Entscheidungsdatum: 14.12.2010
Erkennt das zunächst angerufene Berufungsgericht frühzeitig, dass Bedenken gegen seine funktionelle Zuständigkeit bestehen und teilt es diese - aktenkundig gemachten - Bedenken dem Rechtsmittelführer aufgrund geschäftsinterner Erwägungen nicht mit, kann der Anspruch des Rechtsmittelführers auf ein faires Verfahren verletzt sein. Ein Verschulden der Partei oder ihres Prozessbevollmächtigten (§ 85 Abs. 2 ZPO) an der Fristversäumung wirkt sich dann nicht mehr aus, so dass der Partei Wiedereinsetzung zu gewähren ist (im Anschluss an BGH, Beschlüsse vom 5. Oktober 2005, VIII ZB 125/04, NJW 2005, 3776, und vom 24. Juni 2010, V ZB 170/09, WuM 2010, 592) .
Hinsichtlich der Beklagten zu 3 ist das Rechtsbeschwerdeverfahren nach § 240 ZPO unterbrochen.
Auf die Rechtsbeschwerde der Beklagten zu 1 und 2 wird der Beschluss des 8. Zivilsenats des Kammergerichts vom 18. Dezember 2008 aufgehoben, soweit darin die Berufung der Beklagten zu 1 und 2 als unzulässig verworfen und deren Antrag auf Wiedereinsetzung zurückgewiesen worden ist.
Den Beklagten zu 1 und 2 wird Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Einlegung der Berufung gegen das Urteil des Amtsgerichts Schöneberg vom 5. September 2008 gewährt.
Die Sache wird zur erneuten Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Gegenstandswert der Rechtsbeschwerde: 86.007,41 €
I.
Die in Frankreich ansässige Klägerin hat die Beklagten auf Auskehrung von Mieten in Anspruch genommen, die ein Untermieter der Klägerin im Zeitraum von September 2000 bis einschließlich Mai 2003 an die Beklagte zu 1 als Hauptvermieterin gezahlt hatte. Die Beklagten zu 2 und 3 sind persönlich haftende Gesellschafter der Beklagten zu 1. Das Amtsgericht hat die Beklagten als Gesamtschuldner zur Zahlung von 86.007,41 € nebst Zinsen verurteilt. Das Urteil des Amtsgerichts ist den Prozessbevollmächtigten der Beklagten am 9. September 2008 zugestellt worden. Die hiergegen gerichtete Berufung der Beklagten ist am 16. September 2008 beim Landgericht eingegangen. Die Berufungsschrift enthält den Hinweis, dass die Zustellung des erstinstanzlichen Urteils am 9. September 2008 bewirkt worden ist. Ihr lag als Anlage eine Ausfertigung der angefochtenen Entscheidung bei.
Die Sache ist zunächst der Zivilkammer 63 des Landgerichts zugewiesen worden. Die Vorsitzende dieser Kammer hat unter dem 19. September 2008 eine Verfügung vorbereitet, nach der den Prozessbevollmächtigten der Beklagten unter Angabe des Aktenzeichens der Eingang der Berufung bestätigt und diesen mitgeteilt werden sollte, dass " …vorsorglich auf § 119 Abs. 1 Nr. 1 b GVG hingewiesen (wird)." Diese - von der Vorsitzenden nicht unterzeichnete - Verfügung wurde nicht ausgefertigt. Kurze Zeit später hat die Vorsitzende der Zivilkammer 63 ihren handschriftlichen Hinweis gestrichen und am 23. September 2008 die Vorlage der Akten an den Vorsitzenden der nach ihrer Ansicht zuständigen Zivilkammer 53 des Landgerichts mit der Bitte um Übernahme des Verfahrens verfügt. Der Vorsitzende dieser Kammer hat sich zu diesem Zeitpunkt nach dem glaubhaft gemachten Vorbringen der Beklagten noch bis 12. Oktober 2009 in Urlaub befunden und ist während seiner Urlaubsabwesenheit von der Vorsitzenden der Zivilkammer 63 vertreten worden. Am 30. September 2008 hat die Vorsitzende der Zivilkammer 63 nach erneuter Vorlage der Berufungsschrift verfügt: "WV Hr. Vors. nach Rückkehr". Die am 18. September 2008 angeforderten erstinstanzlichen Akten sind am 6. Oktober 2008 vom Amtsgericht versandt worden und gingen am 8. Oktober 2008 bei der "gemeinsamen Briefannahme Justizbehörden Mitte" ein.
Unmittelbar nach seiner Rückkehr aus dem Urlaub hat der Vorsitzende der Zivilkammer 53 mit Verfügung vom 13. Oktober 2008 angeordnet, den Prozessbevollmächtigten der Beklagten unter Bekanntgabe des neu vergebenen Aktenzeichens den Eingang der Berufung mit dem Zusatz zu bestätigen "Auf § 119 Abs. 1 Nr. 1 b GVG wird hingewiesen. Wird die unzulässige Berufung zurückgenommen?" Diese Verfügung ist am 14. Oktober 2008 ausgefertigt worden. Mit einem am 17. Oktober 2008 beim Landgericht eingereichten Schriftsatz haben die Beklagten die Berufung zurückgenommen.
Im Hinblick auf den erteilten gerichtlichen Hinweis haben die Prozessbevollmächtigten der Beklagten mit am selben Tag beim Kammergericht eingegangenem Schriftsatz gegen das Urteil des Amtsgerichts erneut Berufung eingelegt und beantragt, den Beklagten wegen Versäumung der mit Ablauf des 9. Oktober 2008 verstrichenen Berufungsfrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Nach antragsgemäß bewilligter Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist haben die Beklagten ihre Berufung mit Schriftsatz vom 9. Dezember 2008 begründet.
Das Kammergericht hat den Wiedereinsetzungsantrag zurückgewiesen und die Berufung der Beklagten als unzulässig verworfen. Zur Begründung hat es - soweit für das Rechtsbeschwerdeverfahren von Interesse - ausgeführt, die Beklagten seien nicht ohne ihr Verschulden gehindert gewesen, die Berufung fristgerecht beim Kammergericht einzulegen. Die Beachtung der bei der Berufungseinlegung zu wahrenden Förmlichkeiten sei ausschließlich Sache der Prozessbevollmächtigten der Beklagten. Deren Verschulden sei den Beklagten zuzurechnen (§ 85 Abs. 2 ZPO). Nach dem Vortrag der Beklagten habe ihre Prozessbevollmächtigte übersehen, dass die Berufungsschrift an das unzuständige Landgericht gerichtet gewesen sei.
Wiedereinsetzung in den vorigen Stand sei auch nicht deswegen zu gewähren, weil es das Landgericht unterlassen habe, den Berufungsschriftsatz rechtzeitig an das Kammergericht weiterzuleiten oder wenigstens die Prozessbevollmächtigte der Beklagten auf die funktionelle Unzuständigkeit des Landgerichts hinzuweisen. Der Vorsitzende einer Berufungskammer sei nach höchstrichterlicher Rechtsprechung nicht verpflichtet, bei einer noch innerhalb der Berufungsfrist erfolgenden Vorlage der Berufungsschrift, aus der sich - wie hier - gewichtige Anhaltspunkte für einen Auslandsbezug im Sinne des § 119 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b GVG ergäben, die abschließende Prüfung der Zuständigkeit so zu beschleunigen, dass die Berufungsschrift noch vor Ablauf der Berufungsfrist an das Oberlandesgericht weitergeleitet werden könne.
Die Vorsitzende der Zivilkammer 63 des Landgerichts sei auch nicht wegen der bei ihrer vorläufigen Prüfung aufgekommenen Zweifel an der Zuständigkeit des Landgerichts gehalten gewesen, den Beklagten vor Vorlage der erstinstanzlichen Akten den von ihr vorgesehenen, später aber im Hinblick auf die angenommene geschäftsplanmäßige Unzuständigkeit der Zivilkammer 63 gestrichenen Hinweis auf eine mögliche Unzuständigkeit des Landgerichts zu erteilen. Eine solch weit reichende Verpflichtung hätte zur Konsequenz, dass die Parteien ihrer primären Verantwortung für die Bestimmung des zuständigen Rechtsmittelgerichts enthoben würden.
Dagegen wenden sich die Beklagten mit ihrer form- und fristgerecht eingelegten Rechtsbeschwerde. Während des Rechtsbeschwerdeverfahrens ist am 16. September 2009 über das Vermögen der Beklagten zu 3 das Insolvenzverfahren eröffnet worden.
II.
Die Rechtsbeschwerde der Beklagten zu 1 und 2 hat Erfolg. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses, zur Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsfrist und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
1. Hinsichtlich der Beklagten zu 3 ist das Verfahren nach § 240 ZPO unterbrochen. Die Unterbrechung wirkt sich jedoch nicht auf die weiteren Prozessrechtsverhältnisse aus.
a) Nach § 240 ZPO tritt eine Unterbrechung grundsätzlich nur in Bezug auf die Partei ein, in deren Person die dort genannten Voraussetzungen vorliegen (BGH, Beschluss vom 14. November 2002 - IX ZR 236/99, NJW 2003, 590 unter II 2 a). Etwas anderes ergibt sich auch nicht daraus, dass die Beklagten zu 2 und 3 persönlich haftende Gesellschafter der Beklagten zu 1, einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts, sind. Zwar wäre im Falle der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts ein gegen die Gesellschafter wegen ihrer persönlichen Haftung geführter Rechtsstreit entsprechend § 17 Abs. 1 Nr. 1 AnfG unterbrochen (vgl. BGH, Beschlüsse vom 14. November 2002 - IX ZR 236/99, aaO unter II 2 b, und vom 20. November 2008 - IX ZB 199/05, NJW-RR 2009, 343 Rn. 6). Denn in diesen Fällen gilt es, im Interesse der Gleichbehandlung aller Gläubiger einen Gläubigerwettlauf um die Gesellschafterhaftung während der Gesellschaftsinsolvenz zu unterbinden (BGH, Beschluss vom 20. November 2008 - IX ZB 199/05, aaO).
b) Ist dagegen nicht über das Vermögen der Gesellschaft bürgerlichen Rechts selbst, sondern nur über das Vermögen eines ihrer persönlich haftenden Gesellschafter das Insolvenzverfahren eröffnet worden, gelten diese Überlegungen nicht. In Anbetracht der von der Rechtsprechung inzwischen anerkannten Teilrechts- und -parteifähigkeit einer (Außen-)Gesellschaft bürgerlichen Rechts führt die Insolvenz eines Gesellschafters nicht zur Unterbrechung eines gegen die Gesellschaft geführten Rechtsstreits (vgl. hierzu etwa OLG Frankfurt am Main, NJW-RR 2002, 1277 f.; OLG Dresden, BB 2007, 174, 175; MünchKommZPO/Gehrlein, 3. Aufl., § 240 Rn. 15; Musielak/Stadler, ZPO, 7. Aufl., § 240 Rn. 2). Soweit der VII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs in seinem Beschluss vom 24. Juli 2003 (VII ZR 209/01, BauR 2003, 1758) noch eine abweichende Auffassung vertreten hat, beruht dies noch auf der mit der Anerkennung der Teilrechts- und -parteifähigkeit einer (Außen-)Gesellschaft bürgerlichen Rechts obsolet gewordenen Annahme (vgl. BGH, Urteile vom 29. Januar 2001 - II ZR 331/00, BGHZ 146, 341, 348 ff., und vom 15. Januar 2003 - XII ZR 300/99, NJW 2003, 1043 unter I a), die Mitglieder einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts bildeten eine notwendige Streitgenossenschaft nach § 62 Abs. 1 Alt. 2 ZPO. Hinsichtlich der Beklagten zu 1 ist folglich keine Verfahrensunterbrechung eingetreten.
c) Entsprechendes gilt in Bezug auf das Prozessrechtsverhältnis zwischen der Beklagten zu 2 und der Klägerin. Da die Gesellschafter einer (teil-)rechts- und -parteifähigen Gesellschaft bürgerlichen Rechts nach neuerer Rechtsprechung nicht als notwendige Streitgenossen verbunden sind, bewirkt die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen eines Gesellschafters keine Unterbrechung des Rechtsstreits gegen einen anderen Gesellschafter (vgl. OLG Frankfurt am Main, aaO; Musielak/Stadler, aaO; vgl. ferner allgemein zur Unterbrechungswirkung bei einfachen Streitgenossen BGH, Urteil vom 19. Dezember 2002 - VII ZR 176/02, NJW-RR 2003, 1002 unter II 1).
2. Die nach § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 522 Abs. 1 Satz 4, § 238 Abs. 2 Satz 1 ZPO statthafte Rechtsbeschwerde der Beklagten zu 1 und 2 ist zulässig, weil eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung gefordert ist (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 2 ZPO). Die angegriffene Entscheidung verletzt den verfassungsrechtlich verbürgten Anspruch der Beklagten auf Gewährleistung wirkungsvollen Rechtsschutzes und eines fairen Verfahrens (Art. 2 Abs. 1 GG i. V. m. dem Rechtsstaatsprinzip; Art. 19 Abs. 4 GG). Das Berufungsgericht hat die Anforderungen an das Vorliegen von Wiedereinsetzungsgründen überspannt und dadurch den Beklagten zu 1 und 2 den Zugang zur Rechtsmittelinstanz in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigender Weise erschwert (vgl. zu diesen Kriterien etwa BVerfGE 78, 88, 99; 84, 366, 369 f.; BGH, Beschluss vom 24. Juni 2010 - V ZB 170/09, WuM 2010, 592 Rn. 4; jeweils mwN).
3. Die Rechtsbeschwerde ist auch begründet. Den Beklagten zu 1 und 2 ist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (§ 233 ZPO) gegen die Versäumung der Berufungsfrist zu gewähren, weil sich das ihnen zuzurechnende Verschulden ihrer Prozessbevollmächtigten im Hinblick auf die fehlerhafte Vorgehensweise des zunächst angerufenen Rechtsmittelgerichts nicht mehr ausgewirkt hat.
a) Rechtsfehlerfrei ist das Berufungsgericht allerdings davon ausgegangen, dass die verspätete Einlegung der Berufung beim zuständigen Rechtsmittelgericht auf einem Verschulden der Prozessbevollmächtigten der Beklagten beruhte. An einen mit der Berufungseinlegung betrauten Rechtsanwalt sind hinsichtlich der Ermittlung des zuständigen Rechtsmittelgerichts hohe Sorgfaltsanforderungen zu stellen (vgl. etwa BGH, Beschluss vom 24. Juni 2010 - V ZB 170/09, aaO Rn. 5). Denn die Klärung der Rechtsmittelzuständigkeit fällt in seinen Verantwortungsbereich. Er ist daher gehalten, die Rechtsmittelschrift und insbesondere die Rechtsmittelzuständigkeit des darin bezeichneten Gerichts selbst auf ihre Richtigkeit zu überprüfen (BGH, Beschluss vom 12. April 2010 - V ZB 224/09, NJW-RR 2010, 1096 Rn. 12 mwN). Die mit der Einlegung des Rechtsmittels betraute Prozessbevollmächtigte der Beklagten hätte daher die von einer Kanzleiangestellten vorgenommene Adressierung der Rechtsmittelschrift nicht - wie vorliegend geschehen - ungeprüft übernehmen dürfen.
b) Nicht frei von Rechtsfehlern ist dagegen die Annahme des Berufungsgerichts, die Ursächlichkeit der den Beklagten zu 1 und 2 gemäß § 85 Abs. 2 ZPO zuzurechnenden schuldhaften Fristversäumnis ihrer Prozessbevollmächtigten sei nicht im Hinblick auf das Verhalten der Vorsitzenden der Zivilkammer 63 des Landgerichts nachträglich entfallen (vgl. zu diesem Gesichtspunkt BVerfGE 93, 99, 114 ff. mwN; Senatsbeschluss vom 5. Oktober 2005 - VIII ZB 125/04, NJW 2005, 3776 unter III 1 b aa mwN).
aa) Allerdings besteht, wie das Berufungsgericht zutreffend ausgeführt hat, keine generelle Fürsorgepflicht des für das eingelegte Rechtsmittel unzuständigen und vorher mit der Sache nicht befassten Gerichts, durch Hinweise oder durch andere geeignete Maßnahmen eine Fristversäumung des Rechtsmittelführers zu verhindern (st. Rspr.; vgl. etwa BGH, Beschlüsse vom. 15. Juni 2004 - VI ZB 75/03, NJW-RR 2004, 1655 unter II 1 b, c, und vom 24. Juni 2010 - V ZB 170/09, aaO Rn. 7). Eine solch weit reichende Verpflichtung würde die Parteien und ihre Prozessbevollmächtigten ihrer eigenen Verantwortung für die Einhaltung der Rechtsmittelfristen entheben und die Anforderungen an die Grundsätze des fairen Verfahrens überspannen (vgl. Senatsbeschluss vom 18. März 2008 - VIII ZB 4/06, NJW 2008, 1890 Rn. 11). Diese Konsequenz wäre nicht mit dem Grundsatz vereinbar, dass die Abgrenzung dessen, was im Rahmen einer fairen Verfahrensgestaltung an richterlicher Fürsorge von Verfassungs wegen geboten ist, sich nicht nur am Interesse der Rechtsuchenden an einer möglichst weitgehenden Verfahrenserleichterung orientieren, sondern auch berücksichtigen muss, dass die Justiz im Interesse ihrer Funktionsfähigkeit vor zusätzlicher Belastung geschützt werden muss (vgl. BVerfGE 93, 99, 114; BVerfG, NJW 2001, 1343; NJW 2006, 1579; Senatsbeschlüsse vom 5. Oktober 2005 - VIII ZB 125/04, aaO, und vom 18. März 2008 - VIII ZB 4/06, aaO; BGH, Beschlüsse vom 15. Juni 2004 - VI ZB 75/03, aaO unter II 1 c, und vom 24. Juni 2010 - V ZB 170/09, aaO).
In Anbetracht dieser gegenläufigen Interessen besteht keine Veranlassung, einer Partei und ihrem Prozessbevollmächtigten die Verantwortung für die Ermittlung des richtigen Adressaten fristgebundener Verfahrenserklärungen allgemein abzunehmen und auf unzuständige Gerichte zu verlagern (vgl. BVerfG aaO; BGH, Beschlüsse vom 5. Oktober 2005 - VIII ZB 125/04, aaO, und vom 24. Juni 2010 - V ZB 170/09, aaO). Damit lässt sich aus dem Grundrecht auf ein faires Verfahren (Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. dem Rechtsstaatsprinzip) und der sich daraus ergebenden verfassungsrechtlichen Fürsorgepflicht der Gerichte keine generelle Verpflichtung zur sofortigen Prüfung der funktionellen Zuständigkeit bei Eingang einer Rechtsmittelschrift (vgl. BGH, Beschluss vom 15. Juni 2004 - VI ZB 75/03, aaO; Senatsbeschluss vom 18. März 2008 - VIII ZB 4/06, aaO) oder zur beschleunigten Vorlage der erstinstanzlichen Akten (vgl. hierzu Senatsbeschlüsse vom 18. März 2008 - VIII ZB 4/06, aaO Rn. 12, und vom 20. Januar 2010 - VIII ZB 36/08, juris Rn. 9) ableiten.
bb) Etwas anderes gilt allerdings dann, wenn die Unzuständigkeit des angerufenen Rechtsmittelgerichts "ohne weiteres" bzw. "leicht und einwandfrei" zu erkennen war und die nicht rechtzeitige Aufdeckung der fehlenden Zuständigkeit auf einem offenkundig nachlässigen Fehlverhalten des angerufenen Gerichts beruht (vgl. BVerfG, NJW 2002, 3692, 3693; 2006, 1579; BGH, Beschlüsse vom 15. Juni 2004 - VI ZB 75/03, aaO, und vom 24. Juni 2010 - V ZB 170/09, aaO Rn. 8; Senatsbeschluss vom 5. Oktober 2005 - VIII ZB 125/04, aaO unter III 1 b bb). In diesen Fällen stellt es für die Funktionsfähigkeit des angerufenen Gerichts keine nennenswerte Belastung dar, einen fehlgeleiteten Schriftsatz im Rahmen des üblichen Geschäftsgangs an das zuständige Gericht weiterzuleiten. Geschieht dies nicht, geht die nachfolgende Fristversäumnis nicht zu Lasten des Rechtsuchenden (BVerfG, NJW 2006, aaO); das Verschulden des Prozessbevollmächtigten wirkt sich dann nicht mehr aus (vgl. nur BGH, Beschluss vom 24. Juni 2010 - V ZB 170/09, aaO mwN). Entsprechendes hat zu gelten, wenn das angerufene Rechtsmittelgericht anhand der Rechtsmittelschrift und der ihr beigefügten Anlagen - wie hier - frühzeitig eine vorläufige Prüfung seiner funktionellen Zuständigkeit vorgenommen und hierbei gewichtige Anhaltspunkte für einen Auslandsbezug im Sinne des - zum 1. September 2009 außer Kraft getretenen - § 119 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b GVG erkannt und diese in den Akten vermerkt hat, jedoch den schriftlich dokumentierten Hinweis über die aufgekommenen Zuständigkeitsbedenken dem Rechtsmittelführer vorenthält. Bei einer solchen Fallgestaltung ist dem zunächst mit der Sache befassten Rechtsmittelgericht ein Fehlverhalten anzulasten, das ausnahmsweise wie in den Fällen der offenkundigen Unzuständigkeit dazu führt, dass sich das Verschulden der Prozessbevollmächtigten der Beklagten zu 1 und 2 nicht mehr auswirkt und diesen Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsfrist (§ 233 ZPO) zu gewähren ist.
(1) Die Vorsitzende der Zivilkammer 63 des Landgerichts war zwar bei Vorlage der Berufungsschrift nicht verpflichtet, eine vorläufige Prüfung der funktionellen Zuständigkeit des angerufenen Gerichts vorzunehmen. Auch bestand keine Verpflichtung, für eine beschleunigte Vorlage der erstinstanzlichen Akten Sorge zu tragen, um frühzeitig den für § 119 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b GVG maßgebenden allgemeinen Gerichtsstand der Parteien im Zeitpunkt des Eintritts der Rechtshängigkeit in erster Instanz abschließend klären zu können (vgl. hierzu Senatsbeschlüsse vom 18. März 2008 - VIII ZB 4/06, aaO, und vom 20. Januar 2010 - VIII ZB 36/08, aaO). Ein Fall einer offensichtlichen funktionellen Unzuständigkeit des Landgerichts lag ebenfalls nicht vor, denn aus den Angaben im Rubrum der der Berufungsschrift beigefügten Ausfertigung des angefochtenen Urteils ergab sich nicht abschließend, dass die Klägerin bereits bei Klageerhebung ihren allgemeinen Gerichtsstand in Frankreich hatte.
(2) Die fehlende Prüfungspflicht entband die Vorsitzende der Zivilkammer 63 jedoch nicht davon, die von ihr frühzeitig erkannten Bedenken gegen die funktionelle Zuständigkeit des angerufenen Gerichts dem Rechtsmittelführer - wie zunächst beabsichtigt - mitzuteilen. Die Vorsitzende der Zivilkammer 63 hatte beim Studium der Rechtsmittelschrift erkannt, dass gewichtige Anhaltspunkte für eine Rechtsmittelzuständigkeit des Oberlandesgerichts nach § 119 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b GVG bestehen. Die aufgekommenen Zuständigkeitsbedenken hat sie zunächst auch mit der Absicht, diese dem Rechtsmittelführer frühzeitig mitzuteilen, am 19. September 2008 aktenkundig gemacht. Diese Absicht hat sie jedoch nicht verwirklicht, sondern den geplanten richterlichen Hinweis im Hinblick auf die am 23. September 2008 vermerkte geschäftsplanmäßige Unzuständigkeit ihrer Kammer wieder gestrichen und stattdessen die Vorlage der Akten an den bis zum 12. Oktober 2008 urlaubsabwesenden Vorsitzenden der Zivilkammer 53 verfügt. Dabei musste ihr als Urlaubsvertreterin dieses Vorsitzenden und in Anbetracht des in der Berufungsschrift angegebenen Zeitpunkts der Zustellung des angefochtenen Urteils bewusst sein, dass bei dieser Vorgehensweise eine Unterrichtung der Prozessbevollmächtigten der Beklagten über die bestehenden Zuständigkeitsbedenken vor Ablauf der am 9. Oktober 2008 endenden Berufungsfrist ausgeschlossen war.
(3) Bei dieser Sachlage lässt sich das Unterlassen des frühzeitig geplanten Hinweises auf eine mögliche Unzuständigkeit des zunächst angerufenen Rechtsmittelgerichts nicht mit dem verfassungsrechtlich verbürgten Anspruch auf ein faires Verfahren in Einklang bringen. Die Abwägung zwischen den betroffenen Belangen muss hier zugunsten der Rechtsuchenden ausfallen. Für die Funktionsfähigkeit des angerufenen Gerichts stellt eine Unterrichtung des Rechtsmittelführers über die anlässlich einer vorläufigen Prüfung aufgekommenen Bedenken an seiner Zuständigkeit keine nennenswerte Belastung dar (vgl. zu diesem Gesichtspunkt etwa BGH, Beschluss vom 24. Juni 2010 - V ZB 170/09, aaO). Dies gilt jedenfalls dann, wenn - wie hier - der Hinweis auf eine mögliche Unzuständigkeit dem Rechtsmittelführer zusammen mit der - vom Gericht ohnehin zu veranlassenden - Bestätigung des Eingangs des Rechtsmittels erfolgen sollte. Dieser sonach gering einzustufenden Belastung des angerufenen Gerichts bei Ausführung der vorgesehenen Hinweisverfügung steht ein erhebliches Interesse der Beklagten an einer - bei Erteilung des geplanten Hinweises frühzeitig möglichen - Unterrichtung über bestehende Zuständigkeitsbedenken gegenüber. In Anbetracht dieser Interessenlage wäre die Vorsitzende der Zivilkammer 63 daher verpflichtet gewesen, den vorgesehenen Hinweis der Prozessbevollmächtigten der Beklagten im ordentlichen Geschäftsgang zu übermitteln, um hierdurch einer möglicherweise drohenden Fristversäumung vorzubeugen.
cc) Wie das nachfolgende Verhalten der Beklagten zu 1 und 2 zeigt, ist das Fehlverhalten des zunächst angerufenen Rechtsmittelgerichts ursächlich für die Fristversäumung geworden. Die Beklagten haben dem nach Fristablauf erteilten Hinweis auf die Rechtsmittelzuständigkeit des Kammergerichts umgehend Rechnung getragen und bei diesem am 17. Oktober 2008 (erneut) Berufung eingelegt. Wäre der am 19. September 2008 vermerkte Hinweis den Beklagten innerhalb der üblichen Geschäftslaufzeiten erteilt worden, hätten sie vor Ablauf der Berufungsfrist das zuständige Rechtsmittelgericht anrufen können. In Anbetracht der zu beanstandenden Vorgehensweise des Landgerichts wirkt sich das Verschulden der Prozessbevollmächtigten der Beklagten an der nachfolgenden Fristversäumnis nicht mehr aus (vgl. BVerfGE 93, 99, 114; Senatsbeschluss vom 5. Oktober 2005 - VIII ZB 125/04, aaO unter III 1 b aa; BGH, Beschluss vom 24. Juni 2010 - V ZB 170/09, aaO).
Ball Dr. Milger Dr. Hessel
Dr. Fetzer Dr. Bünger