Entscheidungsdatum: 31.05.2017
Zu den Voraussetzungen der betreuungsgerichtlichen Genehmigung einer zivilrechtlichen Unterbringung.
Auf die Rechtsbeschwerde wird festgestellt, dass der Beschluss des Amtsgerichts Lemgo vom 5. April 2016, soweit dort die Unterbringung der Betroffenen in einem psychiatrischen Krankenhaus zur Durchführung einer nervenärztlichen Heilbehandlung längstens bis 17. Mai 2016 betreuungsgerichtlich genehmigt wurde, sowie der Beschluss der 3. Zivilkammer des Landgerichts Detmold vom 17. Mai 2016 die Betroffene in ihren Rechten verletzt haben.
Das Verfahren der Rechtsbeschwerde ist gerichtskostenfrei. Die außergerichtlichen Kosten der Betroffenen werden der Staatskasse auferlegt.
I.
Die Rechtsbeschwerde wendet sich gegen die durch Zeitablauf erledigte Genehmigung der Unterbringung der Betroffenen in einem psychiatrischen Krankenhaus.
Für die Betroffene, die an einer Psychose aus dem schizophrenen Formenkreis leidet, ist seit dem Jahr 2010 eine Betreuung eingerichtet. Sie befand sich in der Vergangenheit bereits mehrfach in stationärer Behandlung, wobei teilweise auch ihre geschlossene Unterbringung angeordnet wurde. Im August 2015 hat ihr Betreuer erneut die Genehmigung der geschlossenen Unterbringung der Betroffenen beantragt. Nach Einholung eines Sachverständigengutachtens und Anhörung der Betroffenen hat das Amtsgericht mit Beschluss vom 5. April 2016 die geschlossene Unterbringung zur Durchführung einer nervenärztlichen Heilbehandlung längstens bis zum 17. Mai 2016 genehmigt und einen zwischenzeitlich gestellten Antrag der Betroffenen auf Aufhebung der Betreuung abgelehnt. Die allein gegen die Genehmigung der geschlossenen Unterbringung gerichtete Beschwerde der Betroffenen hat das Landgericht zurückgewiesen. Mit der Rechtsbeschwerde begehrt die Betroffene nach Ablauf der Unterbringungsfrist die Feststellung, durch die Beschlüsse des Amts- und Landgerichts in ihren Rechten verletzt worden zu sein.
II.
Die Rechtsbeschwerde ist zulässig, insbesondere gemäß § 70 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2, Satz 2 FamFG statthaft. Sie ist auch begründet, weil die Entscheidungen von Amts- und Landgericht zur Unterbringung die Betroffene in ihren Rechten verletzt haben. Dies ist nach der in der Rechtsbeschwerdeinstanz entsprechend anwendbaren Vorschrift des § 62 Abs. 1 FamFG (Senatsbeschluss vom 29. Januar 2014 - XII ZB 330/13 - FamRZ 2014, 649 Rn. 8 mwN) festzustellen.
1. Das Beschwerdegericht hat zur Begründung seiner Entscheidung folgendes ausgeführt:
Das Amtsgericht habe seine Entscheidung in der Erwartung, dass die Betroffene wie bei den vorherigen Unterbringungen die ihr verordneten Medikamente einnehmen würde, ausdrücklich auf § 1906 Abs. 1 Nr. 2 BGB gestützt. Die Sachlage habe sich jedoch dadurch geändert, dass die Betroffene mittlerweile erklärt habe, mit einer fachärztlichen Behandlung in einem psychiatrischen Krankenhaus und vor allem mit der Einnahme von Medikamenten grundsätzlich nicht einverstanden zu sein. Allerdings sei davon auszugehen, dass diese Entscheidung krankheitsbedingt veranlasst sei und nicht auf einer entsprechenden grundsätzlichen Einstellung der Betroffenen beruhe.
Die Unterbringung der Betroffenen rechtfertige sich aber nach § 1906 Abs. 1 Nr. 1 BGB. Die Betroffene leide an einer Psychose aus dem schizophrenen Formenkreis mit paranoiden Gedanken und ausgeprägter Störung der Realitätserkennung und der Kritikfähigkeit. Aufgrund ihrer Erkrankung zeige sie auffällige und desorganisierte und für sie und ihre Umgebung inadäquate und belastende Verhaltensweisen, ohne diese erkennen zu können. In der Gesamtschau der Anamnese werde eine deutliche Störung erkennbar mit verschiedenen Verlusten und Gefährdungen in den Bereichen Gesundheit, Arbeitssituation, finanzielle Situation, soziale Kontakte etc. Zwar habe sich keine akute Selbsttötungsgefahr bei der Betroffenen gezeigt. Es komme jedoch krankheitsbedingt zu Fehlhandlungen, die die gesamte Lebenssituation der Betroffenen gefährden, insbesondere zu einer weiterreichenden Chronifizierung der Erkrankung führen können, die mit weiteren Einschränkungen der Leistungsfähigkeit, Antriebsminderung, sozialem Rückzug, psychomotorischer Verlangsamung, Erschöpfung und verminderter Belastbarkeit bis hin zum Verlust der Selbstständigkeit im Leben verbunden sei. Nach den Ausführungen des Sachverständigen sei die Betroffene krankheitsbedingt nicht mehr in der Lage, funktions- und interessengerecht zu handeln. Dies führe nicht nur zu kaum nachvollziehbaren Entscheidungen, sondern insbesondere auch zu einer deutlichen Verschlechterung ihres Gesundheitszustands. Gerade die Psychopathologie ihrer Erkrankung werde sich weiter chronifizieren und die Betroffene ohne adäquate Behandlung zu einem Dauerfall für eine Unterbringung machen. Vor diesem Hintergrund erweise sich die geschlossene Unterbringung der Betroffenen jedenfalls bis zum 17. Mai 2016 als verhältnismäßig. In ihrem jetzigen Zustand sei die Betroffene nicht in der Lage, einigermaßen sozialadäquat allein zu leben. Auch durch die bloße Unterbringung könne die weitere Chronifizierung der Erkrankung und damit eine erhebliche Verschlechterung des Gesundheitszustandes der Betroffenen zumindest verlangsamt werden.
2. Dies hält einer rechtlichen Überprüfung nicht stand. Die Instanzgerichte haben die materiellen Voraussetzungen für eine geschlossene Unterbringung der Betroffenen gemäß § 1906 Abs. 1 Nr. 1 oder Nr. 2 BGB nicht ausreichend festgestellt.
a) Das Amtsgericht hat seine Entscheidungen allein darauf gestützt, dass die Voraussetzungen einer Unterbringung der Betroffenen zur Durchführung einer Heilbehandlung gemäß § 1906 Abs. 1 Nr. 2 BGB vorlägen.
aa) Nach dieser Vorschrift ist eine Unterbringung allerdings nur genehmigungsfähig, wenn eine erfolgversprechende Heilbehandlung durchgeführt werden kann (Senatsbeschluss vom 14. August 2013 - XII ZB 614/11 - FamRZ 2013, 1726 Rn. 26 mwN). Dies setzt aber entweder einen die Heilbehandlung deckenden entsprechenden natürlichen Willen des Betroffenen oder die rechtlich zulässige Überwindung seines entgegenstehenden natürlichen Willens mittels ärztlicher Zwangsbehandlung voraus. Die Genehmigung einer Unterbringung zur Heilbehandlung nach § 1906 Abs. 1 Nr. 2 BGB ist daher möglich, wenn von vornherein zumindest nicht ausgeschlossen ist, dass sich der Betroffene in der Unterbringung behandeln lassen wird, sein natürlicher Wille also nicht bereits der medizinisch notwendigen Behandlung entgegensteht, er aber die Notwendigkeit der Unterbringung nicht einsieht. Davon kann solange ausgegangen werden, wie sich die Weigerung des Betroffenen, sich behandeln zu lassen, nicht manifestiert hat (Senatsbeschlüsse vom 13. April 2016 - XII ZB 236/15 - FamRZ 2016, 1065 Rn. 21 und vom 30. Juli 2014 - XII ZB 169/14 - FamRZ 2014, 1694 Rn. 22 mwN). Ist hingegen auszuschließen, dass der Betroffene eine Behandlung ohne Zwang vornehmen lassen wird, ist die Genehmigung der Unterbringung zur Durchführung der Heilbehandlung nur zulässig, wenn die Voraussetzungen für die Einwilligung in eine ärztliche Zwangsmaßnahme im Sinn des § 1906 Abs. 3 BGB vorliegen und diese nach § 1906 Abs. 3a BGB rechtswirksam genehmigt wird. Denn nur dann besteht für die eine Freiheitsentziehung rechtfertigende Heilbehandlung auch gegen den Willen des Betroffenen eine rechtliche Grundlage (Senatsbeschluss vom 30. Juli 2014 - XII ZB 169/14 - FamRZ 2014, 1694 Rn. 23).
bb) Gemessen hieran konnte die geschlossene Unterbringung der Betroffenen nicht auf § 1906 Abs. 1 Nr. 2 BGB gestützt werden. Die Betroffene hat bereits bei ihrer Anhörung vor dem Amtsgericht deutlich zum Ausdruck gebracht, dass sie eine nervenärztliche Behandlung in einem psychiatrischen Krankenhaus ablehnt. Auch ist dem im erstinstanzlichen Verfahren eingeholten Sachverständigengutachten zu entnehmen, dass es der Betroffenen an jeglicher Behandlungsbereitschaft fehlt. Tragfähige Feststellungen dazu, die Betroffene werde sich bei einer geschlossenen Unterbringung in einer psychiatrischen Klinik freiwillig behandeln lassen und insbesondere die erforderlichen Medikamente einnehmen, fehlen. Da auch eine ärztliche Zwangsmaßnahme im Sinn des § 1906 Abs. 3 BGB nicht nach § 1906 Abs. 3a BGB rechtswirksam genehmigt war, lag der Unterbringungsgrund nach § 1906 Abs. 1 Nr. 2 BGB nicht vor.
b) Soweit das Beschwerdegericht die Genehmigung der Unterbringung der Betroffenen auf § 1906 Abs. 1 Nr. 1 BGB gestützt hat, beruht dies ebenfalls auf unzureichenden Feststellungen.
aa) Die Genehmigung einer geschlossenen Unterbringung nach § 1906 Abs. 1 Nr. 1 BGB setzt eine ernstliche und konkrete Gefahr für Leib oder Leben des Betreuten voraus. Der Grad der Gefahr ist in Relation zum möglichen Schaden ohne Vornahme der freiheitsentziehenden Maßnahme zu bemessen. Die Gefahr für Leib oder Leben setzt kein zielgerichtetes Verhalten voraus, so dass auch eine völlige Verwahrlosung ausreichen kann, wenn damit eine Gesundheitsgefahr durch körperliche Verelendung und Unterversorgung verbunden ist. Das setzt allerdings objektivierbare und konkrete Anhaltspunkte für den Eintritt eines erheblichen Gesundheitsschadens voraus (Senatsbeschlüsse vom 18. Mai 2011 - XII ZB 47/11 - FamRZ 2011, 1141 Rn. 12 und vom 13. Januar 2010 - XII ZB 248/09 - FamRZ 2010, 365 Rn. 14 mwN).
Die Prognose einer nicht anders abwendbaren Suizidgefahr oder einer Gefahr erheblicher gesundheitlicher Schäden ist Sache des Tatrichters (Senatsbeschlüsse vom 22. August 2012 - XII ZB 295/12 - FamRZ 1705 Rn. 4 und vom 13. Januar 2010 - XII ZB 248/09 - FamRZ 2010, 365 Rn. 15). Sie baut im Wesentlichen auf der Anhörung des Betroffenen und der weiteren Beteiligten sowie auf dem nach § 321 FamFG einzuholenden Sachverständigengutachten auf.
bb) Nach den Feststellungen der Instanzgerichte ist eine geschlossene Unterbringung der Betroffenen nach diesen Maßstäben nicht zu rechtfertigen.
Zwar leidet die Betroffene, wie die Instanzgerichte in Übereinstimmung mit dem Sachverständigengutachten festgestellt haben, an einer behandlungsbedürftigen Psychose aus dem schizophrenen Formenkreis.
Weder das Amtsgericht noch das Landgericht haben aber konkrete Umstände für die Annahme aufgezeigt, die Betroffene werde sich erheblichen gesundheitlichen Schaden zufügen, wenn die Unterbringung unterbleibt. Eine akute Selbsttötungs- oder Selbstgefährdungsgefahr lag bei der Betroffenen nach den Ausführungen des Sachverständigen nicht vor. Soweit das Beschwerdegericht darauf abstellt, dass sich das Krankheitsbild der Betroffenen ohne ärztliche Behandlung chronifizieren könne, besagt das nichts über eine bestehende erhebliche Gesundheitsgefährdung, der nur mit einer Unterbringung begegnet werden könnte. Das gilt auch für die vom Beschwerdegericht genannten Folgen, die nach seiner Auffassung mit einer Chronifizierung der Erkrankung der Betroffenen verbunden sein können. Mit der Möglichkeit, die Betroffene könne ohne ärztliche Behandlung in ihrer Leistungsfähigkeit weiter beeinträchtigt werden und es könne zu einer Antriebsverminderung, sozialem Rückzug, psychomotorischer Verlangsamung, Erschöpfung und verminderter Belastbarkeit bis hin zum Verlust eines selbstständigen Lebens kommen, beschreibt das Beschwerdegericht nur abstrakte Gefahren, die sich aus einer Fortentwicklung der Erkrankung der Betroffenen ergeben können. Diesen Gefahren könnte allein mit der Unterbringung ohnehin nicht begegnet werden, da die Betroffene eine Behandlung ablehnt und eine Zwangsbehandlung nicht angeordnet war. Weitere konkrete und objektivierbare Anhaltspunkte für den Eintritt eines erheblichen Gesundheitsschadens oder einer erheblichen Verschlimmerung oder Chronifizierung der Krankheit der Betroffenen, die eine geschlossene Unterbringung rechtfertigten könnten, hat das Beschwerdegericht nicht festgestellt.
3. Die Betroffene ist durch die Genehmigung der Unterbringung in ihrem Freiheitsgrundrecht aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG verletzt. Das nach § 62 Abs. 1 FamFG erforderliche berechtigte Interesse der Betroffenen daran, die Rechtswidrigkeit der - hier durch Zeitablauf erledigten - Genehmigung der Unterbringung feststellen zu lassen, liegt vor. Eine freiheitsentziehende Maßnahme bedeutet stets einen schwerwiegenden Grundrechtseingriff im Sinn des § 62 Abs. 2 Nr. 1 FamFG (Senatsbeschluss vom 2. September 2015 - XII ZB 138/15 - FamRZ 2015, 1959 Rn. 17 mwN).
4. Von einer weiteren Begründung der Entscheidung wird abgesehen, weil sie nicht geeignet wäre, zur Klärung von Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung, zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung beizutragen (§ 74 Abs. 7 FamFG).
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