Entscheidungsdatum: 10.07.2018
Auf die Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers wird das Urteil des 7. Zivilsenats des Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgerichts vom 17. September 2015 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als zum Nachteil des Klägers erkannt worden ist.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Verfahrens der Nichtzulassungsbeschwerde, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Streitwert: bis 650.000 €
I.
Der Kläger nimmt die Beklagten gesamtschuldnerisch auf Schadenersatz aus einem Verkehrsunfall vom 21. August 2005 in Anspruch.
Fahrer und Halter des bei der Beklagten zu 2 haftpflichtversicherten unfallbeteiligten Pkw war der verstorbene Ehemann der Beklagten zu 1 (im Folgenden: E.), die als dessen Rechtsnachfolgerin in Anspruch genommen wird. Am Unfalltag befuhr der Kläger mit einem Fahrrad eine innerörtliche Straße in N. E. fuhr auf dieser Straße in die gleiche Richtung und beabsichtigte, sie nach rechts zu verlassen, um in ein Grundstück einzufahren. Dazu zog er an dem Kläger vorbei, um vor diesem in das Grundstück einzubiegen. Als der Kläger dieses Fahrmanöver bemerkte, unternahm er mit seinem Fahrrad eine Vollbremsung, um eine Kollision mit dem Fahrzeug des E. zu vermeiden. Dabei stürzte er über den Lenker nach vorne, wodurch er sich eine Tossy-I-Verletzung des linken Schultereckgelenks, multiple Schürfwunden, eine leichte Schädelprellung sowie eine HWS-Distorsion zuzog.
Zum Unfallzeitpunkt war der Kläger selbständiger Leiter einer Versicherungsagentur. Vom Unfalltag bis zum November 2005 war er zu 100 % arbeitsunfähig erkrankt, danach noch zu 50-60 %. Seit dem 4. Januar 2006 war er wieder vollständig arbeitsfähig. Bereits im Herbst des Jahres 2005 kam es zu ersten Zwangsvollstreckungsmaßnahmen gegen den Kläger. Seine Tätigkeit bei der Versicherung beendete der Kläger im Jahr 2010. Inzwischen lebt er von Grundsicherung. Die Beklagte zu 2 hat auf den materiellen Schaden des Klägers 40.000 Euro an Abschlagszahlungen erbracht sowie teilweise dessen Krankenversicherungsbeiträge übernommen.
Der Kläger, der den Beklagten die Vernichtung seiner wirtschaftlichen Existenz vorwirft, verlangt weitergehenden materiellen Schadenersatz, wobei er von einem Verdienstausfall für die Jahre 2005 bis 2008 in Höhe von ca. 380.000 Euro ausgeht. Hinzu kämen Aufwendungen in Höhe von 2.700,94 Euro für Heilbehandlungen, Medikamente, Schäden an Fahrrad und Kleidung sowie eine Kostenpauschale. Weiter fordert er ein Schmerzensgeld von 55.000 Euro.
Das Landgericht hat nach Einholung eines orthopädischen und eines psychiatrischen Gutachtens ein Grund- und Teilurteil erlassen, in dem es die Alleinhaftung der Beklagten dem Grunde nach ausgesprochen und festgestellt hat, dass die Beklagten verpflichtet sind, die Zukunftsschäden des Klägers zu ersetzen. Die materiellen Schäden hat es im Wege eines Teilurteils mit einem Betrag von 2.700,94 Euro zugesprochen, die Höhe des Verdienstausfallschadens dem Schlussurteil vorbehalten. Weiter hat es dem Kläger ein Schmerzensgeld in Höhe von 40.000 Euro zuerkannt. Auf die Berufung der Beklagten hat das Berufungsgericht nach ergänzender Beweiserhebung durch Einholung eines neuen schriftlichen psychiatrischen Gutachtens und dessen schriftlicher Ergänzung die landgerichtliche Entscheidung abgeändert. Es hat die Klage bezüglich des Verdienstausfallschadens nur für die Jahre 2005 und 2006 dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt und die Beklagten zur Zahlung eines Schmerzensgeldes von 15.000 Euro verurteilt. Die weitergehende Klage hat es abgewiesen, die Berufung der Klägerin zurückgewiesen und die Revision nicht zugelassen. Hiergegen wendet sich der Kläger mit seiner Nichtzulassungsbeschwerde.
II.
Die Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers ist statthaft und auch im Übrigen zulässig (§ 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2, § 544 ZPO; § 26 Nr. 8 EGZPO). Sie hat auch in der Sache Erfolg und führt gemäß § 544 Abs. 7 ZPO im Umfang der Anfechtung zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
1. Zutreffend ist allerdings der rechtliche Ansatz des Berufungsgerichts, dass der Schädiger grundsätzlich auch für eine psychische Fehlverarbeitung als haftungsausfüllende Folgewirkung des Unfallgeschehens einzustehen hat, wenn eine hinreichende Gewissheit besteht, dass diese Folge ohne den Unfall nicht eingetreten wäre. Die Zurechnung solcher Schäden scheitert auch nicht daran, dass der Verletzte infolge körperlicher oder seelischer Dispositionen besonders schadensanfällig ist, weil der Schädiger keinen Anspruch darauf hat, so gestellt zu werden, als habe er einen bis dahin Gesunden verletzt (Senatsurteile vom 11. November 1997 - VI ZR 376/96, BGHZ 137, 142, 145; vom 30. April 1996 - VI ZR 55/95, BGHZ 132, 341, 346). Der Zurechnungszusammenhang ist ausnahmsweise dann zu verneinen, wenn der Geschädigte den Unfall in neurotischem Streben nach Versorgung und Sicherheit lediglich zum Anlass nimmt, um den Schwierigkeiten und Belastungen des Erwerbslebens auszuweichen. Eine Zurechnung kann auch dann ausscheiden, wenn das Schadensereignis ganz geringfügig ist (Bagatelle; vgl. Senatsurteil vom 10. Februar 2015 - VI ZR 8/14, NZV 2015, 281, 282 mwN). Die Haftung kann aus Gründen der Kausalität zudem entfallen oder zeitlich begrenzt sein, wenn der durch den Unfall ausgelöste Schaden auf Grund der Vorschäden auch ohne den Unfall früher oder später eingetreten wäre (Senatsurteil vom 30. April 1996 - VI ZR 55/95, BGHZ 132, 341, 347).
2. Die Nichtzulassungsbeschwerde macht zu Recht geltend, dass der Kläger durch die Zurückweisung seines Antrags auf mündliche Anhörung des Sachverständigen in seinem verfassungsrechtlich geschützten Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) verletzt worden ist. Für die Frage, ob die Ladung eines Sachverständigen zur mündlichen Erläuterung des von ihm erstatteten Gutachtens geboten ist, kommt es nicht darauf an, ob das Gericht noch Erläuterungsbedarf sieht oder ob ein solcher von einer Partei nachvollziehbar dargetan worden ist. Nach ständiger Rechtsprechung des Senats hat die Partei zur Gewährleistung des rechtlichen Gehörs nach §§ 397, 402 ZPO einen Anspruch darauf, dass sie dem Sachverständigen die Fragen, die sie zur Aufklärung der Sache für erforderlich hält, zur mündlichen Beantwortung vorlegen kann (vgl. u.a. Senatsurteile vom 17. Dezember 1996 - VI ZR 50/96, VersR 1997, 509; vom 7. Oktober 1997 - VI ZR 252/96, NJW 1998, 162; vom 22. Mai 2001 - VI ZR 268/00, VersR 2002, 120, 121 f.; Beschluss vom 21. Februar 2017 - VI ZR 314/15, VersR 2017, 1034 Rn. 3). Dieses Antragsrecht besteht unabhängig von § 411 Abs. 3 ZPO (st. Rspr., vgl. Senatsbeschluss vom 25. September 2007 - VI ZR 157/06, VersR 2007, 1697 mwN).
Dieser Pflicht zur Anhörung des Sachverständigen ist der Tatrichter nur ausnahmsweise dann enthoben, wenn der Antrag auf Anhörung verspätet oder rechtsmissbräuchlich gestellt worden ist. Von letzterem kann nicht die Rede sein, wenn die Partei (wie in § 411 Abs. 4 ZPO vorgesehen) konkret vorgetragen hat, worin sie Unklarheiten und Erläuterungsbedarf im Hinblick auf das schriftliche Sachverständigengutachten sieht und in welcher Richtung sie ihr Fragerecht ausüben will (vgl. Senatsurteil vom 7. Oktober 1997 - VI ZR 252/96, NJW 1998, 162). Im vorliegenden Fall war der von dem Kläger gestellte Antrag auf Anhörung des Sachverständigen weder verspätet noch rechtsmissbräuchlich. Nach Vorlage des Gutachtens des Dr. K. vom 12. August 2014 hat das Berufungsgericht auf Einwendungen der Beklagten ein Ergänzungsgutachten des Sachverständigen Dr. K. veranlasst, welches dem Berufungsgericht am 29. April 2015 vorlag und den Parteien ohne Fristsetzung zur Stellungnahme zugeleitet worden ist. Danach hat der Kläger mit Schriftsatz vom 3. Juni 2015 bezogen auf dieses Ergänzungsgutachten Einwendungen vorgetragen und die Anhörung des Sachverständigen beantragt. Das Berufungsgericht hat zur mündlichen Verhandlung am 14. Juli 2015 den Sachverständigen nicht geladen. In einem Schriftsatz vor dem Verkündungstermin hat der Kläger dann nochmals auf die Notwendigkeit einer Erläuterung durch den Sachverständigen hingewiesen. Unter diesen Umständen hätte das Berufungsgericht den Sachverständigen anhören müssen, um dem Anspruch des Klägers auf Gewährung rechtlichen Gehörs zu genügen.
Die Gehörsverletzung ist auch erheblich. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass das Berufungsgericht bei der gebotenen Anhörung zu einer anderen Beurteilung des Falles gekommen wäre, zumal es sich in den Entscheidungsgründen nicht zu den Widersprüchen zwischen den Ausführungen des Sachverständigen Dr. K. und denen des erstinstanzlichen psychiatrischen Sachverständigen Dr. L. verhalten hat (vgl. dazu nur Senatsbeschluss vom 14. Januar 2014 - VI ZR 340/13, VersR 2014, 632). Äußerungen medizinischer Sachverständiger sind kritisch auf ihre Vollständigkeit und Widerspruchsfreiheit zu prüfen. Das gilt sowohl für Widersprüche zwischen einzelnen Erklärungen desselben Sachverständigen (vgl. Senatsurteile vom 7. Dezember 2004 - VI ZR 212/03, BGHZ 161, 255, 264; vom 17. September 1985 - VI ZR 12/84, VersR 1985, 1187, 1188; vom 7. April 1992 - VI ZR 216/91, VersR 1992, 747, 748 sowie vom 14. Dezember 1993 - VI ZR 67/93, VersR 1994, 480, 482) als auch für Widersprüche zwischen Äußerungen mehrerer Sachverständiger, selbst wenn es dabei um Privatgutachten geht (vgl. Senatsurteil vom 3. Oktober 1989 - VI ZR 319/88, VersR 1989, 1296, 1297; Senatsbeschluss vom 21. Januar 2009 - VI ZR 170/08, VersR 2009, 499). Der Tatrichter darf den Streit der Sachverständigen nicht dadurch entscheiden, dass er ohne einleuchtende und logisch nachvollziehbare Begründung einem von ihnen den Vorzug gibt (Senatsbeschluss vom 11. März 2014 - VI ZB 22/13, VersR 2014, 895 Rn. 12; BGH, Urteile vom 24. September 2008 - IV ZR 250/06, VersR 2008, 1676 Rn. 11 mwN; vom 22. September 2004 - IV ZR 200/03, VersR 2005, 676, 677 f.; Senatsurteil vom 11. November 2014 - VI ZR 76/13, NJW 2015, 411 Rn. 15).
III.
Da nicht ausgeschlossen werden kann, dass das Berufungsgericht nach Anhörung des Sachverständigen Dr. K. und bei der gebotenen Berücksichtigung der Darlegungen der Sachverständigen Dr. K. und Dr. L. zu einer anderen Beurteilung des Falles gekommen wäre, war das angefochtene Urteil aufzuheben, soweit zum Nachteil des Klägers erkannt wurde, und die Sache an das Berufungsgericht zurückzuverweisen. Dieses wird bei erneuter Befassung Gelegenheit haben, auch das weitere Vorbringen der Parteien in der Revisionsinstanz zu berücksichtigen.
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von Pentz |
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