Entscheidungsdatum: 21.09.2017
Kulturchampignons
I. Das Verfahren wird ausgesetzt.
II. Dem Gerichtshof der Europäischen Union werden zur Auslegung von Art. 113a Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 1234/2007 des Rates vom 22. Oktober 2007 über eine gemeinsame Organisation der Agrarmärkte und mit Sondervorschriften für bestimmte landwirtschaftliche Erzeugnisse (Verordnung über die einheitliche GMO; ABl. Nr. L 299 vom 16. November 2007, S. 1) und Art. 76 Abs. 1 der Verordnung (EU) Nr. 1308/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 17. Dezember 2013 über eine gemeinsame Marktorganisation für landwirtschaftliche Erzeugnisse (ABl. Nr. L 347 vom 20. Dezember 2013, S. 671), von Art. 23 der Verordnung (EWG) Nr. 2913/92 des Rates vom 12. Oktober 1992 zur Festlegung des Zollkodex der Gemeinschaften (ABl. Nr. L 302 vom 19. Oktober 1992, S. 1) und Art. 60 Abs. 1 der Verordnung (EU) Nr. 952/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 9. Oktober 2013 zur Festlegung des Zollkodex der Union (ABl. Nr. L 269 vom 10. Oktober 2013, S. 1) sowie von Art. 2 Abs. 1 Buchst. a Ziff. i der Richtlinie 2000/13/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. März 2000 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Etikettierung und Aufmachung von Lebensmitteln sowie die Werbung hierfür (ABl. Nr. L 109 vom 6. Mai 2000, S. 29) und von Art. 7 Abs. 1 Buchst. a der Verordnung (EU) Nr. 1169/2011 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. Oktober 2011 betreffend die Information der Verbraucher über Lebensmittel (ABl. Nr. L 304 vom 22. November 2011, S. 18) folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:
1. Ist für die Bestimmung des Begriffs des Ursprungslands gemäß Art. 113a Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 1234/2007 und Art. 76 Abs. 1 der Verordnung (EU) Nr. 1308/2013 auf die Begriffsbestimmungen in Art. 23 ff. Zollkodex und Art. 60 Unionszollkodex abzustellen?
2. Haben Kulturchampignons, die im Inland geerntet werden, gemäß Art. 23 der Verordnung (EWG) Nr. 2913/92 und Art. 60 Abs. 1 der Verordnung (EU) Nr. 952/2013 einen inländischen Ursprung, wenn wesentliche Produktionsschritte in anderen Mitgliedstaaten der Europäischen Union erfolgt und die Kulturchampignons erst drei oder weniger Tage vor der ersten Ernte ins Inland verbracht worden sind?
3. Ist das Irreführungsverbot des Art. 2 Abs. 1 Buchst. a Ziff. 1 der Richtlinie Nr. 2000/13/EG und des Art. 7 Abs. 1 Buchst. a der Verordnung (EU) Nr. 1169/2011 auf die nach Art. 113a Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 1234/2007 und Art. 76 Abs. 1 der Verordnung (EU) Nr. 1308/2013 vorgeschriebene Ursprungsangabe anzuwenden?
4. Dürfen der nach Art. 113a Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 1234/2007 und Art. 76 Abs. 1 der Verordnung (EU) Nr. 1308/2013 vorgeschriebenen Ursprungsangabe aufklärende Zusätze hinzugefügt werden, um einer nach Art. 2 Abs. 1 Buchst. a Ziff. i der Richtlinie Nr. 2000/13/EG sowie Art. 7 Abs. 1 Buchst. a der Verordnung (EU) Nr. 1169/2011 verbotenen Irreführung entgegenzuwirken?
I. Das Verfahren wird ausgesetzt.
II. Dem Gerichtshof der Europäischen Union werden zur Auslegung von Art. 113a Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 1234/2007 des Rates vom 22. Oktober 2007 über eine gemeinsame Organisation der Agrarmärkte und mit Sondervorschriften für bestimmte landwirtschaftliche Erzeugnisse (Verordnung über die einheitliche GMO; ABl. Nr. L 299 vom 16. November 2007, S. 1) und Art. 76 Abs. 1 der Verordnung (EU) Nr. 1308/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 17. Dezember 2013 über eine gemeinsame Marktorganisation für landwirtschaftliche Erzeugnisse (ABl. Nr. L 347 vom 20. Dezember 2013, S. 671), von Art. 23 der Verordnung (EWG) Nr. 2913/92 des Rates vom 12. Oktober 1992 zur Festlegung des Zollkodex der Gemeinschaften (ABl. Nr. L 302 vom 19. Oktober 1992, S. 1) und Art. 60 Abs. 1 der Verordnung (EU) Nr. 952/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 9. Oktober 2013 zur Festlegung des Zollkodex der Union (ABl. Nr. L 269 vom 10. Oktober 2013, S. 1) sowie von Art. 2 Abs. 1 Buchst. a Ziff. i der Richtlinie 2000/13/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. März 2000 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Etikettierung und Aufmachung von Lebensmitteln sowie die Werbung hierfür (ABl. Nr. L 109 vom 6. Mai 2000, S. 29) und von Art. 7 Abs. 1 Buchst. a der Verordnung (EU) Nr. 1169/2011 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. Oktober 2011 betreffend die Information der Verbraucher über Lebensmittel (ABl. Nr. L 304 vom 22. November 2011, S. 18) folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:
1. Ist für die Bestimmung des Begriffs des Ursprungslands gemäß Art. 113a Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 1234/2007 und Art. 76 Abs. 1 der Verordnung (EU) Nr. 1308/2013 auf die Begriffsbestimmungen in Art. 23 ff. Zollkodex und Art. 60 Unionszollkodex abzustellen?
2. Haben Kulturchampignons, die im Inland geerntet werden, gemäß Art. 23 der Verordnung (EWG) Nr. 2913/92 und Art. 60 Abs. 1 der Verordnung (EU) Nr. 952/2013 einen inländischen Ursprung, wenn wesentliche Produktionsschritte in anderen Mitgliedstaaten der Europäischen Union erfolgt und die Kulturchampignons erst 3 oder weniger Tage vor der ersten Ernte ins Inland verbracht worden sind?
3. Ist das Irreführungsverbot des Art. 2 Abs. 1 Buchst. a Ziff. i der Richtlinie Nr. 2000/13/EG und des Art. 7 Abs. 1 Buchst. a der Verordnung (EU) Nr. 1169/2011 auf die nach Art. 113a Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 1234/2007 und Art. 76 Abs. 1 der Verordnung (EU) Nr. 1308/2013 vorgeschriebene Ursprungsangabe anzuwenden?
4. Dürfen der nach Art. 113a Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 1234/2007 und Art. 76 Abs. 1 der Verordnung (EU) Nr. 1308/2013 vorgeschriebenen Ursprungsangabe aufklärende Zusätze hinzugefügt werden, um einer nach Art. 2 Abs. 1 Buchst. a Ziff. i der Richtlinie Nr. 2000/13/EG sowie Art. 7 Abs. 1 Buchst. a der Verordnung (EU) Nr. 1169/2011 verbotenen Irreführung entgegenzuwirken?
A. Die Klägerin ist die Zentrale zur Bekämpfung unlauteren Wettbewerbs. Die Beklagte produziert und vertreibt Kulturchampignons mit der Angabe "Ursprung: Deutschland".
Der Herstellungsprozess der Champignons erfolgt in mehreren Schritten. Zunächst werden für die Dauer von 7 bis 11 Tagen die Rohsubstanzen für den Kompost in Belgien und den Niederlanden verschnitten und vermischt. Zweiter Herstellungsschritt ist die über 5 bis 6 Tage andauernde Pasteurisierung und Aufbereitung des Komposts in den Niederlanden. Im dritten Herstellungsschritt wird über die Dauer von 15 Tagen in den Niederlanden das Myzel (Pilzsporen) in den Kompost injiziert. Im vierten Abschnitt wird in den Niederlanden die Fruchtkörperbildung auf einer Torf- und Kalkschicht in Kulturkisten initiiert, wobei die Pilze nach 10 bis 11 Tagen bis zu 3 mm gewachsen sind. Die Kulturkisten werden nach etwa 15 Tagen nach Deutschland transportiert, wo im Betrieb der Beklagten nach etwa 1 bis 5 Tagen die erste Ernte und nach etwa 10 bis 15 Tagen die zweite Ernte der Champignons erfolgt.
Die Klägerin hält die Herkunftsbezeichnung der Pilze "Ursprung: Deutschland" ohne zusätzliche Hinweise für irreführend und hat die Beklagte im Dezember 2013 vorgerichtlich abgemahnt.
Die Klägerin hat beantragt,
die Beklagte unter Androhung näher bezeichneter Ordnungsmittel zu verurteilen, es zu unterlassen, im geschäftlichen Verkehr Kulturchampignons mit der Angabe "Ursprung: Deutschland" anzubieten und/oder in den Verkehr zu bringen und/oder zu bewerben, wenn wesentliche Produktions- und Wachstumsschritte, das heißt wenn der Herstellungszyklus vor der Ernte, das heißt insbesondere
a) die Vermischung und champignonspezifische Fermentation der Rohsubstanzen insbesondere in einer Kompostproduktionseinrichtung
b) die Pasteurisierung und das Durchwachsen des Substrats mit Mycel
c) die Bedeckung der Kompostschicht mit in der Regel Torf und Kalk und
d) hierauf die qualitative und quantitative Initiierung der Fruchtkörperbildung
nicht in Deutschland stattfinden und der Kompost mit den Pilzen erst drei oder weniger Tage vor der ersten Ernte nach Deutschland verbracht wird, ohne darauf hinzuweisen, dass ein Teil des Herstellungszyklus im Ausland stattgefunden hat.
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. In der Berufungsinstanz hat die Klägerin auch die Zahlung von Abmahnkosten in Höhe von 219,35 € nebst Zinsen verlangt. Die Berufung der Klägerin ist ohne Erfolg geblieben. Die Klägerin verfolgt mit ihrer vom Berufungsgericht zugelassenen Revision, deren Zurückweisung die Beklagte beantragt, ihre Klageanträge weiter.
B. Der Erfolg der Revision hängt von der Auslegung des Art. 113a Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 1234/2007 und des Art. 76 Abs. 1 der Verordnung (EU) Nr. 1308/2013, des Art. 23 der Verordnung (EWG) Nr. 2913/92 (Zollkodex) und des Art. 60 Abs. 1 der Verordnung (EU) Nr. 952/2013 (Unionszollkodex) sowie des Art. 2 Abs. 1 Buchst. a Ziff. i der Richtlinie Nr. 2000/13/EG und des Art. 7 Abs. 1 Buchst. a der Verordnung (EU) Nr. 1169/2011 (LMIV) ab. Vor einer Entscheidung über das Rechtsmittel ist deshalb das Verfahren auszusetzen und gemäß Art. 267 Abs. 1 Buchst. b und Abs. 3 AEUV eine Vorabentscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union einzuholen.
I. Das Berufungsgericht hat die geltend gemachten Ansprüche als nicht begründet angesehen und hierzu ausgeführt:
Zwar rufe die Angabe "Ursprung: Deutschland" eine Irreführung hervor, weil der angesprochene Verkehr ihr entnehme, nicht nur die Ernte, sondern der gesamte Produktionsprozess habe in Deutschland stattgefunden. Dies folge schon aus der natürlichen Betrachtungsweise, dass eine Pflanze ihren Standort nicht wechsle. Der Durchschnittsverbraucher wisse nicht, dass es bei unverarbeiteten pflanzlichen Lebensmitteln grenzüberschreitende Produktionsprozesse gebe. Selbst für diejenigen Verbraucher, die von grenzüberschreitenden Produktionsprozessen bei Pflanzen wüssten, bedeute der eindeutige Herkunftshinweis durch Angabe nur eines Landes, dass das Produkt ausschließlich dort entstanden sei. Dagegen sei der Anteil der Verbraucher, die als Spezialisten über die hier betroffene Produktionsweise informiert seien und die rechtlichen Vorgaben kennten, sehr klein und lauterkeitsrechtlich unerheblich. Diese Irreführung sei auch marktrelevant, weil der Verkehr beim Kauf von Lebensmitteln auf deren Herkunft in besonderem Maße achte. Ihr komme jedoch aus normativen Gründen keine lauterkeitsrechtliche Bedeutung zu. Die Beklagte sei zu der beanstandeten Ursprungsangabe nach dem Unionsrecht verpflichtet, weil danach als Ursprungsland pflanzlicher Erzeugnisse das Ernteland anzugeben sei. Besondere Kennzeichnungspflichten bei grenzüberschreitender Produktion sehe das Unionsrecht allein für Fleisch vor, nicht dagegen für die hier betroffenen Lebensmittel. Da die Irreführung unionsrechtlich angeordnet sei, könne sie der Beklagten lauterkeitsrechtlich nicht zur Last gelegt werden.
II. Die Revision hat Erfolg, wenn die von der Beklagten verwendete Ursprungsbezeichnung ungeachtet ihres verpflichtenden Charakters gemäß Art. 113a Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 1234/2007 und Art. 76 Abs. 1 der Verordnung (EU) Nr. 1308/2013 gegen das Irreführungsverbot gemäß des Art. 2 Abs. 1 Buchst. a Ziff. i der Richtlinie Nr. 2000/13/EG und Art. 7 Abs. 1 Buchst. a LMIV verstößt.
1. Da die Klägerin den geltend gemachten Unterlassungsanspruch auf Wiederholungsgefahr stützt (§ 8 Abs. 1 Satz 1 UWG), ist die Klage nur begründet, wenn das beanstandete Verhalten der Beklagten sowohl zum Zeitpunkt seiner Vornahme im Jahr 2013 rechtswidrig war als auch zum Zeitpunkt der Entscheidung in der Revisionsinstanz rechtswidrig ist (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Urteil vom 4. Februar 2016 - I ZR 194/14, GRUR 2016, 403 Rn. 9 = WRP 2016, 450 - Fressnapf; Urteil vom 28. April 2016 - I ZR 23/15, GRUR 2016, 1073 Rn. 16 = WRP 2016, 1228 - Geo-Targeting). Für den Anspruch auf Erstattung von Abmahnkosten (§ 12 Abs. 1 Satz 2 UWG) kommt es auf die Rechtslage zum Zeitpunkt der Abmahnung im Dezember 2013 an (BGH, Urteil vom 21. Juli 2016 - I ZR 26/15, GRUR 2016, 1076 Rn. 56 = WRP 2016, 1221 - LGA tested; Beschluss vom 12. Januar 2017 - I ZR 117/15, GRUR 2017, 412 Rn. 44 = WRP 2017, 549 - YouTube-Werbekanal).
2. Die geltend gemachten Ansprüche sind danach begründet, wenn die Beklagte sowohl gegen § 11 Abs. 1 Satz 1 und 2 Nr. 1 LFGB aF als auch gegen § 11 Abs. 1 Nr. 1 LFGB und Art. 7 Abs. 1 Buchst. a LMIV verstoßen und damit eine nach § 3 in Verbindung mit § 4 Nr. 11 UWG aF und § 3a UWG unlautere geschäftliche Handlung vorgenommen hat.
Die mit Wirkung ab 10. Dezember 2015 erfolgte Neufassung des Rechtsbruchtatbestands (§ 4 Nr. 11 UWG aF; jetzt: § 3a UWG) durch das Zweite Gesetz zur Änderung des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb (BGBl. I, S. 2158) hat keine materielle Rechtsänderung bewirkt (BGH, Urteil vom 27. April 2017 - I ZR 215/15, GRUR 2017, 819 Rn. 8 = WRP 2017, 941 - Aufzeichnungspflicht, mwN).
Im Jahr 2013 war nach § 11 Abs. 1 Satz 1 und 2 Nr. 1 LFGB aF das Inverkehrbringen von Lebensmitteln und die Werbung hierfür unter irreführender Bezeichnung, Angabe oder Aufmachung verboten, insbesondere die Verwendung zur Täuschung geeigneter Aussagen über Ursprung oder Herkunft. Unionsrechtliche Grundlage dieser Vorschrift war Art. 2 Abs. 1 Buchst. a Ziff. i der Richtlinie 2000/13/EG (vgl. BGH, Beschluss vom 26. Februar 2014 - I ZR 45/13, GRUR 2014, 588 Rn. 12 = WRP 2014, 694 - Himbeer-Vanille-Abenteuer I; Urteil vom 2. Dezember 2015 - I ZR 45/13, GRUR 2016, 738 Rn. 19 = WRP 2016, 838 - Himbeer-Vanille-Abenteuer II).
In der seit dem 13. Dezember 2014 geltenden Fassung verbietet § 11 Abs. 1 Nr. 1 LFGB dem nach Art. 8 Abs. 1 LMIV verantwortlichen Lebensmittelunternehmer oder Importeur, Lebensmittel mit Informationen über Lebensmittel in Verkehr zu bringen oder zu bewerben, die den Anforderungen des Art. 7 Abs. 1, auch in Verbindung mit Abs. 4, LMIV nicht entsprechen. Nach Art. 7 Abs. 1 Buchst. a LMIV dürfen Informationen über Lebensmittel insbesondere in Bezug auf die Eigenschaften des Lebensmittels wie Ursprungsland oder Herkunftsort nicht irreführend sein.
3. Danach kommt sowohl nach § 11 Abs. 1 Satz 1 und 2 Nr. 1 LFGB aF als auch nach § 11 Abs. 1 Nr. 1 LFGB in Verbindung mit Art. 7 Abs. 1 Buchst. a LMIV die Annahme einer Irreführung in Betracht.
Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts ruft die von der Beklagten beim Inverkehrbringen der Champignons verwendete Angabe "Ursprung: Deutschland" eine Irreführung hervor, weil der angesprochene Verkehr ihr entnimmt, nicht nur die Ernte, sondern der gesamte Produktionsprozess habe in Deutschland stattgefunden. Die Revision nimmt diese Feststellungen als ihr günstig hin.
4. Im Streitfall stellt sich zunächst die Frage, ob die Beklagte nach Art. 113a Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 1234/2007 und Art. 76 Abs. 1 der Verordnung (EU) Nr. 1308/2013 in Verbindung mit Art. 23 Zollkodex und Art. 60 Abs. 1 Unionszollkodex verpflichtet ist, die von ihr in Verkehr gebrachten Pilze mit der Angabe "Ursprung: Deutschland" zu kennzeichnen. Dies hängt davon ab, ob bei der Anwendung von Art. 113a Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 1234/2007 und Art. 76 Abs. 1 der Verordnung (EU) Nr. 1308/2013 die zollrechtlichen Begriffsbestimmungen heranzuziehen sind und ob unter den im Streitfall gegebenen Umständen das Ernteland als Ursprung im Sinne von Art. 23 Zollkodex und Art. 60 Abs. 1 Unionszollkodex gilt. Der Klärung dieser Fragen dienen die Vorlagefragen 1 und 2. Weiter ist zu prüfen, ob das in Art. 2 Abs. 1 Buchst. a Ziff. i der Richtlinie Nr. 2000/13/EG und Art. 7 Abs. 1 Buchst. a LMIV geregelte Irreführungsverbot auf die nach Art. 113a Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 1234/2007 und Art. 76 Abs. 1 der Verordnung (EU) Nr. 1308/2013 vorgeschriebene Ursprungsangabe anzuwenden ist und ob dieser Ursprungsangabe aufklärende Zusätze hinzugefügt werden dürfen, um einem Verstoß gegen die vorgenannten Irreführungsverbote entgegenzuwirken. Der Klärung dieser Fragen dienen die Vorlagefragen 3 und 4.
a) Im Streitfall stellt sich die Frage, ob für die Bestimmung des Begriffs des Ursprungslands gemäß Art. 113a Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 1234/2007 und Art. 76 Abs. 1 der Verordnung (EU) Nr. 1308/2013 auf die Begriffsbestimmungen in Art. 23 ff. Zollkodex und Art. 60 Unionszollkodex abzustellen ist (Vorlagefrage 1). Diese Frage ist nach Ansicht des Senats zu bejahen.
aa) Die von der Beklagten angebotenen Kulturchampignons fallen in den Anwendungsbereich von Art. 113a Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 1234/2007 und Art. 76 Abs. 1 der Verordnung (EU) Nr. 1308/2013.
(1) Die Verordnung (EU) Nr. 1308/2013 ist nach ihrem Artikel 232 Absatz 1 am 27. Dezember 2013 in Kraft getreten und gilt - soweit im Streitfall relevant - ab dem 1. Januar 2014. Sie hat nach ihrem Artikel 230 Absatz 1 die Verordnung (EG) Nr. 1234/2007 - mit Ausnahme im Streitfall nicht relevanter Teile - aufgehoben, die nach ihrem Artikel 204 Absatz 1 ab dem 1. Januar 2008 galt.
(2) Nach Art. 113 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung (EG) Nr. 1234/2007 und Art. 75 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung (EU) Nr. 1308/2013 kann die Kommission Vermarktungsnormen für Obst und Gemüse vorsehen. Nach Art. 113a Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 1234/2007 und Art. 76 Abs. 1 der Verordnung (EU) Nr. 1308/2013 dürfen die Erzeugnisse des Sektors Obst und Gemüse, die frisch an den Verbraucher verkauft werden sollen, nur in Verkehr gebracht werden, wenn sie in einwandfreiem Zustand, unverfälscht und von vermarktbarer Qualität sind und das Ursprungsland angegeben ist.
Nach Art. 3 Abs. 1 der seit dem 22. Juni 2011 geltenden Durchführungsverordnung (EU) Nr. 543/2011 der Kommission vom 7. Juni 2011 mit Durchführungsbestimmungen zur Verordnung (EG) Nr. 1234/2007 des Rates für die Sektoren Obst und Gemüse und Verarbeitungserzeugnisse aus Obst und Gemüse (ABl. Nr. L 157 vom 15. Juni 2011, S. 1) gelten die Anforderungen von Art. 113a Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 1234/2007 als allgemeine Vermarktungsnorm, deren Einzelheiten im Anhang I Teil A der Durchführungsverordnung aufgeführt sind. Im Anhang I Teil A der Durchführungsverordnung ist ausgeführt:
4. Kennzeichnung (…)
B. Ursprung
Vollständiger Name des Ursprungslandes. Bei Erzeugnissen mit Ursprung in einem anderen Mitgliedstaat muss diese Angabe in der Sprache des Ursprungslandes oder einer anderen, den Verbrauchern im Bestimmungsland verständlichen Sprache erfolgen. Bei anderen Erzeugnissen muss diese Angabe in einer den Verbrauchern im Bestimmungsland verständlichen Sprache erfolgen.
(3) Die im Streitfall in Verkehr gebrachten Kulturchampignons unterfallen der Kategorie "Gemüse" im Sinne von Art. 113 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung (EG) Nr. 1234/2007, Art. 75 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung (EU) Nr. 1308/2013.
Die Bestimmungen der Art. 1 Abs. 2 Buchst. i der Verordnung (EG) Nr. 1234/2007 und Art. 1 Abs. 2 Buchst. i der Verordnung (EU) Nr. 1308/2013 beziehen in die gemeinsame Marktorganisation den jeweils in Anhang I Teil IX dieser Verordnungen genauer definierten Sektor Obst und Gemüse ein. Nach Art. 129 der Verordnung (EG) Nr. 1234/2007 finden auf die Einreihung der Erzeugnisse, die unter die Verordnung fallen, die allgemeinen Regeln zur Auslegung der Kombinierten Nomenklatur gemäß der Verordnung (EWG) Nr. 2658/87 über die zolltarifliche und statistische Nomenklatur sowie den Gemeinsamen Zolltarif (Kombinierte Nomenklatur) Anwendung. Für die Verordnung (EU) Nr. 1308/2013 besagt deren Erwägungsgrund 8, dass sich diese Verordnung auf die Warenbezeichnungen, Positionen und Unterpositionen der Kombinierten Nomenklatur bezieht.
Im Anhang I Teil IX der Verordnung (EG) Nr. 1234/2007 und der Verordnung (EU) Nr. 1308/2013 ist jeweils für den Sektor Obst und Gemüse unter dem KN-Code ex 0709 als Warenbezeichnung "Anderes Gemüse, frisch oder gekühlt" aufgeführt. In Anhang I Kapitel 7 der kombinierten Nomenklatur sind unter dem KN Code 0709 "Anderes Gemüse, frisch oder gekühlt" mit dem KN-Code 0709 51 "Pilze" genannt.
bb) Das Verständnis des Begriffs "Ursprungsland" gemäß Art. 113a Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 1234/2007 und Art. 76 Abs. 1 der Verordnung (EU) Nr. 1308/2013, die insoweit keine eigene Definition aufweisen, richtet sich nach Auffassung des Senats nach Art. 23 ff. Zollkodex und Art. 60 Unionszollkodex.
(1) Für eine Heranziehung der zollrechtlichen Begriffsbestimmung des Unionsrechts spricht der hierzu bestehende inhaltliche Bezug der Verordnungen (EG) Nr. 1234/2007 und (EU) Nr. 1308/2013. Deren Erlass dient der Errichtung der Gemeinsamen Marktordnung für Agrarprodukte und beruht auf Art. 38 ff. AEUV (ex Art. 32 ff. EGV). Nach Art. 38 Abs. 1 Satz 1 AEUV legt die Union eine gemeinsame Agrar- und Fischereipolitik fest und führt sie durch. Der Binnenmarkt umfasst nach Art. 38 Abs. 1 Satz 2 AEUV auch die Landwirtschaft, die Fischerei und den Handel mit landwirtschaftlichen Erzeugnissen. Zu den hiervon erfassten Erzeugnissen gehören gemäß Art. 38 Abs. 3 in Verbindung mit Anhang I AEUV die in Kapitel 7 des Brüsseler Zolltarifschemas aufgeführten Gemüse, Pflanzen, Wurzeln und Knollen, die zu Ernährungszwecken verwendet werden. Schon die Ermächtigungsgrundlage für die Errichtung der Gemeinsamen Marktordnung nimmt mithin auf zollrechtliche Kategorien Bezug.
(2) Für die Maßgeblichkeit der zollrechtlichen Begriffsbestimmung spricht weiter, dass Art. 129 der Verordnung (EG) Nr. 1234/2007 und Erwägungsgrund 8 der Verordnung (EU) Nr. 1308/2013 ihrerseits ausdrücklich auf die Wareneinteilung der zollrechtlichen Kombinierten Nomenklatur Bezug nehmen und dadurch die sachliche Nähe zu den zollrechtlichen Begriffsbestimmungen zum Ausdruck bringen.
(3) Dafür, dass der Unionsgesetzgeber im Interesse des Verbraucherschutzes für die Frage der Ursprungsbestimmung von Waren die zollrechtlichen Begriffe für maßgeblich ansieht, spricht schließlich Art. 2 Abs. 3 LMIV. Danach bezieht sich der Begriff "Ursprungsland eines Lebensmittels" für die Zwecke der Verordnung auf den Ursprung eines Lebensmittels im Sinne von Art. 23 bis 26 Zollkodex. In Erwägungsgrund 33 der LMIV heißt es hierzu, die Bestimmung des Ursprungslands von Lebensmitteln werde auf diesen den Lebensmittelunternehmern und Behörden bereits bekannten Vorschriften des Zollkodex beruhen und sollte deren Umsetzung erleichtern.
Der Umstand, dass die nach ihrem Erwägungsgrund 3 dem Gesundheitsschutz und der Information des Verbrauchers dienende LMIV für die Ursprungsbestimmung auf die zollrechtlichen Regelungen des Unionsrechts verweist, ist ein deutlicher Hinweis darauf, dass eine solche Bezugnahme auch für die Verordnungen (EG) Nr. 1234/2007 und (EU) Nr. 1308/2013 zu gelten hat. Die hier betroffenen Vermarktungsregeln für landwirtschaftliche Produkte haben jedenfalls auch verbraucherschützenden Charakter. Dies folgt aus Erwägungsgrund 49 der Verordnung (EG) Nr. 1234/2007, wonach die Anwendung von Normen für die Vermarktung landwirtschaftlicher Erzeugnisse im Interesse der Erzeuger, der Händler und der Verbraucher zu einer Verbesserung der wirtschaftlichen Bedingungen für die Erzeugung und Vermarktung sowie der Qualität dieser Erzeugnisse beitragen kann. Eine entsprechende Aussage enthält Erwägungsgrund 64 der Verordnung (EU) Nr. 1308/2013, deren Erwägungsgrund 65 zudem besagt, dass die Beibehaltung sektorspezifischer Vermarktungsregeln zweckmäßig sei, um den Erwartungen der Verbraucher gerecht zu werden und zugleich zu einer Verbesserung der wirtschaftlichen Bedingungen für die Erzeugung und Vermarktung und Förderung der Qualität der Erzeugnisse beizutragen.
b) Es stellt sich weiter die Frage, ob Kulturchampignons, die im Inland geerntet werden, gemäß Art. 23 Zollkodex und Art. 60 Abs. 1 Unionszollkodex einen inländischen Ursprung haben, wenn wesentliche Produktionsschritte in anderen Mitgliedstaaten der Europäischen Union erfolgt sind und die Kulturchampignons erst 3 oder weniger Tage vor der ersten Ernte ins Inland verbracht worden sind (Vorlagefrage 2). Diese Frage ist nach Auffassung des Senats ebenfalls zu bejahen.
aa) Der Zollkodex war im Zeitpunkt der im Streitfall beanstandeten Handlung anwendbar. Er galt nach seinem Artikel 253 seit dem 1. Januar 1994 und ist bezüglich seiner Regelungen über den Warenursprung in Artikel 23 ff. mit Geltungseintritt der entsprechenden Regelungen des Unionszollkodex am 1. Mai 2016 aufgehoben worden (vgl. Art. 286 Abs. 2, Art. 288 Abs. 2 Unionszollkodex).
Nach Art. 23 Abs. 1 Zollkodex sind Ursprungswaren eines Landes Waren, die vollständig in diesem Land gewonnen oder hergestellt worden sind. Nach Art. 23 Abs. 2 Buchst. b Zollkodex sind vollständig in einem Land gewonnene oder hergestellte Waren pflanzliche Erzeugnisse, die in diesem Land geerntet worden sind. Der Begriff der Ernte ist in einem weiten Sinne dahin zu verstehen, dass er alle Formen der Gewinnung pflanzlicher Erzeugnisse aus dem Boden einschließt (vgl. Harings/Henninger in Dorsch, Zollrecht, 151. Lief. Oktober 2014, Art. 23 ZK Rn. 10).
Danach haben auch Pilze, die erst 3 oder weniger Tage vor der ersten Ernte in Kulturkisten nach Deutschland verbracht und hier geerntet werden, ihren Ursprung in Deutschland.
Für eine Anwendung des Art. 24 Zollkodex, demzufolge eine Ware, an deren Herstellung zwei oder mehr Länder beteiligt waren, unter bestimmten Umständen Ursprungsware des Landes ist, in dem sie der letzten wesentlichen und wirtschaftlich gerechtfertigten Be- oder Verarbeitung unterzogen worden ist, ist kein Raum. Art. 24 Zollkodex setzt voraus, dass an der Herstellung der Ware zwei oder mehr Länder beteiligt waren. Diese Voraussetzung ist hier nicht erfüllt. Art. 23 Abs. 1 und 2 Buchst. b Zollkodex bestimmt, dass in einem Land geerntete pflanzliche Erzeugnisse vollständig in einem Land, nämlich dem Land der Ernte, gewonnen oder hergestellt worden sind.
bb) Die Anwendung des seit dem 1. Mai 2016 geltenden Art. 60 des Unionszollkodex führt zu keinem anderen Ergebnis.
Nach Art. 60 Abs. 1 Unionszollkodex gelten Waren, die in einem einzigen Land oder Gebiet vollständig gewonnen oder hergestellt worden sind, als Ursprungswaren dieses Landes oder Gebiets. Nach Art. 31 Buchst. b der Delegierten Verordnung (EU) 2015/2446 der Kommission vom 28. Juli 2015 zur Ergänzung der Verordnung (EU) Nr. 952/2013 mit Einzelheiten zur Präzisierung von Bestimmungen des Zollkodex der Union (ABl. Nr. L 343 vom 29. Dezember 2015, S. 1) gelten im Sinne des Art. 60 Abs. 1 Unionszollkodex als Waren, die in einem einzigen Land oder Gebiet vollständig gewonnen oder hergestellt worden sind, dort geerntete pflanzliche Erzeugnisse.
Für eine Anwendung des Art. 60 Abs. 2 Unionszollkodex, wonach Waren, an deren Herstellung mehr als ein Land oder Gebiet beteiligt ist, unter bestimmten Umständen als Ursprungsware des Landes oder Gebiets gelten, in dem sie der letzten wesentlichen, wirtschaftlich gerechtfertigten Be- oder Verarbeitung unterzogen wurden, ist kein Raum, da Art. 60 Abs. 1 Unionszollkodex in Verbindung mit Art. 31 Buchst. b der Delegierten Verordnung (EU) 2015/2446 bestimmt, dass in einem Land oder Gebiet geerntete pflanzliche Erzeugnisse vollständig in einem einzigen Land oder Gebiet gewonnen oder hergestellt worden sind.
Auch nach diesen Bestimmungen handelt es sich bei den von der Beklagten in Verkehr gebrachten Pilzen um solche mit Ursprung in Deutschland.
cc) Für dieses Verständnis der vorgenannten zollrechtlichen Vorschriften spricht ferner, dass der Unionsgesetzgeber allein für den Sektor der Fleischproduktion mit der Durchführungsverordnung (EU) Nr. 1337/2013 der Kommission vom 13. Dezember 2013 mit Durchführungsbestimmungen zur Verordnung (EU) Nr. 1169/2011 des Europäischen Parlaments und des Rates hinsichtlich der Angabe des Ursprungslandes bzw. Herkunftsortes von frischem, gekühltem oder gefrorenem Schweine-, Schaf-, Ziegen- und Geflügelfleisch (ABl. Nr. L 335 vom 14. Dezember 2013, S. 19) Sonderregeln geschaffen hat, die mit Blick auf das Informationsinteresse des Verbrauchers durch entsprechende Kennzeichnungspflichten dem Umstand Rechnung tragen, dass Tiere in verschiedenen Ländern aufgezogen und geschlachtet werden können.
c) Weiter stellt sich die Frage, ob das Irreführungsverbot des Art. 2 Abs. 1 Buchst. a Ziff. i der Richtlinie Nr. 2000/13/EG und des Art. 7 Abs. 1 Buchst. a LMIV auf die nach Art. 113a Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 1234/2007 und Art. 76 Abs. 1 der Verordnung (EU) Nr. 1308/2013 vorgeschriebene Ursprungsangabe anzuwenden ist (Vorlagefrage 3).
Die LMIV gilt nach ihrem Artikel 1 Absatz 4 unbeschadet der in speziellen Rechtsvorschriften der Union für bestimmte Lebensmittel enthaltenen Kennzeichnungsvorschriften. Erwägungsgrund 8 der LMIV stellt fest, dass die allgemeinen Kennzeichnungsanforderungen ergänzt werden durch eine Reihe von Vorschriften, die unter bestimmten Umständen für alle Lebensmittel oder für bestimmte Klassen von Lebensmitteln gelten, und dass es darüber hinaus mehrere spezielle Regelungen für bestimmte Lebensmittel gibt. Ob der Begriff "unbeschadet" (in der englischen und französischen Sprachfassung: "without prejudice", "sans préjudice") einen Vorrang spezieller Kennzeichnungsvorschriften mit der Folge bedeutet, dass das allgemeine lebensmittelrechtliche Irreführungsverbot gemäß Art. 7 LMIV keine Anwendung findet, oder ob die betroffenen Regelungen nebeneinander anwendbar sind, bedarf der Klärung.
Im Schrifttum wird vertreten, dass spezielle Kennzeichnungsvorschriften im Sinne des Art. 1 Abs. 4 LMIV - darunter die Verordnung (EG) Nr. 543/2011 mit Durchführungsbestimmungen zur Verordnung (EG) Nr. 1234/2007 - wegen ihres spezielleren Charakters Vorrang vor den Normen der LMIV genießen (vgl. Meisterernst in Zipfel/Rathke, Lebensmittelrecht, 165. EL November 2016, Art. 1 LMIV Rn. 25; Voit/Grube, LMIV, 2. Aufl. 2016, Art. 1 Rn. 68). Teilweise wird Art. 1 Abs. 4 LMIV lediglich klarstellend dahingehend verstanden, dass Spezialregelungen unabhängig von der LMIV anwendbar seien (Hagenmeyer, LMIV, 2. Aufl., Art. 1 Rn. 15).
Einen Normenvorrang spezieller Kennzeichnungsvorschriften vor dem allgemeinen Irreführungsverbot wird auch im wettbewerbsrechtlichen Schrifttum befürwortet. Danach soll die Verwendung gesetzlich vorgeschriebener Bezeichnungen lauterkeitsrechtlich grundsätzlich nicht angreifbar sein (vgl. Dreyer in Harte/Henning, UWG, 4. Aufl., § 5 Rn. 170; Bornkamm/Feddersen in Köhler/Bornkamm, UWG, 35. Aufl., § 5 Rn. 1.204; Großkomm.UWG/Lindacher, 2. Aufl., Vor §§ 5, 5a Rn. 177; Peifer/Obergfell in Fezer/Büscher/Obergfell, UWG, 3. Aufl., § 5 Rn. 241; Sosnitza in Ohly/Sosnitza, UWG, 7. Aufl., § 5 Rn. 198).
d) Unterliegt die nach Art. 113a Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 1234/2007 und Art. 76 Abs. 1 der Verordnung (EU) Nr. 1308/2013 verpflichtende Ursprungsangabe im Streitfall der Prüfung nach Art. 2 Abs. 1 Buchst. a Ziff. i der Richtlinie Nr. 2000/13/EG und Art. 7 Abs. 1 Buchst. a LMIV, so stellt sich die Frage, ob der vorgeschriebenen Ursprungsangabe aufklärende Zusätze hinzugefügt werden dürfen, um einer nach diesen Bestimmungen verbotenen Irreführung entgegenzuwirken (Vorlagefrage 4).
Es ist Sache des Schuldners, Wege zu finden, aus einem ihm auferlegten Verbot herauszufinden, indem er etwa durch aufklärende Hinweise einer Irreführung vorbeugt (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteil vom 2. Februar 2012 - I ZR 81/10, GRUR 2012, 945 Rn. 24 = WRP 2012, 1222 - Tribenuronmethyl, mwN). Im Streitfall kommt danach in Betracht, dass die Beklagte einem wegen Irreführung nach Art. 2 Abs. 1 Buchst. a Ziff. i der Richtlinie Nr. 2000/13/EG und Art. 7 Abs. 1 Buchst. a LMIV ergehenden Unterlassungsgebot dadurch Rechnung trägt, dass sie die Ursprungsangabe um einen Hinweis auf die in anderen Mitgliedstaaten vorgenommenen Produktionsschritte ergänzt. Das Verhältnis zwischen der Verpflichtung zur Ursprungsangabe nach Art. 113a Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 1234/2007 und Art. 76 Abs. 1 der Verordnung (EU) Nr. 1308/2013 und dem Irreführungsverbot nach Art. 2 Abs. 1 Buchst. a Ziff. i der Richtlinie Nr. 2000/13/EG und Art. 7 Abs. 1 Buchst. a LMIV bedarf auch insoweit der Klärung, um sicherzustellen, dass der Schuldner gegebenenfalls nicht allein wegen der Abweichung von der vorgeschriebenen Ursprungsangabe unter dem Aspekt des Rechtsbruchs wettbewerbsrechtlich in Anspruch genommen wird.
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