Entscheidungsdatum: 16.03.2011
1. Die Pflicht zur persönlichen Anhörung des Betroffenen besteht nach § 68 Abs. 3 Satz 1 FamFG grundsätzlich auch im Beschwerdeverfahren. Allerdings kann das Beschwerdegericht nach § 68 Abs. 3 Satz 2 FamFG von der persönlichen Anhörung absehen, wenn diese bereits im ersten Rechtszug vorgenommen worden ist und von einer erneuten Anhörung keine neuen Erkenntnisse zu erwarten sind (im Anschluss an Senatsbeschluss vom 11. August 2010, XII ZB 171/10, FamRZ 2010, 1650 Rn. 5) .
2. Von einer erneuten Anhörung im Beschwerdeverfahren sind in der Regel neue Erkenntnisse zu erwarten, wenn der Betroffene an seinem in der amtsgerichtlichen Anhörung erklärten Einverständnis mit einer Betreuung im Beschwerdeverfahren nicht mehr festhält oder wenn er im Beschwerdeverfahren erstmals den Wunsch äußert, ihm einen bestimmten Betreuer zu bestellen .
3. Der das Betreuungsgericht gemäß § 1897 Abs. 4 Satz 1 BGB grundsätzlich bindende Vorschlag des Betroffenen, eine bestimmte Person zum Betreuer zu bestellen, erfordert weder Geschäftsfähigkeit noch natürliche Einsichtsfähigkeit (im Anschluss an Senatsbeschluss vom 15. Dezember 2010, XII ZB 165/10, FamRZ 2011, 285 Rn. 14) .
Auf die Rechtsbeschwerde der Betroffenen wird der Beschluss der 28. Zivilkammer des Landgerichts Frankfurt am Main vom 15. Oktober 2010 aufgehoben.
Das Verfahren wird zur erneuten Behandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Landgericht zurückverwiesen.
I.
Die Betroffene wendet sich gegen die Anordnung der Betreuung und die Auswahl des Betreuers.
Auf die Anregung einer Klinik, in der die 1927 geborene Betroffene vorübergehend untergebracht war, hat das Amtsgericht nach Einholung eines psychiatrischen Sachverständigengutachtens und Anhörung der Betroffenen im Wege der Rechtshilfe deren Betreuung angeordnet und ihr eine Berufsbetreuerin sowie einen Verhinderungsbetreuer bestellt. Der Aufgabenkreis erstreckt sich nach dieser Entscheidung auf
Gesundheitssorge; Sorge um das persönliche, insbesondere gesundheitliche Wohl einschließlich Einwilligung in ärztliche Maßnahmen und hiermit verbundene Aufenthaltsbestimmung, soweit die Betroffene hierzu nicht selbst in der Lage ist; Organisation ambulanter Hilfen; Vertretung gegenüber der Klinikleitung; Wohnungs- und Mietangelegenheiten; Vermögenssorge und Vertretung gegenüber Behörden und Versicherungen.
Zur Begründung hat das Amtsgericht ausgeführt, die Betroffene leide nach dem Gutachten an einer beginnenden demenziellen Erkrankung, einer depressiven Störung sowie einer Bewegungseinschränkung, infolge derer sie nicht mehr in der Lage sei, ihre Angelegenheiten selbst zu besorgen.
Hiergegen hat die Betroffene Beschwerde eingelegt und diese im Wesentlichen damit begründet, nicht betreuungsbedürftig zu sein. Zudem hat sie den Wunsch geäußert, dass, wenn schon eine Betreuung erfolge, diese durch ihren Verfahrensbevollmächtigten ausgeübt werden solle.
Nachdem das Beschwerdegericht ein ergänzendes psychiatrisches Sachverständigengutachten eingeholt hatte, hat es die Beschwerde der Betroffenen zurückgewiesen. Hiergegen richtet sich die Betroffene mit ihrer Rechtsbeschwerde.
II.
Die Rechtsbeschwerde ist zulässig, insbesondere gemäß § 70 Abs. 3 Nr. 1 FamFG statthaft. Sie ist auch begründet und führt zur Aufhebung der angegriffenen Entscheidung und Zurückverweisung an das Beschwerdegericht.
1. Das Beschwerdegericht hat seine Entscheidung damit begründet, dass die Erforderlichkeit der Einrichtung einer Betreuung fortbestehe. Die Betroffene sei nach den beiden Gutachten aufgrund einer demenziellen Erkrankung und der diese begleitenden körperlichen Beeinträchtigungen nicht in der Lage, ihre Angelegenheiten selbst zu besorgen. Der nunmehr mit der Beschwerde vorgebrachte gegenläufige Wille der Betroffenen gegen die Einrichtung einer Betreuung führe vorliegend nicht gemäß § 1896 Abs. 1 a BGB zur Unzulässigkeit der Betreuungsanordnung. Der von der Betroffenen geäußerte Wille sei unbeachtlich, da sie zur freien Willensbildung nicht in der Lage sei. Nach Ansicht der begutachtenden Ärztin sei bei der Betroffenen von einer nicht nur vorübergehenden Beeinträchtigung der freien Willensbildung auszugehen. Die Erteilung von Vollmachten oder die Inanspruchnahme anderer Hilfen stellten keine Alternative dar, die nach § 1896 Abs. 2 Satz 2 BGB zum Entfallen des Betreuungsbedarfs führen könnten. Ausweislich der Gutachten, denen sich die Kammer anschließe, sei die Betroffene weiterhin geschäftsunfähig und damit zur rechtswirksamen Vollmachts- oder Auftragserteilung nicht in der Lage.
Auch hinsichtlich der Person des Betreuers sei der Beschluss des Amtsgerichts nicht zu beanstanden. Es habe auf der Grundlage von § 1897 Abs. 6 BGB zu Recht einen Berufsbetreuer bestellt. Bislang habe sich keine der Personen aus dem Umfeld der Betroffenen ernstlich bereit erklärt, die Betreuung ehrenamtlich zu übernehmen.
Von einer erneuten Anhörung der Betroffenen sei abgesehen worden, da die Anhörung durch den Verfahrenspfleger, das Amtsgericht und insbesondere die Sachverständige, deren Hilfe sich die Kammer bei der Beantwortung der entscheidungserheblichen Fragen bedient habe, zeitnah erfolgt sei und von einer erneuten Anhörung durch die Kammer keine zusätzlichen entscheidungserheblichen Erkenntnisse zu erwarten gewesen seien.
2. Diese Ausführungen halten einer rechtlichen Überprüfung nicht stand.
Unter Berücksichtigung der Besonderheiten des vorliegenden Falls hätte das Beschwerdegericht die Betroffene selbst persönlich anhören müssen. Im Übrigen hat es bei seiner Entscheidung § 1897 Abs. 4 Satz 1 BGB nicht herangezogen, wonach dem Vorschlag eines Volljährigen hinsichtlich der Person seines Betreuers grundsätzlich zu entsprechen ist.
a) Angesichts des bei der Betroffenen seit ihrer durch den ersuchten Richter durchgeführten Anhörung eingetretenen Sinneswandels, wonach sie nunmehr mit einer Betreuung nicht mehr einverstanden ist bzw. ihren Verfahrensbevollmächtigten zum Betreuer bestellt sehen möchte, hätte das Beschwerdegericht die Betroffene selbst persönlich anhören müssen.
aa) Nach § 278 Abs. 1 Satz 1 FamFG hat das Gericht den Betroffenen vor der (erstmaligen) Bestellung eines Betreuers oder der Anordnung eines Einwilligungsvorbehalts persönlich anzuhören. Die Pflicht zur persönlichen Anhörung des Betroffenen besteht nach § 68 Abs. 3 Satz 1 FamFG grundsätzlich auch im Beschwerdeverfahren (Senatsbeschluss vom 11. August 2010 - XII ZB 171/10 - FamRZ 2010, 1650 Rn. 5). Allerdings kann das Beschwerdegericht nach § 68 Abs. 3 Satz 2 FamFG von der persönlichen Anhörung absehen, wenn diese bereits im ersten Rechtszug vorgenommen worden ist und von einer erneuten Anhörung keine neuen Erkenntnisse zu erwarten sind.
bb) Nach diesen Anforderungen hätte das Beschwerdegericht vorliegend die Betroffene anhören müssen.
(1) Zutreffend weist die Rechtsbeschwerde darauf hin, dass die Betroffene bei ihrer erstinstanzlichen Anhörung in die Anordnung der Betreuung eingewilligt hat. Demgemäß war das Amtsgericht der Prüfung enthoben, ob der freie Wille der Betroffenen der Bestellung eines Betreuers im Sinne von § 1896 Abs. 1 a BGB entgegensteht. Folgerichtig brauchte das Amtsgericht auch keine entsprechenden Feststellungen hierzu zu treffen.
Nachdem die Betroffene aber mit der Anordnung einer Betreuung nicht mehr einverstanden war, hat sich die zu beurteilende Sachlage signifikant verändert. Von einer erneuten Anhörung der Betroffenen waren daher durchaus zusätzliche Erkenntnisse zu erwarten. Denn nunmehr war zu prüfen, ob gemäß § 1896 Abs. 1 a BGB der freie Wille der Betroffenen gegen eine Betreuung sprechen könnte. Daran ändert auch der Umstand nichts, dass das Beschwerdegericht eine ergänzende Begutachtung angeordnet hat. Zwar hat das Beschwerdegericht auf der Basis der Begutachtung in nicht zu beanstandender Weise im Einzelnen dargelegt, warum die Betroffene nach Einschätzung der Gutachterin nicht fähig sei, einen freien Willen im Sinne des § 1896 Abs. 1 a BGB zu bilden (zu den Voraussetzungen im Einzelnen siehe Senatsbeschluss vom 9. Februar 2011 - XII ZB 526/10 - juris Rn. 3 ff.). Die Einholung eines Gutachtens entbindet den Tatrichter jedoch nicht davon, sich selbst einen Eindruck davon zu machen, ob der Betroffene tatsächlich nicht in der Lage ist, einen freien Willen zu bilden (BayObLG Beschluss vom 29. April 2003 - 3Z BR 75/03 - juris Rn. 11).
(2) Wegen des erstmals im Beschwerdeverfahren geäußerten Wunsches der Betroffenen, im Falle der Anordnung einer Betreuung ihren Verfahrensbevollmächtigten als Betreuer bestellt zu bekommen, waren auch insoweit von einer Anhörung seitens des Beschwerdegerichts zusätzliche Erkenntnisse zu erwarten. Da die Betroffene zuvor keinen Wunsch geäußert hatte, wer ihr als Betreuer zur Seite gestellt werden sollte, konnte ihr Vorschlag auch nicht Gegenstand der erstinstanzlichen Anhörung gewesen sein.
(3) Da nach dem oben Gesagten eine Anhörung durch das Beschwerdegericht ohnehin erforderlich war, kommt es auf die von der Rechtsbeschwerde aufgeworfene Frage, ob das Amtsgericht die Anhörung durch einen ersuchten Richter gemäß § 278 Abs. 3 FamFG vornehmen durfte, vorliegend nicht an.
Der Senat hält allerdings jedenfalls bei einer Erstbestellung die Anhörung des Betroffenen durch den erkennenden Richter grundsätzlich für erforderlich (so auch MünchKommZPO/Schmidt-Recla 3. Aufl. § 278 FamFG Rn. 30 u. 32; Keidel/Budde FamFG 16. Aufl. § 278 Rn. 6; Bumiller-Harders FamFG 9. Aufl. § 278 Rn. 5; vgl. auch Schulte-Bunert/Weinreich/Rausch FamFG 2. Aufl. § 278 Rn. 7; - jeweils zu der Vorgängerregelung des § 68 Abs. 1 FGG: BayObLG Beschluss vom 29. April 2003 - 3Z BR 75/03 - juris Rn. 11 ff.; OLG Stuttgart BWNotZ 2007, 39, 40; OLG Hamm FamRZ 1996, 1372). Die Notwendigkeit einer solchen Anhörung ergibt sich bereits aus dem Wortlaut des § 278 Abs. 3 FamFG. Danach darf die persönliche Anhörung nur dann im Wege der Rechtshilfe erfolgen, wenn anzunehmen ist, dass die Entscheidung ohne eigenen Eindruck von dem Betroffenen getroffen werden kann. Dabei handelt es sich regelmäßig um Ausnahmefälle wie etwa bei Koma-Patienten oder im Falle von ergänzenden Anhörungen im Laufe eines längeren Verfahrens (so zu § 68 Abs. 1 FGG: OLG Stuttgart BWNotZ 2007, 39, 40). Auch wenn die Regelung des § 278 Abs. 3 FamFG weiter gefasst ist als die des § 68 Abs. 1 FGG (Prütting/Helms/Fröschle FamFG § 278 Rn. 27; MünchKommZPO/Schmidt-Recla aaO § 278 FamFG Rn. 31; Jürgens/Kretz Betreuungsrecht 4. Aufl. § 278 Rn. 13; vgl. auch Keidel/Budde aaO § 278 Rn. 6) und es nunmehr nicht mehr darauf ankommt, ob "von vornherein" anzunehmen ist, dass eine Entscheidung ohne eigenen Eindruck getroffen werden kann, ändert das nichts an dem von § 278 Abs. 3 FamFG fortgeschriebenen Regel-Ausnahme-Verhältnis. Der Senat verkennt die damit einhergehende Belastung der Betreuungsgerichte nicht; allerdings ist zu beachten, dass gemäß § 272 Abs. 1 Nr. 2 FamFG ohnehin das Betreuungsgericht örtlich zuständig ist, in dessen Bezirk der Betroffene seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat. Für eine persönliche Anhörung des Betroffenen durch den erkennenden Richter spricht schließlich, dass wegen der Vielgestaltigkeit der möglichen Beeinträchtigungen und wegen des nicht unbedeutenden Eingriffs in die Rechtssphäre des Betroffenen der Anhörung entscheidende Bedeutung zukommt. Zudem verlangt sie regelmäßig die Kenntnis der vollständigen Akten, die der Rechtshilferichter nicht immer haben wird.
b) Schließlich ist die Entscheidung des Beschwerdegerichts fehlerhaft, weil das Beschwerdegericht entgegen § 1897 Abs. 4 Satz 1 BGB nicht auf den Vorschlag der Betroffenen, ihren Verfahrensbevollmächtigten zum Betreuer zu bestellen, eingegangen ist.
aa) Nach § 1897 Abs. 4 Satz 1 BGB hat das Betreuungsgericht dem Vorschlag des Betroffenen, eine Person zum Betreuer zu bestellen, zu entsprechen, sofern die Bestellung des vorgeschlagenen Betreuers dem Wohl des Betroffenen nicht zuwiderläuft. Ein solcher Vorschlag erfordert weder Geschäftsfähigkeit noch natürliche Einsichtsfähigkeit. Vielmehr genügt, dass der Betroffene seinen Willen oder Wunsch kundtut, eine bestimmte Person solle sein Betreuer werden. Etwaigen Missbräuchen und Gefahren wird hinreichend durch die begrenzte, letztlich auf das Wohl des Betroffenen abstellende Bindungswirkung eines solchen Vorschlags begegnet (Senatsbeschluss vom 15. Dezember 2010 - XII ZB 165/10 - FamRZ 2011, 285 Rn. 14).
bb) Diesen Anforderungen wird die angegriffene Entscheidung nicht gerecht. Das Beschwerdegericht hat sich nicht mit dem - von ihrem Verfahrensbevollmächtigten im Beschwerdeverfahren vorgetragenen - Wunsch der Betroffenen, ihn zum Betreuer zu bestellen, befasst, was den Schluss nahelegt, dass es den entsprechenden Vortrag übersehen hat.
Das Beschwerdegericht war von der Bindung dieses Vorschlags im Sinne des § 1897 Abs. 4 Satz 1 BGB nicht etwa deshalb befreit, weil es zu der Überzeugung gelangt war, dass bei der Betroffenen von einer nicht nur vorübergehenden Beeinträchtigung der freien Willensbildung auszugehen sei. Ebenso unerheblich ist es, dass die Betroffene nach den Feststellungen des Landgerichts geschäftsunfähig ist. Denn wie oben bereits dargetan, kommt es allein auf den von ihr geäußerten natürlichen Willen an.
Das Beschwerdegericht wird Gelegenheit haben, im Rahmen der persönlichen Anhörung die Willenskundgabe der Betroffenen zu überprüfen und wegen der Frage, ob die Bestellung ihres Verfahrensbevollmächtigten möglicherweise ihrem Wohl zuwiderläuft, weitere Ermittlungen anzustellen.
III.
Die angefochtene Entscheidung kann danach nicht bestehenbleiben. Der Senat vermag in der Sache nicht abschließend zu entscheiden. Die Sache war deshalb an das Landgericht zurückzuverweisen (§ 74 Abs. 6 FamFG).
Hahne Weber-Monecke Klinkhammer
Schilling Nedden-Boeger