Bundesgerichtshof

Entscheidungsdatum: 14.08.2013


BGH 14.08.2013 - XII ZB 206/13

Betreuungsverfahren: Betreuerbestellung trotz wirksam erteilter Vorsorgevollmacht und Beachtlichkeit des Willens des Betroffenen


Gericht:
Bundesgerichtshof
Spruchkörper:
12. Zivilsenat
Entscheidungsdatum:
14.08.2013
Aktenzeichen:
XII ZB 206/13
Dokumenttyp:
Beschluss
Vorinstanz:
vorgehend LG Magdeburg, 10. April 2013, Az: 9 T 124/13 -026-, Beschlussvorgehend AG Wernigerode, 18. Januar 2013, Az: 4 XVII 316/12
Zitierte Gesetze

Tenor

Auf die Rechtsbeschwerde der Betroffenen wird der Beschluss der 9. Zivilkammer des Landgerichts Magdeburg vom 10. April 2013 aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Behandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Landgericht zurückverwiesen.

Beschwerdewert: 3.000 €

Gründe

I.

1

Die Betroffene wendet sich gegen die Anordnung der Betreuung und die Auswahl des Betreuers.

2

Auf Anregung der Betreuungsbehörde hat das Amtsgericht nach Einholung eines Sachverständigengutachtens und Anhörung der Betroffenen mit Beschluss vom 18. Januar 2013 deren Betreuung angeordnet und die Beteiligte zu 1 zur Betreuerin mit den Aufgabenkreisen Gesundheitssorge, Aufenthaltsbestimmung, Vermögenssorge, Wohnungsangelegenheiten sowie Rechts-, Antrags- und Behördenangelegenheiten bestellt.

3

Nachdem die Betroffene gegen diesen Beschluss Beschwerde eingelegt hatte, hat das Amtsgericht im Abhilfeverfahren die Betroffene erneut angehört, die Beteiligte zu 2 als Verfahrenspflegerin bestellt und schließlich der Beschwerde nicht abgeholfen. Das Landgericht hat die Beschwerde zurückgewiesen. Hiergegen wendet sich die Betroffene mit ihrer Rechtsbeschwerde.

II.

4

Die Rechtsbeschwerde ist zulässig, insbesondere gemäß § 70 Abs. 3 Nr. 1 FamFG statthaft. Sie ist auch begründet und führt zur Aufhebung der angegriffenen Entscheidung und Zurückverweisung an das Beschwerdegericht.

5

1. Das Beschwerdegericht hat sich in der angegriffenen Entscheidung nur mit der Betreuerauswahl befasst und ausgeführt, dass die vom Amtsgericht getroffene Entscheidung, der Betroffenen eine Berufsbetreuerin zu bestellen, rechtlich nicht zu beanstanden sei. Die Betroffene habe bei ihrer Anhörung zur Einrichtung der Betreuung niemanden, auch nicht ihren Vater, zum Betreuer vorgeschlagen. Das Amtsgericht habe bei seiner Entscheidung die verwandtschaftlichen Bindungen der Betroffenen hinreichend berücksichtigt. Es habe in dem angefochtenen Beschluss zwar nicht ausgeführt, warum der Vater der Betroffenen zur Ausübung der Betreuung nicht geeignet sei. Aus den weiteren Umständen sei jedoch nachvollziehbar, warum das Amtsgericht nicht den Vater der Betroffenen, sondern eine Berufsbetreuerin bestellt habe. Aus dem eingeholten Sachverständigengutachten ergebe sich, dass sich die Betroffene wegen möglicher häuslicher Gewalt in stationärer Behandlung befunden habe und der Vater der Betroffenen mit den gelegentlich auftretenden psychiatrischen Symptomen überlastet gewesen sei. Auch die Psychologin der Einrichtung der Lebenshilfe, in der die Betroffene beschäftigt sei, habe gegenüber der Betreuungsbehörde geschildert, dass die Betroffene mit den Folgen von Misshandlungen in die Werkstatt der Lebenshilfe komme und sich vor dem Feierabend fürchte. Die Betroffene habe ihr gegenüber auch berichtet, der Vater würde sie schlagen. Diesen Eindruck der Psychologin habe die Verfahrenspflegerin in einem Bericht an das Amtsgericht bestätigt. Soweit der Verfahrensbevollmächtigte der Betroffenen eingewendet habe, der Vater der Betroffenen sei aus ihrer Sicht der geeignetste Betreuer, da sie ihm im Jahre 2006 eine Vorsorgevollmacht erteilt habe, sei diese Einschätzung zweifelhaft. Denn es sei schon fraglich, ob die Vorsorgevollmacht angesichts der diagnostizierten Intelligenzminderung der Betroffenen wirksam sei. Außerdem erscheine es auch fraglich, ob der ausschließliche Umgang der Betroffenen mit ihrem Vater für deren Entwicklung förderlich sei. Es sei nicht unwahrscheinlich, dass die bei der Betroffenen festgestellte häusliche Gewalt von ihrem Vater ausgegangen sei.

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2. Diese Ausführungen halten der rechtlichen Nachprüfung nicht stand. Die bislang getroffenen Feststellungen tragen die Bestellung eines Berufsbetreuers für die Betroffene nicht.

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a) Gemäß § 1896 Abs. 2 BGB darf ein Betreuer nur für Aufgabenkreise bestellt werden, in denen die Betreuung erforderlich ist. Die Betreuung ist nicht erforderlich, soweit die Angelegenheiten des Volljährigen durch einen Bevollmächtigten ebenso gut wie durch einen Betreuer besorgt werden können. Eine wirksam erteilte Vorsorgevollmacht steht daher der Bestellung eines Betreuers grundsätzlich entgegen, sofern gegen die Wirksamkeit der Vollmachtserteilung keine Bedenken bestehen (Senatsbeschluss vom 15. Dezember 2010 - XII ZB 165/10 - FamRZ 2011, 285 Rn. 11 mwN) oder der Bevollmächtigte ungeeignet ist, die Angelegenheiten des Betroffenen zu besorgen, insbesondere weil zu befürchten ist, dass die Wahrnehmung der Interessen des Betroffenen durch jenen eine konkrete Gefahr für das Wohl des Betroffenen begründet. Dies ist der Fall, wenn der Bevollmächtigte wegen erheblicher Bedenken an seiner Geeignetheit oder Redlichkeit als ungeeignet erscheint (vgl. Senatsbeschluss vom 13. April 2011 - XII ZB 584/10 - FamRZ 2011, 964 Rn. 15 mwN).

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Zudem hat das Betreuungsgericht nach § 1897 Abs. 4 Satz 1 BGB einem Vorschlag des Betroffenen, eine Person zum Betreuer zu bestellen, zu entsprechen, sofern die Bestellung des vorgeschlagenen Betreuers dem Wohl des Betroffenen nicht zuwiderläuft. Ein solcher Vorschlag erfordert in der Regel weder Geschäftsfähigkeit noch natürliche Einsichtsfähigkeit (Senatsbeschlüsse vom 15. Dezember 2010 - XII ZB 165/10 - FamRZ 2011, 285 Rn. 14 und vom 16. März 2011 - XII ZB 601/10 - FamRZ 2011, 880 Rn. 21). Nach § 1897 Abs. 4 Satz 1 BGB steht dem Tatrichter bei der Auswahl des Betreuers kein Ermessen zu. Es ist die Person zum Betreuer zu bestellen, die der Betreute wünscht (vgl. hierzu Senatsbeschluss vom 15. September 2010 XII ZB 166/10 - FamRZ 2010, 1897 Rn. 20 mwN). Der Wille des Betreuten kann aber dann unberücksichtigt bleiben, wenn die Bestellung der vorgeschlagenen Person dem Wohl des Betreuten zuwiderläuft. Dies setzt voraus, dass sich aufgrund einer umfassenden Abwägung aller relevanten Umstände Gründe von erheblichem Gewicht ergeben, die gegen die Bestellung der vorgeschlagenen Person sprechen. Es muss die konkrete Gefahr bestehen, dass der Vorgeschlagene die Betreuung des Betroffenen nicht zu dessen Wohl führen kann oder will (Senatsbeschluss vom 15. September 2010 - XII ZB 166/10 - FamRZ 2010, 1897 Rn. 20 mwN).

9

Nach § 26 FamFG hat das Gericht von Amts wegen alle zur Feststellung der entscheidungserheblichen Tatsachen erforderlichen Ermittlungen durchzuführen. Das gilt auch für das Beschwerdegericht, das - in den Grenzen der Beschwerde - vollständig an die Stelle des Gerichts erster Instanz tritt und das gesamte Sach- und Rechtsverhältnis, wie es sich zur Zeit seiner Entscheidung darstellt, seiner Beurteilung zu unterziehen hat (Senatsbeschluss vom 5. Januar 2011 - XII ZB 240/10 - FamRZ 2011, 367 Rn. 8). Über Art und Umfang dieser Ermittlungen entscheidet zwar grundsätzlich der Tatrichter nach pflichtgemäßem Ermessen. Das Rechtsbeschwerdegericht hat jedoch u.a. nachzuprüfen, ob das Beschwerdegericht die Grenzen seines Ermessens eingehalten hat, ferner, ob es von ungenügenden Tatsachenfeststellungen ausgegangen ist (vgl. Senatsbeschluss vom 13. April 2011 - XII ZB 584/10 - FamRZ 2011, 964 Rn. 16 mwN).

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b) Gemessen hieran kann die angegriffene Entscheidung keinen Bestand haben.

11

Die Betroffene hat im Beschwerdeverfahren ausdrücklich auf die zugunsten ihres Vaters bestellte Vorsorgevollmacht hingewiesen, sich gegen die Einrichtung einer Betreuung ausgesprochen und ausdrücklich den Wunsch geäußert, dass ihr Vater zum Betreuer bestellt wird, falls das Gericht eine Betreuung für erforderlich hält. Zutreffend weist die Rechtsbeschwerde auch darauf hin, dass der Verfahrensbevollmächtigte der Betroffenen im Beschwerdeverfahren ausführlich zu dem Vorbringen der Betreuerin und der Verfahrenspflegerin zum Verhältnis der Betroffenen zu ihrem Vater Stellung genommen hat. Das Beschwerdegericht wäre deshalb gehalten gewesen, weitere Ermittlungen durchzuführen (§ 26 FamFG). Insbesondere wird der Tatrichter die Gründe, die möglicherweise einer Bestellung der vom Betroffenen als Betreuer benannten Person entgegenstehen, regelmäßig nur verlässlich feststellen können, wenn er der benannten Person Gelegenheit gegeben hat, zu diesen Gründen Stellung zu nehmen. Es verstößt gegen den Amtsermittlungsgrundsatz, wenn der Tatrichter in seiner Entscheidung ausdrücklich die Eignung der benannten Person zum Betreueramt in Zweifel zieht und sich hierbei auf Mitteilungen Dritter beruft, ohne zuvor die als Betreuer vorgeschlagene Person zu den von Dritten mitgeteilten Tatsachen anzuhören (vgl. Senatsbeschluss vom 15. Dezember 2010 - XII ZB 165/10 - FamRZ 2011, 285 Rn. 17).

12

So liegen die Dinge hier. Das Beschwerdegericht hat seine Annahme, der Vater der Betroffenen sei als Betreuer ungeeignet, darauf gestützt, dass sich aus dem für die Einrichtung der Betreuung eingeholten Sachverständigengutachten, den Angaben der Psychologin der Lebenshilfe gegenüber der Betreuungsbehörde sowie dem Bericht der Verfahrenspflegerin Hinweise auf eine mögliche von ihrem Vater ausgehende häusliche Gewalt gegen die Betroffene ergeben würden und deshalb die Bestellung eines Berufsbetreuers erforderlich sei. Zwar ergeben sich hieraus Anhaltspunkte darauf, dass der Vater der Betroffenen als für die Übernahme des Betreueramtes ungeeignet anzusehen sein könnte. Eine entsprechende tatrichterliche Überzeugungsbildung setzt aber verfahrensrechtlich voraus, dass der Vater der Betroffenen zunächst mit den Mitteilungen, auf die das Beschwerdegericht die Zweifel an dessen Eignung als Betreuer stützen will, konfrontiert wird und er Gelegenheit erhält, sich hierzu persönlich vor Gericht zu äußern (vgl. auch Senatsbeschluss vom 15. Dezember 2010 - XII ZB 165/10 - FamRZ 2011, 285 Rn. 18). Eine solche Gelegenheit ist dem Vater der Betroffenen nicht eingeräumt worden. Damit sind die an eine ermessensfehlerfreie amtswegige Tatsachenermittlung zu stellenden Anforderungen nicht erfüllt.

13

3. Danach kann die angefochtene Entscheidung keinen Bestand haben. Eine eigene Sachentscheidung ist dem Senat verwehrt, weil mangels hinreichender Tatsachenfeststellung die Sache noch nicht entscheidungsreif ist (vgl. § 74 Abs. 6 Satz 1 und 2 FamFG). Die Sache ist deshalb an das Beschwerdegericht zurückzuverweisen.

14

Die Zurückverweisung gibt dem Beschwerdegericht außerdem die Möglichkeit, sich mit den im Beschwerdeverfahren vorgebrachten Einwendungen gegen das Sachverständigengutachten auseinanderzusetzen (vgl. dazu Senatsbeschluss vom 15. September 2010 - XII ZB 383/10 - FamRZ 2010, 1726 Rn. 9 und 11) und zu prüfen, ob die Ablehnung einer Betreuung auf dem freien Willen der Betroffenen (§ 1896 Abs. 1a BGB) beruht (vgl. dazu Senatsbeschluss vom 14. März 2012 - XII ZB 502/11 - FamRZ 2012, 869 Rn. 13). Sollten die weiteren Ermittlungen ergeben, dass der Vater der Betroffenen nicht ungeeignet ist, die Betreuung der Betroffenen zu übernehmen, wird das Beschwerdegericht auch zu prüfen haben, ob die von der Betroffenen errichtete Vorsorgevollmacht wirksam ist und daher der Einrichtung einer Betreuung entgegensteht. Dabei kann allein aus der bei der Betroffenen vorhandenen Intelligenzminderung nicht ohne weitere Feststellungen auf deren Geschäftsunfähigkeit bei Errichtung der Vollmacht geschlossen werden.

Dose     

Weber-Monecke     

RiBGH Schilling hat

Urlaub und kann

deswegen nicht

unterschreiben.

Dose

Günter     

Botur