Entscheidungsdatum: 13.01.2010
Die zivilrechtliche Unterbringung durch einen Betreuer nach § 1906 Abs. 1 Nr. 1 BGB setzt keine akute, unmittelbar bevorstehende Gefahr voraus; notwendig ist allerdings eine ernstliche und konkrete Gefahr für Leib oder Leben des Betreuten. Die Gefahr für Leib oder Leben setzt kein zielgerichtetes Verhalten des Betreuten voraus, so dass auch eine völlige Verwahrlosung ausreichen kann, wenn damit eine Gesundheitsgefahr durch körperliche Verelendung und Unterversorgung verbunden ist .
Den Beteiligten zu 3 und 4 wird gegen die Versäumung der Rechtsbeschwerdefrist gegen den Beschluss der 4. Zivilkammer des Landgerichts Zweibrücken vom 7. Oktober 2009 Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt.
Die Rechtsbeschwerde der Beteiligten zu 3 und 4 gegen den Beschluss der 4. Zivilkammer des Landgerichts Zweibrücken vom 7. Oktober 2009 wird zurückgewiesen.
Das Verfahren der Rechtsbeschwerde ist gerichtsgebührenfrei. Außergerichtliche Kosten und Auslagen werden nicht erstattet.
I.
Die Beteiligten zu 3 und 4 wenden sich gegen die betreuungsgerichtliche Genehmigung der Unterbringung ihrer volljährigen Tochter.
Für die Betreute wurde mit Beschluss vom 1. August 2006 eine Betreuung unter anderem mit den Aufgabenkreisen der Sorge für die Gesundheit und der Aufenthaltsbestimmung sowie der Entscheidung über eine Unterbringung der Betreuten und unterbringungsähnliche Maßnahmen eingerichtet. Mit Beschluss vom 30. Januar 2009 wurde die Betreuung bis zum 25. Januar 2011 verlängert.
Seit Juli 2006 wurde die Betreute wiederholt wegen ihrer Erkrankung in geschlossenen Abteilungen untergebracht. Nach dem Inhalt der Sachverständigengutachten des Chefarztes der Abteilung für Psychiatrie und Psychotherapie im Städtischen Krankenhaus P. Dr. med. R. vom 5. August 2008, 7. Januar 2009 und 17. August 2009 leidet die Betreute an einer Psychose aus dem schizophrenen Formenkreis sowie einem schizophrenen Residuum.
Mit Beschluss vom 22. September 2009 hat das Amtsgericht die Unterbringung der Betreuten in einer geschlossenen Einrichtung bis längstens zum 22. September 2011 vormundschaftsgerichtlich genehmigt und die sofortige Wirksamkeit der Entscheidung angeordnet. Das Landgericht hat die Beschwerde der Eltern der Betreuten mit Beschluss vom 7. Oktober 2009 zurückgewiesen. Der am 24. Oktober 2009 den Eltern zugestellte Beschluss enthielt keine Rechtsmittelbelehrung. Diese ist den Eltern erst nachträglich am 17. Dezember 2009 zugestellt worden.
Gegen den Beschluss richtet sich die am 30. Dezember 2009 eingegangene Rechtsbeschwerde der Eltern der Betreuten, mit der sie zugleich Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt haben.
II.
1. Die Rechtsbeschwerde ist statthaft; einer Zulassung durch das Beschwerdegericht bedarf es gemäß § 70 Abs. 3 Nr. 2 FamFG nicht. Die am 30. Dezember 2009 eingegangene Rechtsbeschwerde ist auch im Übrigen zulässig.
a) Die Eltern der Betreuten sind nach § 335 Abs. 1 Nr. 1 FamFG beschwerdebefugt. Wie in § 303 FamFG in Betreuungssachen lässt auch diese Vorschrift in Unterbringungssachen Rechtsmittel durch die Eltern eines Betreuten als privilegierte Verwandte zu. Voraussetzung des Beschwerderechts ist lediglich, dass der Angehörige des Betreuten in erster Instanz beteiligt wurde. Dadurch sollen altruistische Beschwerden solcher Angehöriger vermieden werden, die am Verfahren erster Instanz kein Interesse gezeigt haben (BT-Drucks. 16/6308 S. 271, 276). Die Eltern der Betreuten haben sich an dem Verfahren hier allerdings fortlaufend beteiligt.
b) Den Eltern der Betreuten ist auf ihren Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Rechtsbeschwerdefrist zu bewilligen. Der am 24. Oktober 2009 zugestellte Beschluss des Landgerichts enthielt entgegen § 39 FamFG keine Rechtsbehelfsbelehrung. Das Fehlen der Rechtsbehelfsbelehrung hat zwar keinen Einfluss auf den Beginn der einmonatigen Rechtsbeschwerdefrist nach § 71 Abs. 1 FamFG (BT-Drucks. 16/6308 S. 183; Keidel/Meyer-Holz FamFG 16. Aufl. § 39 Rdn. 14; a.A. Prütting/Helms/Abramenko FamFG § 39 Rdn. 16). Den Eltern ist auf ihren Antrag aber Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen, weil nach § 17 Abs. 2 FamFG wegen der fehlenden Rechtsbehelfsbelehrung eine schuldlose Versäumung der Beschwerdefrist vermutet wird.
2. Die Rechtsbeschwerde ist jedoch nicht begründet.
a) Das Landgericht hat die weitere Unterbringung der Betreuung wegen Eigengefährdung nach § 1906 Abs. 1 Nr. 1 BGB genehmigt, weil aufgrund ihrer psychischen Krankheit die Gefahr bestehe, dass die Betreute sich selbst erheblichen gesundheitlichen Schaden zufüge. Nach dem fachärztlichen Gutachten stehe fest, dass die Betreute an einer paranoiden Psychose aus dem schizophrenen Formenkreis mit schizophrenem Residuum erkrankt sei. Der Sachverständige habe keine wesentlichen Änderungen zu seinen Vorbefunden feststellen können. Führend sei weiterhin die psychische Erkrankung der Betreuten. Die Störungen der Affektivität, des formalen und inhaltlichen Gedankengangs, in der Folge auch mit kognitiv-mnestischen Einschränkungen und Zeitgitterstörungen, bestünden fort. Die Betreute sei nicht in der Lage, eigenständig eine ausreichende Tagesstruktur aufrecht zu erhalten. Sie verhalte sich desorganisiert, es bestehe keinerlei Krankheitseinsicht und ihre Kritikfähigkeit sei deutlich reduziert. Zwar sei im Rahmen ihrer Anhörung ein geordnetes Gespräch über ihren Tagesablauf in dem Heim und in der Tagesförderstätte möglich gewesen. Die Betreute habe allerdings immer noch keine Problemeinsicht. Die Situation hinsichtlich der teilweise tumultartigen Auseinandersetzungen mit ihren Eltern in ihrem Elternhaus und bezüglich der mangelnden Versorgung mit Medikamenten werde zwar vordergründig eingeräumt, inhaltlich jedoch nicht in ihrer Bedeutung für den Gesundheitszustand erfasst. Um den gegenwärtigen Zustand zu erhalten, sei dringend die weitere geschlossene Unterbringung der Betreuten auch gegen deren Willen erforderlich. Wenn sie in ihr Elternhaus zurückkehren würde, was sie anstrebe, trete mit Sicherheit binnen kürzester Zeit der frühere Zustand mit ganz gravierenden Exazerbationen des seit vielen Jahren festgestellten Krankheitsbildes ein. Die Eltern der Betreuten seien dem schwierigen Krankheitsbild in keiner Hinsicht gewachsen, zumal die Mutter selbst unter Betreuung stehe.
Im Hinblick auf die Erkrankung der Betreuten und die problematische Familiensituation sei eine Fortdauer der Unterbringung für zwei Jahre dringend notwendig, um die notwendige Stabilisierung zu erreichen. Die Rückkehr der Betreuten in die Wohnung der Eltern sei keinesfalls möglich und auch eine langfristige Perspektive gebe insoweit wenig Grund zur Hoffnung.
b) Diese Ausführungen halten der rechtlichen Nachprüfung stand.
aa) Nach § 1906 Abs. 2 Satz 1 BGB bedarf die Unterbringung eines Betreuten durch den Betreuer, die mit Freiheitsentziehung verbunden ist, grundsätzlich der Genehmigung durch das Betreuungsgericht. Die Genehmigung kann nur erteilt oder aufrechterhalten werden, wenn und solange die Unterbringung nach § 1906 Abs. 1 BGB zulässig ist. Nach § 1906 Abs. 1 Nr. 1 BGB ist die Unterbringung unter anderem zulässig, solange sie zum Wohl des Betreuten erforderlich ist, weil aufgrund einer psychischen Erkrankung oder geistigen oder seelischen Behinderung des Betreuten die Gefahr besteht, dass er sich selbst tötet oder erheblichen gesundheitlichen Schaden zufügt. Für beide Tatbestände der Selbstgefährdung muss die Ursache in einer psychischen Krankheit oder einer geistigen oder seelischen Behinderung liegen, aufgrund derer der Betreute seinen Willen nicht frei bestimmen kann (MünchKomm/Schwab BGB 5. Aufl. § 1906 Rdn. 17; Staudinger/Bienwald BGB (2006) § 1906 Rdn. 23; Bienwald/Sonnenfeld/Hoffmann Betreuungsrecht 4. Aufl. § 1906 Rdn. 90).
Im Gegensatz zur öffentlich-rechtlichen Unterbringung verlangt die zivilrechtliche Unterbringung durch einen Betreuer keine akute, unmittelbar bevorstehende Gefahr für den Betreuten. Notwendig ist allerdings eine ernstliche und konkrete Gefahr für Leib oder Leben des Betreuten (BT-Drucks. 11/4528 S. 146; Staudinger/Bienwald BGB (2006) § 1906 Rdn. 23; Jürgens/Marschner Betreuungsrecht 3. Aufl. § 1906 BGB Rdn. 13). Der Grad der Gefahr ist in Relation zum möglichen Schaden ohne Vornahme der freiheitsentziehenden Maßnahme zu bemessen (Bienwald/Sonnenfeld/Hoffmann Betreuungsrecht 4. Aufl. § 1906 Rdn. 91). Die Gefahr für Leib oder Leben setzt kein zielgerichtetes Verhalten des Betreuten voraus, so dass auch eine völlige Verwahrlosung ausreichen kann, wenn damit eine Gesundheitsgefahr durch körperliche Verelendung und Unterversorgung verbunden ist (BT-Drucks. 11/4528 S. 146; BayObLG FamRZ 1993, 998; OLG München BtPrax 2006, 105; MünchKomm/Schwab BGB 5. Aufl. § 1906 Rdn. 16; Staudinger/Bienwald BGB (2006) § 1906 Rdn. 23). Das setzt allerdings objektivierbare und konkrete Anhaltspunkte für den Eintritt eines erheblichen Gesundheitsschadens voraus (Bamberger/Roth/Müller BGB 2. Aufl. § 1906 Rdn. 9). Die Genehmigung einer Unterbringung nach § 1906 Abs. 1 Nr. 1 BGB muss zudem erforderlich sein (vgl. Senatsbeschluss vom 23. Januar 2008 - XII ZB 185/07 - FamRZ 2008, 866, 867). Wenn die Gefahr durch andere Mittel als die freiheitsentziehende Unterbringung abgewendet werden kann, kommt eine Unterbringung als unverhältnismäßig nicht in Betracht (MünchKomm/Schwab BGB 5. Aufl. § 1906 Rdn. 18; Staudinger/Bienwald BGB (2006) § 1906 Rdn. 25).
Die Prognose einer nicht anders abwendbaren Suizidgefahr oder einer Gefahr erheblicher gesundheitlicher Schäden baut auf dem Ergebnis der Anhörung des Betreuten und der weiteren Beteiligten nach §§ 319 f. FamFG und dem nach § 321 FamFG einzuholenden Sachverständigengutachten auf, ist im Wesentlichen aber Sache des Tatrichters (BayObLG FamRZ 1994, 1617; Palandt/Diederichsen BGB 69. Aufl. § 1906 Rdn. 15).
bb) Diese Voraussetzungen einer Unterbringungsgenehmigung wegen Eigengefährdung in Folge einer psychischen Krankheit oder geistigen oder seelischen Behinderung hat das Landgericht ohne Rechtsfehler festgestellt.
(1) Danach leidet die Betreute an einer chronifizierten paranoiden Psychose aus dem schizophrenen Formenkreis. Auf der Grundlage der desaströsen und tumultartigen Situationen in der Vergangenheit hat das Landgericht weiter festgestellt, dass die Betreute wegen ihrer Erkrankung nicht in der Lage ist, auch nur die notwendigsten Dinge des täglichen Lebens selbst zu regeln.
Nach den Feststellungen des Landgerichts verkennt die Betreute Infolge ihrer fehlenden Krankheitseinsicht, dass ihre über 80 Jahre alten Eltern alters- und gesundheitsbedingt nicht in der Lage sind, die notwendigen Dinge des täglichen Lebens verlässlich für sie zu regeln. Insoweit führt das Landgericht zu Recht aus, dass die Mutter inzwischen selbst unter Betreuung steht, weil sie krankheitsbedingt auch ihre eigenen Dinge nicht mehr selbst regeln kann, und das Verhältnis der Betreuten zu ihrem Vater schon in der Vergangenheit sehr belastet war und auch schon zu gewalttätigen Ausbrüchen der Betreuten geführt hat. Die Eltern waren auch in der Vergangenheit nicht in der Lage, die notwendige Medikation der Betreuten nach ihrer Entlassung aus stationären Unterbringungen zuverlässig sicherzustellen.
(2) Nach den Feststellungen des Landgerichts wäre mit einer Entlassung der Betreuten aus der geschlossenen Unterbringung die ernste und konkrete Gefahr verbunden, dass sie sich erheblichen gesundheitlichen Schaden zufügt. Wie in der Vergangenheit wäre mit einer unmittelbaren gesundheitsgefährdenden Verwahrlosung zu rechnen, weil die Betreute keinerlei Krankheitseinsicht hat und nicht in der Lage ist, die notwendigsten Dinge des täglichen Lebens selbst zu regeln. Auch eine Hilfe durch andere Personen oder Institutionen außerhalb der geschlossenen Einrichtung hat sich nach den Feststellungen des Landgerichts in der Vergangenheit als aussichtslos erwiesen, weil die Betreute ihre Hilflosigkeit wegen der fehlenden Krankheitseinsicht nicht erkennt. Weil die Betreute gleichwohl in die Wohnung der Eltern zurückkehren möchte, in der ihre Versorgung nicht gewährleistet ist, ist ihre weitere Unterbringung zum Schutz vor erheblichen Gesundheitsschäden erforderlich. Andere Maßnahmen hat das Landgericht unter Hinweis auf die Vorkommnisse in der Vergangenheit zu Recht als nicht geeignet angesehen, die Gefahr erheblicher gesundheitlicher Schäden im Sinne des § 1906 Abs. 1 Nr. 1 BGB dauerhaft abzuwenden.
(3) Auch gegen die Dauer der angeordneten Unterbringung bestehen keine rechtlichen Bedenken. Zwar ist eine Unterbringung durch den Betreuer nach § 1906 BGB nur zulässig, solange sie zum Wohl der Betreuten erforderlich ist. Der Begriff der Erforderlichkeit ist dabei mit Hilfe des verfassungsrechtlichen Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit auszulegen (vgl. EGMR NJW 1986, 765). Ist die Unterbringung wegen der krankheitsbedingten Gefahr eines erheblichen gesundheitlichen Schadens zwingend erforderlich und ist die lange Unterbringungsbedürftigkeit - wie hier vom Landgericht festgestellt - auf der Grundlage des vorliegenden Sachverständigengutachtens absehbar, bestehen gegen eine Unterbringung für die Dauer von zwei Jahren nach § 329 Abs. 1 FamFG keine Bedenken.
Unabhängig davon ist die Unterbringung nach § 330 FamFG aufzuheben, wenn deren Voraussetzungen entfallen sind. Die Betreuerin ist aufgrund der Unterbringungsgenehmigung zwar grundsätzlich zur Unterbringung zum Wohl der Betreuten gehalten (Staudinger/Bienwald BGB (2006) § 1906 Rdn. 19 f.); ist eine Fortdauer der Unterbringung aber nicht mehr notwendig, hat sie das Betreuungsgericht davon in Kenntnis zu setzen und auf eine unverzügliche Aufhebung der geschlossenen Unterbringung hinzuwirken (vgl. MünchKomm/Schwab BGB 5. Aufl. § 1906 Rdn. 6).
Hahne Vézina Dose
Klinkhammer Schilling