Bundesgerichtshof

Entscheidungsdatum: 16.09.2015


BGH 16.09.2015 - V ZB 54/15

Wiedereinsetzung: Verschuldensvorwurf bei Fristversäumung wegen fehlerhafter Angabe des Rechtsmittelgerichts; Umfang der anwaltlichen Kontrollpflicht


Gericht:
Bundesgerichtshof
Spruchkörper:
5. Zivilsenat
Entscheidungsdatum:
16.09.2015
Aktenzeichen:
V ZB 54/15
Dokumenttyp:
Beschluss
Vorinstanz:
vorgehend OLG Frankfurt, 23. Februar 2015, Az: 17 U 11/15, Beschlussvorgehend LG Frankfurt, 12. November 2014, Az: 2-30 O 179/13
Zitierte Gesetze

Tenor

Auf die Rechtsbeschwerde des Klägers wird der Beschluss des 17. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main vom 23. Februar 2015 aufgehoben.

Dem Kläger wird Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsfrist gewährt.

Die Sache wird zur Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens beträgt 180.000 €.

Gründe

I.

1

Die Parteien streiten um eine Verpflichtung der Beklagten zur Abgabe einer Löschungsbewilligung bezüglich einer Grundschuld. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Gegen das ihm am 13. November 2014 zugestellte Urteil hat der Kläger durch einen an das Landgericht adressierten Schriftsatz Berufung eingelegt, der am 10. Dezember 2014 bei den Justizbehörden in Frankfurt am Main und am 9. Januar 2015 bei dem Oberlandesgericht eingegangen ist. Am 13. Januar 2015 hat der Kläger die Berufung begründet und gleichzeitig beantragt, ihm gegen die Versäumung der Berufungsfrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren.

2

Zur Begründung des Wiedereinsetzungsgesuchs hat er sich darauf berufen, dass die Fehladressierung der Berufungsschrift auf ein ihm nicht zurechenbares Verschulden der Kanzleiangestellten seines Prozessbevollmächtigten zurückzuführen sei. Die geschulte und stets zuverlässige Bürokraft habe entgegen dem Diktat nicht das Oberlandesgericht, sondern das Landgericht als Adressat der Berufungsschrift angegeben. Deshalb habe sein Prozessbevollmächtigter handschriftlich auf der ersten Seite des Schriftsatzes das Landgericht als Adressat durchgestrichen und daneben jeweils das Oberlandesgericht vermerkt. Die zweite Seite der Berufungsschrift habe er unterschrieben, im Anschluss der Angestellten den richtigen Adressaten genannt und sie angewiesen, lediglich die erste Seite auszutauschen, da der Schriftsatz auf der zweiten Seite bereits unterzeichnet gewesen sei. Die Korrektur von Schriftsätzen sei im Büro des Prozessbevollmächtigten generell so organisiert, dass nach der ersten Korrekturanweisung durch den zuständigen Rechtsanwalt die Korrekturen umgehend ausgeführt und sodann der Schriftsatz dem jeweiligen Rechtsanwalt ein weiteres Mal zur Durchsicht vorgelegt werde. Die Angestellte habe dann zwar die erste Seite des Berufungsschriftsatzes noch einmal ausgedruckt, jedoch infolge einer - nach ihren Angaben auf der Arbeitsüberlastung vor Weihnachten und mehreren Unterbrechungen der Arbeit durch Mandantenanrufe beruhenden - Unaufmerksamkeit vergessen, die Adressenkorrektur durchzuführen. Da sie den in einer Mandantenbesprechung befindlichen Prozessbevollmächtigten des Klägers nicht habe stören wollen, habe sie den Schriftsatz anschließend einem Mitarbeiter zur Abgabe in der Poststelle der Justizbehörden in Frankfurt mitgegeben.

3

Das Oberlandesgericht hat den Wiedereinsetzungsantrag zurückgewiesen und die Berufung des Klägers als unzulässig verworfen. Dagegen richtet sich die Rechtsbeschwerde des Klägers.

II.

4

Nach Ansicht des Berufungsgerichts ist die Berufungsfrist nicht ohne ein dem Kläger zuzurechnendes Verschulden seines Prozessbevollmächtigten (§§ 233, 85 Abs. 2 ZPO) versäumt worden. Dem Erfordernis, die Rechtsmittelschrift vor deren Unterzeichnung auf ihre Vollständigkeit und Richtigkeit, darunter auch die richtige Bezeichnung des Rechtsmittelgerichts zu überprüfen, sei er nur teilweise nachgekommen. Die generelle Anweisung in dessen Büro, Korrekturen umgehend auszuführen und dem jeweiligen Rechtsanwalt ein weiteres Mal zur Durchsicht vorzulegen, sei im konkreten Fall nicht geeignet gewesen sicherzustellen, dass das Rechtsmittel innerhalb der Rechtsmittelfrist bei dem zuständigen Gericht eingehe. Im Dezember 2014 habe es nämlich eine hohe Arbeitsauslastung der Kanzleiangestellten gegeben, die auch für die Annahme von Telefongesprächen zuständig gewesen und bei der Korrektur mehrfach unterbrochen worden sei. Mangels konkreter Anweisung der Wiedervorlage zur Überprüfung habe es sehr nahe gelegen, dass ein schlichter Austausch der ersten Seite der Berufungsschrift unter sofortiger Weiterleitung an das Rechtsmittelgericht ohne erneute Vorlegung an den Rechtsanwalt haben erfolgen können. Die Nichtausführung der Korrektur hätte sich nur verhindern lassen, wenn konkret die Anweisung erteilt worden wäre, den Schriftsatz zur erneuten Überprüfung vorzulegen oder aber die Unterschrift unter der zweiten Seite des Schriftsatzes bis zur Durchführung der Korrektur unterblieben wäre.

III.

5

1. Die Rechtsbeschwerde ist gemäß § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 522 Abs. 1 Satz 4, § 238 Abs. 2 Satz 1 ZPO statthaft. Sie ist auch im Übrigen zulässig. Die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erfordert eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts (§ 574 Abs. 2 Nr. 2, 2. Alt. ZPO), weil das Berufungsgericht die Anforderungen an das, was eine Partei veranlasst haben muss, um Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu erlangen, überspannt und dadurch den Anspruch des Klägers auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes (Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip) verletzt hat (vgl. Senat, Beschluss vom 28. Juni 2007 - V ZB 187/06, MDR 2007, 1276 Rn. 5; BGH, Beschluss vom 12. November 2013 - VI ZB 4/13, NJW 2014, 700 Rn. 5 mwN).

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2. Die Rechtsbeschwerde hat auch in der Sache Erfolg.

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a) Das Berufungsgericht geht allerdings zutreffend davon aus, dass der Kläger die Berufungsfrist (§ 517 ZPO) versäumt hat. Auch wenn eine Rechtsmittelschrift - wie hier - bei einer gemeinsamen Briefannahmestelle für mehrere Gerichte eingeht, ist ein solcher Schriftsatz grundsätzlich allein bei dem Gericht eingereicht, an das er adressiert ist (BGH, Beschluss vom 4. November 1992 - XII ZB 120/92, NJW-RR 1993, 254; Beschluss vom 17. August 2011 - I ZB 21/11, NJW-RR 2012, 122 Rn. 9). Da der am 10. Dezember 2014 und damit innerhalb der am 15. Dezember 2014 (Montag) ablaufenden Berufungsfrist bei den Justizbehörden in Frankfurt eingegangene Schriftsatz an das unzuständige Landgericht adressiert war, kommt ihm keine fristwahrende Wirkung zu. Bei dem zuständigen Oberlandesgericht ist die Berufung erst nach Fristablauf am 9. Januar 2015 eingegangen.

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b) Rechtsfehlerhaft ist jedoch die Begründung, mit der das Berufungsgericht den Antrag des Klägers auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsfrist (§§ 233, 234 ZPO) abgelehnt hat. Es überspannt die Anforderungen an die Sorgfaltspflichten eines Rechtsanwalts. Auf der Grundlage des von dem Berufungsgericht als glaubhaft angesehenen Vortrags des Klägers lässt sich ein ihm gemäß § 85 Abs. 2 ZPO zuzurechnendes Verschulden seines Prozessbevollmächtigten nicht begründen.

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aa) Die Anfertigung einer Rechtsmittelschrift gehört zu den Aufgaben, die der Rechtsanwalt seinem angestellten Büropersonal nicht übertragen darf, ohne das Arbeitsergebnis selbst sorgfältig zu überprüfen. Die Aufgabe darf in einem so gewichtigen Teil wie der Bezeichnung des Rechtsmittelgerichts auch gut geschultem und erfahrenem Personal eines Rechtsanwalts nicht eigenverantwortlich überlassen werden. Der Prozessbevollmächtigte einer Partei muss die Rechtsmittelschrift deswegen vor der Unterzeichnung auf die Vollständigkeit, darunter auch auf die richtige Bezeichnung des Rechtsmittelgerichts, überprüfen (BGH, Beschluss vom 5. Juni 2013 - XII ZB 47/10, NJW-RR 2013, 1393 Rn. 11 mwN). Diesen Sorgfaltsanforderungen ist der Prozessbevollmächtigte des Klägers nachgekommen. Ihm ist der Fehler hinsichtlich der Bezeichnung des Berufungsgerichts nach Vorlage des Diktats aufgefallen.

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bb) Auch die Anweisung an seine Angestellte, die erste Seite der Berufungsschrift zu korrigieren und auszutauschen und die zweite, bereits von ihm unterzeichnete Seite beizubehalten, rechtfertigt keinen Verschuldensvorwurf.

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(1) Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist ein der Partei zuzurechnendes Verschulden ihres Anwalts an der Fristversäumung grundsätzlich nicht gegeben, wenn der Rechtsanwalt einer Kanzleiangestellten, die sich bisher als zuverlässig erwiesen hat, eine konkrete Einzelweisung erteilt, die bei Befolgung die Fristwahrung gewährleistet hätte. Ein Rechtsanwalt darf darauf vertrauen, dass eine solche Büroangestellte eine konkrete Einzelanweisung befolgt. Ihn trifft unter diesen Umständen nicht die Verpflichtung, sich anschließend über die Ausführung seiner Weisung zu vergewissern (BGH, Beschluss vom 21. April 2010 - XII ZB 64/09, NJW 2010, 2286 Rn. 11). Dies gilt auch in den Fällen, in denen der Rechtsanwalt seine Angestellte anweist, die falsche Bezeichnung des Berufungsgerichts zu korrigieren und er die Berufungsschrift vor der von ihm für erforderlich gehaltenen Korrektur unterzeichnet hat (BGH, Beschluss vom 30. Oktober 2008 - III ZB 54/08, NJW 2009, 296 Rn. 9 f.; vom 13. April 2010 - VI ZB 65/08, NJW 2010, 2287 Rn. 5 f.). Wenn die Anweisung allerdings nur mündlich erteilt wird, müssen ausreichende Vorkehrungen dagegen getroffen werden, dass die Erledigung nicht in Vergessenheit gerät (BGH, Beschluss vom 5. Juni 2013 - XII ZB 47/10, NJW-RR 2013, 1393 Rn. 12 mwN). Hierzu genügt es, wenn der Rechtsanwalt seine Korrekturanweisung auf dem zu korrigierenden Schriftsatz schriftlich vermerkt hat (BGH, Beschluss vom 30. Oktober 2008 - III ZB 54/08, NJW 2009, 296 Rn. 13).

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(2) Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze durfte der Prozessbevollmächtigte des Klägers darauf vertrauen, dass die Angestellte seinen Anweisungen Folge leistete. In diesem Fall wäre die Berufungsfrist gewahrt worden. Da er den Schriftsatz selbst handschriftlich korrigiert hatte, musste er auch nicht die Sorge haben, dass seine Anweisung in Vergessenheit geriet. Dies gilt auch im Hinblick auf die von dem Berufungsgericht in den Vordergrund gestellte hohe Arbeitsauslastung der Angestellten. Die konkrete Anweisung zur Durchführung der Korrektur bot zusammen mit den handschriftlichen Anmerkungen auf dem zu korrigierenden Schriftsatz die Gewähr für eine fristgerechte Einreichung der Berufungsschrift. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts hatte der Prozessbevollmächtigte nicht die darüber hinaus gehende Pflicht, entweder die Angestellte anzuweisen, den Schriftsatz zur erneuten Überprüfung vorzulegen, oder aber die Unterschrift bis zur Durchführung der Korrektur zu unterlassen. Verschuldensmaßstab ist nicht die äußerste und größtmögliche Sorgfalt, sondern die von einem ordentlichen Rechtsanwalt zu fordernde übliche Sorgfalt (BGH, Beschluss vom 17. August 2011 - I ZB 21/11, NJW-RR 2012, 122 Rn. 12). Diese hat der Prozessbevollmächtigte des Klägers gewahrt.

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cc) Schließlich kann dem Prozessbevollmächtigten des Klägers ein Verschulden auch nicht deshalb angelastet werden, weil er nichts unternahm, nachdem ihm seine Mitarbeiterin entgegen der allgemeinen Weisung den Schriftsatz vor der Versendung nicht noch einmal zur Durchsicht vorgelegt hatte. Eine solche, über das gebotene Maß hinausgehende Anordnung kann nicht zu einer Verschärfung der den Rechtsanwalt treffenden Sorgfaltspflichten führen (BGH, Beschluss vom 30. Oktober 2008 - III ZB 54/08, NJW 2009, 296 Rn. 11; Beschluss vom 6. Dezember 2006 - XII ZB 99/06, NJW 2007, 1455, Rn. 8).

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