgeber keine Pflicht des Schuldners begründen, einen Insolvenzantrag zu stellen. Er wollte diesen nur davon abhalten, durch eine Täuschung der Gläubiger über seine Vermögensverhältnisse oder in ähnlicher Weise zu verhindern, dass ein unvermeidliches Insolvenzverfahren rechtzeitig beantragt und eröffnet werde (RegE-InsO, BT-Drucks. 12/2443 Seite 190). Ob deswegen zu verlangen ist, dass der Schuldner durch ein aktives Tun die Gläubiger davon abhält, die Eröffnung des Insolvenzverfahrens zu beantragen (FK-InsO/Ahrens, 6. Aufl., § 290 Rn. 47; HK-InsO/Landfermann, 6. Aufl., § 290 Rn. 20; HmbKomm-InsO/Streck, 3. Aufl. § 290 Rn. 25) oder ob es ausreicht, dass der Schuldner die Einleitung des Insolvenzverfahrens bewusst solange hinausschiebt, bis nahezu alle verwertbaren Mittel und Vermögensstücke verbraucht oder übertragen sind (MünchKomm-InsO/Stephan, 2. Aufl., § 290 Rn. 63; Wenzel in Kübler/Prütting/Bork, InsO, 2008, § 290 InsO Rn. 19), kann dahinstehen. Weder hat die weitere Beteiligte zu 2 hierzu für den maßgeblichen Zeitraum Angaben gemacht, noch finden sich zu diesen Fragen Feststellungen im Strafurteil, auf das sich die weitere Beteiligte zu 2 bezogen hat.

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c) Zu Unrecht hat das Beschwerdegericht seine Entscheidung auf § 290 Abs. 1 Nr. 2 InsO gestützt.

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aa) Aus dem Wortlaut des § 290 Abs. 1 InsO ergibt sich, dass der Versagungsantrag vom Gläubiger im Schlusstermin gestellt und glaubhaft gemacht werden muss. Erst nach dem Termin gestellte oder begründete oder nachgebesserte Anträge sind unbeachtlich (vgl. BGH, Beschluss vom 20. März 2003 - IX ZB 388/02, NZI 2003, 389, 390 f; vom 11. September 2003 - IX ZB 37/03, BGHZ 156, 139, 142 f; vom 23. Oktober 2008 - IX ZB 53/08, NZI 2009, 64 Rn. 9 ff; vom 14. Mai 2009 - IX ZB 33/07, NZI 2009, 523 Rn. 5).

12

Dies gilt auch, wenn das Insolvenzgericht nicht nach einem Schlusstermin, sondern nach einem speziellen Anhörungstermin entschieden hat, weil die Frist des § 287 Abs. 2 InsO abgelaufen ist, der Schlusstermin aber noch nicht bestimmt werden kann. Die Anhörung der Verfahrensbeteiligten über Versagungsanträge gemäß § 290 Abs. 1 InsO muss in diesem Fall in einer Form durchgeführt werden, die dem Schlusstermin entspricht (BGH, Beschluss vom 3. Dezember 2009 - IX ZB 247/08, BGHZ 183, 258 Rn. 28; vom 12. Mai 2011 - IX ZB 229/10, ZInsO 2011, 1126 Rn. 7). Entsprechend muss auch der Versagungsantrag in dem vorzeitig abgehaltenen, dem Schlusstermin entsprechenden Termin zur Entscheidung über die Restschuldbefreiung gestellt und glaubhaft gemacht werden (BGH, Beschluss vom 12. Mai 2011, aaO Rn. 8).

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bb) Die weitere Beteiligte zu 2 hat in dem Termin vom 27. April 2010 ihren Versagungsantrag nur mit § 290 Abs. 1 Nr. 4 InsO, nicht aber mit § 290 Abs. 1 Nr. 2 InsO begründet. Durch die Vorlage des etwa hundertseitigen Strafurteils, aus dem sich an einer von der weiteren Beteiligten zu 2 nicht in Bezug genommenen Stelle der Versagungsgrund des § 290 Abs. 1 Nr. 2 InsO ergibt, ist dieser nicht glaubhaft gemacht. Die Gläubigerin hätte den Sachverhalt, aus dem sich der Versagungsgrund ergibt, in das Verfahren einführen müssen, gegebenenfalls auch unter ergänzender Bezugnahme auf das Strafurteil. Dies hat die weitere Beteiligte zu 2 erstmals mit dem Schriftsatz vom 30. Juni 2010 gemacht, allerdings nach der oben zitierten Rechtsprechung des Senats zu spät.

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cc) Etwas anderes gilt, wenn gemäß § 5 Abs. 2 InsO für die Durchführung des Schlusstermins schriftliches Verfahren angeordnet worden ist. Dann muss der Versagungsantrag im Rahmen dieses Verfahrens gestellt werden (BGH, Beschluss vom 12. Mai 2011 - IX ZB 229/10, ZInsO 2011, 1126 Rn. 9). Vorliegend hat der Insolvenzrichter den im Anhörungstermin anwesenden Schuldner schriftlich zum Versagungsantrag der weiteren Beteiligten zu 2 angehört, weil in der Niederschrift über den Anhörungstermin dessen Angaben zu dem Versagungsantrag nicht protokolliert worden waren. Seine Stellungnahme zu dem auf § 290 Abs. 1 Nr. 4 InsO gestützten Versagungsantrag hat der Insolvenzrichter wiederum der weiteren Beteiligten zu 2 zukommen lassen, die mit der Erweiterung ihres Versagungsantrags reagiert hat. Dadurch ist das Insolvenzgericht nicht in das schriftliche Verfahren übergegangen, sondern hat dem im Anhörungstermin anwesenden Schuldner nachträglich rechtliches Gehör gewährt. Das berechtigte die weitere Beteiligte zu 2 nicht, ihren Versagungsantrag zu erweitern.

IV.

15

Danach waren die angefochtenen Entscheidungen aufzuheben, § 577 Abs. 4 Satz 1 ZPO. Da die Aufhebung der Entscheidung nur wegen Rechtsverletzung bei Anwendung des Rechts auf das festgestellte Sachverhältnis erfolgt und nach letzterem die Sache zur Endentscheidung reif ist, entscheidet der Senat in der Sache, lehnt den Antrag auf Versagung der Restschuldbefreiung ab und erteilt dem Schuldner Restschuldbefreiung (§ 577 Abs. 5 ZPO). Denn der eine gestellte Versagungsantrag (§ 290 Abs. 1 Nr. 2 InsO) ist unzulässig, der weitere (§ 290 Abs. 1 Nr. 4 InsO) ist unbegründet. Da die Frist des § 287 Abs. 2 InsO am 26. Mai 2009 abgelaufen war, ohne dass dem Schuldner die Restschuldbefreiung hätte versagt werden können, war ihm gemäß § 300 Abs. 1 InsO mit den Wirkungen der §§ 301, 302 InsO Restschuldbefreiung zu erteilen.

Kayser                                  Raebel                                        Pape

                     Grupp                                    Möhring