Bundesgerichtshof

Entscheidungsdatum: 25.01.2018


BGH 25.01.2018 - IX ZA 19/17

Insolvenzverfahren: Pfändungsschutz für sonstige Einkünfte im Hinblick auf Forderungen aus vom Insolvenzverwalter freigegebener selbstständiger Tätigkeit eines insolventen Arztes; Unterhaltsansprüche gegen die Insolvenzmasse


Gericht:
Bundesgerichtshof
Spruchkörper:
9. Zivilsenat
Entscheidungsdatum:
25.01.2018
Aktenzeichen:
IX ZA 19/17
ECLI:
ECLI:DE:BGH:2018:250118BIXZA19.17.0
Dokumenttyp:
Beschluss
Vorinstanz:
vorgehend LG Köln, 4. Mai 2017, Az: 1 T 99/17vorgehend AG Köln, 23. März 2017, Az: 72 IN 496/16
Zitierte Gesetze

Leitsätze

1a. Gibt der Insolvenzverwalter die selbständige Tätigkeit des Schuldners frei, steht dem Schuldner für Forderungen aus seiner selbständigen Tätigkeit, die von der Freigabe der selbständigen Tätigkeit umfasst sind, im Verhältnis zur Masse kein Pfändungsschutz für sonstige Einkünfte zu.

1b. Pfändungsschutz für sonstige Einkünfte kann für Zahlungen auf Forderungen des Schuldners aus dessen selbständiger Tätigkeit, die zwar erst nach Freigabe der selbständigen Tätigkeit des Schuldners beglichen werden, die aber in die Masse fallen, im Hinblick auf die nach der Freigabe vom Schuldner begründeten Neuverbindlichkeiten nicht gewährt werden.

2. Kann der Schuldner seinen Unterhalt und den seiner Familie nicht aus seiner freigegebenen selbständigen Tätigkeit erwirtschaften, kann er Unterhaltsansprüche weiterhin gegen die Insolvenzmasse geltend machen.

Tenor

Der Antrag des Schuldners, ihm für die Durchführung des Rechtsbeschwerdeverfahrens gegen den Beschluss der 1. Zivilkammer des Landgerichts Köln vom 4. Mai 2017 - betreffend die sofortige Beschwerde des Schuldners gegen den Beschluss des Amtsgerichts Köln vom 23. März 2017 - Prozesskostenhilfe zu bewilligen, wird abgelehnt.

Gründe

I.

1

Der Schuldner betreibt eine Arztpraxis und behandelt nach eigener Darstellung überwiegend Kassenpatienten. Am 9. Februar 2017 - auf Fremd- und Eigenantrag, verbunden mit einem Antrag auf Restschuldbefreiung - eröffnete das Amtsgericht das Insolvenzverfahren über sein Vermögen und bestellte den weiteren Beteiligten zum Insolvenzverwalter. Dieser erklärte gegenüber dem Schuldner mit Schreiben vom 10. Februar 2017, dass das Vermögen aus seiner selbständigen Tätigkeit als Orthopäde rückwirkend ab Insolvenzeröffnung nicht zur Insolvenzmasse gehöre und Ansprüche aus dieser selbständigen Tätigkeit im Insolvenzverfahren nicht geltend gemacht werden könnten. Die zuständige kassenärztliche Vereinigung fragte am 15. Februar 2017 beim Insolvenzverwalter an, an wen sie die zweite Rate für das 1. Quartal 2017 (fällig: am 20. Februar 2017), die dritte Rate für das 4. Quartal 2016 (fällig am 16. März 2017), die Restzahlung für das 4. Quartal 2016 (fällig Ende April 2017), die 3. Rate für das 1. Quartal 2017 (fällig am 19. Juni 2017) und die Restzahlung für das 1. Quartal 2017 (fällig Ende Juli 2017) überweisen solle.

2

Der Schuldner hat im Hinblick auf diese angekündigten Zahlungen beantragt, ihm mit Wirkung ab 10. Februar 2017 monatlich 8.813,85 € zur Deckung seines betrieblichen Aufwands und 4.000 € zur Deckung des privaten Bedarfs zu belassen. Das Amtsgericht hat diesen Antrag abgelehnt, das Landgericht hat die sofortige Beschwerde des Schuldners zurückgewiesen und die Rechtsbeschwerde zugelassen. Dieser beantragt nunmehr, ihm für die Durchführung des Rechtsbeschwerdeverfahrens Prozesskostenhilfe zu bewilligen.

II.

3

Der Antrag ist abzulehnen, weil die Voraussetzungen des § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO nicht vorliegen. Die beabsichtigte Rechtsverfolgung hat keine Aussicht auf Erfolg, auch wenn die beabsichtigte Rechtsbeschwerde nach Zulassung durch das Beschwerdegericht statthaft wäre (§ 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 ZPO). Das Beschwerdegericht hat richtig entschieden.

4

Dabei kann dahinstehen, in welchem Umfang und nach welchen Maßstäben Honorarforderungen für ärztliche Behandlungen, die vor einer Freigabeerklärung des Insolvenzverwalters begonnen worden sind, nach der Freigabeerklärung der Insolvenzmasse oder dem Schuldner zuzuordnen sind (vgl. etwa BGH, Urteil vom 11. Mai 2006 - IX ZR 247/03, BGHZ 167, 363 Rn. 25; vom 18. April 2013 - IX ZR 165/12, NZI 2013, 641 Rn. 19; BSG, BSGE 118, 30 Rn. 32, 34). Ebenso kann dahinstehen, in welchem Umfang für Einkünfte eines selbständig tätigen Schuldners bei einer nicht freigegebenen Tätigkeit nach Insolvenzeröffnung Pfändungsschutz nach § 850i ZPO besteht. Beide Fragen stellen sich im Streitfall nicht. Soweit die Honorarforderungen im Streitfall dem Schuldner zustehen sollten, besteht gegenüber der Masse kein Raum für einen Pfändungsschutz nach § 850i ZPO (unter 1.). Selbst wenn die Honorarforderungen im Streitfall der Masse zustehen sollten, kann der Schuldner für solche Forderungen keinen Pfändungsschutz nach § 850i ZPO für Zeiträume beantragen, die nach der Freigabe der selbständigen Tätigkeit liegen (unter 2.).

5

1. Bezogen auf den Neuerwerb aus der freigegebenen selbständigen Tätigkeit findet § 850i ZPO im Verhältnis zur Masse keine Anwendung.

6

a) Die Freigabe von Vermögenswerten durch den Verwalter (vgl. § 32 Abs. 3 Satz 1 InsO) bedeutet, dass der Insolvenzbeschlag erlischt und der Schuldner die Verfügungsbefugnis zurückerhält. Die betroffenen Gegenstände scheiden aus der Insolvenzmasse aus und unterliegen ebenso wie das insolvenzfreie Vermögen der Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis des Schuldners. Bei der Freigabe der selbständigen Tätigkeit des Schuldners knüpft § 35 Abs. 2 Satz 1 InsO klarstellend an die allgemeine Freigabebefugnis des Insolvenzverwalters an. Mit der Freigabeerklärung verzichtet der Verwalter endgültig und unbedingt auf seine Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis hinsichtlich des Vermögens aus der selbständigen Tätigkeit. Infolge der Freigabe fällt darum der Neuerwerb des Schuldners aus der freiberuflichen Tätigkeit - anders als bei einer Fortsetzung der selbständigen Tätigkeit durch den Verwalter selbst - nicht mehr in die Masse. Die vom Schuldner ab Wirksamwerden einer Freigabeerklärung aus der selbständigen Tätigkeit erzielten Einkünfte stehen darum als ihm gehörendes Vermögen grundsätzlich nur den Gläubigern, deren Forderungen erst nach der Freigabeerklärung entstanden sind, als Haftungsmasse zur Verfügung (BGH, Urteil vom 18. April 2013 - IX ZR 165/12, NZI 2013, 641 Rn. 22 f). Für § 850i ZPO ist im Verhältnis zur Masse für den Neuerwerb des Schuldners nach der Freigabe kein Raum, weil dieser nicht dem Insolvenzbeschlag unterliegt, sondern insgesamt seiner Verfügungsbefugnis unterfällt (vgl. HK-InsO/Keller, 8. Aufl., § 36 Rn. 79; FK-InsO/Bornemann, 9. Aufl., § 36 Rn. 24).

7

b) Soweit die streitigen Honorarforderungen des Schuldners gegen die kassenärztliche Vereinigung ab Verfahrenseröffnung begründet sind, sind sie sämtlich als Neuerwerb von der Freigabeerklärung erfasst und unterfallen deswegen nicht § 850i ZPO. Zwar verwirklicht sich die Freigabe nach § 35 Abs. 2 Satz 1 InsO mit dem Zugang der Freigabeerklärung des Insolvenzverwalters bei dem Schuldner, die vorliegend am 11. Februar 2017 dem Schuldner zugestellt worden ist. Gleichwohl ist nicht auf den Zeitpunkt des Zugangs dieses Schreibens abzustellen, weil der Insolvenzverwalter die Freigabe ausdrücklich mit Wirkung auf den Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens erteilt hat. Demgemäß hat er dem Schuldner für den Zeitraum ab Verfahrenseröffnung am 9. Februar 2017 bis Wirksamwerden der Freigabe am 11. Februar 2017 nach § 35 Abs. 2 InsO für die bis dahin entstandenen Forderungen eine an keine zeitlichen Voraussetzungen geknüpfte Einzelfreigabe erteilt (vgl. BGH, Urteil vom 18. April 2013, aaO Rn. 9).

8

2. Soweit der Schuldner im Hinblick auf die angekündigten Zahlungen der kassenärztlichen Vereinigung einen Antrag nach § 850i ZPO gestellt hat, hat sein Antrag, selbst wenn diese Forderungen nicht von der Freigabeerklärung erfasst wurden, ebenfalls keinen Erfolg.

9

a) Einkünfte, die ein selbständig tätiger Schuldner nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens erzielt, gehören in vollem Umfang, ohne einen Abzug für beruflich bedingte Ausgaben, zur Insolvenzmasse. Der Schuldner kann nur gemäß § 36 Abs. 1 Satz 2 InsO, § 850i Abs. 1 ZPO beantragen, dass ihm von seinen durch Vergütungsansprüche gegen Dritte erzielten Einkünften ein pfandfreier Betrag belassen wird. Dem Schuldner ist auf Antrag so viel zu belassen, wie er während eines angemessenen Zeitraums für seinen notwendigen Unterhalt benötigt, aber nicht mehr, als ihm nach freier Schätzung des Gerichts verbleiben würde, wenn sein Arbeitseinkommen aus laufendem Arbeits- oder Dienstlohn bestünde. Hiermit verweist § 850i Abs. 1 ZPO auf die Pfändungsschutzvorschriften der §§ 850 ff ZPO. Danach setzt das Insolvenzgericht als Vollstreckungsgericht den dem Schuldner zu belassenden Betrag unter Beachtung der §§ 850a ff ZPO individuell fest (BGH, Beschluss vom 6. April 2017 - IX ZB 40/16, NZI 2017, 461 Rn. 7).

10

b) Die aufgrund der selbständigen Tätigkeit nach der Wirksamkeit der Freigabe entstehenden Neuverbindlichkeiten (aus der selbständigen Tätigkeit, aber auch zur Deckung des Unterhalts) sind allein aus dem Neuerwerb zu befriedigen. Mit der Regelung des § 35 Abs. 2 Satz 1 InsO hat der Gesetzgeber dem Interesse des Schuldners Rechnung getragen, sich durch eine gewerbliche oder freiberufliche Tätigkeit eine neue wirtschaftliche Existenz zu schaffen (BT-Drucks. 16/3227, S. 17). Zu diesem Zweck sollte dem Schuldner die Möglichkeit eröffnet werden, außerhalb des Insolvenzverfahrens einer selbständigen Tätigkeit nachzugehen. Es handelt sich um eine Art Freigabe des Vermögens, welches der selbständigen Tätigkeit gewidmet ist, einschließlich der dazu gehörenden Vertragsverhältnisse. Das gesetzliche Regelungsmodell geht dahin, einerseits die aus der fortgesetzten selbständigen Tätigkeit erzielten Einkünfte des Schuldners den Neugläubigern, die nach Verfahrenseröffnung mit dem Schuldner kontrahiert haben, als selbständige Haftungsmasse zur Verfügung zu stellen und andererseits die Masse des bereits eröffneten Verfahrens von Verbindlichkeiten des Schuldners aus seiner weiteren selbständigen Tätigkeit freizustellen (BGH, Urteil vom 9. Februar 2012 - IX ZR 75/11, BGHZ 192, 322 Rn. 14). Die Erklärung nach § 35 Abs. 2 Satz 1 InsO zerschneidet das rechtliche Band zwischen der Insolvenzmasse und der durch den Schuldner ausgeübten selbständigen Tätigkeit und leitet die der selbständigen Tätigkeit dienenden Vertragsverhältnisse von der Masse auf die Person des Schuldners über (BGH, Urteil vom 9. Februar 2012, aaO Rn. 19). Die Neugläubiger, die nach der Freigabeerklärung Forderungen gegen den Schuldner erworben haben, können auf die ab diesem Zeitpunkt durch die selbständige Tätigkeit erwirtschafteten Vermögenswerte des Schuldners als eigenständige Haftungsmasse zugreifen. Den Altgläubigern ist hingegen gemäß § 89 InsO eine Vollstreckung in diese Vermögensgegenstände verwehrt (BT-Drucks. 16/3227, S. 17). Wird dem Schuldner eine selbständige Tätigkeit gestattet, kann überdies auf Antrag eines Neugläubigers ein auf dieses Vermögen beschränktes zweites Insolvenzverfahren gegen den Schuldner eröffnet werden (BGH, Urteil vom 9. Februar 2012, aaO Rn. 28).

11

c) Dem Schuldner bleibt es unbenommen, Unterhaltsansprüche gemäß § 100 InsO geltend zu machen. Diese richten sich weiterhin gegen die Insolvenzmasse, sofern der Schuldner diese aus der selbständigen Tätigkeit nicht leisten kann (Holzer in Kübler/Prütting/Bork, InsO, 2017, § 35 Rn. 116).

12

3. Der Versagung von Prozesskostenhilfe für das Rechtsbeschwerdeverfahren steht nicht entgegen, dass das Landgericht die Rechtsbeschwerde zugelassen hat. Grundsatzbedeutung im Sinne von § 574 Abs. 2 Nr. 1 ZPO hat eine Rechtssache nach der herkömmlichen Definition, wenn sie eine entscheidungserhebliche, klärungsbedürftige und klärungsfähige Rechtsfrage aufwirft, die sich in einer unbestimmten Vielzahl von Fällen stellen kann (vgl. nur BGH, Beschluss vom 21. November 2013 - III ZA 28/13, JurBüro 2014, 203, 204 mwN). Daran fehlt es hier. Entscheidungserheblich sind die Fragen, ob § 850i ZPO in Bezug auf den Neuerwerb aus freigegebener selbständiger Tätigkeit zur Anwendung kommt und ob der Antragsteller nach Freigabe der selbständigen Tätigkeit hinsichtlich der Masseforderungen, die erst nach der Freigabe zur Auszahlung kommen, Pfändungsschutz aus § 850i ZPO erlangen kann. Insoweit ergeben sich keine zweifelhaften oder noch offenen Rechtsfragen, die einer Klärung durch höchstrichterliche Entscheidung bedürften. Vielmehr können diese Fragen anhand der gesetzlichen Regelung und der vorliegenden Rechtsprechung beantwortet werden, so dass auch unter dem Gesichtspunkt der Rechtsschutzgleichheit (Art. 3 Abs. 1 iVm Art. 20 Abs. 3 GG) die Bewilligung von Prozesskostenhilfe nicht geboten ist (vgl. BGH, aaO mwN). Es kommt daher für die Prozesskostenhilfegewährung allein auf die Erfolgsaussichten der Rechtsbeschwerde in der Sache selbst an, die bereits im Prozesskostenhilfeverfahren beurteilt werden können (vgl. BGH, aaO). Solche Erfolgsaussichten bestehen - wie dargelegt - nicht.

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