Entscheidungsdatum: 11.10.2017
Das Einvernehmen der Staatsanwaltschaft nach § 72 Abs. 4 Satz 1 AufenthG ist bei der Zurückweisung (§ 15 Abs. 1 AufenthG) - anders als bei der Abschiebung und der Zurückschiebung - nicht erforderlich (Abgrenzung zu Senat, Beschluss vom 24. Februar 2011, V ZB 202/10, FGPrax 2011, 146).
Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss der 4. Zivilkammer des Landgerichts Traunstein vom 16. Januar 2017 wird auf Kosten des Betroffenen zurückgewiesen.
Der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens beträgt 5.000 €.
I.
Der Betroffene, ein marokkanischer Staatsangehöriger, stellte nach seiner Einreise in das Bundesgebiet am 11. Januar 2013 einen Asylantrag. Diesen sah das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (im Folgenden: Bundesamt) mit Bescheid vom 11. März 2013 auf der Grundlage der Dublin-II-Verordnung als unzulässig an und verfügte die Überstellung des Betroffenen nach Italien. Die Überstellung konnte bis zu der nach der Verordnung einzuhaltenden Frist (20. Juli 2014) nicht durchgeführt werden, weil der Betroffene untertauchte. Am 3. Dezember 2016 wollte er von Kufstein/Österreich aus erneut nach Deutschland einreisen. Da er bei einer polizeilichen Kontrolle im Zug keine die Einreise legitimierenden Dokumente vorlegen konnte, verweigerte ihm die beteiligte Behörde gemäß Art. 14 Schengener Grenzkodex (SGK) in Verbindung mit § 15 AufenthG die Einreise. Auf ihren Antrag ordnete das Amtsgericht Rosenheim durch Beschluss vom 4. Dezember 2016 die vorläufige Freiheitsentziehung des Betroffenen für die Dauer von 10 Tagen an. Mit Bescheid vom 6. Dezember 2016 lehnte das Bundesamt den Asylantrag vom 11. Januar 2013, den es wegen des bereits in Italien erfolglos betriebenen Asylverfahrens gemäß § 71a AsylG als Zweitantrag ansah, als unzulässig ab und forderte den Betroffenen auf, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb einer Woche zu verlassen; für den Fall, dass die Ausreisefrist nicht eingehalten werde, wurde die Abschiebung nach Marokko angedroht.
Mit Schreiben vom 6. Dezember 2016 hat die beteiligte Behörde die Anordnung von Haft zur Sicherung der Zurückweisung des Betroffenen nach Marokko längstens für 12 Wochen beantragt. Durch Beschluss vom 9. Dezember 2016 hat das Amtsgericht Mühldorf am Inn (im Folgenden: Amtsgericht), an das das Verfahren abgegeben worden war, gegen den Betroffenen Haft zur Sicherung der Zurückweisung bis längstens zum 25. Februar 2017 angeordnet. Die von dem Betroffenen hiergegen gerichtete Beschwerde ist bei dem Landgericht erfolglos geblieben. Mit der Rechtsbeschwerde möchte er die Feststellung erreichen, sowohl durch die Haftanordnung als auch durch die Zurückweisung der Beschwerde in seinen Rechten verletzt worden zu sein.
II.
Nach Ansicht des Beschwerdegerichts ist der Antrag auf Anordnung der Zurückweisungshaft von der beteiligten Behörde ausreichend begründet worden. Die nach § 15 Abs. 5 Satz 1 AufenthG erforderliche Zurückweisungsentscheidung liege vor. Die nationale Zurückweisungsentscheidung werde durch die Einreiseverweigerung nach Art. 14 in Verbindung mit Anhang 5 Teil A SGK verdrängt. Die Einreiseverweigerung sei zu Recht erfolgt, da der Betroffene nicht über den für eine Einreise erforderlichen Aufenthaltstitel verfügt habe. Des Einvernehmens der Staatsanwaltschaft bedürfe es nach dem Wortlaut des § 72 Abs. 4 AufenthG nur, wenn der Ausländer ausgewiesen und abgeschoben werden solle. Hieran fehle es, da der Betroffene noch nicht eingereist sei und zurückgewiesen werden solle. Da der Betroffene nach Marokko nicht abgeschoben, sondern dorthin zurückgewiesen werden solle - eine Einreise habe am 3. Dezember 2016 nicht vorgelegen -, sei keine Abschiebungsandrohung erforderlich. Deshalb sei es nicht entscheidungserheblich, ob der Bescheid des Bundesamtes vom 6. Dezember 2016 wirksam zugestellt worden sei. Im Übrigen gelte der Asylantrag des Betroffenen gemäß § 33 Abs. 1 und 3 AsylG als zurückgenommen. Zum einen habe der Betroffene das Asylverfahren nicht weiter betrieben. Zum anderen habe er angegeben, Ende Januar 2016 und damit während des Asylverfahrens in seinen Herkunftsstaat gereist zu sein. Unabhängig davon sei der Asylantrag des Betroffenen mit Bescheid des Bundesamtes vom 6. Dezember 2016 als unzulässig abgelehnt worden. Die Zustellung sei ausweislich der Zustellungsurkunde über einen zum Empfang ermächtigten Vertreter des Leiters der Einrichtung erfolgt.
III.
Die gemäß § 70 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 FamFG mit dem Feststellungsantrag nach § 62 FamFG statthafte und auch im Übrigen (§ 71 FamFG) zulässige Rechtsbeschwerde ist nicht begründet.
1. Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde ist eine Zurückweisung nach § 15 Abs. 1 AufenthG und damit auch die Zurückweisungshaft nach § 15 Abs. 5 AufenthG zulässig, wenn an den Binnengrenzen des Schengenraums vorübergehend Grenzkontrollen eingeführt werden. Die beteiligte Behörde war nicht gehalten, das Verfahren der Abschiebungshaft zu wählen. Nach Art. 28 i.V.m. Art. 13 Abs. 4 SGK sind die Mitgliedsstaaten nämlich dann, wenn eine Kontrolle der Binnengrenze stattfindet, verpflichtet, die unerlaubte Einreise durch Flüchtlinge zu verhindern. Die Haft zur Sicherung der Prüfung des Rechts auf Einreise bildet nach Art. 8 Abs. 3 Buchstabe c der Richtlinie 2013/33/EU (vom 26. Juni 2013, ABl. EU Nr. L 180 S. 96 - Aufnahmerichtlinie) einen eigenständigen Haftgrund (Senat, Beschluss vom 20. September 2017 - V ZB 118/17, zur Veröffentlichung bestimmt). Die Zurückweisung konnte an der Grenze nicht unmittelbar vollzogen werden, weil eine Wiederaufnahme durch Österreich, von dem aus der Betroffene nach Deutschland unerlaubt einreisen wollte, daran scheiterte, dass Österreich zu dessen Aufnahme nicht verpflichtet war.
2. Ohne Rechtsfehler geht das Beschwerdegericht davon aus, dass es bei einer - wie hier - Zurückweisung gemäß § 15 Abs. 1 AufenthG des Einvernehmens der Staatsanwaltschaft nach § 72 Abs. 4 Satz 1 AufenthG nicht bedarf (vgl. zur Bedeutung des Einvernehmens für die Rechtmäßigkeit der Haftanordnung Senat, Beschluss vom 9. Februar 2017 - V ZB 129/16, juris Rn. 4 mwN; Beschluss vom 27. September 2017 - V ZB 26/17, zur Veröffentlichung bestimmt).
a) Nach dem Wortlaut des § 72 Abs. 4 Satz 1 AufenthG darf ein Ausländer, gegen den öffentliche Klage erhoben oder ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren eingeleitet ist, nur im Einvernehmen mit der zuständigen Staatsanwaltschaft „ausgewiesen und abgeschoben“ werden. Der Fall, dass ein Ausländer zurückgewiesen (§ 15 Abs. 1 AufenthG) oder ihm die Einreise verweigert werden soll (Art. 14 SGK), ist hingegen nicht aufgeführt.
b) Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde kommt eine entsprechende Anwendung des § 72 Abs. 4 Satz 1 AufenthG auf den Fall der Zurückweisung nicht in Betracht (so im Ergebnis auch - ohne Differenzierung zwischen Zurückschiebung und Zurückweisung - GK-AufenthG/Gutmann, Stand April 2017, § 72 Rn. 34, aA HK-AuslR/Hofmann, AuslR, 2. Aufl., AufenthG § 72 Rn. 33, der das Einvernehmen gleichermaßen für die Zurückschiebung und die Zurückweisung für erforderlich hält).
aa) Allerdings hat der Senat entschieden, dass der Wortlaut des § 72 Abs. 4 Satz 1 AufenthG zu eng ist und es des Einvernehmens in gleicher Weise bedarf, wenn der Ausländer zurückgeschoben (vgl. § 57 AufenthG) werden soll (Senat, Beschluss vom 18. August 2010 - V ZB 211/10, InfAuslR 2010, 440 Rn. 9 ff.; Beschluss vom 24. Februar 2011 - V ZB 202/10, FGPrax 2011, 146 Rn. 13 ff.; Beschluss vom 12. März 2015 - V ZB 197/14, FGPrax 2015, 181 Rn. 5). Begründet hat dies der Senat unter Rückgriff auf die Gesetzeshistorie u.a. damit, dass der Gesetzgeber die Zurückschiebung zwar als eine Erweiterung der Zurückweisung begreift, jedoch auch erkannt hat, dass die Regeln der Zurückweisung für die Zurückschiebung nicht ausreichen, weil diese gerade für die Fälle gedacht ist, in denen die sofortige Rücküberstellung an den Einreisestaat nicht möglich ist. Das führt dazu, dass sich bei ihr regelmäßig dieselben Regelungsprobleme stellen wie bei der Abschiebung. Deshalb verweisen die Vorschriften über die Zurückschiebung (vgl. § 57 Abs. 3 AufenthG) seit jeher auf die zur Ausfüllung notwendigen Bestimmungen über die Abschiebung und insbesondere über die Abschiebungshaft (Senat, Beschluss vom 24. Februar 2011 - V ZB 202/10, FGPrax 2011, 146 Rn. 16). Dies legt es nahe, die bei einer Abschiebung geltende Vorschrift des § 72 Abs. 4 Satz 1 AufenthG auch bei einer Zurückschiebung anzuwenden. In beiden Fällen hat das von der Staatsanwaltschaft wahrzunehmende Interesse an der Verfolgung einer von dem Ausländer begangenen Straftat grundsätzlich Vorrang vor dem von den Ausländerbehörden zu wahrenden Interesse an der Durchsetzung der Ausreisepflicht der sich illegal im Bundesgebiet aufhaltenden Ausländer. Dieser Vorrang wird durch das Erfordernis des Einvernehmens der Staatsanwaltschaft mit der Ausweisung oder Abschiebung und der Zurückschiebung gesichert (vgl. Senat, Beschluss vom 3. Februar 2011 - V ZB 224/10, FGPrax 2011, 148 Rn. 9 mwN).
bb) Gegen eine entsprechende Anwendung des § 72 Abs. 4 Satz 1 AufenthG auf die Zurückweisung sprechen jedoch die Systematik des Aufenthaltsgesetzes und der europarechtliche Hintergrund der in § 15 AufenthG getroffenen Regelung.
(1) Die Voraussetzungen für die Durchsetzung einer Zurückweisung sind gegenüber der Durchsetzung einer Abschiebung oder einer Zurückschiebung deutlich abgemildert. Eines besonderen Haftgrundes bedarf es, wie die Verweisung in § 15 Abs. 5 Satz 2 AufenthG lediglich auf § 62 Abs. 4 AufenthG belegt, anders als in den Fällen der Abschiebungshaft und der Zurückschiebungshaft, nicht. Haft kann gemäß § 15 Abs. 5 Satz 1 AufenthG - ungeachtet der stets zu prüfenden Verhältnismäßigkeit des Eingriffs in die persönliche Freiheit des Betroffenen - bereits dann angeordnet werden, wenn eine Zurückweisungsentscheidung ergangen ist und diese nicht unmittelbar vollzogen werden kann (Senat, Beschluss vom 22. Juni 2017 - V ZB 127/16, juris Rn. 19). Mit § 15 Abs. 5 und 6 AufenthG, die durch Art. 1 Nr. 12 Buchstabe c des 1. Gesetzes zur Umsetzung von aufenthalts- und asylrechtlichen Richtlinien der Europäischen Union vom 18. August 2007 (BGBl. I S. 1970) in das Aufenthaltsgesetz eingefügt worden sind, hat der Gesetzgeber eine eigenständige Regelung für die Freiheitsentziehungen und -beschränkungen als Folge einer Zurückweisung an der Grenze bzw. im Transitbereich eines Flughafens geschaffen (BT-Drucks. 16/5065, S. 165). Die Vorschriften sind an die Stelle der vormaligen allgemeinen Verweisung in § 15 Abs. 4 Satz 1 AufenthG aF auf die für die Abschiebungshaft geltende Regelung (§ 62 AufenhG) getreten (vgl. dazu Senat, Beschluss vom 10. März 2016 - V ZB 188/14, NVwZ-RR 2016, 518 Rn. 10). Hat der Gesetzgeber aber bewusst davon abgesehen, die Zurückweisungshaft unter Rückgriff auf die für die Abschiebungs- und Zurückschiebungshaft geltenden Bestimmungen zu regeln, kommt eine entsprechende Anwendung der Vorschriften aus diesem Bereich grundsätzlich nicht in Betracht.
(2) Dass die Zurückweisung eine eigenständige Regelung erfahren hat, wird auch daraus deutlich, dass es sich bei § 15 AufenthG um eine mitgliedstaatliche Vorschrift im Sinne von Art. 2 Abs. 2 Buchst a Halbsatz 2 der Rückführungsrichtlinie handelt. Hiernach können die Mitgliedstaaten u.a. beschließen, die Richtlinie nicht auf Drittstaatsangehörige anzuwenden, die von den zuständigen Behörden in Verbindung mit dem illegalen Überschreiten der Außengrenze eines Mitgliedstaats auf dem Land-, See- oder Luftwege aufgegriffen bzw. abgefangen werden und die nicht anschließend die Genehmigung oder das Recht erhalten haben, sich in diesem Mitgliedstaat aufzuhalten. Von dieser Möglichkeit hat der Gesetzgeber Gebrauch gemacht mit der Folge, dass die Anwendung des Art. 15 Abs. 1 Buchstaben a) und b) der Rückführungsrichtlinie (Inhaftnahme insbesondere bei Fluchtgefahr und Umgehung oder Behinderung der Abschiebung) auf die Tatbestände des § 15 Abs. 5 und 6 AufenthG ausgeschlossen ist (Senat, Beschluss vom 10. März 2016 - V ZB 188/14, NVwZ-RR 2016, 518 Rn. 9).
cc) Gegenüber der Abschiebung und der Zurückschiebung weist die Zurückweisung - für eine Einreiseverweigerung gemäß Art. 14 SGK gilt Entsprechendes - zudem einen entscheidenden strukturellen Unterschied auf. Der Betroffene befindet sich nämlich - rechtlich (vgl. § 13 Abs. 2 Satz 2 AufenthG) - nicht im Bundesgebiet, vielmehr soll er noch an der Grenze an der Einreise gehindert werden. In den Fällen der Zurückweisung wird der Beschuldigte den Behörden der Strafverfolgung deshalb nicht „entzogen“. § 72 Abs. 4 AufenthG hat nicht den Zweck, den Strafverfolgungsbehörden den Zugriff auf einen noch nicht eingereisten Beschuldigten erst zu ermöglichen. Dies liefe auf einen generellen Vorrang der Strafverfolgung vor dem von den Ausländerbehörden (auch) zu wahrenden Interesse an der Abwehr der illegalen Einreise hinaus und hätte zur Folge, dass dem Beschuldigten ohne Einvernehmen die Einreise gestattet werde müsste. Eine solch weitgehende Bedeutung des Einvernehmens müsste im Gesetz ausdrücklich angeordnet werden. Hieran fehlt es.
dd) Das berechtigte Strafverfolgungsinteresse des Staates gebietet keinen Anlass zu einer abweichenden Beurteilung. Dass die Ausländerbehörde im Falle einer Zurückweisung nicht vorab das Einvernehmen der Staatsanwaltschaft einholen muss, schließt strafprozessuale Maßnahmen, insbesondere den Erlass eines Haftbefehls nicht aus.
3. Anders als die Rechtsbeschwerde meint, stand der Anordnung der Zurückweisungshaft gemäß § 15 Abs. 5 Satz 1 AufenthG auch der von dem Betroffenen am 11. Januar 2013 gestellte Asylantrag nicht entgegen.
a) Allerdings ist gemäß § 55 Abs. 1 Satz 1 AsylG einem Ausländer, der um Asyl nachsucht, zur Durchführung des Asylverfahrens der Aufenthalt im Bundesgebiet gestattet. Eine solche Aufenthaltsgestattung hindert die Zurück- oder die Abschiebung eines eingereisten Ausländers und stellt deshalb - solange sie besteht - ein der Anordnung der Sicherungshaft entgegenstehendes Hindernis dar, das von dem Haftrichter von Amts wegen zu beachten ist (vgl. Senat, Beschluss vom 20. Mai 2016 - V ZB 24/16, InfAuslR 2016, 335 Rn. 16 mwN).
b) Wird Zurückweisungshaft gemäß § 15 Abs. 5 AufenthG angeordnet, gilt nichts anderes. Gemäß § 15 Abs. 4 Satz 2 AufenthG darf ein Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, nicht zurückgewiesen und deshalb auch nicht mit dem Ziel der Zurückweisung in Haft genommen werden, solange ihm der Aufenthalt im Bundesgebiet nach den Vorschriften des Asylgesetzes gestattet ist. Möchte eine Behörde - wie hier - die Einreise eines Drittstaatsangehörigen gemäß Art. 14 Abs. 1 Satz 1 SGK verweigern, ist Satz 2 dieser Bestimmung zu beachten, wonach die Anwendung besonderer Bestimmungen zum Asylrecht unberührt bleibt.
c) Entgegen der Auffassung des Beschwerdegerichts war das Asylverfahren im Zeitpunkt der Haftanordnung noch nicht gemäß § 33 Abs. 1 und 3 AsylG beendet. Nach § 33 Abs. 1 AsylG gilt zwar der Asylantrag als zurückgenommen, wenn der Ausländer das Verfahren nicht betreibt. Ebenso verhält es sich, wenn der Ausländer während des Asylverfahrens in seinen Herkunftsstaat gereist ist (§ 33 Abs. 3 AsylG). Dies bedeutet jedoch nicht, dass bereits bei Vorliegen der in § 33 Abs. 1 und 3 AsylG normierten Voraussetzungen die Aufenthaltsgestattung (§ 55 Abs. 1 AsylG) endet. Vielmehr bedarf es gemäß § 33 Abs. 5 Satz 1 AsylG einer Entscheidung des Bundesamts, durch die das Asylverfahren eingestellt wird. Erst mit der Zustellung dieses Bescheids erlischt gemäß § 67 Abs. 1 Nr. 3 AsylG die Aufenthaltsgestattung (vgl. BVerwG, NVwZ 1996, 80, 81). Feststellungen zu der Existenz und der Zustellung eines entsprechenden Einstellungsbescheids hat das Beschwerdegericht nicht getroffen.
d) Die Rechtsbeschwerde lässt jedoch unberücksichtigt, dass das Stellen eines Zweitantrages gemäß § 71a Abs. 1 AsylG zu keiner Aufenthaltsgestattung i.S.d. § 55 Abs. 1 AsylG führt und deshalb auch kein Hafthindernis begründet. Von einem solchen Zweitantrag mussten die Haftgerichte hier ausgehen.
aa) Gemäß § 71a Abs. 3 Satz 1 AsylG gilt der Aufenthalt des Ausländers, der einen Zweitantrag stellt, als geduldet. Eine solche Duldung begründet keine Aufenthaltsgestattung i.S.d. § 55 Abs. 1 AsylG, wie sich aus § 71a Abs. 3 Satz 2 AsylG ergibt. Hiernach gelten die §§ 56 bis 67 AsylG entsprechend, auf § 55 AsylG wird nicht verwiesen. Nur wenn das Bundesamt die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG bejaht und ein weiteres Asylverfahren durchführt, erlangt der Ausländer eine Aufenthaltsgestattung (ganz überwiegende Meinung, vgl. BeckOK AuslR/Neundorf, 13. Ed. 1.2.2017, AsylG § 55 Rn. 15 f. mwN; Bergmann in Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 11. Aufl., § 55 AsylG Rn. 12). Dem entspricht es, dass ein Zweitantrag einer Haftanordnung nicht entgegensteht, es sei denn, es wird ein weiteres Asylverfahren durchgeführt (§ 71a Abs. 2 Satz 3 i.V.m. § 71 Abs. 8 AsylG).
bb) (1) Hier hat das Bundesamt mit Bescheid vom 6. Dezember 2016 den Asylantrag des Betroffenen vom 11. Januar 2013 als Zweitantrag i.S.d. § 71a AsylG qualifiziert mit der Begründung, der Betroffene habe bereits in Italien ein Asylverfahren erfolglos betrieben und die Überstellung nach Italien sei nicht innerhalb der Überstellungsfrist gemäß der Dublin-II-Verordnung erfolgt. Der Antrag sei als unzulässig abzulehnen, da die Voraussetzungen für die Durchführung eines weiteren Asylverfahrens nicht vorlägen.
(2) Es kann dahinstehen, ob die Annahme des Bundesamtes in der Sache zutrifft (vgl. hierzu BVerwG, ZAR 2017, 236, 238 ff.; VGH Mannheim, Beschluss vom 19. Januar 2015 - A 11 S 2508/14, juris Rn. 8). Nach der ständigen Rechtsprechung des Senats hat der Haftrichter nämlich nicht zu prüfen, ob die zuständige Behörde die Abschiebung bzw. Zurückschiebung oder - wie hier - die Zurückweisung zu Recht betreibt; denn die Tätigkeit der Verwaltungsbehörden unterliegt allein der Kontrolle durch die Verwaltungsgerichtsbarkeit (Senat, Beschluss vom 16. Dezember 2009 - V ZB 148/09, FGPrax 2010, 50 Rn. 7; Beschluss vom 6. Mai 2010 - V ZB 193/09, InfAuslR 2010, 361 Rn. 19). Deshalb waren das Amtsgericht und das Beschwerdegericht - Entsprechendes gilt für den Senat als Rechtsbeschwerdegericht - an die Ablehnung des als Zweitantrag i.S.d. § 71a AsylG qualifizierten Asylantrags durch das Bundesamt gebunden.
(3) Der Bescheid des Bundesamtes vom 6. Dezember 2016 war dem Haftantrag der beteiligten Behörde vom gleichen Tag als Anlage beigefügt. Er lag dem Haftrichter deshalb bei Erlass der Haftanordnung am 9. Dezember 2016 vor und war von ihm zu beachten.
Der Bescheid war zu diesem Zeitpunkt bereits existent, da er den Innenbereich der Verwaltung verlassen hatte. Ob hierfür die Bekanntgabe an die beteiligte Behörde, die - der Regelung des § 24 Abs. 3 Nr. 1 AsylG entsprechend - von dem Bundesamt über die Entscheidung unterrichtet worden war, ausreicht, kann offen bleiben. Es ist nämlich davon auszugehen, dass der Bescheid am 9. Dezember 2016 auch dem Betroffenen als Beteiligten i.S.d. § 41 Abs. 1 VwVfG bekannt war (vgl. zu den Voraussetzungen für die rechtliche Existenz eines Verwaltungsakts Senat, Urteil vom 19. Juni 1998 - V ZR 43/97, NJW 1998, 3055, 3056; BeckOK VwVfG/Tiedemann, 36. Edition, § 41 Rn. 50 f. mwN). In der am 9. Dezember 2016 von dem Amtsgericht durchgeführten Anhörung ist dem Betroffenen der Haftantrag der beteiligten Behörde ausgehändigt und von einem Dolmetscher übersetzt worden. In dem Haftantrag ist der ausdrückliche Hinweis enthalten, dass mit Bescheid des Bundesamtes vom 6. Dezember 2016 das Asylverfahren abgelehnt worden sei. Dass ihm dieser Bescheid nicht bekannt sei, hat der Betroffene in der Anhörung nicht geltend gemacht. Auch in der Rechtsbeschwerde wird nicht behauptet, der Bescheid sei dem Betroffenen am 9. Dezember 2016 noch nicht ausgehändigt gewesen. Es wird lediglich beanstandet, es fehle an der Feststellung, wann der Bescheid zugestellt worden sei. Aus der Zustellungsurkunde vom 8. Dezember 2016 ergebe sich lediglich die Zustellung an diesem Tag an einen zum Empfang ermächtigten Vertreter des Leiters der Hafteinrichtung. Dies ist zutreffend, allerdings ist in einem solchen Fall die Zustellung gemäß § 10 Abs. 4 Satz 4 Halbs. 1 AsylG mit der Aushändigung an den Ausländer bewirkt.
Unabhängig davon genügt es für die hier allein interessierende Frage der Bindung des Haftrichters an eine behördliche Entscheidung, dass am 9. Dezember 2016 objektiv feststand, dass spätestens am 11. Dezember 2016 und damit zeitnah nach der Anhörung und der Entscheidung des Amtsgerichts die Zustellungswirkung eintrat. Gemäß § 10 Abs. 4 Satz 4 Halbs. 2 AsylG gilt nämlich die Zustellung ungeachtet der Aushändigung an den Ausländer am dritten Tag nach Übergabe an die Aufnahmeeinrichtung als bewirkt.
(4) Dass der Bescheid des Bundesamtes im Zeitpunkt der Haftanordnung noch nicht unanfechtbar und die in dem Bescheid enthaltene Abschiebungsandrohung noch nicht vollziehbar war, ist entgegen der weiteren Rüge der Rechtsbeschwerde für die Frage der Rechtmäßigkeit der Haftanordnung unerheblich. Gemäß § 15 Abs. 4 AufenthG darf zwar ein Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, nicht zurückgewiesen werden, solange ihm der Aufenthalt im Bundesgebiet nach den Vorschriften des Asylgesetzes gestattet ist. Hieran fehlt es aber, weil - wie ausgeführt - ein Zweitantrag i.S.d. § 71a Abs. 1 AsylG, von dem hier aufgrund der Bindung an den Bescheid des Bundesamtes auszugehen ist, nicht zu einer Aufenthaltsgestattung, sondern nur zu einer Duldung führt.
IV.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 84 FamFG, die Festsetzung des Gegenstandswerts auf § 36 Abs. 3 GNotKG.
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