Entscheidungsdatum: 08.04.2015
1. Im Verfahren auf Anerkennung bzw. Vollstreckbarerklärung einer Entscheidung nach der Brüssel IIa-Verordnung ist kein Verfahrensbeistand zu bestellen.
2. Handelt es sich bei der anzuerkennenden Entscheidung um eine einstweilige Anordnung zum Sorgerecht, steht der Umstand, dass das Ausgangsgericht dem Kind keinen Verfahrensbeistand bestellt hat, einer Anerkennung bzw. Vollstreckbarerklärung grundsätzlich nicht entgegen.
Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss des 17. Zivilsenats - Familiensenat - des Oberlandesgerichts Stuttgart vom 5. März 2014 wird auf Kosten des Antragsgegners zurückgewiesen.
Beschwerdewert: 5.000 €
A.
Die Antragstellerin begehrt die Anerkennung und Vollstreckbarerklärung einer zu ihren Gunsten erfolgten Sorgerechtsentscheidung eines ungarischen Gerichts (im Folgenden: Kreisgericht).
Aus der Ehe der Beteiligten ist eine am 1. April 2010 geborene Tochter hervorgegangen. Die Antragstellerin (im Folgenden: Mutter) hat die ungarische, der Antragsgegner (im Folgenden: Vater) die deutsche und das Kind sowohl die deutsche als auch die ungarische Staatsangehörigkeit.
Die Beteiligten lebten zunächst in Deutschland. Nach einem gemeinsamen Aufenthalt in Ungarn kam es im Juni 2012 zu einem Streit zwischen den Eheleuten; die Mutter verblieb mit dem Kind in Ungarn. Im Oktober 2012 leitete sie dort ein Ehescheidungsverfahren ein. Im Laufe des Verfahrens einigten sich die Eltern darauf, dass das Kind bis zum rechtskräftigen Abschluss des Verfahrens bei der Mutter leben sollte.
Nachdem der Vater das Kind nach Ausübung seines Umgangsrechts nicht zur Mutter zurückgebracht hatte, erwirkte sie beim Kreisgericht eine einstweilige Anordnung, mit der ihr das Sorgerecht für das Kind übertragen und das Umgangsrecht des Vaters mit dem Kind geregelt wurde. Ferner wurde der Vater verpflichtet, das Kind innerhalb von zwei Tagen an die Mutter herauszugeben. Eine hiergegen eingelegte Berufung des Vaters zum Landgericht blieb erfolglos.
Das Amtsgericht hat auf Antrag der Mutter die Anerkennung der Sorgerechtsentscheidung ausgesprochen und die Herausgabeverpflichtung mit einer Vollstreckungsklausel für das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland versehen. Das Oberlandesgericht hat die Beschwerde des Vaters zurückgewiesen. Hiergegen wendet er sich mit seiner Rechtsbeschwerde.
B.
Die Rechtsbeschwerde hat keinen Erfolg.
I.
Das Rechtsmittel ist zulässig.
Die Rechtsbeschwerde ist gemäß §§ 1 Nr. 1, 28 des Gesetzes zur Aus- und Durchführung bestimmter Rechtsinstrumente auf dem Gebiet des internationalen Familienrechts (Internationales Familienrechtsverfahrensgesetz - IntFamRVG) vom 26. Januar 2005 (BGBl. I S. 162) i.V.m. Art. 21, 28, 34 der Verordnung (EG) Nr. 2201/2003 des Rates vom 27. November 2003 über die Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Ehesachen und in Verfahren betreffend die elterliche Verantwortung und zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 1347/2000 (im Folgenden: Brüssel IIa-VO) statthaft (vgl. Senatsbeschluss vom 25. Juli 2012 - XII ZB 170/11 - FamRZ 2012, 1561 Rn. 6).
Gemäß §§ 1 Nr. 1, 28 IntFamRVG i.V.m. § 574 Abs. 2 Nr. 1 ZPO ist die Rechtsbeschwerde auch im Übrigen zulässig, weil die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat.
II.
Die Rechtsbeschwerde ist jedoch unbegründet.
1. Das Oberlandesgericht hat seine in FamRZ 2014, 1567 veröffentlichte Entscheidung wie folgt begründet:
Bei Anwendung der vom Europäischen Gerichtshof und vom Bundesgerichtshof aufgestellten Grundsätze sei festzustellen, dass das Kreisgericht seine Entscheidung als gemäß Art. 8 ff. Brüssel IIa-VO international zuständiges Gericht habe treffen wollen. Zwar habe es in seinem Beschluss nicht ausdrücklich auf die Zuständigkeitsnormen der Brüssel IIa-VO Bezug genommen. Unter Berücksichtigung der Gründe des Beschlusses ergebe sich indes die Hauptsachezuständigkeit gemäß Art. 8 ff. Brüssel IIa-VO "ersichtlich" aus der erlassenen Entscheidung. Ausweislich ihrer Gründe könne kein Zweifel daran bestehen, dass das Kreisgericht von einem gewöhnlichen Aufenthalt des Kindes in Ungarn ausgegangen sei, wodurch die allgemeine internationale Zuständigkeit der ungarischen Gerichte gemäß Art. 8 Brüssel IIa-VO für Entscheidungen über die elterliche Verantwortung begründet worden sei. Damit seien für die Anerkennung der Entscheidung die Art. 21 ff. Brüssel IIa-VO anwendbar.
Nach Art. 21 Abs. 1 Brüssel IIa-VO gelte der Grundsatz, dass Entscheidungen auf dem Gebiet der elterlichen Verantwortung aus anderen Mitgliedstaaten automatisch anerkannt würden. Die im Verfahren nach Art. 21 Abs. 3 Brüssel IIa-VO zu prüfenden Anerkennungshindernisse für Entscheidungen betreffend die elterliche Verantwortung seien in Art. 23 Brüssel IIa-VO abschließend aufgeführt. Wenn das Gericht des Ursprungsstaats seine Zuständigkeit - wie hier - gemäß Art. 8 ff. Brüssel IIa-VO bejaht habe, sei das Gericht des Anerkennungsstaats aufgrund des Grundsatzes des gegenseitigen Vertrauens, der der Anerkennungssystematik der Brüssel IIa-VO zugrunde liege, nach Art. 24 Brüssel IIa-VO an die Beurteilung der Zuständigkeit des Erstgerichts gebunden, weshalb die internationale Zuständigkeit des Gerichts des Ursprungsmitgliedstaats nicht überprüft werden dürfe. Ebenfalls irrelevant für das Anerkennungsverfahren sei der Einwand des Vaters, es entspreche dem Wohl des Kindes mehr, wenn es seinen Aufenthalt bei ihm statt bei der Mutter in Ungarn habe. Ebenso wenig sei im Anerkennungsverfahren der Wille des Kindes zu berücksichtigen. Denn Art. 26 Brüssel IIa-VO verbiete eine inhaltliche Nachprüfung der anzuerkennenden Entscheidung betreffend die elterliche Verantwortung. Ausgeschlossen sei damit auch die Prüfung, ob das Gericht des Ursprungsstaats die Tatsachen richtig festgestellt und gewürdigt habe.
Soweit der Vater annehme, dass die Entscheidung des Kreisgerichts dem ordre public in Ungarn widerspreche, sei dies nicht zu prüfen. Denn gemäß Art. 23 lit. a Brüssel IIa-VO bestehe ein Anerkennungshindernis nur dann, wenn die Anerkennung der öffentlichen Ordnung des Mitgliedstaats, in dem sie beantragt werde, d.h. dem deutschen ordre public, widerspreche. Nachdem weder nach dem Vortrag des Vaters noch nach dem Akteninhalt ein Verstoß gegen den deutschen ordre public ersichtlich sei, der nur dann anzunehmen sei, wenn die Anerkennung der ausländischen Entscheidung gegen ein grundlegendes Prinzip der Rechtsordnung des Anerkennungsstaats verstoße, liege kein Anerkennungshindernis gemäß Art. 23 lit. a Brüssel IIa-VO vor.
Ebenfalls nicht gegeben sei ein Anerkennungshindernis gemäß Art. 23 lit. b Brüssel IIa-VO. Zwar sei das Kind durch das Kreisgericht nicht angehört worden. Eine Pflicht zur Anhörung des Kindes habe aber nicht bestanden. Abgesehen davon, dass es zum damaligen Zeitpunkt gerade erst drei Jahre alt und zudem unbekannten Aufenthalts gewesen sei, habe es sich um einen "dringenden Fall" gehandelt, nämlich ein Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes.
Das Amtsgericht habe auch zu Recht und im gebotenen Umfang die Entscheidung des Kreisgerichts für vollstreckbar erklärt. Die Voraussetzungen für eine Vollstreckbarerklärung nach Art. 28 Brüssel IIa-VO lägen vor. Es bestünden auch keine Versagungsgründe nach Art. 23 Brüssel IIa-VO, auf den in Art. 31 Abs. 2 Brüssel IIa-VO für die Vollstreckbarerklärung verwiesen werde. Anders als Sorgerechtsregelungen, bei denen es sich um Gestaltungs- bzw. Feststellungsentscheidungen handele, seien Herausgabeanordnungen einer Vollstreckbarerklärung zugänglich. Das Amtsgericht habe daher in zutreffender Weise die Vollstreckbarerklärung nur auf die Herausgabeverpflichtung aus dem Beschluss des Kreisgerichts erstreckt.
2. Dies hält rechtlicher Überprüfung stand. Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde brauchte das Oberlandesgericht in dem Verfahren auf Anerkennung bzw. Vollstreckbarerklärung einer Entscheidung nach der Brüssel IIa-Verordnung für das Kind keinen Verfahrensbeistand zu bestellen. Ebenso wenig sind Gründe ersichtlich, die eine Versagung der Anerkennung bzw. Vollstreckbarkeitserklärung rechtfertigten.
a) Zu Recht hat das Oberlandesgericht seine Entscheidung auf Art. 21 ff. Brüssel IIa-VO gegründet, obwohl es sich bei der anzuerkennenden Entscheidung um eine einstweilige Anordnung handelt.
aa) Erlässt das Gericht eine einstweilige Maßnahme, die den Bereich der elterlichen Sorge betrifft, ist für die Anwendung der Art. 21 ff. Brüssel IIa-VO darauf abzustellen, ob das Ursprungsgericht seine Zuständigkeit auf Art. 8 ff. Brüssel IIa-VO gestützt hat. Denn Art. 24 Brüssel IIa-VO untersagt es dem Vollstreckungsgericht, die Zuständigkeit des Gerichts des Ursprungsmitgliedstaats zu überprüfen. Hat das Ursprungsgericht seine Zuständigkeit nach Art. 8 ff. Brüssel IIa-VO bejaht, ist das Vollstreckungsgericht an diese Beurteilung der Zuständigkeit gebunden (Senatsbeschluss BGHZ 188, 270 = FamRZ 2011, 542 Rn. 16, 22). Ist dies zweifelhaft, ist anhand seiner Ausführungen in der Entscheidung zu prüfen, ob es seine Zuständigkeit auf eine Vorschrift der Brüssel IIa-VO stützen wollte (Senatsbeschlüsse BGHZ 188, 270 = FamRZ 2011, 542 Rn. 23 und vom 28. April 2011 - XII ZB 170/11 - FamRZ 2011, 959 Rn. 9).
bb) Diese Maßstäbe hat das Oberlandesgericht zutreffend auf den vorliegenden Fall angewandt. Zwar hat das Kreisgericht die Brüssel IIa-Verordnung nicht ausdrücklich erwähnt. Zu Recht stellt das Oberlandesgericht indes darauf ab, es lasse sich der Begründung eindeutig entnehmen, dass das Kreisgericht von einem gewöhnlichen Aufenthalt des Kindes in Ungarn ausgegangen war. Dies wird schließlich auch von der Rechtsbeschwerde nicht in Zweifel gezogen.
b) Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde ist im Verfahren auf Anerkennung bzw. auf Vollstreckbarerklärung einer Entscheidung gemäß Art. 21 ff. und 28 ff. Brüssel IIa-VO kein Verfahrensbeistand für das Kind zu bestellen.
aa) Das Verfahren nach der Brüssel IIa-Verordnung sieht die Bestellung eines Verfahrensbeistands nicht vor. In diesem Verfahren geht es ausschließlich um die Prüfung der Voraussetzungen für die Anerkennung bzw. Vollstreckbarerklärung, nicht aber um eine materiell-rechtliche Entscheidung in Kindschaftssachen, wie sie die Bestimmung des § 158 FamFG voraussetzt.
(1) Gemäß Art. 21 Abs. 1 Brüssel IIa-VO werden die in einem Mitgliedstaat ergangenen Entscheidungen in den anderen Mitgliedstaaten anerkannt, ohne dass es hierfür eines besonderen Verfahrens bedarf. Nach Art. 21 Abs. 3 Brüssel IIa-VO kann eine Partei, die - wie hier die Mutter - ein Interesse hat, eine Entscheidung über die Anerkennung beantragen. Art. 23 Brüssel IIa-VO benennt die Gründe, bei deren Vorliegen eine Entscheidung über die elterliche Verantwortung nicht anerkannt wird. Schließlich bestimmt Art. 26 Brüssel IIa-VO, dass die anzuerkennende Entscheidung keinesfalls in der Sache selbst nachgeprüft werden darf.
Nach Art. 28 Abs. 1 Brüssel IIa-VO werden die in einem Mitgliedstaat ergangenen Entscheidungen über die elterliche Verantwortung für ein Kind, die in diesem Mitgliedstaat vollstreckbar und die zugestellt worden sind, in einem anderen Mitgliedstaat vollstreckt, wenn sie dort auf Antrag einer berechtigten Partei für vollstreckbar erklärt wurden. Gemäß Art. 31 Abs. 2 Brüssel IIa-VO kommen für eine Ablehnung des Antrages ebenfalls die Versagungsgründe des Art. 23 Brüssel IIa-VO zum Tragen.
Hinsichtlich des Verfahrens finden gemäß § 1 Nr. 1 IntFamRVG die §§ 16 bis 31 IntFamRVG Anwendung. Diese für das Vollstreckungsverfahren geltenden Normen sind gemäß § 32 IntFamRVG auch auf das Verfahren der Anerkennungsfeststellung anzuwenden. Zudem besagt § 14 Nr. 2 IntFamRVG, dass das Familiengericht über den Antrag auf Feststellung der Anerkennung als Familiensache im Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit entscheidet. Zwar wird damit das Gesetz über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit (FamFG) in Bezug genommen. Das bedeutet entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde indes nicht, dass danach das Anerkennungsverfahren wie ein Sorgerechtsverfahren zu führen ist und damit § 158 FamFG zur Anwendung gelangt. Vielmehr sind nur die Verfahrensvorschriften anzuwenden, die für das Anerkennungsverfahren von Belang sind.
(2) § 50 FGG, der die Bestellung des Verfahrenspflegers ursprünglich regelte (jetzt § 158 FamFG: Verfahrensbeistand), war mit dem Kindschaftsrechtsreformgesetz vom 16. Dezember 1997 (BGBl. I S. 2942) zum 1. Juli 1998 in das Gesetz über die Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit (FGG) eingefügt worden. Dabei hat sich der Gesetzgeber von der Erwägung leiten lassen, dass in familiengerichtlichen Verfahren im Einzelfall trotz der vorhandenen verfahrensrechtlichen Bestimmungen, die eine nach materiellem Recht am Kindeswohl zu orientierende Gerichtsentscheidung ermöglichen sollen (Amtsermittlungsgrundsatz, Anhörung des Kindes und des Jugendamts, Beschwerderecht für Minderjährige über 14 Jahre), Defizite bei der Wahrung der Interessen der von diesen Verfahren besonders betroffenen Kinder auftreten können (BT-Drucks. 13/4899 S. 129). Dazu heißt es in der Gesetzesbegründung u.a.: "Es fehlt bislang im Verfahren in den Fällen, in denen erhebliche Interessengegensätze zwischen dem Kind und den gesetzlichen Vertretern bestehen und in denen die gesetzlichen Vertreter infolgedessen die Kindesinteressen nicht in das Verfahren einbringen, an einer Person, die allein die Interessen des Kindes wahrnimmt" (BT-Drucks. 13/4899 S. 129 f.). Die Bestellung von Verfahrenspflegern solle nur in solchen Verfahren angeordnet werden, in denen sie auf Grund der konkreten Umstände im Einzelfall notwendig sei, weil sonst die Wahrung der Kindesinteressen nicht gewährleistet sei. Nur in diesem - engen - Rahmen sei wegen des damit verbundenen Eingriffs in das Elternrecht eine Verfahrenspflegerbestellung gerechtfertigt (BT-Drucks. 13/4899 S. 130).
(3) Gemessen hieran besteht im Anerkennungsverfahren nach der Brüssel IIa-Verordnung keine Notwendigkeit, einen Verfahrensbeistand zu bestellen.
Das Verfahren nach der Brüssel IIa-Verordnung dient allein der Anerkennung und Vollstreckbarerklärung, nicht aber einer Überprüfung der Entscheidung in der Sache; vielmehr verbietet Art. 26 Brüssel IIa-VO eine solche Überprüfung (Verbot der révision au fond). Damit ist es - jenseits der Versagungsgründe des Art. 23 Brüssel IIa-VO - nicht Gegenstand des Anerkennungsverfahrens, eine neue und eigenständige am Kindeswohl zu orientierende Prüfung durchzuführen, weshalb es einer Unterstützung des Kindes durch einen Verfahrensbeistand nicht bedarf. Der Einschränkung der Überprüfungsmöglichkeiten des Gerichts liegt die Prämisse des gegenseitigen Vertrauens zwischen den Mitgliedstaaten in Bezug darauf zugrunde, dass ihre jeweiligen nationalen Rechtsordnungen in der Lage sind, einen gleichwertigen und wirksamen Schutz der auf Unionsebene und insbesondere in der Charta der Grundrechte anerkannten Grundrechte zu bieten (EuGH FamRZ 2011, 355 Rn. 70).
bb) Soweit die Rechtsbeschwerde auf das vorliegende Verfahren die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgericht anwenden will, wonach unter bestimmten Umständen im Verfahren nach dem Haager Übereinkommen über die zivilrechtlichen Aspekte internationaler Kindesentführung vom 25. Oktober 1980 (BGBl. 1990 II S. 206 - HKÜ) ein Verfahrensbeistand zu bestellen ist, verkennt sie, dass die Verfahren nicht vergleichbar sind.
(1) In Art. 13 Abs. 1 lit. b und Abs. 2 HKÜ ist geregelt, dass eine Rückgabeanordnung ausnahmsweise unterbleiben kann, wenn die Rückgabe das Kind in eine unzumutbare Lage brächte oder das Kind sich der Rückgabe in einer angesichts seines Alters und seiner Reife beachtlichen Weise widersetzt.
Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist das Haager Kindesentführungsübereinkommen dem Kindeswohl in gleicher Weise verpflichtet wie das deutsche Verfassungsrecht. Es betont die Bedeutung des Kindeswohls in der Präambel und gewährleistet seine Beachtung im Zusammenspiel von Rückführung als Regel (Art. 12 Abs. 1 HKÜ) und Ausnahmen nach Art. 13 und Art. 20 HKÜ, wonach Rückführungsentscheidungen unterbleiben, wenn sie mit dem Kindeswohl unvereinbar sind (BVerfG FamRZ 1999, 85, 87). Der Tatrichter muss die Voraussetzungen des Art. 13 Abs. 1 lit. b und Abs. 2 i.V.m. Abs. 3 HKÜ im Falle gegenläufiger Rückführungsanträge nach dem Haager Kindesentführungsübereinkommen näher prüfen, um dem Schutzauftrag des Art. 6 Abs. 2 Satz 2 GG und dem Grundrecht der Kinder aus Art. 2 Abs. 1 GG gerecht zu werden (BVerfG FamRZ 1999, 85, 88). In einem solchen Fall muss den Kindern die Möglichkeit eingeräumt werden, ihr eigenes Interesse, das möglicherweise weder von den Eltern noch von dem Gericht zutreffend erkannt oder formuliert wird, in einer den Anforderungen des rechtlichen Gehörs entsprechenden Eigenständigkeit im Verfahren geltend zu machen. Dieses geschieht bei Kindern, deren Alter und Reife eine eigene Wahrnehmung ihrer Verfahrensrechte nicht erlaubt, durch einen Vertreter, den § 50 FGG als Verfahrenspfleger (jetzt Verfahrensbeistand nach § 158 FamFG) vorsieht (BVerfG FamRZ 1999, 85, 88).
(2) Die Besonderheiten des Verfahrens nach dem Haager Kindesentführungsübereinkommen lassen sich nicht auf das hier vorliegende Verfahren nach der Brüssel IIa-Verordnung übertragen.
Zwar spielen die Anhörung des Kindes (Erwägungsgrund 19) und die Wahrung der Grundrechte des Kindes (Erwägungsgrund 33) im Rahmen der Brüssel IIa-Verordnung ebenfalls eine wichtige Rolle. Dem Ziel, diese Rechte des Kindes zu gewährleisten, dient indes allein Art. 23 Brüssel IIa-VO, der die Gründe für die Nichtanerkennung einer Entscheidung über die elterliche Verantwortung bestimmt. Demgegenüber verbietet Art. 26 Brüssel IIa-VO eine Überprüfung der Entscheidung in der Sache.
c) Ebenfalls zutreffend ist das Oberlandesgericht davon ausgegangen, dass weder die Anerkennung noch die Vollstreckbarerklärung nach Art. 23 (i.V.m. Art. 31 Abs. 2) Brüssel IIa-VO zu versagen ist.
aa) Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde widerspricht die Anerkennung der ungarischen Entscheidung nicht offensichtlich dem deutschen ordre public i.S. von Art. 23 lit. a Brüssel IIa-VO.
(1) Das gilt zunächst hinsichtlich der unterbliebenen Bestellung eines Verfahrensbeistands für das Kind im Ausgangsverfahren.
(a) Insoweit kommt allein ein Verstoß gegen den verfahrensrechtlichen ordre public in Betracht. Dieser setzt voraus, dass die Entscheidung des ausländischen Gerichts aufgrund eines Verfahrens ergangen ist, das von den Grundprinzipien des Verfahrensrechts des Anerkennungsstaats in einem solchen Maße abweicht, dass die Entscheidung nicht als in einem geordneten rechtsstaatlichen Verfahren ergangene angesehen werden kann (vgl. Senatsbeschluss BGHZ 182, 188 = FamRZ 2009, 1816 Rn. 25 mwN u.a. zu § 328 Abs. 1 Nr. 4 ZPO; NK-BGB/Andrae 2. Aufl. Art. 22 EheVO 2003 Rn. 5 sowie Art. 23 EheVO 2003 Rn. 3; s. auch Helms FamRZ 2001, 257, 264, nach dem die Anforderungen für die Bestellung eines Verfahrensbeistandes nicht unbesehen auf die Anerkennung ausländischer Entscheidungen übertragen werden sollten).
(b) Zu Recht wendet die Rechtsbeschwerdeerwiderung gegen diese Rüge ein, dass es nach den getroffenen Feststellungen an einem solchen Verstoß fehlt.
Im deutschen Verfahrensrecht hat das Gericht gemäß § 158 Abs. 1FamFG dem minderjährigen Kind in Kindschaftssachen, die seine Person betreffen, einen geeigneten Verfahrensbeistand zu bestellen, soweit dies zur Wahrnehmung seiner Interessen erforderlich ist. Der Verfahrensbeistand hat gemäß § 158 Abs. 4 Satz 1 und 2 FamFG das Interesse des Kindes festzustellen und im gerichtlichen Verfahren zur Geltung zu bringen und das Kind über Gegenstand, Ablauf und möglichen Ausgang des Verfahrens in geeigneter Weise zu informieren.
Danach wäre im vorliegenden Fall auch nach deutschem Verfahrensrecht die Bestellung eines Verfahrensbeistandes nicht zwingend erforderlich gewesen. Zwar mag der mögliche Wechsel des Kindes vom - in Deutschland lebenden - Vater zur Mutter nach Ungarn die Bestellung eines Verfahrensbeistandes nahelegen. Zu berücksichtigen ist vorliegend indes, dass das Kreisgericht im Eilverfahren entschieden hat und dass weder ihm noch der Mutter der Aufenthaltsort des im Zeitpunkt der Entscheidung des Kreisgerichts dreijährigen Kindes bekannt waren. Schon aus diesem Grund wäre es dem Verfahrensbeistand nicht möglich gewesen, das Interesse des Kindes festzustellen. Ebenso wenig wäre er tatsächlich in der Lage gewesen, das Kind über Gegenstand, Ablauf und möglichen Ausgang des Verfahrens in geeigneter Weise zu informieren. Daher erscheint es auch nach deutschem Verfahrensrecht vertretbar, in einer solchen Situation von der Bestellung eines Verfahrensbeistandes abzusehen. Jedenfalls stellt der Beschluss des Kreisgerichts keine Entscheidung dar, die nicht in einem geordneten rechtsstaatlichen Verfahren ergangen wäre.
(2) Auch begründen die Ausführungen des Kreisgerichts, wonach das Kind wegen seines Alters dringend der mütterlichen Betreuung bedürfe, entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde keinen Verstoß gegen den deutschen ordre public gemäß Art. 23 lit. a Brüssel IIa-VO.
(a) Einschlägig wäre insoweit der materielle ordre public. Aus der Notwendigkeit, gemäß Art. 23 lit. a Brüssel IIa-VO auch das Wohl des Kindes zu berücksichtigen, folgt eine einheitliche Prüfung des ordre public unter besonderer Gewichtung des Kindeswohls als einem "integralen Bestandteil" der öffentlichen Ordnung im Bereich der elterlichen Sorge (Althammer/Weller Art. 23 Brüssel IIa Rn. 2; s. auch NK-BGB/Andrae 2. Aufl. Art. 23 EheVO 2003 Rn. 2 und Rauscher/Rauscher EuZPR/EuIPR [2010] Art. 23 Brüssel IIa-VO Rn. 4). Dabei sind die ultima-ratio-Funktion des ordre public-Vorbehalts und das Kindeswohl im Rahmen einer praktischen Konkordanz zu bestmöglicher Verwirklichung zu bringen. Der Prüfungsmaßstab richtet sich nach dem Recht des Anerkennungsstaats (Althammer/Weller Art. 23 Brüssel IIa Rn. 2). Auch wenn danach die Anerkennung von Sorgerechtsentscheidungen der Berücksichtigung des Kindeswohls verpflichtet bleibt, darf dieser Kontrollmaßstab nicht zu einer - gemäß Art. 26 Brüssel IIa-VO unzulässigen - Sachprüfung führen (Helms FamRZ 2001, 257, 263).
(b) Gemessen hieran ist es von Rechts wegen nicht zu beanstanden, dass das Oberlandesgericht die Anerkennung der ungarischen Sorgerechtsentscheidung nicht versagt hat. Zu Recht weist die Rechtsbeschwerdeerwiderung darauf hin, dass die Rechtsbeschwerde die entsprechenden Ausführungen des Kreisgerichts selektiv dargestellt hat. Denn tatsächlich hat es eine umfassende Abwägung aller Umstände vorgenommen. Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde hat das Kreisgericht auch nicht den Obersatz aufgestellt, dass die Mutter im Hinblick auf das Kindesalter besser geeignet sei, das Sorgerecht auszuüben. Im Übrigen lässt sich auch der Entscheidung des Landgerichts in der Berufungsinstanz eine nach Maßstäben des deutschen ordre public nicht zu beanstandende Abwägung entnehmen.
bb) Ebenso wenig führt die unterbliebene Anhörung des Kindes nach Art. 23 lit. b Brüssel IIa-VO zur Versagung der Anerkennung der ungarischen Entscheidung.
Danach ist eine Entscheidung nicht anzuerkennen, wenn sie - ausgenommen in dringenden Fällen - ergangen ist, ohne dass das Kind die Möglichkeit hatte, gehört zu werden, und damit wesentliche verfahrensrechtliche Grundsätze des Mitgliedstaats, in dem die Anerkennung beantragt wird, verletzt werden.
Gemessen hieran steht auch die unterbliebene Kindesanhörung der Anerkennung nicht entgegen, weil die anzuerkennende Entscheidung im Eilverfahren ergangen ist. Im Übrigen konnte das Gericht das Kind nicht anhören, weil der Vater den ungarischen Gerichten den Aufenthaltsort des Kindes nicht bekannt gegeben hatte.
cc) Schließlich geht die Rüge der Rechtsbeschwerde fehl, dass die in Ungarn unterbliebene Anhörung von dem Amtsgericht im Rahmen des Anerkennungsverfahrens hätte nachgeholt werden müssen.
Im Anerkennungsverfahren ist lediglich zu überprüfen, ob der gemäß Art. 21 Abs. 1 Brüssel IIa-VO automatisch eintretenden Anerkennung Versagungsgründe entgegenstehen. Ist dies etwa wegen einer gemäß Art. 23 lit. b Brüssel IIa-VO erforderlichen, aber unterbliebenen Anhörung der Fall, ist die Rechtsfolge, dass die Anerkennung zu versagen ist. Verfahrensfehler, die zur Nichtanerkennung führen, können dagegen nicht im Anerkennungsverfahren geheilt werden. Denn damit ginge die Prüfung einher, ob der Erstrichter das Verfahren richtig entschieden hat, was im Anerkennungsverfahren gemäß Art. 26 Brüssel IIa-VO ausdrücklich einer Nachprüfung entzogen ist (Helms FamRZ 2001, 257, 263).
d) Von einer weiteren Begründung wird auch im Hinblick auf den Senatsbeschluss vom 30. April 2014 (XII ZB 148/14 - juris) gemäß § 30 Abs. 2 Satz 2 Halbsatz 1 IntFamRVG i.V.m. § 577 Abs. 6 Satz 3 ZPO abgesehen, weil sie nicht geeignet wäre, zur Klärung von Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung, zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung beizutragen.
Dose Schilling Nedden-Boeger
Botur Guhling