Entscheidungsdatum: 21.02.2017
Jeder Prozesspartei steht gemäß §§ 397, 402 ZPO zur Gewährleistung des rechtlichen Gehörs das Recht zu, einen Sachverständigen zu seinem schriftlichen Gutachten mündlich zu befragen.
Auf die Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin wird das Urteil des 8. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Braunschweig vom 30. April 2015 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als zu ihrem Nachteil erkannt worden ist. Die Sache wird im Umfang der Aufhebung zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Verfahrens der Nichtzulassungsbeschwerde, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Streitwert: 41.936,50 €
I.
Die Klägerin macht aus abgetretenem Recht ihres Ehemannes gegen den Beklagten Schadensersatzansprüche wegen Tierhalterhaftung geltend. Der Ehemann der Klägerin (künftig: der Geschädigte) entfernte auf dem Gehweg vor seinem Hausgrundstück in gebückter Haltung Unkraut. Dabei erschreckte er sich durch das Verhalten des Hundes des Beklagten und verdrehte sich das Bein. In der Folge unterzog er sich einer Knieoperation (Kreuzbandplastik), deren Erforderlichkeit er auf den Vorfall mit dem Hund des Beklagten zurückführt. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Auf die Berufung der Klägerin hat das Berufungsgericht nach Einholung eines schriftlichen Sachverständigengutachtens das erstinstanzliche Urteil teilweise abgeändert und den Beklagten unter Zurückweisung der weitergehenden Berufung verurteilt, an die Klägerin ein Schmerzensgeld in Höhe von 300 € und vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von 46,41 €, jeweils nebst Zinsen, zu zahlen. Die weitergehende Berufung hat es zurückgewiesen. Hiergegen wendet sich die Klägerin mit ihrer Nichtzulassungsbeschwerde.
II.
Die Nichtzulassungsbeschwerde hat Erfolg und führt gemäß § 544 Abs. 7 ZPO zur Aufhebung des angegriffenen Urteils und zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an das Berufungsgericht. Die angefochtene Entscheidung verletzt den Anspruch der Klägerin auf rechtliches Gehör aus Art. 103 Abs. 1 GG. Mit Erfolg macht die Nichtzulassungsbeschwerde geltend, dass das Berufungsgericht verfahrensfehlerhaft von einer mündlichen Erläuterung des Gutachtens des Sachverständigen Dr. G. abgesehen hat.
1. Nach der ständigen Rechtsprechung des erkennenden Senats steht jeder Prozesspartei gemäß §§ 397, 402 ZPO zur Gewährleistung des rechtlichen Gehörs das Recht zu, einen Sachverständigen zu seinem schriftlichen Gutachten mündlich zu befragen (vgl. etwa Senatsurteile vom 21. September 1982 - VI ZR 130/81, NJW 1983, 340, 341; vom 24. Oktober 1995 - VI ZR 13/95, VersR 1996, 211; vom 7. Oktober 1997 - VI ZR 252/96, VersR 1998, 342, 343; Senatsbeschluss vom 5. September 2006 - VI ZR 176/05, NJW-RR 2007, 212). Der Tatrichter muss dementsprechend dem von einer Partei rechtzeitig gestellten Antrag, den gerichtlichen Sachverständigen nach Erstattung des schriftlichen Gutachtens zu dessen mündlicher Verhandlung zu laden, selbst dann stattgeben, wenn die schriftliche Begutachtung aus der Sicht des Gerichts ausreichend und überzeugend ist (vgl. Senatsurteil vom 17. Dezember 1996 - VI ZR 50/96, VersR 1997, 509 mwN). Dieser Pflicht ist der Tatrichter nur ausnahmsweise dann enthoben, wenn der Antrag auf Anhörung des Sachverständigen verspätet oder rechtsmissbräuchlich gestellt worden ist. Von letzterem kann nicht die Rede sein, wenn die Partei (wie in § 411 Abs. 4 ZPO vorgesehen) konkret vorgetragen hat, worin sie Unklarheiten und Erläuterungsbedarf im Hinblick auf das schriftliche Sachverständigengutachten sieht und in welcher Richtung sie ihr Fragerecht ausüben will (vgl. Senatsurteil vom 7. Oktober 1997 - VI ZR 252/96, aaO).
2. Im vorliegenden Fall war der von der Klägerin gestellte Antrag auf Anhörung des Sachverständigen weder verspätet noch rechtsmissbräuchlich. Die Klägerin hat mit Schriftsatz vom 19. Februar 2015 weitergehende Fragen an den Sachverständigen angekündigt, die Klarheit dazu schaffen sollten, ob die Kreuzbandoperation auch ohne das schädigende Ereignis erforderlich gewesen wäre. Sie hat dazu ausgeführt, dass der Geschädigte trotz einer vorbestehenden vorderen Kreuzbandruptur bis zu dem schädigenden Ereignis keine wesentlichen gesundheitlichen Probleme gehabt habe und trotz seines Alters sehr aktiv, fit und leistungsfähig gewesen sei. Soweit auf schriftlichem Wege eine abschließende Klärung dieser Frage nicht möglich sei, hat sich die Klägerin einen Antrag auf persönliche Anhörung des Sachverständigen vorbehalten. Nachdem das Berufungsgericht mit Verfügung vom 4. März 2015 ausgeführt hat, dass es nicht beabsichtige, dem Sachverständigen die mit Schriftsatz der Klägerin vom 19. Februar 2015 gestellten Fragen zur Stellungnahme zu übersenden oder den Sachverständigen zum Termin zur Anhörung zu laden, hat die Klägerin in einem weiteren Schriftsatz vom 14. März 2015 unter anderem ein Übergehen des Antrags auf Anhörung des Sachverständigen als Verstoß gegen rechtliches Gehör bezeichnet. Schließlich hat der instanzgerichtliche Prozessbevollmächtigte der Klägerin nochmals in der mündlichen Verhandlung vom 31. März 2015 die mangelnde Ausschöpfung der Beweismittel sowie die Nichtbeachtung der Einwendungen gegen das Gutachten nebst Übergehen von Beweisantritten gerügt.
3. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts war die Anhörung des Sachverständigen nicht deshalb entbehrlich, weil es sich bei den Fragen, welche die Klägerin dem Sachverständigen stellen wollte, allein um Rechtsfragen gehandelt habe. Vielmehr ist die Frage, ob der Geschädigte trotz der bereits bestehenden Ruptur des vorderen Kreuzbandes bis zu dem Vorfall mit dem Hund des Beklagten im Wesentlichen beschwerdefrei war und erst die erlittene Distorsion die erfolgte Kreuzbandplastik erforderlich machte, eine tatsächliche Frage, welche in Ermangelung eigener Sachkunde des Gerichts nur mit Hilfe des medizinischen Sachverständigen beantwortet werden kann.
4. Da nicht ausgeschlossen werden kann, dass das Berufungsgericht bei der gebotenen Klärung zu einer anderen Beurteilung des Falles gekommen wäre, war das Urteil aufzuheben und die Sache an das Berufungsgericht zurückzuverweisen. Dieses wird bei der neuen Verhandlung und Entscheidung auch das weitere Vorbringen der Klägerin zu berücksichtigen haben.
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