Entscheidungsdatum: 26.10.2015
Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 15. April 2015 wird als unzulässig verworfen.
Die Beteiligten haben einander für das Beschwerdeverfahren keine außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
I. Streitig ist die Anerkennung von Folgen einer angeblichen Wehrdienstbeschädigung und darauf gestützte Versorgungsansprüche nach dem Soldatenversorgungsgesetz (SVG).
Die inzwischen in den Ruhestand versetzte Klägerin diente im Jahr 2007 ebenso wie ihr Ehemann als Bundeswehrärztin im Bundeswehrzentralkrankenhaus K. Am Morgen des 19.8.2007 fand die Klägerin ihren Ehemann tot in einem Dienstzimmer des Krankenhauses auf. Er hatte sich durch eine Infusion mit Medikamenten selbst das Leben genommen, wie sich unter anderem aus seinem Abschiedsbrief ergab. Der Antrag der Klägerin, ihr deshalb Witwenrente nach dem SVG zu gewähren, blieb erfolglos. Das LSG urteilte letztinstanzlich, ein Tod des Ehemanns der Klägerin durch wehrdiensteigentümliche Verhältnisse sei nicht nachgewiesen.
Im Oktober 2009 zeigte die Klägerin an, der Suizid ihres Ehemanns habe sie schwerst traumatisiert. Dies habe letztlich zu ihrer Entlassung aus der Bundeswehr wegen Dienstunfähigkeit geführt. Sie beantrage deshalb Beschädigtenversorgung.
Die Beklagte lehnte den Antrag der Klägerin auf Versorgungsleistungen ab, weil die bei ihr bestehende Anpassungsstörung nicht Folge einer Wehrdienstbeschädigung sei (Bescheid vom 30.4.2010, Widerspruchsbescheid vom 27.12.2010).
Das SG Koblenz hat die von der Klägerin dagegen erhobene Klage abgewiesen. Deren seelische Störung, die zur Dienstunfähigkeit geführt habe, sei ursächlich auf das Auffinden ihres Ehemanns zurückzuführen, es fehle aber der ursächliche Zusammenhang zum Dienst der Klägerin. Sie habe ihren Ehemann nicht als Ärztin im Dienst, sondern als besorgte Ehefrau aufgefunden (Urteil vom 22.5.2014).
Das LSG hat die Berufung zurückgewiesen, weil das Auffinden ihres Ehemanns durch die Klägerin keine Wehrdienstbeschädigung darstelle. Zwischen dem Wehrdienst und der schadenstiftenden Entdeckung habe nur ein äußerer zeitlicher, aber kein enger innerer Zusammenhang bestanden. Selbst wenn man das Auffinden als einen Unfall iS von § 27 Abs 2 SVG ansehen würde und die Klägerin dann die Anpassungsstörung und posttraumatische Belastungsstörung während der Ausübung des Wehrdienst erlitten hätte, sei nicht feststellbar, dass die Gesundheitsstörungen wesentlich durch den wehrdienstlichen Unfall verursacht worden seien. Im Vordergrund stünden vielmehr persönlichkeitseigene Faktoren, der plötzliche Verlust des geliebten Partners.
Gegen die Nichtzulassung der Revision in diesem Urteil hat die Klägerin Nichtzulassungsbeschwerde erhoben. Das LSG sei von der Rechtsprechung des BSG abgewichen, habe die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache verkannt und seine Pflicht zur Amtsermittlung verletzt.
II. Die Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin ist unzulässig. Die Begründung genügt nicht den gesetzlichen Anforderungen, weil weder der geltend gemachte Verfahrensfehler (1.), noch die behauptete Divergenz (2.) und die angebliche grundsätzliche Bedeutung (3.) ordnungsgemäß dargetan worden sind (vgl § 160a Abs 2 S 3 SGG).
1. Die behauptete Verletzung der Sachaufklärungspflicht durch das LSG hat die Beschwerde nicht hinreichend substantiiert dargetan. Wird eine Nichtzulassungsbeschwerde darauf gestützt, dass ein Verfahrensmangel vorliege, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen könne (§ 160 Abs 2 Nr 3 Halbs 1 SGG), so müssen bei der Bezeichnung des Verfahrensmangels (§ 160a Abs 2 S 3 SGG) zunächst die den Verfahrensmangel (vermeintlich) begründenden Tatsachen substantiiert dargetan werden. Gemäß § 160 Abs 2 Nr 3 Halbs 2 SGG kann der geltend gemachte Verfahrensmangel dabei auf eine Verletzung des § 103 SGG nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist. Will die Beschwerde demnach einen Verstoß gegen die tatrichterliche Sachaufklärungspflicht rügen (§ 103 SGG), so muss sie einen für das Revisionsgericht ohne Weiteres auffindbaren Beweisantrag bezeichnen, dem das LSG nicht gefolgt ist.
Einen solchen Beweisantrag gestellt zu haben, behauptet die Klägerin selber nicht. Zwar trägt sie vor, dies sei nur unterblieben, weil das LSG den erforderlichen Hinweis auf seine Rechtsansicht zur fehlenden Kausalität zwischen Wehrdienstunfall und gesundheitlicher Schädigung unterlassen habe. Mit diesem Vortrag rügt die Klägerin eine Überraschungsentscheidung durch das LSG und somit eine Verletzung rechtlichen Gehörs. Der Anspruch der Beteiligten auf rechtliches Gehör verpflichtet das Prozessgericht aber grundsätzlich nicht, die für die richterliche Überzeugungsbildung möglicherweise leitenden Gesichtspunkte vorher mit den Beteiligten zu erörtern (vgl BSG SozR 3-1500 § 112 Nr 2 S 3 mwN). Etwas anderes gilt nur dann, wenn das Gericht seine Entscheidung auf einen rechtlichen Gesichtspunkt stützt, mit dem auch ein gewissenhafter und kundiger Prozessbeteiligter selbst unter Berücksichtigung der Vielfalt vertretbarer Rechtsauffassungen nicht zu rechnen brauchte (vgl BVerfGE 86, 133, 144 f).
Nach diesen Vorgaben ist eine Gehörsverletzung nicht substantiiert dargetan. Das LSG hat den Entschädigungsanspruch der Klägerin auch deshalb verneint, weil die seelischen Störungen der Klägerin allein auf den plötzlichen Verlust des geliebten Partners und nicht auf den Umstand zurückzuführen seien, dass der Selbstmord während des Dienstes der Klägerin offenbar wurde. Vorher hatte sich die beklagte Bundesrepublik bereits im ablehnenden Bescheid vom 30.4.2010 darauf berufen, ein ursächlicher Zusammenhang zwischen wehrdienstlichen Einflüssen und der Gesundheitsschädigung der Klägerin sei nicht nachgewiesen. Ursache für ihre "komplizierte Trauer" sei nicht der Ort der Tat, sondern das Ereignis der Selbsttötung ihres Ehemanns als solches. Sind derartige, für den Kläger ungünstige Kausalitätserwägungen aber bereits Gegenstand der schriftlichen Ausführungen eines Beteiligten gewesen und macht sie das Gericht sich später zu eigen, so bedarf es substantiierter Darlegungen, warum das darauf gestützte Urteil gleichwohl eine Überraschungsentscheidung darstellt. Daran fehlt es hier. Die Beschwerde hat nicht überzeugend begründen können, warum das Berufungsgericht auf seine bereits vorher von der Beklagten vertretene Rechtsansicht nochmals hätte hinweisen müssen, um den Anspruch der Klägerin auf rechtliches Gehör zu wahren.
2. Ebenso wenig dargelegt hat die Beschwerde die behauptete Divergenz. Divergenz iS von § 160 Abs 2 Nr 2 SGG liegt vor, wenn das LSG einen tragenden abstrakten Rechtssatz in Abweichung von einem vorhandenen abstrakten Rechtssatz des BSG, des GmSOGB oder des BVerfG aufgestellt hat. Wer eine Rechtsprechungsdivergenz entsprechend den gesetzlichen Anforderungen darlegen will, muss entscheidungstragende abstrakte Rechtssätze in der Entscheidung des Berufungsgerichts einerseits und in der herangezogenen höchstrichterlichen Entscheidung des BSG, des GmSOGB oder des BVerfG andererseits gegenüberstellen und dazu ausführen, weshalb beide miteinander unvereinbar sein sollen (vgl zB BSG Beschluss vom 28.7.2009 - B 1 KR 31/09 B - RdNr 4; BSG Beschluss vom 28.6.2010 - B 1 KR 26/10 B - RdNr 4; BSG Beschluss vom 22.12.2010 - B 1 KR 100/10 B - Juris RdNr 4 mwN). Erforderlich ist, dass das LSG bewusst einen abweichenden Rechtssatz aufgestellt hat und nicht etwa lediglich fehlerhaft das Recht angewendet hat (vgl zB BSG Beschluss vom 15.1.2007 - B 1 KR 149/06 B - RdNr 4; BSG SozR 3-1500 § 160 Nr 26 S 44 f mwN). Die Beschwerde meint, das LSG weiche von der Entscheidung des BSG vom 25.11.1976 - 9 RV 28/76 - ab. Indes zeigt sie bereits nicht auf, welchen abstrakten Rechtssatz das LSG im Widerspruch zu den Rechtssätzen dieser Entscheidung aufgestellt haben soll. Die Beschwerde führt aus, dass LSG weiche in Verkennung der Umstände von der zitierten BSG-Entscheidung ab, die einen Unfall während des Wehrdienstverhältnisses, aber nicht in Ausübung des Dienstes, sondern davon losgelöst betroffen habe. Damit macht sie aber tatsächlich keine Divergenz im Grundsätzlichen, sondern lediglich eine unrichtige Rechtsanwendung des LSG im Einzelfall geltend, das sich für seine Rechtsansicht ausdrücklich auf die von der Beschwerde zitierte Entscheidung berufen hat. Die inhaltliche Richtigkeit der Entscheidung des LSG im Einzelfall ist aber nicht Gegenstand der Nichtzulassungsbeschwerde (vgl BSG SozR 1500 § 160a Nr 7).
3. Schließlich hat die Beschwerde auch die behauptete grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache nicht substantiiert dargetan. Eine Rechtssache hat nur dann grundsätzliche Bedeutung, wenn sie eine Rechtsfrage aufwirft, die über den Einzelfall hinaus aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts einer Klärung durch das Revisionsgericht bedürftig und fähig ist. Der Beschwerdeführer muss daher anhand des anwendbaren Rechts und unter Berücksichtigung der höchstrichterlichen Rechtsprechung angeben, welche Fragen sich stellen, dass diese noch nicht geklärt sind, weshalb eine Klärung dieser Rechtsfragen aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts erforderlich ist und dass das angestrebte Revisionsverfahren eine Klärung erwarten lässt. Ein Beschwerdeführer muss mithin, um seiner Darlegungspflicht zu genügen, eine Rechtsfrage, ihre (abstrakte) Klärungsbedürftigkeit, ihre (konkrete) Klärungsfähigkeit (Entscheidungserheblichkeit) sowie die über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung der von ihm angestrebten Entscheidung (so genannte Breitenwirkung) darlegen (zum Ganzen vgl BSG SozR 3-1500 § 160a Nr 34 S 70 mwN; Fichte in Breitkreuz/Fichte, SGG, 2009, § 160a RdNr 41). Soweit die Beschwerde es für grundsätzlich klärungsbedürftig hält,
"ab wann von einem inneren Zusammenhang zwischen Unfall und Dienstverrichtung auszugehen ist, damit eine Wehrdienstbeschädigung vorliegt",
legt sie nicht dar, warum diese Frage in einem Revisionsverfahren entscheidungserheblich wäre und deshalb dort geklärt werden könnte (konkrete Klärungsfähigkeit). Denn die Beschwerde setzt sich nicht damit auseinander, dass das LSG einen Entschädigungsanspruch der Klägerin unabhängig vom Vorliegen eines Dienstunfalls auch abgelehnt hat, weil es den Kausalzusammenhang zwischen einem etwaigen Dienstunfall und der geltend gemachten Gesundheitsstörung verneint hat. An diese Feststellung ist der Senat nach § 163 SGG gebunden, weil die Klägerin dagegen, wie ausgeführt, keine zulässigen Rügen erhoben hat.
Die Beschwerde ist somit ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter zu verwerfen (§ 160a Abs 4 S 1 Halbs 2, § 169 SGG).