Entscheidungsdatum: 14.01.2014
Auf die Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers wird das Urteil des 1. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Celle vom 1. Juli 2013 aufgehoben.
Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Verfahrens der Nichtzulassungsbeschwerde, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Gegenstandswert: 371.000 €
1. Der Kläger war seit Anfang 2004 wegen Beschwerden der Lendenwirbelsäule arbeitsunfähig. Er wurde zunächst ambulant und im Jahr 2005 zweimal operativ behandelt. Wegen fortbestehender chronischer Beschwerden wurde ihm im Februar 2006 auf Vorschlag des Beklagten, eines Facharztes für Neurochirurgie, eine so genannte "Schmerzpumpe" implantiert, mit deren Hilfe das Schmerzmittel über einen Katheter direkt in den Wirbelkanal eingebracht wird. Dieser Eingriff führte zunächst zu einer Schmerzlinderung. Wegen massiver lumbaler Schmerzen nach einem "Verhebetrauma" stellte sich der Kläger am 11. September 2006 erneut bei dem Beklagten vor. Dieser riet ihm zu einer Kontrastmitteluntersuchung, um eine Leckage im Bereich des Katheters auszuschließen. Er wies den Kläger auf die Risiken einer allergischen Reaktion, einer Entzündung und einer neurologischen Komplikation hin, nicht jedoch auf das Risiko des Eintritts einer Querschnittlähmung. Eine Undichtigkeit konnte bei der Untersuchung nicht festgestellt werden. Etwa vier Stunden nach der Untersuchung bemerkte der Kläger zunächst kribbelnde Dysästhesien und sodann eine zunehmende Schwäche in den Beinen. Gegen 17:00 Uhr rief er den Beklagten erstmals an. Bei einem zweiten Anruf gegen 17:30 Uhr empfahl der Beklagte ihm, sich zur Behandlung in das Krankenhaus N. zu begeben. Der Kläger leidet seitdem an einer fortschreitenden Querschnittlähmung mit Blasen- und Mastdarmlähmung. Er macht geltend, die Implantation der Schmerzpumpe sei fehlerhaft gewesen, weil es vorzugswürdigere Alternativen gegeben habe. Bei der Untersuchung am 11. September 2006 habe der Beklagte behandlungsfehlerhaft ein in Deutschland dafür nicht zugelassenes Kontrastmittel verwendet und es versäumt, ihn über das schon damals bekannte Risiko des Eintritts einer nicht traumatischen und nicht entzündlichen Querschnittlähmung aufzuklären. Im Falle ordnungsgemäßer Aufklärung hätte er sich wegen schlechter Erfahrungen, die seine Ehefrau mit einer Kontrastmitteluntersuchung gemacht habe, und wegen der Abwesenheit seiner Ehefrau am Untersuchungstag in einem Entscheidungskonflikt befunden. Auf seine Anrufe habe der Beklagte falsch reagiert. Er hätte ihn schon bei dem ersten Anruf in ein Krankenhaus einweisen müssen, und zwar in die hierfür spezialisierte Klinik der Medizinischen Hochschule H. Wäre dies geschehen, hätte die Querschnittlähmung verhindert werden können.
Der Kläger begehrt Ersatz materiellen und immateriellen Schadens. Das Landgericht hat der Klage nach Einholung eines Gutachtens der Sachverständigen Prof. Dr. V. durch Grund- und Teilurteil zunächst überwiegend stattgegeben. Auf die Berufung des Beklagten hat das Oberlandesgericht dieses Urteil aufgehoben und die Sache an das Landgericht zurückverwiesen. Dieses hat nach weiterer Beweiserhebung durch Einholung schriftlicher und jeweils mündlich erläuterter Gutachten der Sachverständigen Prof. Dr. B. und Prof. Dr. Z. die Klage abgewiesen. Das Oberlandesgericht hat die Sachverständigen Prof. Dr. B. und Prof. Dr. Z. ergänzend mündlich angehört. Mit dem angefochtenen Urteil hat es die Berufung des Klägers zurückgewiesen. Die Revision hat es nicht zugelassen. Dagegen wendet sich der Kläger mit der Nichtzulassungsbeschwerde. Er möchte sein Begehren mit der Revision in vollem Umfang weiterverfolgen.
2. Die Nichtzulassungsbeschwerde hat Erfolg und führt gemäß § 544 Abs. 7 ZPO zur Aufhebung des angegriffenen Urteils und zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an das Berufungsgericht. Die Erwägungen, mit denen das Berufungsgericht seine Auffassung begründet hat, ein Ursachenzusammenhang zwischen der von dem Kläger geltend gemachten fehlerhaften Verwendung des Kontrastmittels Ultravist 300 und der eingetretenen Querschnittlähmung sei nicht nachgewiesen, halten der revisionsrechtlichen Nachprüfung nicht stand und verletzen den Kläger in seinem Anspruch auf rechtliches Gehör.
a) Ohne Erfolg wendet sich die Nichtzulassungsbeschwerde allerdings dagegen, dass das Berufungsgericht seiner Beweiswürdigung hinsichtlich des Ursachenzusammenhangs das Beweismaß des § 286 ZPO zugrunde gelegt hat.
aa) Das Berufungsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass grundsätzlich der Patient den Ursachenzusammenhang zwischen dem Behandlungsfehler und dem geltend gemachten Gesundheitsschaden nachzuweisen hat. Dabei ist zwischen der haftungsbegründenden und der haftungsausfüllenden Kausalität zu unterscheiden. Erstere betrifft die Ursächlichkeit des Behandlungsfehlers für die Rechtsgutverletzung als solche, also für den Primärschaden des Patienten im Sinne einer Belastung seiner gesundheitlichen Befindlichkeit. Insoweit gilt das strenge Beweismaß des § 286 ZPO, das einen für das praktische Leben brauchbaren Grad von Gewissheit verlangt. Die Feststellung der haftungsausfüllenden Kausalität und damit der Ursächlichkeit der Rechtsgutverletzung für alle weiteren (Folge-)Schäden richtet sich hingegen nach § 287 ZPO; hier kann zur Überzeugungsbildung eine überwiegende Wahrscheinlichkeit genügen (vgl. Senatsurteile vom 12. Februar 2008 - VI ZR 221/06, VersR 2008, 644 Rn. 9 mwN; vom 22. Mai 2012 - VI ZR 157/11, VersR 2012, 905 Rn. 10 mwN; vom 2. Juli 2013 - VI ZR 554/12, VersR 2013, 1174 Rn. 15 und vom 5. November 2013 - VI ZR 527/12, juris Rn. 13; näher Senatsurteile vom 24. Juni 1986 - VI ZR 21/85, VersR 1986, 1121, 1122 f.; vom 4. November 2003 - VI ZR 28/03, VersR 2004, 118, 119 f.; siehe auch Geiß/Greiner, Arzthaftpflichtrecht, 6. Aufl., Rn. B 189 ff.; Steffen/Pauge, Arzthaftungsrecht, 12. Aufl., Rn. 626 ff.).
bb) Rechtsgutsverletzung (Primärschaden), auf die sich die haftungsbegründende Kausalität ausrichtet, ist - entgegen der Auffassung der Nichtzulassungsbeschwerde - nicht die bloße Einbringung des Kontrastmittels Ultravist 300 in den Katheter und der nachfolgende Austritt des Kontrastmittels in den Spinalraum. Die geltend gemachte Körperverletzung (Primärschaden) ist vielmehr in der durch den behaupteten Behandlungsfehler herbeigeführten gesundheitlichen Befindlichkeit in ihrer konkreten Ausprägung zu sehen (vgl. Senatsurteile vom 12. Februar 2008, aaO, Rn. 10; vom 21. Juli 1998 - VI ZR 15/98, VersR 1998, 1153 - juris Rn. 11 und vom 2. Juli 2013 - VI ZR 554/12, aaO Rn. 16). Das heißt im Streitfall ist Primärschaden die nach Behauptung des Klägers durch die fehlerhafte Verwendung des Kontrastmittels Ultravist 300 eingetretene Querschnittlähmung.
b) Die Nichtzulassungsbeschwerde wendet sich jedoch mit Erfolg gegen die Beweiswürdigung des Berufungsgerichts.
aa) Allerdings ist die Würdigung der Beweise grundsätzlich dem Tatrichter vorbehalten, an dessen Feststellungen das Revisionsgericht gemäß § 559 Abs. 2 ZPO gebunden ist. Dieses kann lediglich nachprüfen, ob sich der Tatrichter entsprechend dem Gebot des § 286 ZPO mit dem Prozessstoff und den Beweisergebnissen umfassend und widerspruchsfrei auseinandergesetzt hat, die Beweiswürdigung also vollständig und rechtlich möglich ist und nicht gegen Denkgesetze und Erfahrungssätze verstößt (st. Rspr. vgl. z.B. Senatsurteile vom 1. Oktober 1996 - VI ZR 10/96, VersR 1997, 362, 364, vom 8. Juli 2008 - VI ZR 274/07, VersR 2008, 1126 Rn. 7 und vom 16. April 2013 - VI ZR 44/12, VersR 2013, 1045 Rn. 13; BGH, Urteil vom 5. Oktober 2004 - XI ZR 210/03, BGHZ 160, 308, 317 mwN).
bb) Zutreffend macht die Nichtzulassungsbeschwerde geltend, dass das Berufungsgericht den Prozessstoff nicht vollständig hinsichtlich aller für die Überzeugungsbildung heranzuziehenden Aspekte gewürdigt hat. Insbesondere hat es nicht hinreichend berücksichtigt, dass die in erster Instanz zunächst beauftragte gerichtliche Sachverständige Prof. Dr. V., gegen deren Sachkunde das Berufungsgericht keine durchgreifenden Bedenken gesehen hat, gewichtige Anhaltspunkte dargelegt hat, die dafür sprechen könnten, entgegen der Einschätzung des Gutachters Prof. Dr. B. eine Ursächlichkeit der Verwendung des Kontrastmittels Ultravist 300 für die eingetretene Querschnittlähmung doch näher in Betracht zu ziehen.
Die Sachverständige Prof. Dr. V. hat bei ihrer Beurteilung nicht nur den zeitlichen Zusammenhang zwischen der Kontrastmitteluntersuchung und dem ersten Auftreten der Dysästhesien als auffällig bewertet, sondern die vorliegende Brückensymptomatik als typisch für den Zusammenhang zwischen der Kontrastmittelgabe und der Lähmung bezeichnet. Dies ergebe sich daraus, dass der Kläger zunächst etwa vier Stunden beschwerdefrei gewesen und dann die Lähmung fortschreitend eingetreten sei. Wären die Lähmungserscheinungen hingegen erst drei oder mehrere Tage später aufgetreten, käme auch eine andere Ursache in Betracht. Insbesondere hat die Sachverständige hervorgehoben, dass der Liquorbefund vom 21. September 2006 keinen Hinweis auf eine bakterielle Entzündung gebe. Der festgestellte Laktatwert passe vielmehr zu der angenommenen Rückenreizung. Für einen bakteriologischen Befund würde sie zudem eine deutliche Erhöhung der Zellzahlen im Liquor erwarten, wie sie in dem - knapp vier Wochen später - in H. entnommenen Liquor festgestellt worden sei. Daran fehle es jedoch bei dem zeitnah zum Beginn der Lähmungserscheinungen in N. entnommenen Liquor.
Diese für die Beurteilung des Ursachenzusammenhangs durchaus beachtenswerten Darlegungen der erstinstanzlich vor Erlass des ersten landgerichtlichen Urteils beauftragten Sachverständigen Prof. Dr. V. hat das Berufungsgericht bei seiner Beweiswürdigung nicht hinreichend berücksichtigt. Es wägt sehr sorgfältig die in den entscheidenden Fragen voneinander abweichenden Beurteilungen der von ihm ausführlich persönlich angehörten Gutachter Prof. Dr. B. und Prof. Dr. Z. gegeneinander ab, ohne dabei jedoch auch die nicht zu vernachlässigende Einschätzung der Sachverständigen Prof. Dr. V. in den Blick zu nehmen, wie es eine umfassende Würdigung des Prozessstoffs verlangt hätte. Das Berufungsgericht hat wohl auch nicht hinreichend bedacht, dass sich eine Partei die bei einer Beweisaufnahme zutage tretenden ihr günstigen Umstände regelmäßig zumindest hilfsweise zu Eigen macht (vgl. Senatsurteil vom 8. Januar 1991 - VI ZR 102/90, VersR 1991, 467, 468 mit Anm. Jaeger; Senatsbeschlüsse vom 10. November 2009 - VI ZR 325/08, VersR 2010, 497 Rn. 5 und vom 4. Dezember 2012 - VI ZR 320/11, juris Rn. 4). Auch deshalb hätte es auf die von der Einschätzung des Gutachters Prof. Dr. B. abweichende, dem Kläger günstigere Beurteilung der Sachverständigen Prof. Dr. V. näher eingehen und deren Bewertung in die Gesamtbetrachtung des möglichen Geschehensablaufs einbeziehen müssen. Die Nichtberücksichtigung des für den Kläger günstigen Beweisergebnisses der ersten Begutachtung bedeutet für die Beweiswürdigung, dass erhebliches Vorbringen des Klägers im Ergebnis übergangen und damit dessen verfassungsrechtlich gewährleisteter Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) verletzt worden ist.
3. Da nicht ausgeschlossen werden kann, dass das Berufungsgericht bei der gebotenen Berücksichtigung der Darlegungen der Sachverständigen Prof. Dr. V. zu einer anderen Beurteilung des Falles gekommen wäre, war das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache an das Berufungsgericht zurückzuverweisen. Dieses wird bei erneuter Befassung Gelegenheit haben, auch das weitere wechselseitige Vorbringen der Parteien in der Revisionsinstanz zu berücksichtigen.
Galke Diederichsen Pauge
von Pentz Offenloch