Bundesgerichtshof

Entscheidungsdatum: 06.04.2017


BGH 06.04.2017 - IX ZB 40/16

Insolvenzverfahren: Vorliegen einer unpfändbaren Aufwandsentschädigung; Pfändbarkeit von Entschädigungen für Zeitversäumnisse


Gericht:
Bundesgerichtshof
Spruchkörper:
9. Zivilsenat
Entscheidungsdatum:
06.04.2017
Aktenzeichen:
IX ZB 40/16
ECLI:
ECLI:DE:BGH:2017:060417BIXZB40.16.0
Dokumenttyp:
Beschluss
Vorinstanz:
vorgehend LG Würzburg, 17. Mai 2016, Az: 3 T 672/16vorgehend AG Würzburg, 11. März 2016, Az: IN 206/13
Zitierte Gesetze

Leitsätze

1. Eine unpfändbare Aufwandsentschädigung liegt dann vor, wenn nach der vertraglichen Vereinbarung oder der gesetzlichen Regelung der Zweck der Zahlung ist, tatsächlichen Aufwand des Schuldners auszugleichen. Dies hat der Schuldner darzulegen. Keine Aufwandsentschädigung ist gegeben, wenn die Tätigkeit des Schuldners selbst vergütet werden soll.

2. Entschädigungen für Zeitversäumnisse sind pfändbar.

Tenor

Die Rechtsbeschwerde des Schuldners gegen den Beschluss der 3. Zivilkammer des Landgerichts Würzburg vom 17. Mai 2016 wird insoweit zurückgewiesen, als der Schuldner beantragt, ihm mehr als die Hälfte seiner Einnahmen als ehrenamtlicher Pharmazierat (Apothekenbesichtigungen für 150 € und 175 € und Kurzbesuche für 30 € und 35 €; 1.200 € für Zeitversäumnis) seit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens pfandfrei zu belassen.

Im Übrigen werden auf seine Rechtsmittel der Beschluss der 3. Zivilkammer des Landgerichts Würzburg vom 17. Mai 2016 und der Beschluss des Amtsgerichts Würzburg vom 11. März 2016 aufgehoben, soweit zu seinem Nachteil entschieden worden ist.

Insoweit wird die Sache zur erneuten Entscheidung - auch über die Kosten der Rechtsmittel - an das Insolvenzgericht zurückverwiesen.

Der Wert des Verfahrens der Rechtsbeschwerde wird auf 5.000 € festgesetzt.

Gründe

I.

1

Der am 12. April 1949 geborene Schuldner bezieht seit dem Jahr 2011 von der weiteren Beteiligten zu 2 ein vorgezogenes Altersruhegeld in Höhe von monatlich 2.543,94 €. Zusätzlich erhält er als Pharmazierat von der weiteren Beteiligten zu 3 im Rahmen der staatlichen Apothekenüberwachung sogenannte Aufwandsentschädigungen für eine ehrenamtliche Tätigkeit als Sachverständiger. Am 11. Juli 2013 wurde nach Eigenantrag, Stundungsantrag und Antrag auf Restschuldbefreiung nach Stundung der Verfahrenskosten das Insolvenzverfahren über sein Vermögen eröffnet und die weitere Beteiligte zu 1 zur Insolvenzverwalterin bestellt. Durch Beschluss vom 4. November 2013 ordnete das Insolvenzgericht an, die Ehefrau des Schuldners habe bei der Berechnung des unpfändbaren Teils der Bezüge als unterhaltsberechtigte Person vollständig und der minderjährige Sohn der Eheleute zur Hälfte unberücksichtigt zu bleiben. Seit Mitte des Jahres 2015 zieht die Insolvenzverwalterin aus dem Altersruhegeld den pfändbaren Teil zur Masse (derzeit 412,63 €); ebenfalls versucht sie - teilweise mit Erfolg -, die dem Schuldner gewährten Aufwendungsentschädigungen zur Masse zu ziehen.

2

Der Schuldner hat beantragt, die ab Insolvenzeröffnung an ihn geleisteten Aufwandsentschädigungen nach § 850i ZPO pfändungsfrei zu belassen. Hilfsweise hat er (sinngemäß) beantragt, zur Berechnung des nach § 850c ZPO pfändbaren Teils des Einkommens gemäß § 850e Nr. 2, Nr. 2a ZPO mit Wirkung ab Insolvenzeröffnung die von der weiteren Beteiligten zu 2 bezogenen Altersbezüge in Höhe von derzeit 2.543,94 € und die von der weiteren Beteiligten zu 3 bezogenen Einnahmen aus ehrenamtlicher Pharmazieratstätigkeit im monatlichen Durchschnitt zusammenzurechnen. Das Insolvenzgericht hat den Hauptantrag abgelehnt und dem Hilfsantrag mit Wirkung ab 17. Dezember 2015 entsprochen. Das Beschwerdegericht hat die sofortige Beschwerde des Schuldners zurückgewiesen und die Rechtsbeschwerde zugelassen. Mit seiner Rechtsbeschwerde möchte der Schuldner erreichen, dass ihm sämtliche Einnahmen als ehrenamtlicher Pharmazierat pfandfrei belassen werden.

II.

3

Die Rechtsbeschwerde hat teilweise Erfolg.

4

1. Das Beschwerdegericht hat ausgeführt, die sofortige Beschwerde sei sowohl in ihrem Hauptantrag als auch in ihren Hilfsanträgen unbegründet. Bei den vom Schuldner von der Beteiligten zu 3 bezogenen Vergütungen für Regelbesichtigungen und Kurzbesuche handele es sich um für persönlich geleistete Dienste erlangte Einkünfte, nicht um unpfändbare Aufwandsentschädigungen. Diese sollten einen anlassbezogenen Aufwand des Schuldners ausgleichen. Die vom Schuldner vereinnahmten Vergütungen hätten demgegenüber den Charakter einer Bezahlung für die Vornahme von bestimmten Tätigkeiten. Deutlich werde dies insbesondere daran, dass dem Schuldner sein konkret berechneter Aufwand, nämlich die Fahrtkosten, beglichen worden sei. Ebenso handele es sich bei den von der weiteren Beteiligten zu 1 aus der Rechnung vom 22. Oktober 2015 vereinnahmten 1.200 € nicht um Aufwand, sondern um eine Vergütung für Zeitversäumnis für die Teilnahme an der Jahrestagung der Arbeitsgemeinschaft für Pharmazieräte Deutschlands vom 18. bis 21. Oktober 2015. Dem Schuldner sei insoweit kein kompensationsbedürftiger Mehraufwand entstanden. Auch könne die vom Schuldner beantragte Zusammenrechnung seiner Einkünfte erst ab Antragstellung ab 17. Dezember 2015 erfolgen. Eine Verletzung von richterlichen Aufklärungs- und Hinweispflichten könne nicht festgestellt werden.

5

2. Diese Ausführungen halten rechtlicher Nachprüfung teilweise nicht stand.

6

a) Das Beschwerdegericht hat richtig erkannt, dass die Zahlungen der weiteren Beteiligten zu 3 für die Apothekenbesichtigungen, Kurzbesuche und die Zeitversäumnisse nicht unter § 850a Nr. 3 ZPO fallen.

7

aa) Einkünfte, die ein selbständig tätiger Schuldner nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens erzielt, gehören in vollem Umfang, ohne einen Abzug für beruflich bedingte Ausgaben, zur Insolvenzmasse. Der Schuldner kann nur gemäß § 36 Abs. 1 Satz 2 InsO, § 850i Abs. 1 ZPO beantragen, dass ihm von seinen durch Vergütungsansprüche gegen Dritte erzielten Einkünften ein pfandfreier Betrag belassen wird. Dem Schuldner ist auf Antrag (neben den Betriebsausgaben) so viel zu belassen, wie er während eines angemessenen Zeitraums für seinen notwendigen Unterhalt benötigt, aber nicht mehr, als ihm nach freier Schätzung des Gerichts verbleiben würde, wenn sein Arbeitseinkommen aus laufendem Arbeits- oder Dienstlohn bestünde. Hiermit verweist § 850i Abs. 1 ZPO auf die Pfändungsschutzvorschriften der §§ 850 ff ZPO, insbesondere auch auf § 850a ZPO. Danach setzt das Insolvenzgericht als Vollstreckungsgericht den dem Schuldner zu belassenden Betrag unter Beachtung der §§ 850a ff ZPO individuell fest (BGH, Beschluss vom 26. Juni 2014 - IX ZB 87/13, NZI 2014, 773 Rn. 7).

8

bb) Bei den Einnahmen des Schuldners als - im Rahmen der Apothekenüberwachung nach § 64 Abs. 2 Satz 2 Arzneimittelgesetz (AMG) in Verbindung mit Art. 5 Abs. 5 Satz 1 und 2 des bayerischen Gesetzes über den öffentlichen Gesundheits- und Veterinärdienst, die Ernährung und den Verbraucherschutz sowie die Lebensmittelüberwachung (Gesundheitsdienst- und Verbraucherschutzgesetz - GDVG) vom 24. Juli 2003 - ehrenamtlich tätiger Pharmazierat handelt es sich um solche Einkünfte aus selbständiger Tätigkeit, welche der Schuldner nicht in Vollzeit ausübt. Der Schuldner ist als Sachverständiger selbständig tätig. Das gilt auch dann, wenn er nicht nur im Rahmen der Besichtigung der Apotheken als Sachverständiger fungiert hat, sondern er zugleich mit der Durchführung der Überwachung selbst beauftragt (§ 64 Abs. 2 Satz 4 AMG) und somit nach § 64 Abs. 4 AMG zur Vornahme hoheitlicher Maßnahmen befugt war (vgl. VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 12. November 2002 - 9 S 82/02, nv Rn. 32).

9

cc) Die Zahlungen der weiteren Beteiligten zu 3 unterfallen in dem vom Beschwerdegericht gezogenen Rahmen nicht den § 36 Abs. 1 Satz 2 InsO, §§ 850i, 850a Nr. 3 ZPO.

10

(1) Nach § 850a Nr. 3 ZPO sind unter anderem Aufwandsentschädigungen unpfändbar, soweit diese Bezüge den Rahmen des Üblichen nicht übersteigen. Diese Regelung hat ihren Grund darin, dass die Aufwandsentschädigungen in Wirklichkeit kein Entgelt für eine Arbeitsleistung darstellen, sondern den Ersatz für tatsächlich entstandene Auslagen, für die der Empfänger der Vergütung bereits seine Gegenleistung aus seinem Vermögen erbracht hat oder noch erbringen muss. Der Schuldner soll davor geschützt werden, dass ihm der Gegenwert für seine tatsächlichen Aufwendungen durch die Pfändung noch einmal entzogen und dass ihm damit letztlich die Fortführung seiner Tätigkeit unmöglich gemacht wird, weil er die dafür erforderlichen Auslagen nicht mehr aufbringen kann (vgl. BGH, Urteil vom 5. Dezember 1985 - IX ZR 9/85, NJW 1986, 2362, 2363). Die Aufwandsentschädigungen werden mithin für Aufwendungen gezahlt, die im Zusammenhang mit einer Tätigkeit notwendig werden und die nicht mit dem eigentlichen Entgelt für die Tätigkeit bereits abgegolten sind (ArbG Hamburg, Urteil vom 7. Oktober 2011 - S 1 Ca 126/11, nv Rn. 19; Kessal-Wulf/Lorenz in Schuschke/Walker, Vollstreckung und vorläufiger Rechtsschutz, 6. Aufl., § 850a ZPO Rn. 7; Meller-Hannich in Kindl/Meller-Hannich/Wolf, Gesamtes Recht der Zwangsvollstreckung, 3. Aufl., § 850a Rn. 13).

11

Darauf, wie die Zahlung in der Abrechnung bezeichnet wird, kommt es nicht an, sondern allein darauf, ob nach der vertraglichen Vereinbarung oder der gesetzlichen Regelung der Zweck der Zahlung ist, tatsächlichen Aufwand des Schuldners auszugleichen. Kein Aufwand im Sinne der Regelung liegt vor, wenn die Tätigkeit des Schuldners selbst vergütet werden soll. Deswegen sind etwa Erstattungen für das Überlassen eines Fahrzeuges, die tatsächlich ein Arbeitseinkommen darstellen, nicht unpfändbar (vgl. LAG Hannover LAGE § 850e ZPO 2002 Nr. 1). Auch Aufwandsentschädigungen für eine ehrenamtliche Tätigkeit, mit denen aber tatsächlich der Lebensunterhalt im Wesentlichen bestritten wird (Vollzeittätigkeit), fallen nicht hierunter (VG Ansbach, Rpfleger 2006, 419). Wenn vom Zweck der Zahlung her ein tatsächlicher Aufwand entschädigt werden soll, kann die Zahlung aber auch pauschal und unabhängig von einem konkreten Aufwand zum Zahlungszeitpunkt erfolgen (vgl. zu allem Meller-Hannich in Kindl/Meller-Hannich/Wolf, Gesamtes Recht der Zwangsvollstreckung, 3. Aufl., § 850a Rn. 16).

12

Die Einnahmen ehrenamtlich Tätiger unterfallen dem § 850a Nr. 3 ZPO, sofern sie den Mehraufwand ausgleichen. Die Mehraufwandsentschädigung soll die geldlichen und sonstigen Aufwendungen abdecken, zu denen der ehrenamtlich Tätige für eigene Zwecke, aber im Interesse der Wahrnehmung der ehrenamtlichen Funktion, abverlangt werden. Hierzu gehören etwa die Deckung des erhöhten persönlichen Bedarfs an Kleidung und Verzehr (Repräsentationsaufwand), an Zeitungen, Zeitschriften, Büchern, Schreibmitteln sowie der Ausgleich des Haftungsrisikos (BezG Frankfurt/Oder, Rpfleger 1993, 457; LG Würzburg, Beschluss vom 12. Februar 2010 - 9 T 2518/09, nv Rn. 11; LG Dessau-Roßlau, NVwZ-RR 2013, 565).

13

Danach ist auch bei dem ehrenamtlich Tätigen zu unterscheiden, ob ein tatsächlich entstandener Aufwand abgegolten oder Verdienstausfall ausgeglichen werden soll. Letzterer ersetzt das Arbeitseinkommen und ist deswegen grundsätzlich pfändbar. Ist die Aufwandsentschädigung so hoch, dass der Entgeltcharakter im Vordergrund steht, besteht ebenfalls keine Unpfändbarkeit (Meller-Hannich in Kindl/Meller-Hannich/Wolf, Gesamtes Recht der Zwangsvollstreckung, 3. Aufl., § 850a Rn. 17). So sind die Ansprüche auf Ersatz der Fahrt-, Verpflegungs-, Übernachtungskosten, der Auslagen für die Reisevorbereitung, der Telefon- und Bürokosten (vgl. etwa §§ 5 bis 7 JVEG) unpfändbar im Sinne von § 850a Nr. 3 Fall 1 ZPO. Etwas anderes gilt jedoch dann, wenn der Schuldner für Zeitversäumnis oder Verdienstausfall entschädigt wird (vgl. etwa §§ 16, 18 JVEG). Diese Zahlungen entschädigen den Schuldner dafür, dass er in der Zeit, in der er seiner ehrenamtlichen Tätigkeit nachgeht, seine Erwerbs- und Arbeitskraft nicht gewinnbringend einsetzen kann. Damit ersetzen sie das Arbeitseinkommen und sind pfändbar (vgl. § 3 Nr. 12 Satz 2 EStG).

14

(2) Bei Anlegung dieser Maßstäbe hat das Beschwerdegericht richtig entschieden. Der Schuldner erstellt im Rahmen der staatlichen Apothekenüberwachung ehrenamtlich als Pharmazierat Sachverständigengutachten und erhält dafür von der weiteren Beteiligten zu 3 Aufwandsentschädigungen nach Art. 5 Abs. 5 Satz 4 GDVG (vgl. Schreiben der weiteren Beteiligten zu 3 vom 13. September 2013). Über die Höhe der Aufwandsentschädigung entscheidet die Delegiertenversammlung der weiteren Beteiligten zu 3; diese hat die Aufwandsentschädigung zunächst auf 150 € für die Apothekenbesichtigung und auf 30 € für die Kurzbesichtigung und Personalkontrolle und seit dem 20. November 2012 auf 175 € für die Apothekenbesichtigung und auf 35 € für die Kurzbesichtigung und Personalkontrolle festgesetzt. Welcher Aufwand durch die dem Schuldner zugesprochenen Entschädigung abgegolten werden soll (Fahrtkosten, Bürokosten, Verpflegungsmehraufwand, Entschädigung für Zeitversäumnis, Verdienstausfall, vgl. etwa §§ 5-7, 20-22 JVEG; § 3 Nr. 12 EStG), ergibt sich weder aus dem Gesetz noch aus dem Schreiben der weiteren Beteiligten zu 3 noch aus dem Beschluss der Delegiertenversammlung.

15

Auch der Schuldner hat nicht hinreichend dargelegt, dass durch diese Zahlungen tatsächlicher Aufwand abgegolten wird. Aus den von ihm vorgelegten Rechnungen ergibt sich, dass die weitere Beteiligte zu 3 jedenfalls zusätzlich die ihm entstandenen Reisekosten vergütet und die Teilnahme an Fortbildungsveranstaltungen finanziert und ihm hierbei - neben Reisekosten, Teilnahmegebühr und Übernachtungskosten - auch die Zeitversäumnis entschädigt; diese Zahlung zum Ausgleich der Zeitversäumnis ist Ersatz von Arbeitseinkommen und deswegen in jedem Fall pfändbar. Angesichts dieser Erstattung des dem Schuldner tatsächlich entstandenen Aufwandes hätte es näherer Darlegungen bedurft, welcher weitere Aufwand durch die pauschale Entschädigung für die Apothekenbesichtigungen und Kurzbesuche abgegolten werden soll. Daran fehlt es.

16

b) Das Beschwerdegericht hat jedoch übersehen, dass auf einen Schuldner, der aufgrund seines Alters nicht mehr erwerbspflichtig ist und ein Altersruhegeld in einer Höhe bezieht, das über dem Pfändungsfreibetrag liegt, die Schutzvorschrift des § 850a Nr. 1 ZPO entsprechende Anwendung findet (BGH, Beschluss vom 26. Juni 2014 - IX ZB 87/13, NZI 2014, 773 Rn. 10). Der Schuldner hat seinen Antrag nicht ausdrücklich unter Verweis auf diese Regelung und die hierzu ergangene Entscheidung des Senats begründet, jedoch in der Beschwerdebegründung und der Rechtsbeschwerdebegründung darauf hingewiesen, es handele sich bei den Einnahmen aus der ehrenamtlichen Pharmazieratstätigkeit um überobligatorische Einnahmen, weil er sich im Ruhestand befinde und ihn deswegen keine Erwerbsobliegenheit mehr treffe. Damit wollte er auch diese Gesichtspunkte bei der Festsetzung des pfändbaren Betrages berücksichtigt wissen.

17

aa) Sinn und Zweck des § 850a Nr. 1 ZPO ist es, dem Schuldner die Sinnhaftigkeit einer überobligatorischen Tätigkeit wirtschaftlich erkennbar zu machen. Er soll motiviert werden, über seine eigentlichen Einnahmen hinaus zum eigenen und zum Wohle der Gläubiger Einkünfte zu erzielen. Ein Schuldner, der die Vergütung für die Mehrarbeit insgesamt an seine Gläubiger abgeben muss, hat keinen Anreiz, in seiner Freizeit oder während seines Ruhestandes zu arbeiten. Bei einer angemessenen Aufteilung der schuldnerischen Einnahmen aus einer überobligatorischen Tätigkeit zwischen Schuldner und Gläubiger ziehen beide Seiten Nutzen. Jedwede gewinnbringende Aktivität des Schuldners wird dadurch gefördert (BGH, Beschluss vom 26. Juni 2014 - IX ZB 87/13, NZI 2014, 773 Rn. 12).

18

bb) Allerdings greift dieser Pfändungsschutz nicht stets in vollem Umfang durch. Zwar spielen in der Gesamtvollstreckung die wirtschaftlichen Verhältnisse des Schuldners und seine sonstigen Verdienstmöglichkeiten (§ 850i Abs. 1 Satz 2 ZPO) grundsätzlich keine Rolle, weil in der Insolvenz sämtliche Vermögensgegenstände (sofern nicht unpfändbar, § 36 Abs. 1 InsO) in die Masse fallen und deswegen zugunsten der Gläubiger verwertet werden. Auch ist § 850i Abs. 1 Satz 3 ZPO im Gesamtvollstreckungsverfahren nicht unmittelbar anwendbar, weil durch diese Regelung sichergestellt werden soll, dass die individuellen Belange des vollstreckenden Gläubigers - etwa seine über die allgemeinen Verhältnisse hinausgehende Schutzbedürftigkeit - Berücksichtigung finden. Im Insolvenzverfahren ist eine solche Abwägung zugunsten einzelner Gläubiger ausgeschlossen. Dennoch bedarf es nach § 36 Abs. 1 Satz 2 InsO, § 850i Abs. 1 ZPO einer wertenden Entscheidung des Vollstreckungsgerichts, ob und wie Pfändungsschutzvorschriften der §§ 850 ff ZPO unter Abwägung der Belange von Schuldner und Gläubiger zur Anwendung kommen (BGH, Beschluss vom 26. Juni 2014 - IX ZB 87/13, NZI 2014, 773 Rn. 14). Eine solche Abwägung ist bislang noch nicht erfolgt.

19

c) Mit Recht hat das Insolvenzgericht antragsgemäß auch die Einnahmen des Schuldners aus dem Altersruhegeld und aus seiner Tätigkeit nach § 36 Abs. 2 Satz 1 InsO, § 850i, § 850e Nr. 2 und 2a ZPO zusammengerechnet. Insoweit hat der Schuldner, sofern er nicht mit seinem Hauptantrag Erfolg habe, keine Einwendungen erhoben.

20

d) Die Wirkungen des Beschlusses nach § 36 Abs. 1 Satz 2, § 850i, § 850a Nr. 1, § 850e Nr. 2 und 2a ZPO treten entgegen der Ansicht des Beschwerdegerichts ab Insolvenzeröffnung ein, weil der Schuldner einen entsprechenden Antrag den Umständen nach bereits mit seinem Eröffnungsantrag gestellt hat. Denn der Schuldner hat bereits in seinem Insolvenzantrag auf seine Einnahmen aus ehrenamtlicher Pharmazieratstätigkeit und auf seine Rechtsansicht hingewiesen, hierbei handele es sich um nicht pfändbare Bezüge. Im Hinblick darauf, dass es sich bei den Einnahmen für die Tätigkeit als ehrenamtlicher Pharmazierat um Einnahmen aus selbständiger Tätigkeit handelt, ist schon der Eröffnungsantrag des Schuldners so auszulegen, dass er gleichzeitig beantragt, seine Einnahmen nach § 850i, § 850a Nr. 3 ZPO pfändungsfrei zu belassen. Nach der Rechtsprechung des Senats kann der Schuldner den Antrag nach § 850a Nr. 1 und 3 in Verbindung mit § 850i Abs. 1 ZPO schon stellen, bevor die Forderungen durch die selbständige Tätigkeit entstehen (BGH, Beschluss vom 26. Juni 2014 - IX ZB 87/13, NZI 2014, 773 Rn. 15), auch zusammen mit dem Insolvenzantrag, wenn er beabsichtigt, auch nach Insolvenzeröffnung selbständig tätig zu sein.

III.

21

Die angefochtenen Beschlüsse können daher keinen Bestand haben. Sie sind aufzuheben. Eine eigene abschließende Entscheidung über den begehrten Pfändungsschutz ist dem Senat nicht möglich; daher ist die Sache zurückzuverweisen (§ 577 Abs. 4 Satz 1 ZPO). Der Senat hat von der Möglichkeit Gebrauch gemacht, die Sache an das Insolvenzgericht zurückzuverweisen (§ 572 ZPO analog; vgl. BGH, Beschluss vom 26. Juni 2014 - IX ZB 87/13, NZI 2014, 773 Rn. 16).

Kayser      

        

Gehrlein      

        

Grupp 

        

Möhring      

        

Schoppmeyer