Bundesgerichtshof

Entscheidungsdatum: 20.12.2018


BGH 20.12.2018 - V ZB 80/17

Haftanordnung bei vollziehbarer Abschiebungsandrohung


Gericht:
Bundesgerichtshof
Spruchkörper:
5. Zivilsenat
Entscheidungsdatum:
20.12.2018
Aktenzeichen:
V ZB 80/17
ECLI:
ECLI:DE:BGH:2018:201218BVZB80.17.0
Dokumenttyp:
Beschluss
Vorinstanz:
vorgehend LG Frankfurt, 1. März 2017, Az: 2-29 T 202/15vorgehend AG Frankfurt, 4. September 2015, Az: 934 XIV 1277/15 B
Zitierte Gesetze
Art 28 Abs 2 EUV 640/2013
§ 34a AsylVfG
§ 55 Abs 1 AsylVfG
§ 71a Abs 1 AsylVfG

Leitsätze

1. Wenn die Behörde das Dublin-III-Verfahren als beendet ansieht und die Entscheidung trifft, die Abschiebung des Betroffenen nach § 58 AufenthG in einen EU-Mitgliedstaat auf der Grundlage einer vollziehbaren Abschiebungsandrohung des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge nach § 34a AsylG zu betreiben, unterliegt die Haftanordnung nicht der Dublin-III-Verordnung, sondern kann unter den Voraussetzungen des § 62 Abs. 3 AufenthG angeordnet werden. Ob die Behörde das richtige Verfahren gewählt hat, hat der Haftrichter grundsätzlich nicht zu prüfen.

2. Ein Zweitantrag (§ 71a Abs. 1 AsylG) unterbricht die Ursächlichkeit der unerlaubten Einreise für die für den Haftgrund des § 61 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 AufenthG erforderliche vollziehbare Ausreisepflicht nur dann, wenn das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG bejaht und ein weiteres Asylverfahren durchführt (Fortführung von Senat, Beschluss vom 11. Oktober 2017 - V ZB 41/17, InfAuslR 2018, 93 Rn. 20).

Tenor

Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss der 29. Zivilkammer des Landgerichts Frankfurt am Main vom 1. März 2017 wird auf Kosten des Betroffenen zurückgewiesen.

Der Gegenstandswert des Beschwerdeverfahrens beträgt 5.000 €.

Gründe

I.

1

Der Betroffene, ein eritreischer Staatsangehöriger, wurde im November 2013 unter Anordnung eines bis zum 2. Dezember 2015 befristeten Einreiseverbots nach Italien abgeschoben. Dort war ihm im August 2013 subsidiärer Schutz gewährt worden. Er reiste am 27. Dezember 2013 erneut in das Bundesgebiet ein und stellte am 13. Januar 2014 einen Asylantrag. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge stellte mit Bescheid vom 31. Juli 2014 fest, dass dem Betroffenen kein Asylrecht zusteht, und ordnete dessen Abschiebung nach Italien an. Eine für den 16. Juli 2015 geplante Abschiebung konnte wegen einer Erkrankung des Betroffenen nicht durchgeführt werden.

2

Auf den Antrag der beteiligten Behörde hat das Amtsgericht mit Beschluss vom 4. September 2015 Haft zur Sicherung der Abschiebung nach Italien bis längstens 25. September 2015 angeordnet. Dagegen hat der Betroffene Beschwerde eingelegt, die er nach seiner Abschiebung am 24. September 2015 mit dem Antrag auf Feststellung der Rechtswidrigkeit der Haftanordnung weiterverfolgt hat. Das Landgericht hat die Beschwerde zurückgewiesen. Dagegen richtet sich die Rechtsbeschwerde des Betroffenen.

II.

3

Das Beschwerdegericht meint, es liege der Haftgrund des § 62 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 AufenthG vor. Der Betroffene sei unerlaubt eingereist. Ob die weiteren vom Amtsgericht angenommenen Haftgründe gemäß § 62 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 und Nr. 5 AufenthG vorlägen, könne dahinstehen.

III.

4

Die mit dem Feststellungsantrag analog § 62 FamFG statthafte (§ 70 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 FamFG) und auch im Übrigen nach § 71 FamFG zulässige Rechtsbeschwerde ist unbegründet. Das Beschwerdegericht hat rechtsfehlerfrei den für die Sicherung der Abschiebung geltenden Haftgrund der unerlaubten Einreise gemäß § 62 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 AufenthG bejaht.

5

1. Zwar wurde die Haft nicht zur Sicherung der Abschiebung des Betroffenen in sein Heimatland, sondern nach Italien als dem Erstaufnahmestaat angeordnet. Die Anordnung der Haft richtete sich aber gleichwohl nicht nach den Vorschriften über Rücküberstellung in einen anderen EU-Mitgliedstaat nach Art. 28 Abs. 2 der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 (fortan: Dublin-III-Verordnung), sondern nach § 62 Abs. 3 Satz 1 AufenthG.

6

a) Allerdings ist umstritten, ob das Dublin-Verfahren mit der Gewährung subsidiären Schutzes beendet ist. Nach einer Auffassung gilt für den Asylantrag, mit dem ein subsidiär Schutzberechtigter die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft begehrt (sog. Aufstockung), weiterhin die Dublin-III-Verordnung. Die Verpflichtung aus Art. 18 Abs. 1 Buchst. d Dublin-III-Verordnung, einen Antragsteller, dessen Antrag abgelehnt wurde und der in einem anderen Mitgliedstaat einen Antrag gestellt hat, wieder aufzunehmen, erfasse auch diese Personengruppe, weil mit der Zuerkennung (nur) des subsidiären Schutzes gleichzeitig eine Ablehnung der Flüchtlingsanerkennung verbunden sei (vgl. OVG Münster, Urteil vom 22. September 2016 - 13 A 2448.15.A, juris Rn. 51 ff.; OVG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 22. November 2016 - OVG 3 B 2.16, juris Rn. 21 ff.). Die Gegenauffassung (vgl. Bergmann/Dienelt/Bergmann, Ausländerecht, 12. Aufl., § 29 AsylG Rn. 25; Hailbronner, Ausländerrecht [Dezember 2016], § 29 AsylG Rn. 132 f.; Koehler, Praxiskommentar zum Europäischen Asylzuständigkeitsrecht, C Art. 3 Rn. 25) verneint die Anwendbarkeit der Dublin-III-Verordnung und verweist auf die Legaldefinitionen in Art. 2 Buchst. c und f Dublin-III-Verordnung, die zwischen dem „Antragsteller“ und dem „Begünstigten internationalen Schutzes“ unterscheiden. Für den Fall eines positiven Abschlusses des Asylverfahrens sei in der Dublin-III-Verordnung keine dem Art. 18 Abs. 1 Buchst. d Dublin-III-Verordnung entsprechende Wiederaufnahmeverpflichtung normiert. Das Bundesverwaltungsgericht hat die Frage dem Europäischen Gerichtshof vorgelegt (Vorlagebeschlüsse vom 23. März 2017 - 1 C 17.16, BVerwGE 158, 271 Rn. 41, und 1 C 18.16, 1 C 20.16, juris Rn. 41 ff.; jeweils mwN; vgl. dazu Mantel, Asylmagazin 2017, 297, 298).

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b) Diese Rechtsfrage bedarf im Haftverfahren keiner Entscheidung. Wenn die Behörde das Dublin-III-Verfahren als beendet ansieht und die Entscheidung trifft, die Abschiebung des Betroffenen nach § 58 AufenthG in einen EU-Mitgliedstaat auf der Grundlage einer vollziehbaren Abschiebungsandrohung des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge nach § 34a AsylG zu betreiben, unterliegt auch die Haftanordnung nicht der Dublin-III-Verordnung, sondern kann unter den Voraussetzungen des § 62 Abs. 3 AufenthG angeordnet werden. Ob die Behörde das richtige Verfahren gewählt hat, hat der Haftrichter grundsätzlich nicht zu prüfen. Die Tätigkeit der Ausländerbehörde und des Bundesamts unterliegt insoweit der Kontrolle durch die Verwaltungsgerichtsbarkeit (vgl. auch Senat, Beschluss vom 16. Dezember 2009 - V ZB 148/09, FGPrax 2010, 50 Rn. 7 mwN; Beschluss vom 6. Mai 2010 - V ZB 193/09, InfAuslR 2010, 361 Rn. 19; Beschluss vom 11. Oktober 2017 - V ZB 417/17, FGPrax 2018, 41 Rn. 22).

8

c) Hier hat die beteiligte Behörde das Dublin-Verfahren als abgeschlossen angesehen und entschieden, den Betroffenen nach Italien als Erstaufnahmestaat abzuschieben. Grundlage dafür war die auf § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylVfG (heute: AsylG) in der Fassung der Bekanntmachung vom 2. September 2008 (BGBl. I S. 1798) gestützte vollziehbare Abschiebungsanordnung in dem Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 31. Juli 2014. An der von der beteiligten Behörde daraufhin getroffenen Entscheidung, die Abschiebung des Betroffenen nach Italien als sicheren Drittstaat (§ 26a AsylVfG = § 26a AsylG) und nicht dessen Rücküberstellung aufgrund der Dublin-III-Verordnung zu betreiben, waren das Amtsgericht und das Beschwerdegericht - entsprechendes gilt für den Senat als Rechtsbeschwerdegericht - gebunden. Zur Sicherung einer solchen Abschiebung konnte die Haft unter den Voraussetzungen des § 62 Abs. 3 Satz 1 AufenthG angeordnet werden (vgl. Senat, Beschluss vom 22. Oktober 2015 - V ZB 79/15, InfAuslR 2016, 108 Rn. 9).

9

2. Der Haftgrund nach § 62 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 AufenthG lag vor. Der Betroffene ist unter Verstoß gegen das bis zum 2. Dezember 2015 befristete Einreiseverbot und deshalb unerlaubt eingereist (vgl. § 11 Abs. 1, § 14 Abs. 1 Nr. 3 AufenthG). Dass der Betroffene am 13. Januar 2014 einen Asylantrag gestellt hat, lässt die Ursächlichkeit der unerlaubten Einreise für die vollziehbare Ausreisepflicht nicht entfallen.

10

a) Bei dem Haftgrund des § 62 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AufenthG muss die vollziehbare Ausreisepflicht auf der unerlaubten Einreise beruhen. An der Ursächlichkeit der unerlaubten Einreise für die vollziehbare Ausreisepflicht fehlt es, wenn der Betroffene nach seiner Einreise einen Asylantrag gestellt hat und ihm deshalb nach § 55 Abs. 1 und 3 AsylG der Aufenthalt im Bundesgebiet zur Durchführung des Asylverfahrens gestattet ist. Eine solche zwischenzeitliche Aufenthaltsgestattung lässt die Ursächlichkeit der unerlaubten Einreise für die vollziehbare Ausreisepflicht entfallen (Senat, Beschluss vom 9. November 2017 - V ZB 15/17, juris Rn. 4; Beschluss vom 16. Februar 2017 - V ZB 10/16, juris Rn. 6; Beschluss vom 28. Oktober 2010 - V ZB 210/10, InfAuslR 2011, 71 Rn. 19; vgl. auch Beschluss vom 18. August 2010 - V ZB 119/10, juris Rn. 21).

11

b) Der Betroffene hat durch den Asylantrag vom 13. Januar 2014 keine Aufenthaltsgestattung erlangt.

12

aa) Bei dem Antrag handelte es sich um einen Zweitantrag nach § 71a AsylVfG, weil der Betroffene ihn nach erfolglosem Abschluss eines Asylverfahrens in Italien als einem sicheren Drittstaat (§ 26a AsylG) gestellt hat. Der vor dem 1. Januar 2014 in Italien gestellte Antrag auf internationalen Schutz bezog sich nämlich nach Art. 2 Buchst. c der Dublin-II-Verordnung - nach der Übergangsregelung in Art. 49 Abs. 2 Dublin-III-Verordnung ist die Dublin-III-Verordnung erst auf Anträge auf internationalen Schutz anwendbar, die ab dem 1. Januar 2014 gestellt werden - nur auf die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft, ohne den subsidiären Schutz zu erfassen. Erhält der Antragsteller, wie hier, auf einen solchen Antrag nicht die Anerkennung als Flüchtling, sondern nur subsidiären Schutz, liegt darin eine Antragsablehnung (vgl. BVerwGE 158, 271 Rn. 40; vgl. auch VG Berlin, Beschluss vom 1. April 2014 - 33 K 548.13 A, juris Rn. 21; VG München, Beschluss vom 20. November 2011 - M 11 S 17.48158, juris Rn. 23, 28).

13

bb) Gemäß § 71a Abs. 3 Satz 1 AsylG gilt der Aufenthalt des Ausländers, der einen Zweitantrag stellt, zwar als geduldet. Eine solche Duldung begründet aber keine Aufenthaltsgestattung im Sinne des § 55 Abs. 1 AsylG, wie sich aus § 71a Abs. 3 Satz 2 AsylG ergibt. Hiernach gelten die §§ 56 bis 67 AsylG entsprechend, auf § 55 AsylG wird nicht verwiesen. Der Ausländer erlangt eine Aufenthaltsgestattung vielmehr nur und erst dann, wenn das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG bejaht und ein weiteres Asylverfahren durchführt. Dem entspricht es, dass ein Zweitantrag einer Haftanordnung nicht entgegensteht, es sei denn, es wird ein weiteres Asylverfahren durchgeführt (§ 71a Abs. 2 Satz 3 i.V.m. § 71 Abs. 8 AsylG; vgl. Senat, Beschluss vom 11. Oktober 2017 - V ZB 41/17, InfAuslR 2018, 93 Rn. 20 mwN). Ein Zweitantrag unterbricht die Ursächlichkeit der unerlaubten Einreise für die für den Haftgrund des § 61 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 AufenthG erforderliche vollziehbare Ausreisepflicht deshalb nur dann, wenn das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG bejaht und ein weiteres Asylverfahren durchführt.

IV.

14

Die Kostenentscheidung beruht auf § 84 FamFG, die Festsetzung des Gegenstandswerts auf § 36 Abs. 3 GNotKG.

Stresemann     

      

Schmidt-Räntsch     

      

Kazele

      

Haberkamp     

      

Hamdorf