Entscheidungsdatum: 15.12.2010
Zum Umfang der Amtsermittlungspflicht in Fällen, in denen das Betreuungsgericht statt eines vom Betroffenen vorgeschlagenen Angehörigen einen Berufsbetreuer auswählt .
Auf die Rechtsbeschwerde des Beteiligten zu 2. wird der Beschluss der 1. Zivilkammer des Landgerichts Köln vom 24. März 2010 aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Behandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Landgericht zurückverwiesen.
Wert: 3.000 €
I.
Der Beteiligte zu 2. ist das einzige Kind der Betroffenen. Er wendet sich gegen die Bestellung eines Berufsbetreuers für seine Mutter.
Die Betroffene erteilte am 17. August 2009 dem Beteiligten zu 2. eine umfassende Vollmacht; zugleich verfügte sie, dass im Falle einer gleichwohl notwendig werdenden rechtlichen Betreuung der Beteiligte zu 2. zum Betreuer bestellt werden solle. Auf Anregung des H.-G.-Krankenhauses in K. vom 7. Oktober 2009 leitete das Amtsgericht - Betreuungsgericht - ein Betreuungsverfahren für die Betroffene ein, holte ein psychiatrisches Gutachten ein und hörte die Betroffene persönlich an. Nach diesem Gutachten vom 24. Januar 2010 leidet die Betroffene an einer Multiinfarktdemenz und ist in keinem rechtlichen Bereich mehr in der Lage, ihre Angelegenheiten selbständig zu besorgen. Sie sei auch nicht in der Lage, zur Frage der Bestellung eines Betreuers einen freien Willen zu bilden. Die Frage, ob die Betroffene bereits im August 2009 noch zu einer Vollmachterteilung fähig gewesen sei, sei schwierig zu beantworten und könne im Rahmen des Betreuungsgutachtens nicht beurteilt werden. Allerdings lägen Anhaltspunkte dafür vor, dass die Geschäftsfähigkeit der Betroffenen bereits seinerzeit deutlich beeinträchtigt gewesen sein könne. In ihrer persönlichen Anhörung vom 10. Februar 2010 erklärte die Betroffene wiederholt, ihr Sohn solle ihre Angelegenheiten regeln.
Das Amtsgericht hat den Beteiligten zu 1. zum (Berufs-) Betreuer bestellt. Die Betreuung erstreckt sich auf die Gesundheitsfürsorge, die Aufenthaltsbestimmung, auf alle Vermögensangelegenheiten sowie auf die Vertretung bei Behörden und den Empfang von Post. Die hiergegen gerichtete Beschwerde des Beteiligten zu 2. hat das Landgericht zurückgewiesen. Dagegen wendet sich der Beteiligte zu 2. mit der Rechtsbeschwerde.
II.
Das Rechtsmittel ist zulässig (§ 70 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1, § 303 Abs. 2 Nr. 1 FamFG). Es führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das Landgericht.
1. Das Landgericht geht aufgrund des vom Amtsgericht eingeholten Gutachtens davon aus, dass die Voraussetzungen des § 1896 Abs. 1 BGB bei der Betroffenen vorliegen. Die dem Beteiligten zu 2. erteilte Vorsorgevollmacht stehe der Bestellung eines Betreuers nicht entgegen, da Zweifel an der Wirksamkeit der Vollmacht, aber auch an der Eignung und Redlichkeit des Beteiligten zu 2. bestünden. Auch der von der Betroffenen in ihrer persönlichen Anhörung geäußerte Wunsch, den Beteiligten zu 2. zum Betreuer zu bestellen, hindere die Bestellung des Beteiligten zu 1. als Berufsbetreuer nicht. Denn - wie der Gutachter ausgeführt habe - sei die Betroffene nicht mehr in der Lage, zur Frage der Betreuerbestellung einen freien Willen zu bilden. Zudem dürfe die Benennung eines Betreuers durch den Betroffenen keine Berücksichtigung finden, wenn die Bestellung des Benannten dem Wohle des Betroffenen zuwiderlaufe. Dies sei hier der Fall.
Für die mangelnde Eignung des Beteiligten zu 2. bzw. für die Zweifel an dessen Redlichkeit sprechen nach Auffassung des Landgerichts folgende Umstände:
Nach den Mitteilungen eines Mitarbeiters des Sozialdienstes im H.-G.-Krankenhaus in K. habe sich der Beteiligte zu 2. nicht an Absprachen gehalten und sich wenig kooperativ gezeigt. Weitere Institutionen, die mit dem Beteiligten zu 2. zu tun gehabt hätten, hätten die Erfahrung gemacht, dass der Beteiligte zu 2. bei der Versorgung seiner Mutter finanzielle Interessen in den Vordergrund stelle. Das Bürgermeisteramt der Heimatgemeinde habe den Beteiligten zu 2. als problematisch beschrieben und ihn für ungeeignet erachtet, für seine Mutter zu sorgen. Mitarbeiter eines Alten- und Krankenpflegevereins in K. hätten berichtet, dass die Versorgungssituation der Betroffenen - im Hinblick auf frische Nahrungsmittel - sehr kritisch gewesen sei. Der Verein habe den Pflegevertrag gekündigt; für die Rückabwicklung sei der Beteiligte zu 2. nicht erreichbar gewesen. Ein anderer Pflegeverein habe mitgeteilt, dass die Heizung in der Wohnung der Betroffenen defekt und eine Reparatur nicht veranlasst worden sei. Schließlich habe der Beteiligte zu 2. dem vom Amtsgericht bestellten Gutachter eine Untersuchung der Betroffenen verweigert und den Gutachter des Grundstücks verwiesen. Auch die für den derzeitigen Heimaufenthalt der Betroffenen angefallenen Kosten habe der Beteiligte zu 2. nicht bezahlt.
2. Diese Ausführungen halten der rechtlichen Nachprüfung nicht in allen Punkten stand.
a) Nicht zu beanstanden ist, dass das Landgericht die Voraussetzungen des § 1896 Abs. 1 Satz 1 BGB für die Bestellung eines Betreuers bejaht hat. Auch die Rechtsbeschwerde erinnert hiergegen nichts.
b) Frei von Rechtsbedenken ist auch die Annahme des Landgerichts, dass die dem Beteiligten zu 2. erteilte Vollmacht der Bestellung eines (hier: Berufs-) Betreuers nicht entgegensteht.
Zwar darf ein Betreuer nur bestellt werden, soweit die Betreuerbestellung erforderlich ist (§ 1896 Abs. 2 Satz 1 BGB). Eine Betreuung ist nicht erforderlich, soweit die Angelegenheiten des Betroffenen durch einen Bevollmächtigten ebenso gut wie durch einen Betreuer besorgt werden können (§ 1896 Abs. 2 Satz 2 BGB). Eine vom Betroffenen bereits früher erteilte ("Vorsorge-") Vollmacht hindert danach die Bestellung eines Betreuers nur, wenn gegen die Wirksamkeit der Vollmachterteilung keine Bedenken bestehen (vgl. etwa MünchKommBGB/Schwab 5. Aufl. § 1896 Rn. 50 mwN: "zweifelsfrei wirksam erteilt"; Firsching/Dodegge Familienrecht 7. Aufl. Rn. 282). Das hat das Landgericht auf der Grundlage des psychiatrischen Gutachtens verneint. Diese tatrichterliche Würdigung ist - auch im Hinblick auf die zeitliche Nähe von Vollmachterteilung und gutachtlicher Untersuchung - plausibel und jedenfalls rechtsbeschwerderechtlich nicht zu beanstanden.
c) Hingegen unterliegt es durchgreifenden verfahrensrechtlichen Bedenken, wenn das Landgericht die Bestellung eines Berufsbetreuers mit Zweifeln an der Eignung und Redlichkeit des Beteiligten zu 2. begründet.
Dabei kann dahinstehen, ob die Tatsachen, auf die das Landgericht seine Zweifel stützt, bereits einen Schluss auf die mangelnde Eignung und Redlichkeit des Beteiligten zu 2. zulassen. Denn das Landgericht hat bei der Feststellung dieser Tatsachen seine Amtsermittlungspflicht (§ 26 FamFG) verletzt. Nach dieser Vorschrift hat das Gericht von Amts wegen alle zur Feststellung der entscheidungserheblichen Tatsachen erforderlichen Ermittlungen durchzuführen. Über Art und Umfang dieser Ermittlungen entscheidet zwar grundsätzlich der Tatrichter nach pflichtgemäßem Ermessen (vgl. etwa BayObLG FamRZ 1996, 1110, 111). Das Rechtsbeschwerdegericht hat jedoch u.a. nachzuprüfen, ob das Beschwerdegericht die Grenzen seines Ermessens eingehalten hat, ferner, ob es von ungenügenden Tatsachenfeststellungen ausgegangen ist (Keidel/Meyer-Holz FamFG § 72 Rn. 8). Letzteres ist hier der Fall.
aa) Nach § 1897 Abs. 4 Satz 2 BGB hat das Betreuungsgericht einem Vorschlag des Betroffenen, eine Person zum Betreuer zu bestellen, zu entsprechen, sofern die Bestellung des vorgeschlagenen Betreuers dem Wohl des Betroffenen nicht zuwiderläuft. Ein solcher Vorschlag erfordert in der Regel weder Geschäftsfähigkeit noch natürliche Einsichtsfähigkeit (vgl. BT-Drucks. 11/4528 S. 127). Es ist auch nicht erforderlich, dass der Vorschlag des Betroffenen, wie vom BayObLG (vgl. etwa BayObLG FamRZ 2005, 548; BayObLG OLGR München 2004, 251 Rn. 15; BayObLGR 2003, 360 = BtPrax 2003, 370 Rn. 13) gefordert, ernsthaft, eigenständig gebildet und dauerhaft sein muss. Vielmehr genügt, dass der Betroffene seinen Willen oder Wunsch kundtut, eine bestimmte Person solle sein Betreuer werden (MünchKommBGB/Schwab 5. Aufl. § 1897 Rn. 21). Etwaigen Missbräuchen und Gefahren wird hinreichend durch die begrenzte, letztlich auf das Wohl des Betroffenen abstellende Bindungswirkung eines solchen Vorschlags begegnet (vgl. auch BT-Drucks. 11/4528 S. 127).
Nach § 1897 Abs. 5 Satz 1 BGB ist, wenn der Betroffene niemanden als Betreuer vorgeschlagen hat, bei der Auswahl des Betreuers auf die verwandtschaftlichen Beziehungen des Betroffenen, insbesondere auf dessen persönliche Bindungen - etwa zu eigenen Kindern - Rücksicht zu nehmen. Diese Regelung gilt auch dann, wenn der Betroffene einen Verwandten, etwa sein Kind, als Betreuer benannt hat (vgl. auch BT-Drucks. 11/4528 S. 128). Denn das Kind des Betroffenen wird nach Maßgabe dieser Vorschrift "erst recht" zum Betreuer zu bestellen sein, wenn der Betroffene selbst dieses Kind ausdrücklich als Betreuer seiner Wahl benannt hat, mag der Betroffene auch bei der Benennung nicht oder nur eingeschränkt geschäftsfähig gewesen sein.
In Würdigung der in § 1897 Abs. 4 Satz 2, Abs. 5 Satz 1 BGB getroffenen Wertentscheidungen wird ein Kind des Betroffenen, das zum Betroffenen persönliche Bindungen unterhält und das der Betroffene wiederholt als Betreuer benannt hat, deshalb bei der Betreuerauswahl besonders zu berücksichtigen sein und nur dann zugunsten eines Berufsbetreuers übergangen werden können, wenn gewichtige Gründe des Wohls des Betreuten einer Bestellung seines Kindes entgegenstehen (vgl. BVerfGE 33, 236, 238 f.).
bb) Diese rechtliche Gewichtung stellt auch an die tatrichterliche Ermittlungspflicht besondere Anforderungen. Der Tatrichter wird Gründe, die möglicherweise in der Person des vom Betroffenen als Betreuer benannten Kindes liegen, verlässlich nur feststellen können, wenn er dem Kind Gelegenheit gegeben hat, zu diesen Gründen Stellung zu nehmen. Es verstößt gegen den Amtsermittlungsgrundsatz, wenn der Tatrichter in seiner Entscheidung ausdrücklich die Eignung des benannten Kindes zum Betreueramt sowie die Redlichkeit des Kindes gegenüber dem Elternteil in Zweifel zieht und sich hierbei auf Mitteilungen Dritter beruft, ohne zuvor das als Betreuer vorgeschlagene Kind - bei derart gravierenden Vorwürfen sogar regelmäßig persönlich - zu den von Dritten mitgeteilten Tatsachen anzuhören. Eine solche Verfahrensweise wäre schon allgemein als Grundlage einer Betreuerauswahl, bei der ein Berufsbetreuer einem möglichen ehrenamtlichen Betreuer - aufgrund dessen angeblich fehlender Eignung und mangelnder Redlichkeit - vorgezogen wird, nicht unbedenklich (vgl. § 1897 Abs. 6 Satz 1 BGB). Als tatrichterliche Basis einer Entscheidung, durch die ein Kind des Betroffenen, obschon mit diesem persönlich verbunden und von diesem wiederholt als Betreuer benannt, als Betreuer übergangen wird, kann eine solche Verfahrensweise nicht hingenommen werden.
So aber liegen die Dinge hier: Der Beteiligte zu 2. ist das einzige Kind der Betroffenen. Zwischen beiden bestehen persönliche Bindungen. Das ergibt sich bereits aus dem - vom Landgericht nicht näher gewürdigten - Vortrag des Beteiligten zu 2. in der Beschwerdeschrift, er habe als Bevollmächtigter der Betroffenen für diese einen Betreuungsvertrag mit einem Heim in unmittelbarer Nähe seines Wohnsitzes geschlossen. Das Vorhandensein solcher Bindungen wird aber auch durch die wiederholten Bekundungen der Betroffenen nahegelegt, der Beteiligte zu 2. solle und werde ihre Angelegenheiten regeln. Zwar schließen weder der Vortrag des Beteiligten zu 2. noch die Bekundungen der Betroffenen die tatrichterliche Überzeugung aus, dass der Beteiligte zu 2. als für die Übernahme des Betreueramtes ungeeignet, ja sogar als unredlich anzusehen ist. Eine solche Überzeugungsbildung setzt aber verfahrensrechtlich voraus, dass der Beteiligte zu 2. zunächst mit den Mitteilungen Dritter, auf die der Tatrichter seine Zweifel an der Eignung und Redlichkeit des Beteiligten zu 2. stützen will, konfrontiert wird und er Gelegenheit erhält, sich hierzu persönlich vor Gericht zu äußern. Eine solche Gelegenheit ist dem Beteiligten zu 2. - soweit aus den Akten ersichtlich - nicht eingeräumt worden. Die dem für das Beschwerdeverfahren bestellten Verfahrensbevollmächtigten gewährte Akteneinsicht ersetzt die persönliche Anhörung des Beteiligten zu 2. nicht. Damit sind die an eine ermessensfehlerfreie amtswegige Tatsachenermittlung zu stellenden Anforderungen nicht erfüllt.
III.
Die angefochtene Entscheidung kann danach nicht bestehen bleiben. Der Senat vermag in der Sache nicht abschließend zu entscheiden. Die Sache war deshalb an das Landgericht zurückzuverweisen. Die Zurückverweisung gibt dem Landgericht Gelegenheit, die versäumte persönliche Anhörung des Beteiligten zu 2. nachzuholen. Dies wird dem Beschwerdegericht die Möglichkeit geben, sich ein unmittelbares Bild von dem Beteiligten zu 2. und seiner Bindung an die Betroffene, ferner zur Frage seiner Eignung als deren Betreuer und zu seiner Redlichkeit zu machen. In diesem Rahmen wird das Landgericht auch auf den Vortrag des Beteiligten zu 2., er habe für die Betroffene in seiner räumlichen Nähe bereits einen Heimplatz angemietet, einzugehen haben.
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