Bundesgerichtshof

Entscheidungsdatum: 12.09.2012


BGH 12.09.2012 - IV ZR 177/11

Erbunwürdigkeit: Voraussetzungen einer Beweiserhebung; Untauglichkeit eines Beweismittels


Gericht:
Bundesgerichtshof
Spruchkörper:
4. Zivilsenat
Entscheidungsdatum:
12.09.2012
Aktenzeichen:
IV ZR 177/11
Dokumenttyp:
Beschluss
Vorinstanz:
vorgehend KG Berlin, 8. August 2011, Az: 22 U 208/06vorgehend LG Berlin, 23. Oktober 2006, Az: 30 O 235/04
Zitierte Gesetze

Tenor

Auf die Beschwerde der Klägerinnen wird die Revision gegen das Urteil des 22. Zivilsenats des Kammergerichts in Berlin-Schöneberg vom 8. August 2011 zugelassen.

Das vorbezeichnete Urteil wird gemäß § 544 Abs. 7 ZPO aufgehoben. Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Streitwert: 10 Mio. €

Gründe

1

I. Die Klägerinnen, Mutter und Schwestern des am 18. Mai 2003 in B.    verstorbenen Georg D.    S.   (nachfolgend: Erblasser), machen die Erbunwürdigkeit der Beklagten geltend. Diese begehrt widerklagend die Feststellung, Alleinerbin zu sein.

2

Der am 7. März 1958 geborene vermögende Erblasser litt seit seiner Geburt an einer Spina bifida aperta (offener Rücken) und einem damit einhergehenden Hydrocephalus internus (Wasserkopf). Er war Diabetiker und entwickelte etwa seit 1990 ein akutes Alkoholproblem. Der Erblasser lebte bis Anfang Dezember 2001 zusammen mit seiner Mutter und einer Schwester in einer Wohnung a.  K.       in B.   . Im Jahr 1996 lernte er in dem Etablissement "L.   N.   " die Beklagte kennen, die dort zeitweise arbeitete. Mit notariellem Erbvertrag vom 4. September 2000 setzte er die Beklagte zu seiner Erbin ein. Eine Gegenleistung wurde nicht vereinbart. Diesen Erbvertrag focht der Erblasser zunächst am 12. Januar 2001 an. Am 11. Dezember 2001 zog er in die Wohnung der Beklagten, die diese zusammen mit ihrem Ehemann und Sohn bewohnte. Dort lebte er bis zu seinem Tod in einem eigenen Zimmer. Jedenfalls im Zeitpunkt des Einzugs in die Wohnung der Beklagten konnte er sich noch mit Hilfe eines Stocks fortbewegen. Mit notariellem Erbvertrag vom 17. Dezember 2001 setzte der Erblasser die Beklagte erneut ohne Vereinbarung einer Gegenleistung zu seiner Erbin ein. Ferner vereinbarten der Erblasser und die Beklagte mit notariellem Vertrag vom selben Tag die Aufhebung des Erbvertrages vom 4. September 2000. Am 18. Mai 2003 verstarb der Erblasser in der Wohnung der Beklagten unter im Einzelnen nicht aufgeklärten Umständen. Zum Todeszeitpunkt hatte er eine Blutalkoholkonzentration von 2,4 Promille.

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Die Klägerinnen fochten am 24. September 2003 den Erbvertrag vom 17. Dezember 2001 an. Ein gegen die Beklagte sowie weitere Personen geführtes Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft B.   wegen Verdachts des Mordes wurde nach wiederholter Einstellung und Wiederaufnahme des Verfahrens letztmals im Jahr 2010 mangels hinreichenden Tatverdachts eingestellt. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen und der Widerklage der Beklagten stattgegeben. Die Berufung der Klägerinnen ist erfolglos geblieben.

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II. Das Berufungsgericht hat den Anspruch der Klägerinnen auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) verletzt, indem es die Umstände des Todes des Erblassers nicht hinreichend aufgeklärt hat. Dieser Verstoß führt gemäß § 544 Abs. 7 ZPO zur Aufhebung und Zurückverweisung.

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1. Soweit das Berufungsgericht zunächst angenommen hat, die von den Klägerinnen erhobene Erbunwürdigkeitsklage gemäß §§ 2339 ff. BGB sei bereits nach deren eigenem Vortrag unschlüssig, weil hiernach die von ihnen erklärte Anfechtung der Erbenstellung der Beklagten durchgreifen würde bzw. der Erbvertrag aus anderen Gründen unwirksam wäre, ist das unzutreffend. Die Erbunwürdigkeitsklage sowie die Feststellungsklage nach Anfechtung einer letztwilligen Verfügung gemäß §§ 2078, 2081 BGB stehen selbständig nebeneinander und schließen einander nicht aus (BGH, Urteil vom 21. September 1967 - III ZR 208/66, FamRZ 1968, 152, 153; RGZ 59, 33, 40; Staudinger/Olshausen, BGB [2004] § 2339 Rn. 36; Bamberger/Müller-Christmann, BGB 3. Aufl. § 2339 Rn. 14; Muscheler, ZEV 2009, 58, 62). Dies ergibt sich schon daraus, dass die Erbunwürdigkeitsgründe des § 2339 BGB zugleich häufig Anfechtungsgründe nach § 2078 BGB darstellen. Die Klägerinnen haben im Übrigen ihre Klage ausdrücklich in erster Linie auf die Erbunwürdigkeit gestützt und zunächst lediglich hilfsweise die Feststellung der Unwirksamkeit des Erbvertrages geltend gemacht. An diesem Rangverhältnis des Vorbringens der Klägerinnen hat sich durch die übereinstimmende Erledigungserklärung bezüglich des Hilfsantrags nach Erhebung der Widerklage durch die Beklagte nichts geändert.

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2. Auf der Grundlage des bisherigen Verfahrensstandes kann ferner der Auffassung des Berufungsgerichts, die Klage sei schon deshalb unbegründet, weil Erbunwürdigkeitsgründe nach § 2339 Abs. 1 BGB nicht festgestellt werden könnten, nicht gefolgt werden.

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a) Über die Erbunwürdigkeit wird durch Gestaltungsurteil gemäß § 2342 Abs. 1, § 2344 Abs. 1 BGB entschieden (KG NJW-RR 1989, 455, 456; LG Köln MDR 1977, 322; MünchKomm-BGB/Helms, 5. Aufl. § 2342 Rn. 7; Staudinger/Olshausen aaO § 2342 Rn. 6, 7). Teilweise wird hieraus geschlossen, dass für die Erbunwürdigkeitsklage nicht die Dispositionsmaxime, sondern der Untersuchungsgrundsatz gelte (so etwa MünchKomm-BGB/Helms aaO Rn. 8; v. Lübtow, Erbrecht II S. 740 f.). Die überwiegende Auffassung, der auch das Berufungsgericht folgt, geht demgegenüber davon aus, dass in Verfahren nach §§ 2339 ff. BGB der Verhandlungsgrundsatz und die Dispositionsmaxime gelten (so OLG Jena ZEV 2008, 479, 480; LG Köln aaO; Staudinger/Olshausen aaO § 2342 Rn. 6; Muscheler, ZEV 2009, 101, 104, 105; offen gelassen von OLG Zweibrücken FamRZ 1994, 1555, 1556).

8

b) Diese Frage muss vorliegend nicht entschieden werden. Das Berufungsgericht hat selbst auf der Grundlage des Verhandlungsgrundsatzes beweiserheblichen Vortrag der Klägerinnen zu einer in Betracht kommenden Erbunwürdigkeit der Beklagten gemäß § 2339 Abs. 1 Nr. 1 Alt. 1 BGB übergangen und damit deren Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) verletzt.

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aa) Die Klägerinnen haben hierzu vorgetragen, die Beklagte habe sich für den 18. Mai 2003 zusammen mit ihrem Ehemann M.   -A.   für eine angebliche Hausbesichtigung in H.     ein Alibi verschafft. Sie habe am Morgen dieses Tages die Wohnung verlassen, nachdem sie den dort befindlichen Erblasser zuvor mit Alkohol versorgt gehabt habe. In der Wohnung hätten sich außer dem Erblasser sodann noch ihre Bekannten B.     und D.    befunden. B.     habe den Erblasser weiter mit Alkohol in Form von Rotwein versorgt, so dass dieser bereits gegen Mittag volltrunken und nicht mehr ansprechbar gewesen sei. Der Erblasser sei deshalb körperlich und in seiner Atmungstätigkeit so stark geschwächt gewesen, dass bereits ein leichtes Bedecken der Atmungsorgane für eine Beendigung der Atemtätigkeit ausgereicht habe. Sodann habe B.  den wehrlosen Erblasser mittels Auflegen eines Kissens auf die Atmungsorgane erstickt. Dies sei von der Beklagten geplant und initiiert worden, um den Erblasser auf diese Weise beerben zu können (hierzu im Einzelnen Schriftsätze der Klägerinnen vom 23. November 2009, GA IV Bl. 49, 53-56 sowie vom 15. Dezember 2008, GA III Bl. 152a). Zum Beweis haben sich die Klägerinnen unter anderem auf Parteivernehmung der Beklagten sowie Vernehmung der Zeugen M.   -A.   , D.    und B.    berufen.

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Das Berufungsgericht hat demgegenüber lediglich zu der weiteren Behauptung der Klägerinnen, die Beklagte habe im Jahr 2002 die Zeugen R.     und Z.     zur Ermordung des Erblassers anstiften wollen, Beweis durch deren Vernehmung erhoben. Bezüglich des eigentlichen Tatgeschehens ist es den Beweisantritten der Klägerinnen nicht nachgegangen, weil es sich um keinen zulässigen Beweisantritt gehandelt habe. Dieser sei nicht nur ins Blaue hinein, sondern wider besseres Wissen und damit rechtsmissbräuchlich erfolgt. Jedenfalls sei das Beweismittel untauglich und daher gemäß § 244 Abs. 3 Satz 2 StPO analog ausgeschlossen.

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bb) Dies verletzt den Anspruch der Klägerinnen auf Gewährung rechtlichen Gehörs.

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(1) Unzutreffend geht das Berufungsgericht zunächst davon aus, es handele sich um einen ins Blaue hinein gerichteten Ausforschungsbeweis. Hiermit werden die Anforderungen an die Substantiierungspflicht der Klägerinnen überspannt. Nach ständiger Rechtsprechung genügt eine Partei ihrer Darlegungslast, wenn sie Tatsachen vorträgt, die in Verbindung mit einem Rechtssatz geeignet sind, das geltend gemachte Recht als in ihrer Person entstanden erscheinen zu lassen. Genügt das Parteivorbringen diesen Anforderungen, kann der Vortrag weiterer Einzelheiten nicht verlangt werden. Das gilt insbesondere dann, wenn die Partei selbst keine unmittelbare Kenntnis von den Vorgängen hat. Genügt das Parteivorbringen den Anforderungen an die Substantiierung, so muss der Tatrichter in die Beweisaufnahme eintreten, um dort eventuell weitere Einzelheiten zu ermitteln (Senatsurteile vom 18. April 2012 - IV ZR 147/10, VersR 2012, 1113 Rn. 17; vom 12. Oktober 2011 - IV ZR 199/10, VersR 2011, 1550 Rn. 55; Senatsbeschluss vom 21. September 2011 - IV ZR 38/09, VersR 2011, 1563 Rn. 14). Die Klägerinnen haben - soweit ihnen möglich - vorgetragen, wie es aus ihrer Sicht zum Tod des Erblassers gekommen ist. Dieser Vortrag ist hinreichend substantiiert und einer Beweisaufnahme zugänglich.

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Hierbei spielt es keine Rolle, ob und inwieweit es wahrscheinlich ist, dass die Beklagte sowie die benannten Zeugen Angaben zu einer möglichen Beteiligung an dem Tatgeschehen machen werden. Dies ist vom Tatrichter erst nach vorgenommener Beweisaufnahme in Verbindung mit den sonstigen Umständen und Indizien zu würdigen. Eine vorweggenommene Beweiswürdigung ist demgegenüber unzulässig. Schon gar nicht bestehen Anhaltspunkte dafür, dass die Klägerinnen wider besseres Wissen und damit rechtsmissbräuchlich vorgetragen haben. Entsprechende Feststellungen zu einem bewusst wahrheitswidrigen Vortrag der Klägerinnen hat das Berufungsgericht nicht getroffen.

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(2) Eine Beweisaufnahme ist auch nicht deshalb entbehrlich, weil die Zeugen- und Parteivernehmung als ungeeignete oder unerreichbare Beweismittel i.S. des § 244 Abs. 3 Satz 2 StPO anzusehen wären. Zwar findet diese Vorschrift entsprechend auch im Zivilprozess Anwendung (Senatsbeschluss vom 21. September 2011 aaO Rn. 16; BGH, Urteil vom 17. Februar 1970 - III ZR 139/67, BGHZ 53, 245, 259 f.; MünchKomm-ZPO/Prütting, 3. Aufl. § 284 Rn. 90; Musielak/Foerste, ZPO 9. Aufl. § 284 Rn. 21). An eine derartige Untauglichkeit des Beweismittels sind aber strenge Anforderungen zu stellen. Weder die Unwahrscheinlichkeit einer Tatsache noch der Wahrnehmung durch den Zeugen berechtigen den Tatrichter, von einer Beweisaufnahme abzusehen. Insbesondere kommt keine Ablehnung eines Beweisantrags als ungeeignet in Betracht, wenn dadurch ein noch nicht erhobener Beweis vorab gewürdigt wird, da dies eine unzulässige Beweisantizipation darstellt (MünchKomm-ZPO/Prütting aaO Rn. 97). Vielmehr kann von einem untauglichen Beweismittel nur dann ausgegangen werden, wenn es im Einzelfall vollkommen ausgeschlossen erscheint, dass die Beweisaufnahme irgendetwas Sachdienliches ergeben könnte. Das ist hier nicht der Fall. Unerheblich ist zunächst, dass die Zeugen teilweise bereits im Strafverfahren vernommen worden sind. Aus dem Grundsatz der freien Beweiswürdigung gemäß § 286 ZPO folgt, dass der Zivilrichter sich seine Überzeugung selbst bilden muss und daher an einzelne Tatsachenfeststellungen in einem Strafverfahren nicht gebunden ist (Senatsbeschluss vom 16. März 2005 - IV ZR 140/04, ZEV 2005, 307 unter 1). Entsprechend spielt es keine Rolle, dass etwa die als Zeugen benannten B.     und D.    bereits Angaben im Strafverfahren gemacht und eine Beteiligung an einer behaupteten Tötung des Erblassers nicht eingeräumt haben. Auch ein den Zeugen gegebenenfalls zustehendes Zeugnisverweigerungsrecht gemäß § 384 Nr. 2 ZPO führt nicht dazu, sie bereits von vornherein in einem Zivilrechtsstreit als ungeeignete oder unerreichbare Beweismittel anzusehen (Senatsbeschluss vom 21. September 2011 aaO Rn. 16). Hinzu kommt, dass der Tatrichter im Falle einer Zeugnisverweigerung nach § 384 Nr. 2 ZPO nicht gehindert ist, diese im Rahmen seiner freien Überzeugungsbildung zu würdigen (Senatsbeschluss vom 21. September 2011 aaO Rn. 18).

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(3) Die Untauglichkeit der Beweismittel oder ein Rechtsmissbrauch der Klägerinnen ergeben sich auch nicht aus den sonstigen Umständen des Falles. Insbesondere ist es nach den im Strafverfahren getroffenen ärztlichen Feststellungen nicht von vornherein ausgeschlossen, dass der Erblasser eines gewaltsamen Todes gestorben ist. Vielmehr besteht nach sämtlichen rechtsmedizinischen Untersuchungen zumindest die Möglichkeit eines gewaltsamen Todes durch Ersticken. Eine beantragte Beweisaufnahme zu den konkreten Umständen des Todes des Erblassers durch Vernehmung von Zeugen sowie die Parteivernehmung der Beklagten kann mithin nicht als untaugliches Beweismittel oder als rechtsmissbräuchlich angesehen werden.

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(4) Gehörswidrig hat das Berufungsgericht den von den Klägerinnen benannten Zeugen Günter M.   nicht vernommen, der nach der Behauptung der Klägerinnen B.    gegen 16.00 Uhr in der Wohnung der Beklagten gesehen haben will (Schriftsatz der Klägerinnen vom 23. November 2009, GA IV Bl. 50). Demgegenüber hat B.    im Strafverfahren angegeben, er sei am 18. Mai 2003 ab 11.00 Uhr den gesamten Tag auf seiner Arbeitsstelle gewesen. Soweit das Berufungsgericht hierzu ausführt, dass ein Irrtum des Zeugen M.   nicht auszuschließen sei, stellt dies eine unzulässige Beweisantizipation dar. Außerdem wird das Berufungsgericht ferner darüber zu befinden haben, ob die von den Klägerinnen mit Schriftsatz vom 4. August 2011 ergänzend benannten Zeugen St.   und Di L.    dazu zu vernehmen sind, die Beklagte habe eine Tötung des Erblassers eingeräumt.

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cc) Abhängig vom Ergebnis der Vernehmung der Zeugen sowie der Parteivernehmung der Beklagten wird das Berufungsgericht weiter darüber zu entscheiden haben, ob zu den Umständen des Todes des Erblassers ein Sachverständigengutachten einzuholen ist bzw. die im Strafverfahren tätigen Gutachter zwecks Erläuterung ihrer Gutachten zu vernehmen sind. Das Berufungsgericht hat die Strafakten beigezogen und zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemacht. Eine Partei hat zur Gewährleistung des rechtlichen Gehörs einen Anspruch darauf, dass sie einem Sachverständigen die Fragen, die sie zur Erläuterung der Sache für erforderlich hält zur mündlichen Beantwortung vorlegen kann. Dieses Antragsrecht der Parteien besteht unabhängig von § 411 Abs. 3 ZPO und davon, ob das Gericht ein schriftliches Gutachten für überzeugend hält und selbst keinen weiteren Erläuterungsbedarf sieht (Senatsbeschluss vom 23. November 2011 - IV ZR 49/11, ZEV 2012, 100 Rn. 10 m.w.N.; Senatsurteil vom 23. Januar 2008 - IV ZR 10/07, VersR 2008, 479 Rn. 15). Erst recht gilt das, wenn das Gutachten - wie hier - in einem anderen Verfahren eingeholt wurde. Hierbei ist die Partei nicht verpflichtet, die Fragen, die sie an den Sachverständigen zu richten beabsichtigt, im Voraus konkret zu formulieren. Es genügt, wenn sie allgemein angibt, in welche Richtung sie durch ihre Fragen eine weitere Aufklärung herbeizuführen wünscht. Beschränkungen des Antragsrechts können sich allenfalls aus dem Gesichtspunkt des Rechtsmissbrauchs bzw. der Prozessverschleppung (BGH, Urteil vom 7. Dezember 2010 - VIII ZR 96/10, NJW-RR 2011, 704 Rn. 9) oder aus einer entsprechenden Anwendung von § 244 Abs. 3 Satz 2 StPO ergeben.

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Hier haben sich die Klägerinnen zum Beweis für ihre Behauptung, dass der Erblasser unter Mitwirkung der Beklagten durch Auflegen eines Kissens getötet wurde, ausdrücklich auf ein Sachverständigengutachten berufen (GA III 152a). Ferner haben sie mehrfach die mündliche Erläuterung der im Rahmen des staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahrens erstellten Gutachten durch die dortigen Sachverständigen beantragt (Schriftsätze vom 23. November 2009, GA IV Bl. 55; vom 15. Dezember 2008, GA III Bl. 149a). In diesem Zusammenhang haben sie unter anderem geltend gemacht, dass sich die forensischen Erkenntnisse bei Tötung durch Ersticken willenloser und schwacher Menschen seit dem Tod des Erblassers im Jahr 2003 maßgeblich gewandelt hätten. Ausgehend von dem Phänomen des "plötzlichen Kindstodes" sei erkannt worden, dass die Tötung von Kleinkindern und geschwächten Menschen durch Auflegen eines Kissens und ein damit einhergehendes Ersticken nahezu merkmalslos verlaufe. Von einem bloß substanzlosen Vortrag oder gar einem Rechtsmissbrauch seitens der Klägerinnen kann in diesem Zusammenhang nicht gesprochen werden.

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Zwar haben sich die Sachverständigen im Ermittlungsverfahren bereits in ihrem Gutachten vom 10. Dezember 2007 mit der Möglichkeit einer Tötung des Erblassers durch Auflegen eines Kissens befasst. Hierbei haben sie ausgeführt, dass eine derartige Handlung auch im vorliegenden Fall als todesursächlich in Betracht zu ziehen sei. Allerdings könne ein unumstößlicher Beweis aufgrund der postmortalen Untersuchungsbefunde nicht geführt werden. Gerade wegen der Schwierigkeit der Beweisführung muss den Klägerinnen zur Gewährleistung ihres Anspruchs auf rechtliches Gehör die Möglichkeit einer persönlichen Anhörung der Gutachter gegeben werden, damit sie diesen Fragen stellen können. Hierbei handelt es sich auch nicht um ein von vornherein untaugliches Beweismittel. Ein pathologischer Untersuchungsbefund allein kann einen Beweis für eine Beteiligung der Beklagten an einer Tötung des Erblassers zwar nicht erbringen. Die Klägerinnen haben sich hierzu zusätzlich aber auf Zeugen sowie Parteivernehmung der Beklagten berufen.

Mayen                                             Harsdorf-Gebhardt                                                    Dr. Karczewski

                        Lehmann                                                         Dr. Brockmöller