Entscheidungsdatum: 12.12.2018
Die Zurückweisung einer beantragten Zeugenvernehmung wegen Ungeeignetheit des Beweismittels kommt nur ausnahmsweise in Betracht, wenn es völlig ausgeschlossen erscheint, dass diese Vernehmung sachdienliche Erkenntnisse erbringen kann; weder die Unwahrscheinlichkeit der Tatsache noch die Unwahrscheinlichkeit der Wahrnehmung der Tatsache durch den benannten Zeugen berechtigen den Tatrichter schon dazu, von der Beweisaufnahme abzusehen (im Anschluss an BGH Beschlüsse vom 11. Oktober 2016, VI ZR 547/14, juris und vom 12. September 2012, IV ZR 177/11, FamRZ 2012, 1938).
Auf die Nichtzulassungsbeschwerde der Kläger wird die Revision gegen das Urteil des 4. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Karlsruhe vom 29. September 2017 zugelassen.
Auf die Revision der Kläger wird das vorgenannte Urteil aufgehoben. Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens einschließlich der Kosten der Nichtzulassungsbeschwerde, an das Oberlandesgericht zurückverwiesen.
Wert: bis 470.000 €
I.
Die Parteien waren über ein gewerbliches Mietverhältnis miteinander verbunden. Die klagenden Vermieter machen die Unwirksamkeit einer von der beklagten Mieterin ausgesprochenen Kündigung geltend.
Am 28. Juli 2005 schlossen die Rechtsvorgänger der Parteien einen befristeten Mietvertrag über ein als Autohaus genutztes Mietobjekt in W. für die Zeit vom 1. Oktober 2005 bis zum 30. September 2015. In den Mieträumen wurde die Beklagte als Vertragshändlerin der B. AG tätig. Der Vertrag sah in § 3 Abs. 4 das folgende Sonderkündigungsrecht vor:
"Der Mieter ist berechtigt, das Vertragsverhältnis mit einer Frist von zwölf Monaten zu kündigen, wenn
a) der Händlervertriebsvertrag zwischen der B. AG und dem Mieter über das Vertriebsgebiet W. gleich welchen Rechtsgrundes endet oder
b) die B. AG ohne Beendigung des eben erwähnten Händlervertriebsvertrages eine Standortveränderung vom Mieter verlangt.
Der Mieter kann unter Verweis auf die Kündigungsgründe dieses Absatzes erstmals ab dem 01.10.2012 kündigen."
Im Jahr 2008 erwarb die Beklagte im Gewerbepark H. in W. ein Grundstück. Auf diesem Grundstück ließ sie im Jahr 2010 zunächst ein Werbeschild mit der Aufschrift "Vorzeichen zum neuen Standort!" und spätestens im Herbst 2011 ein weiteres Werbeschild mit der Aufschrift "Baubeginn 2012 - Eröffnung 2013" platzieren. Mit Schreiben vom 18. September 2012 kündigte die Beklagte den Mietvertrag zum 31. Oktober 2013 und verwies zur Begründung auf zwei Schreiben der B. AG vom 14. Mai 2012 und 3. September 2012, in denen diese von der Beklagten als Voraussetzung für die Verlängerung des zum 30. September 2013 auslaufenden Händlervertriebsvertrags die Verlagerung der Betriebsstätte an einen anderen Standort verlangte. Im Herbst 2013 räumte die Beklagte das Mietobjekt und verlegte den Standort des Autohauses in die neu erbaute Betriebsimmobilie.
Mit ihrer Klage haben die Kläger - soweit noch von Interesse - die Verurteilung der Beklagten zur Zahlung rückständiger Miete seit November 2013 und die Feststellung begehrt, dass das Mietverhältnis nicht durch die Kündigung der Beklagten vom 18. September 2012 zum 31. Oktober 2013 beendet worden sei, sondern bis zum 30. September 2015 fortbestanden habe. Sie sind der Meinung, dass die beiden Schreiben der B. AG aus dem Jahr 2012 bloße "Gefälligkeitsbescheinigungen" seien und dass die Beklage die Voraussetzungen für das Entstehen eines Sonderkündigungsrechts treuwidrig selbst herbeigeführt habe. Das Landgericht hat die Klage nach Durchführung einer Beweisaufnahme durch Vernehmung des seinerzeit bei der B. AG tätig gewesenen Zeugen G. hinsichtlich des Anspruchs auf Zahlung rückständiger Miete und des Feststellungsbegehrens abgewiesen. Das Oberlandesgericht hat die dagegen gerichtete Berufung der Kläger zurückgewiesen. Mit ihrer Beschwerde wenden sich die Kläger gegen die Zurückweisung ihrer Berufung und die Nichtzulassung der Revision.
II.
Die statthafte und auch im Übrigen zulässige Nichtzulassungsbeschwerde ist begründet. Die zugelassene Revision führt gemäß § 544 Abs. 7 ZPO zur Aufhebung des angegriffenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
1. Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung wie folgt begründet: Die Beklagte habe durch die beiden Schreiben der B. AG aus dem Jahr 2012 in Verbindung mit der Aussage des Zeugen G. bewiesen, dass ihre Kündigung auf einem Verlangen der B. AG nach Verlagerung des Standorts als Voraussetzung für eine Verlängerung des am 30. September 2013 auslaufenden Händlervertrages beruht habe. Die Indizien, welche die Kläger dafür angeführt hätten, dass diesen Schreiben als "Gefälligkeitsbescheinigungen" kein ernsthaftes Verlangen nach Verlagerung des Standortes zugrunde gelegen habe, seien vom Landgericht zu Recht als nicht durchgreifend erachtet worden. Zwar sei nicht zu verkennen, dass die Forderung der B. AG mit hoher Wahrscheinlichkeit einem Interesse der Beklagten entgegengekommen sein dürfte, die auf dem 2008 erworbenen Grundstück neu errichtete Betriebsstätte bereits jetzt eröffnen und das bisherige Objekt vor Ablauf der regulären Mietzeit verlassen zu können. Dies rechtfertige es aber nicht schon, die Verlagerungsforderung als vorgeschoben zu bewerten. Auch habe das Landgericht zu Recht von der Vernehmung des in erster Instanz mehrfach benannten Zeugen K. abgesehen. Dieser habe seine Position als Vertriebsleiter Deutschland der B. AG erst seit dem 1. März 2013 ausgeübt und sei zuvor für die B. AG in Asien tätig gewesen. Zur Frage der Ernsthaftigkeit der Forderung der B. AG nach Verlagerung des Standorts laut deren Schreiben vom 14. Mai 2012 und vom 3. September 2012 könne der Zeuge K. daher - im Gegensatz zu dem vernommenen Zeugen G. - mit Angaben aus eigener Kenntnis nicht beitragen. Ob ein generelles Junktim zwischen der Umsetzung des "Standards 2013+" und einem neuen Händlervertrag von der B. AG im Laufe des Jahres 2013 aufgeweicht worden sei oder von vornherein nicht durchgehend bestanden habe, könne dahinstehen. Denn jedenfalls gegenüber den Beklagten sei diese Verknüpfung alternativlos geltend gemacht worden.
2. Zu Recht beanstanden die Kläger, dass das Berufungsgericht seine Feststellungen unter Verletzung ihres Anspruchs auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) getroffen hat.
a) Art. 103 Abs. 1 GG verpflichtet das Gericht, die Ausführungen der Prozessbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen. Dabei soll das Gebot des rechtlichen Gehörs als Prozessgrundrecht sicherstellen, dass die Entscheidung frei von Verfahrensfehlern ergeht, welche ihren Grund in unterlassener Kenntnisnahme und Nichtberücksichtigung des Sachvortrags der Parteien haben. In diesem Sinne gebietet Art. 103 Abs. 1 GG in Verbindung mit den Grundsätzen der Zivilprozessordnung die Berücksichtigung erheblicher Beweisanträge. Die Nichtberücksichtigung eines erheblichen Beweisangebotes verstößt gegen Art. 103 Abs. 1 GG, wenn sie im Prozessrecht keine Stütze findet (vgl. Senatsbeschlüsse vom 27. September 2017 - XII ZR 54/16 - NJW-RR 2018, 74 Rn. 7 und vom 7. September 2011 - XII ZR 114/10 - GuT 2012, 268 Rn. 9 mwN). So liegt der Fall hier.
b) Die Nichtzulassungsbeschwerde beanstandet zu Recht, dass das Berufungsgericht die von den Klägern beantragte Vernehmung des Zeugen K. nicht hätte ablehnen dürfen. Die Kläger haben den Zeugen K. - unter anderem - zum Beweis der Tatsache benannt, dass der Händlervertrag der Beklagten für das Vertriebsgebiet W. von der B. AG auch dann über den 30. September 2013 hinaus verlängert worden wäre, wenn die Beklagte sich (lediglich) dazu verpflichtet hätte, eine den "Standards 2013+" entsprechende neue Betriebsstätte nach Ablauf der regulären Laufzeit des Mietvertrages am 30. September 2015 in Betrieb zu nehmen. Dieser Beweisantritt ist weder unzulässig noch fehlte dem Beweisangebot die Eignung zum Beweismittel.
aa) Der Antritt eines Zeugenbeweises erfordert - außer bei inneren Tatsachen - grundsätzlich keine Angaben dazu, wie der Zeuge die unter Beweis gestellte Tatsache erfahren haben soll (vgl. Senatsurteil vom 8. November 1995 - XII ZR 202/94 - ZMR 1996, 122, 124). Ein Beweisantrag ist nur unter sehr engen Voraussetzungen als rechtsmissbräuchlich und daher als unzulässig zu bewerten.
(1) Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn eine Partei ohne jeden greifbaren Anhaltspunkt für das Vorliegen eines bestimmten Sachverhalts willkürlich Behauptungen "aufs Geratewohl” oder "ins Blaue hinein” aufstellt; bei der Annahme von Willkür in diesem Sinne ist allerdings Zurückhaltung geboten (vgl. BGH Urteil vom 24. April 1995 - VI ZR 178/94 - NJW 1995, 2111, 2112 mwN). Denn eine Partei ist in einem Zivilprozess häufig darauf angewiesen, Tatsachen zu behaupten, über die sie zwar keine genauen Kenntnisse besitzt, die sie nach Lage der Dinge aber für wahrscheinlich hält (vgl. BGH Urteile vom 20. Juni 2002 - IX ZR 177/99 - NJW-RR 2002, 1419, 1420 f. und vom 24. April 1995 - VI ZR 178/94 - NJW 1995, 2111, 2112 mwN).
Im vorliegenden Fall haben sich die Geschehnisse im Zusammenhang mit dem Verlangen der B. AG nach Standortverlagerung außerhalb des Wahrnehmungsbereichs der Kläger abgespielt. Das Verlangen nach der Verlagerung des Standorts eröffnete der Beklagten die Möglichkeit, sich durch Ausübung eines Sonderkündigungsrechts von einem für sie angesichts der bevorstehenden Eröffnung der neuen Betriebsstätte wirtschaftlich nachteiligen Vertrag zu lösen. Die Kläger haben unter anderem darauf verwiesen, dass in der Region selbst in den Jahren 2014 und 2015 zahlreiche Autohäuser von Vertragshändlern der B. AG dem neuen Standard (noch) nicht entsprochen hätten. Unter diesen Umständen gibt es zumindest keine Veranlassung, das Vorbringen der Kläger als willkürlich zu bewerten.
(2) Hinreichende Anhaltspunkte für einen rechtsmissbräuchlichen Beweisantrag mit der Absicht der Prozessverschleppung ergeben sich entgegen der Ansicht der Beklagten hier schon deshalb nicht, weil der Beweisantritt erstmals in der Replik auf die Klageerwiderung durch Schriftsatz vom 22. April 2014 erfolgte und nicht ersichtlich ist, inwieweit die Miterledigung dieses Beweisanerbietens in den mündlichen Verhandlungen vor den Instanzengerichten den Rechtsstreit verzögert hätte.
bb) Auch bei der Zurückweisung einer beantragten Zeugenvernehmung wegen Ungeeignetheit des Beweismittels ist nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs äußerste Zurückhaltung geboten. Sie kommt nur dann in Betracht, wenn es völlig ausgeschlossen erscheint, dass diese Vernehmung sachdienliche Erkenntnisse erbringen kann. Weder die Unwahrscheinlichkeit der Tatsache noch die Unwahrscheinlichkeit der Wahrnehmung der Tatsache durch den benannten Zeugen berechtigen den Tatrichter dazu, von der Beweisaufnahme abzusehen (vgl. BGH Beschlüsse vom 11. Oktober 2016 - VI ZR 547/14 - juris Rn. 11 und vom 12. September 2012 - IV ZR 177/11 - FamRZ 2012, 1938 Rn. 14).
Gemessen daran hätte das Berufungsgericht die Vernehmung des von den Klägern angebotenen Zeugen K. nicht mit der Begründung ablehnen dürfen, dass der Zeuge zur Ernsthaftigkeit der in den beiden Schreiben vom 14. Mai 2012 und 3. September 2012 formulierten Forderungen der B. AG nach Standortverlagerung "aus eigener Kenntnis" nichts beitragen könne, weil dieser erst ab dem 1. März 2013 die Position als Vertriebsleiter Deutschland der B. AG bekleidet habe. Mit Recht verweisen die Kläger darauf, dass es für die grundsätzliche Eignung des Zeugen K. als Beweismittel nicht darauf ankommt, wie dieser beruflich mit dem - grundsätzlich in seinen Verantwortungsbereich fallenden - Sachverhalt in Berührung gekommen sein könnte, sei es durch Aktenstudium, durch mündliche Einweisung in die Vorgeschichte des Standorts oder durch bloßes Hörensagen. Mag es auch eher unwahrscheinlich sein, dass der Zeuge K. als unterhalb der Vorstandsebene angesiedelter Vertriebsleiter Deutschland der B. AG unmittelbar mit Geschäftsfällen an einzelnen Standorten befasst worden war, rechtfertigt dies aber nicht das Absehen von seiner Vernehmung.
Eine Vernehmung konnte entgegen der Ansicht der Beklagten auch nicht deshalb unterbleiben, weil der Zeuge K. alle relevanten Erkenntnisse - auch durch Aktenstudium oder mündliche Einweisung - über den ihm unterstellten Zeugen G. hätte erlangen müssen, der im Jahr 2012 bei der B. AG bezüglich des Standorts der Beklagten der zuständige Mitarbeiter für die Verlängerung des Händlervertrags und für die Einhaltung der neuen "Standards 2013+" gewesen sei. Denn soweit hierdurch unterstellt werden soll, dass der Zeuge K. bei einer Vernehmung nichts anders bekunden könnte als der bereits vernommene Zeuge G. bereits bekundet hat, würde dies auf eine unzulässige Vorwegnahme des Beweisergebnisses hinauslaufen.
c) Der Gehörsverstoß ist auch entscheidungserheblich. Denn nach dem Rechtsgedanken des § 162 BGB und unter Berücksichtigung der wechselseitigen Pflichten zur Förderung des mietvertraglichen Zwecks muss das Verlangen der B. AG nach Verlagerung des Standorts als Voraussetzung für die Entstehung des Sonderkündigungsrechts nach § 3 Abs. 4 des Mietvertrages zumindest in dem Sinne "ernsthaft" gewesen sein, dass der dafür gesetzte zeitliche Rahmen gegenüber einem widersprechenden Mieter nicht sofort wieder zur Disposition gestellt worden wäre.
3. Die Zurückverweisung der Sache gibt den Klägern - angesichts des Zeitablaufs - zugleich Gelegenheit zur Überprüfung, ob das Rechtsschutzbedürfnis für den Feststellungsantrag fortbesteht.
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Guhling |
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