Entscheidungsdatum: 04.05.2017
Die Revisionen der Staatsanwaltschaft und des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Hannover vom 13. Oktober 2016 werden verworfen.
Der Angeklagte hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen. Die Kosten des Rechtsmittels der Staatsanwaltschaft und die dem Angeklagten hierdurch entstandenen notwendigen Auslagen fallen der Staatskasse zur Last.
Von Rechts wegen
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Beihilfe zur unerlaubten Einreise von Ausländern und wegen Einschleusens von Ausländern in zwei Fällen zu der Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr verurteilt und die Vollstreckung der Strafe zur Bewährung ausgesetzt. Hiergegen wenden sich die auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützten Revisionen der Staatsanwaltschaft und des Angeklagten.
Nach den Feststellungen informierte der Angeklagte, ein syrischer Staatsangehöriger, der sich zu diesem Zeitpunkt in der Türkei aufhielt, auf einer Facebook-Seite "syrische, palästinensische und irakische Brüder" über eine sichere Schiffspassage von Mersin (Türkei) nach Italien, wobei er für Nachfragen zu näheren Details die Nummer des von ihm benutzten Mobiltelefons angab. Daraufhin meldete sich ein syrischer Staatsangehöriger, der - ohne über die für eine legale Einreise erforderlichen Dokumente zu verfügen - in ein Land der Europäischen Union einreisen wollte, im Dezember 2014 bei dem Angeklagten und traf sich mehrfach mit diesem. Der Angeklagte machte den Zeugen mit einem Schleuser bekannt und begleitete ihn zusammen mit diesem zu einem Versicherungsbüro, wo er 6.000 US-Dollar zu hinterlegen hatte, die nach der Ankunft in Italien freigegeben werden sollten. Dass der Angeklagte dieses Geld oder Teile hiervon erhalten sollte, konnte das Landgericht nicht feststellen (Tat II.1.). Ebenfalls im Dezember 2014 wandten sich drei weitere syrische Staatsangehörige - ein entfernter Verwandter des Angeklagten (Tat II.2.) sowie ein Bekannter aus seinem Heimatort und dessen Cousin (Tat II.3.) -, die sich in der Türkei aufhielten, an den Angeklagten, auf den sie als möglichen Helfer hingewiesen worden waren. Der Angeklagte traf sich auch mit diesen und vermittelte sie an unterschiedliche Personen, die sich in der Folge um eine Schiffspassage nach Europa kümmerten. Diese Zeugen hatten ebenfalls je mehrere Tausend US-Dollar bei dem Versicherungsbüro zu hinterlegen. Die Zeugen wurden mit über 750 Migranten schließlich auf ein Schiff verbracht, auf dem sie nur unzureichend versorgt wurden sowie kaum sanitäre Anlagen und Schlafplätze zur Verfügung standen und das schließlich nach einer Seenotmeldung vor der italienischen Küste im Wege der Rettungshilfe nach Italien verbracht wurde. Die vier Zeugen reisten später nach Deutschland ein, nachdem sie sich zunächst nach Mailand begeben und teilweise zunächst auch in Frankreich und Schweden aufgehalten hatten. Auch der Angeklagte, dem nach gescheiterten früheren Einreiseversuchen im November 2015 über die sogenannte Balkanroute die Einreise gelang, lebt mittlerweile in Deutschland.
Die Strafkammer konnte sich nicht die Überzeugung verschaffen, dass der Angeklagte bei den Taten gewerbsmäßig und als Mitglied einer Bande handelte, ebenso wenig, dass ihm die Bedingungen auf dem Schiff bekannt waren oder von ihm in Kauf genommen wurden.
I. Die Revision der Staatsanwaltschaft
Das zulasten des Angeklagten eingelegte Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft, das sich insbesondere gegen die Beweiswürdigung und die Strafzumessung wendet und das vom Generalbundesanwalt nur teilweise vertreten wird, erweist sich als unbegründet.
1. Die Revision ist unbeschränkt eingelegt worden. Zwar geht der Revisionsantrag dahin, dass das Urteil nur im Strafausspruch aufzuheben sei. Doch hat die Staatsanwaltschaft eingangs der Revisionsbegründung ausdrücklich darauf hingewiesen, dass die Sachrüge umfassend erhoben wird. Auch greift sie den Schuldspruch im Fall II.1. sowie die konkurrenzrechtliche Bewertung der Taten des Angeklagten an. Danach ergibt die im Falle eines unklaren Umfangs der Anfechtung vorzunehmende Auslegung (vgl. etwa BGH, Urteile vom 7. Mai 2009 - 3 StR 122/09, juris Rn. 5; vom 11. Juni 2014 - 2 StR 90/14, BGHR StPO § 344 Abs. 1 Antrag 9) nach dem maßgeblichen und eindeutigen Sinn der Revisionsbegründung, dass das Angriffsziel die Aufhebung des gesamten Urteils ist.
2. Die Revision der Staatsanwaltschaft zeigt einen Rechtsfehler des Urteils zugunsten des Angeklagten indessen nicht auf.
a) Die Beweiswürdigung ist vom Gesetz dem Tatrichter übertragen (§ 261 StPO). Es obliegt daher allein ihm, sich unter dem umfassenden Eindruck der Hauptverhandlung ein Urteil über die Schuld des Angeklagten zu bilden. Seine Schlussfolgerungen brauchen nicht zwingend zu sein; es genügt, dass sie möglich sind. Ebenso ist es allein Sache des Tatrichters, die Bedeutung und das Gewicht der einzelnen Indizien in der Gesamtwürdigung des Beweisergebnisses zu bewerten. Die revisionsgerichtliche Prüfung beschränkt sich darauf, ob dem Tatrichter Rechtsfehler unterlaufen sind. Das ist in sachlich-rechtlicher Hinsicht der Fall, wenn die Beweiswürdigung widersprüchlich, unklar oder lückenhaft ist, gegen Denkgesetze oder gesicherte Erfahrungssätze verstößt oder an die Überzeugung von der Schuld des Angeklagten überhöhte Anforderungen stellt. Liegen solche Rechtsfehler nicht vor, hat das Revisionsgericht die tatrichterliche Überzeugungsbildung auch dann hinzunehmen, wenn eine abweichende Würdigung der Beweise möglich oder sogar näherliegend gewesen wäre. Ebenso wenig kann das Revisionsgericht auf der Grundlage einer abweichenden Beurteilung der Bedeutung einer vom Tatrichter vertretbar bewerteten Indiztatsache in dessen Überzeugungsbildung eingreifen (vgl. BGH, Urteile vom 20. September 2012 - 3 StR 140/12, NStZ-RR 2013, 75, 76 f. mwN; vom 16. Mai 2013 - 3 StR 45/13, NStZ 2013, 581, 582 f.).
Daran gemessen ist gegen die Beweiswürdigung des Landgerichts aus Rechtsgründen nichts zu erinnern. Sie beruht auf einer bewertenden Gesamtschau aller maßgeblichen objektiven und subjektiven Tatumstände des Einzelfalles. Die von der Strafkammer in diesem Zusammenhang angestellten Erwägungen sind - wie der Generalbundesanwalt in seiner Zuschrift im Einzelnen dargelegt hat - weder lückenhaft, widersprüchlich oder unklar noch verstoßen sie gegen Denkgesetze oder gesicherte Erfahrungssätze. Die Strafkammer hat rechtsfehlerfrei dargelegt, warum sie der Einlassung des Angeklagten, aber auch den Angaben des Zeugen A. nur eingeschränkt folgt. Die Bewertung einzelner Indiztatsachen durch das Landgericht ist entgegen dem Revisionsvorbringen vertretbar und deshalb revisionsrechtlich hinzunehmen.
b) Auf der Grundlage der danach rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen hält der Schuldspruch rechtlicher Überprüfung stand.
Insbesondere hat das Landgericht im Fall II.1. der Urteilsgründe ohne Rechtsfehler lediglich auf Beihilfe zur unerlaubten Einreise von Ausländern nach § 95 Abs. 1 Nr. 3 AufenthG, § 27 StGB erkannt. Soweit die Generalstaatsanwaltschaft Celle in ihrer Stellungnahme zur Revisionsbegründung und ihr folgend der Generalbundesanwalt geltend machen, das Landgericht hätte sich im Hinblick auf die Einlassung des Angeklagten zu seiner und der Ausreise seiner Familie (UA S. 9) mit einer Strafbarkeit nach § 96 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a AufenthG auseinandersetzen müssen, zeigen sie einen Rechtsfehler nicht auf. Die Urteilsgründe geben keinen Anhalt dafür, dass sich der Angeklagte für seine Unterstützungshandlungen zu den verfahrensgegenständlichen Schleusungen einen - immateriellen - Vorteil gewähren oder versprechen ließ. Zudem ist die dargelegte Aussage des Angeklagten dahingehend zu verstehen, dass dieser nicht dem Zeugen D. Hilfe leistete, um seine eigene Einreise nach Deutschland zu ermöglichen, sondern zu diesem Zweck zu einem späteren Zeitpunkt Schleusungen auf dem Landwege vornahm, die nicht Gegenstand des vorliegenden Verfahrens sind. Auf der Basis der Urteilsgründe wäre die Annahme, dass der Angeklagte für seine in den verfahrensgegenständlichen Fällen anderen geleistete Hilfe zur Einreise einen Vorteil erlangt hat oder sich hat versprechen lassen, reine Spekulation. Mit spekulativen Möglichkeiten, für deren Beleg jeder Ansatz im Beweisergebnis fehlt, müssen sich die Urteilsgründe nicht befassen. Aufklärungsrügen sind nicht erhoben.
Soweit die Revision der Staatsanwaltschaft darüber hinaus rügt, das Landgericht sei rechtsfehlerhaft nicht von mittäterschaftlicher Begehung ausgegangen und habe überdies zu Unrecht Tatmehrheit zwischen den abgeurteilten Taten angenommen, zeigt sie keine den Angeklagten begünstigenden Rechtsfehler auf; dies hat der Generalbundesanwalt in seiner Zuschrift bereits zutreffend dargelegt.
c) Ebenso erweist sich die Strafzumessung als rechtsfehlerfrei.
Die Zumessung der Strafe ist Aufgabe des Tatrichters, dem es obliegt, auf der Grundlage des umfassenden Eindrucks, den er in der Hauptverhandlung von der Tat und der Persönlichkeit des Angeklagten gewonnen hat, die wesentlichen entlastenden und belastenden Umstände festzustellen, sie zu bewerten und gegeneinander abzuwägen. Eine ins Einzelne gehende Richtigkeitskontrolle des Revisionsgerichts findet nicht statt; dieses prüft nur nach, ob dem Tatrichter ein Rechtsfehler unterlaufen ist. In Zweifelsfällen hat das Revisionsgericht die Wertung des Tatgerichts zu respektieren (st. Rspr.; vgl. schon BGH, Urteil vom 17. September 1980 - 2 StR 355/80, BGHSt 29, 319, 320).
Einen Rechtsfehler enthält die Strafzumessung des Landgerichts nach diesen Maßstäben nicht. Das Landgericht hat sich bei der Bemessung der Strafe am Umfang der Schuld orientiert, wie es ihn festgestellt hat. Dass es dabei wesentliche strafbestimmende Umstände außer Acht gelassen hätte, wird von der Revision nicht aufgezeigt und ist nicht ersichtlich. Die verhängten Einzelstrafen sowie die ausgesprochene Gesamtfreiheitsstrafe sind zwar milde. Es kann indes keine Rede davon sein, dass sie sich unvertretbar von ihrer Bestimmung entfernen, gerechter Schuldausgleich zu sein.
II. Die Revision des Angeklagten
Die durch die Revision des Angeklagten - wie auch die der Staatsanwaltschaft (§ 301 StPO) - veranlasste Überprüfung des Urteils hat auch keinen Rechtsfehler zu seinem Nachteil ergeben. Insbesondere tragen die rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen den Schuldspruch.
Das Landgericht hat allerdings keine ausdrücklichen Feststellungen zu den Modalitäten der Einreise der vom Angeklagten hierbei unterstützten vier Zeugen noch zu deren aufenthaltsrechtlichen Status getroffen. Dies stellt indes keinen den Angeklagten benachteiligenden Rechtsfehler dar. Dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe kann entnommen werden, dass die vier Zeugen, denen der Angeklagte zur Einreise verholfen hat, ohne den nach § 3 Abs. 1 AufenthG erforderlichen Pass bzw. ohne den nach § 4 Abs. 1 AufenthG erforderlichen Aufenthaltstitel in das Bundesgebiet eingereist sind und ihre Einreise somit unerlaubt im Sinne von § 95 Abs. 1 Nr. 3, § 14 Abs. 1 Nr. 1 und 2 AufenthG war. Aufenthaltsrechtliche Regelungen, die vorliegend möglicherweise einer Bestrafung der Zeugen entgegenstehen, lassen unter keinem denkbaren Gesichtspunkt die Strafbarkeit des Angeklagten entfallen, so dass seine Verurteilung auf dem Fehlen entsprechender Feststellungen nicht beruht. Im Einzelnen:
1. Der Angeklagte ist auch dann wegen Beihilfe zur unerlaubten Einreise strafbar, wenn der Schutz des Art. 31 Abs. 1 Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) die Bestrafung der Zeugen wegen der Haupttat nach § 95 Abs. 1 Nr. 3 AufenthG verbietet (§ 95 Abs. 5 AufenthG). Einer möglichen Straflosigkeit der Zeugen steht nicht von vornherein entgegen, dass sie nach den Feststellungen jeweils nicht unmittelbar aus dem Verfolgerstaat (Syrien), sondern aus einem Mitgliedstaat der Europäischen Union - Italien, teilweise sogar über Frankreich (Fall II.3. der Urteilsgründe) und Schweden (Fall II.1. der Urteilsgründe) - nach Deutschland eingereist sind. Zwar kann sich auf das Asylgrundrecht grundsätzlich nicht berufen, wer aus einem Mitgliedstaat der Europäischen Gemeinschaft einreist (vgl. Art. 16a Abs. 2 Satz 1 GG, § 26a Abs. 1 Satz 1 AsylG). Doch kann der Einreisende unter bestimmten Voraussetzungen trotz seines zwischenzeitlichen Aufenthalts in einem sicheren Drittstaat als „Flüchtling“ im Sinne von § 95 Abs. 5 AufenthG in Verbindung mit Art. 31 Abs. 1 GFK einzustufen sein (vgl. MüKoStGB/Gericke, 2. Aufl., § 95 AufenthG Rn. 119). Ein Flüchtling verliert seinen Schutz durch Art. 31 Abs. 1 GFK nicht schon ohne weiteres dadurch, dass er aus einem Drittstaat nach Deutschland einreist, sofern er diesen Drittstaat nur als „Durchgangsland“ nutzt und sich der Aufenthalt in diesem nicht schuldhaft verzögert (BVerfG, Beschluss vom 8. Dezember 2014 - 2 BvR 450/11, NVwZ 2015, 361, 363 mwN). Doch wirkt sich eine mögliche Straffreistellung der Zeugen auf die Strafbarkeit des Angeklagten nicht aus. Denn durch den Schutz des Art. 31 Abs. 1 GFK entsteht lediglich dem Asylsuchenden ein persönlicher Strafaufhebungsgrund, der das bereits verwirklichte Unrecht der unerlaubten Einreise unberührt lässt und deshalb vorliegend auf die Strafbarkeit des Angeklagten ohne Einfluss wäre (BGH, Urteile vom 26. Februar 2015 - 4 StR 178/14, NStZ-RR 2015, 184, 186 und 4 StR 233/14, BGHSt 60, 205, 212 mwN).
2. Eine Verurteilung des Angeklagten scheitert auch nicht an einer etwaigen Straflosigkeit der Zeugen, die sich aus dem Vorrang des Rückführungsverfahrens ergeben könnte. Zwar sieht die sogenannte Rückführungsrichtlinie (Richtlinie 2008/115/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Dezember 2008 über gemeinsame Normen und Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Rückführung illegal aufhältiger Drittstaatsangehöriger - ABl. EU L 348 vom 24. Dezember 2008, S. 98) in ihrer Auslegung durch den Europäischen Gerichtshof einen absoluten Vorrang des Rückführungsverfahrens vor, der der Anwendung strafrechtlicher Sanktionen gegen einen Drittstaatsangehörigen in einem Mitgliedstaat entgegensteht, die allein deshalb verhängt werden können, weil er sich illegal im Hoheitsgebiet dieses Mitgliedstaats aufhält, nicht bereit ist, dieses freiwillig zu verlassen, und gegen den noch keine Zwangsmaßnahmen im Sinne von Art. 8 der Rückführungsrichtlinie (also in aller Regel die Abschiebung) angeordnet worden sind (EuGH, Urteile vom 28. April 2011 - C-61/11 PPU, InfAuslR 2011, 320; vom 6. Dezember 2011 - C-329/11, EuGRZ 2011, 687). Gleiches gilt nach der Rechtsprechung des EuGH für Regelungen eines Mitgliedstaats, die allein aufgrund des Umstands der - zu einem illegalen Aufenthalt führenden - illegalen Einreise über eine Binnengrenze die Strafhaft eines Drittstaatsangehörigen zulassen, für den das nach der Rückführungsrichtlinie vorgesehene Rückführungsverfahren noch nicht abgeschlossen worden ist (EuGH, Urteil vom 7. Juni 2016 - C-47/15, ZAR 2016, 344). Dies ergebe sich daraus, dass die Durchführung eines Strafverfahrens wegen unerlaubten Aufenthalts gegen einen Ausländer, gegen den noch keine Rückkehrentscheidung vollstreckt oder gar erlassen worden sei, dessen Rückführung verzögere; gleiches gelte erst recht bei Vollstreckung einer allein deswegen verhängten Freiheitsstrafe. Aus dieser Rechtsprechung ist im ausländerstrafrechtlichen Schrifttum der Schluss gezogen worden, für die Strafbarkeit wegen unerlaubten Aufenthalts und unerlaubter Einreise verbleibe bei europarechtskonformer Auslegung nur ein sehr schmaler Anwendungsbereich: Nur wenn das Rückführungsverfahren endgültig gescheitert sei, komme noch eine Strafbarkeit in Betracht (vgl. Hörich/Bergmann, NJW 2012, 3339, 3341 f.; Huber/Hörich, AufenthG, 2. Aufl., § 95 Rn. 50 ff.; NK-AuslR/Fahlbusch, 2. Aufl., § 95 AufenthG Rn. 50 ff.). Die Vereinbarkeit mit dem Unionsrecht erfordere zudem eine entsprechende einschränkende Auslegung jedenfalls der Tatbestände des § 95 Abs. 1 Nr. 2 und 3 AufenthG, weshalb auch die akzessorische Teilnahme an diesen Delikten - auch in Gestalt der Schleusungsdelikte der §§ 96 f. AufenthG - straflos sei (vgl. Huber/Hörich aaO, Vorb. zu §§ 96 f. Rn. 19 f.; NK-AuslR/Fahlbusch aaO, Rn. 54; Bergmann/Hörich in Barwig u.a. [Hrsg.], Steht das europäische Migrationsrecht unter Druck?, 2015, S. 17, 23 ff.).
Dem kann indes nicht gefolgt werden. Dabei kann der Senat offen lassen, in welchen Fallkonstellationen und unter welchen Voraussetzungen im Einzelnen die Regelungen der Rückführungsrichtlinie einer Bestrafung von Drittstaatsangehörigen entgegenstehen (vgl. insoweit auch OLG Hamburg, Beschluss vom 25. Januar 2012 - 3-1/12 (Rev), OLGSt AufenthG § 95 Nr. 5; KG, Beschluss vom 26. März 2012 - (4) 1 Ss 393/11 (20/12), NStZ-RR 2012, 347). Eine etwaige Straflosigkeit des unerlaubt Einreisenden wirkt sich jedenfalls auf die Strafbarkeit des Gehilfen nicht aus. Nach dem Grundsatz der limitierten Akzessorietät setzt die Strafbarkeit des Teilnehmers lediglich eine vorsätzliche und rechtswidrige, nicht notwendig jedoch auch mit Strafe zu ahndende Haupttat voraus. Unionsrechtlich ist es auch mit Blick auf die Rechtsprechung des EuGH und die darin angestellten Erwägungen, die sich auf einer praktischen Ebene bewegen, nicht geboten, den Vorrang des Rückführungsverfahrens dadurch zu erreichen, dass schon die Tatbestandsmäßigkeit und Rechtswidrigkeit des illegalen Aufenthalts verneint werden; vielmehr kann aus diesem Vorrang allenfalls die persönliche Straflosigkeit der illegal Aufhältigen bzw. Eingereisten oder ein diesbezügliches (partielles) Bestrafungsverbot hergeleitet werden (BGH, Beschluss vom 8. März 2017 - 5 StR 333/16, NJW 2017, 1624, 1625 mwN). Dies könnte etwa durch die Annahme eines persönlichen Strafaufhebungsgrundes geschehen (vgl. dazu MüKoStGB/Gericke, 2. Aufl., § 95 AufenthG Rn. 30 aE; BeckOK AuslR/Hohoff, § 95 AufenthG Rn. 27 aE). Da das Recht der Mitgliedstaaten, ein Strafbedürfnis durch Rechtsetzung zu formulieren, auch nach der Rechtsprechung des EuGH ausdrücklich unberührt bleibt (EuGH, Urteile vom 1. Oktober 2015 - C-290/14, NVwZ-RR 2015, 952 f.; vom 6. Dezember 2012 - C-430/11, NVwZ-RR 2013, 123; vom 6. Dezember 2011 - C-329/11, aaO S. 690), soll durch sie gegebenenfalls lediglich die Verfolgbarkeit eingeschränkt werden, so dass insoweit die Annahme eines Prozesshindernisses ebenfalls in Betracht kommt (vgl. LR/Beulke, StPO, 26. Aufl., § 152 Rn. 30; Eb. Schmidt, StPO, Teil II, § 152 Rn. 9; LK/Walter, StGB, 12. Aufl., Vorb. zu §§ 13 ff. Rn. 187 mwN). Weitergehend könnte bei Sicherung des Vorrangs der Abschiebung, etwa durch europarechtskonforme Handhabung von § 72 Abs. 4 Satz 1 AufenthG, § 154b Abs. 3 und 4 StPO bzw. § 456a StPO auch nur von einem Vollstreckungshindernis auszugehen sein. In keinem dieser Fälle wird die Tatbestands- oder die Rechtswidrigkeitsebene tangiert, weshalb es nach den Grundsätzen der limitierten Akzessorietät bei der Strafbarkeit des Teilnehmers verbleibt (vgl. für Fälle der Einschleusung von Ausländern nach § 96 AufenthG BGH, Beschluss vom 8. März 2017 - 5 StR 333/16, NJW 2017, 1624).
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