Entscheidungsdatum: 13.04.2010
Ein Rechtsanwalt darf grundsätzlich darauf vertrauen, dass eine Büroangestellte, die sich bisher als zuverlässig erwiesen hat, die konkrete Einzelanweisung befolgt, die von ihm unterzeichnete Berufungsschrift dahin zu berichtigen, dass auf der durchgestrichenen ersten Seite die Adresse des Landgerichts durch die Adresse des Oberlandesgerichts ersetzt und die Berufungsschrift anschließend per Fax an dieses Gericht übermittelt wird .
Auf die Rechtsbeschwerde der Kläger wird der Beschluss des 2. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Naumburg vom 16. September 2008 aufgehoben.
Den Klägern wird Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsfrist gewährt.
Die Sache wird zur Verhandlung und Entscheidung über die Berufung der Kläger an das Berufungsgericht zurückverwiesen, dem auch die Entscheidung über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens vorbehalten bleibt.
Der Gegenstandswert für das Rechtsbeschwerdeverfahren wird auf insgesamt 12.657,61 € (Kläger zu 1: 4.205,27 €; Klägerin zu 2: 8.452,34 €) festgesetzt.
Die Kläger nehmen den Beklagten auf Schadensersatz aus einem Verkehrsunfall vom 15. Februar 2007 in Anspruch. Der Beklagte hat widerklagend Ersatz seiner vorgerichtlichen Anwaltskosten begehrt. Mit Urteil vom 12. Juni 2008 hat das Landgericht Klage und Widerklage abgewiesen. Gegen das ihnen am 20. Juni 2008 zugestellte Urteil haben die Kläger mit einem an das Landgericht gerichteten anwaltlichen Schriftsatz vom 18. Juli 2008, dort per Post am 21. Juli 2008 eingegangen, Berufung eingelegt. Das Landgericht hat die Berufung an das Oberlandesgericht weitergeleitet, wo sie am 23. Juli 2008 eingetroffen ist.
Nach einem Hinweis des Senatsvorsitzenden des Berufungsgerichts auf die Versäumung der Berufungsfrist haben die Kläger Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt und hierzu durch eidesstattliche Versicherung glaubhaft gemacht, ihr Prozessbevollmächtigter habe seine Rechtsanwaltsfachangestellte M. am 18. Juli 2008 nach Eingang der Deckungszusage des Rechtsschutzversicherers gegen 14.20 Uhr angewiesen, die Berufungsschrift an das Berufungsgericht zu fertigen, weil die Berufung wegen des Fristablaufs am 21. Juli 2008 noch an diesem Tage per Telefax habe eingelegt werden sollen. Die Rechtsanwaltsfachangestellte habe daraufhin die Berufungsschrift, bestehend aus zwei Seiten, mit dem Vermerk "vorab per Fax" gefertigt und dem Prozessbevollmächtigten zur Unterschrift vorgelegt, allerdings adressiert an das Landgericht Magdeburg mit dessen Faxnummer. Dem Prozessbevollmächtigten der Kläger sei dieser Fehler aufgefallen. Daraufhin habe er die erste Seite der Berufungsschrift durchgestrichen und mit dem Vermerk "an das Oberlandesgericht Naumburg" versehen, die zweite Seite unterschrieben und die Rechtsanwaltsfachangestellte angewiesen, die Berufungsschrift entsprechend zu korrigieren und vorab per Fax an das Oberlandesgericht zu senden. Außerdem habe er sie angewiesen, ihm die in dem Schriftsatz ausgeführte Korrektur vor seiner Absendung nochmals zur Sichtung vorzulegen. Die - sonst fehlerfrei arbeitende - Rechtsanwaltsfachangestellte sei dieser Anweisung jedoch nicht (vollständig) gefolgt. Sie habe die Berufungsschrift zwar korrigiert, das Dokument jedoch infolge eingehender Telefonate ohne die Korrektur gespeichert. Beim erneuten Ausdruck der ersten Seite der Berufungsschrift sei unbemerkt geblieben, dass hierauf immer noch das Landgericht als Empfänger und dessen Faxnummer gestanden hätten. Die ausdrückliche Nachfrage des Prozessbevollmächtigten vom Montag, den 21. Juli 2008 habe die Angestellte wahrheitswidrig dahin beantwortet, dass sie die Berufung an das Oberlandesgericht gerichtet und den Eingang überprüft habe. Daraufhin habe der Klägervertreter den Fristenkalender abgezeichnet.
Mit dem angefochtenen Beschluss hat das Oberlandesgericht die begehrte Wiedereinsetzung versagt und die Berufung der Kläger als unzulässig verworfen, weil diese die Berufungsfrist nicht ohne Verschulden ihres Prozessbevollmächtigten versäumt hätten. Die wesentliche Ursache der Fristversäumung habe in der Unterzeichnung eines falsch adressierten Berufungsschriftsatzes durch ihren Prozessbevollmächtigten am 18. Juli 2008 gelegen. Hiermit habe er diesen Schriftsatz trotz des Streichvermerkes auf der ersten Seite autorisiert und sich einer zwingenden Kontrollmöglichkeit begeben. Die Neufertigung der ersten Seite der Berufungsschrift habe er nicht seiner Kanzleiangestellten überlassen dürfen. Denn die Anfertigung von Rechtsmittel- oder Rechtsbehelfsbegründungsschriften sei eine eigenverantwortliche Tätigkeit des Rechtsanwalts, so dass der Rechtsanwalt eine von seinem Büro gefertigte Rechtsmittel- oder Rechtsbehelfsbegründungsschrift vor der Unterzeichnung persönlich auf Richtigkeit und Vollständigkeit überprüfen müsse. Eine weitere Ursache habe ihr Prozessbevollmächtigter gesetzt, als er am Montag die Berufungsfrist als erledigt abgezeichnet habe, ohne sich selbst über die Fristeinhaltung zu vergewissern. Angesichts der von ihm selbst erkannten Ungewissheit über die richtige Adressierung der Berufungsschrift, die ihn veranlasst habe, ausdrücklich bei der Angestellten nachzufragen, ob die Berufung auch beim Oberlandesgericht eingegangen sei und ob sie den Eingang auch überprüft habe, habe er es bei der Abzeichnung der Berufungsfrist nicht bei der Erkundigung bei der Fachangestellten belassen dürfen.
II.
Die Rechtsbeschwerde der Kläger ist gemäß §§ 522 Abs. 1 Satz 4, 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO statthaft. Sie ist auch im Übrigen zulässig, denn die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erfordert eine Entscheidung des Senats (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 ZPO). Der angefochtene Beschluss verletzt die Kläger in ihrem verfassungsrechtlich gewährleisteten Anspruch auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes (vgl. Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip). Dieser verbietet es, einer Partei die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand aufgrund von Anforderungen an die Sorgfaltspflichten ihres Prozessbevollmächtigten zu versagen, die nach höchstrichterlicher Rechtsprechung nicht verlangt werden (vgl. BVerfGE 79, 372, 376 f.; BVerfG NJW-RR 2002, 1004).
1. Das Berufungsgericht übersieht, dass nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ein der Partei zuzurechnendes Verschulden ihres Anwalts (§§ 85 Abs. 2, 233 ZPO) an der Fristversäumung grundsätzlich nicht gegeben ist, wenn der Rechtsanwalt einer Kanzleiangestellten, die sich bisher als zuverlässig erwiesen hat, eine konkrete Einzelanweisung erteilt, die bei Befolgung die Fristwahrung gewährleistet hätte (vgl. Senatsbeschlüsse vom 6. Oktober 1987 - VI ZR 43/87 - VersR 1988, 185, 186 und vom 9. Dezember 2003 - VI ZB 26/03 - VersR 2005, 138; BGH, Beschlüsse vom 26. September 1995 - XI ZB 13/95 - VersR 1996, 348; vom 18. März 1998 - XII ZB 180/96, NJW-RR 1998, 1360; vom 6. Juli 2000 - VII ZB 4/00 - NJW 2000, 2823; vom 2. Juli 2001 - II ZB 28/00 - NJW-RR 2002, 60; vom 1. Juli 2002 - II ZB 11/01 - VersR 2003, 389; vom 23. Oktober 2003 - V ZB 28/03 - NJW 2004, 266; vom 20. Oktober 2008 - III ZB 54/08 - NJW 2009, 296, 297 und vom 4. Februar 2010 - I ZB 3/09 - z.V.b.).
Ein Rechtsanwalt darf grundsätzlich darauf vertrauen, dass eine Büroangestellte, die sich bisher als zuverlässig erwiesen hat, eine konkrete Einzelanweisung befolgt (vgl. Senatsbeschluss vom 9. Dezember 2003 - VI ZB 26/03 - und BGH, Beschluss vom 20. Oktober 2008 - III ZB 54/08, jeweils aaO m.w.N.). So liegt der Fall hier, denn der Prozessbevollmächtigte der Kläger hatte seiner Angestellten M. konkret aufgetragen, die von ihm unterzeichnete Berufungsschrift zu berichtigen, dazu die erste Seite des Schriftsatzes auszutauschen und die Berufungsschrift anschließend per Fax an das Oberlandesgericht zu übermitteln. Hätte M. diese Einzelanweisung befolgt, wäre die Berufungsfrist gewahrt worden. Dafür, dass die organisatorischen Vorkehrungen zur ordnungsgemäßen Ausgangskontrolle für diesen Fall ungeeignet gewesen wären (vgl. BGH, Beschluss vom 23. Oktober 2003 - V ZB 28/03 - aaO), sind keine Anhaltspunkte ersichtlich.
2. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts traf den Prozessbevollmächtigten der Kläger nicht die Pflicht, die ordnungsgemäße Ausführung der Korrektur zu überprüfen; eine besondere Kontrolle wäre allenfalls dann erforderlich gewesen, wenn die Rechtsmittelschrift mehrere für die Zulässigkeit relevante Fehler aufgewiesen hätte (vgl. Senatsbeschluss vom 9. Dezember 2003 - VI ZB 26/03 - und BGH, Beschluss vom 20. Oktober 2008 - III ZB 54/08 - jeweils aaO m.w.N.). Dies war hier nicht der Fall. Wenn die Berufungsschrift entsprechend der Anordnung des Prozessbevollmächtigten korrigiert worden wäre, wäre sie an das richtige Gericht mit dessen Faxnummer adressiert worden und dort rechtzeitig vor Ablauf der Berufungsfrist eingegangen. Dem Prozessbevollmächtigten kann nicht als Verschulden angelastet werden, dass er die Berufungsschrift vor der von ihm für erforderlich gehaltenen Korrektur unterzeichnet hat (vgl. BGH, Beschluss vom 20. Oktober 2008 - III ZB 54/08 - aaO; vom 27. Februar 2003 - III ZB 82/02 - NJW-RR 2003, 934, 935; vom 4. November 1981 - VIII ZB 59 + 60/81 - NJW 1982, 2670, 2671). Auch trifft ihn nicht die Verpflichtung, sich anschließend über die Ausführung seiner Weisung zu vergewissern. Die Anforderungen an die anwaltliche Sorgfalt würden überspannt, wollte man verlangen, dass er bei einer Angestellten, an deren Zuverlässigkeit keine Zweifel bestehen, die Vornahme einer einfachen Berichtigung der falschen Adressierung zu kontrollieren habe (vgl. BGH, Beschluss vom 20. Oktober 2008 - III ZB 54/08 - aaO). Wenn er gleichwohl am Montag, den 21. Juli 2008, noch einmal nach der gehörigen Ausführung der Einzelanweisung nachfragte, kann ihm dies nicht zum Nachteil gereichen (vgl. BGH, Beschluss vom 20. Oktober 2008 - III ZB 54/08 - aaO).
3. Da der Prozessbevollmächtigte der Kläger mithin glaubhaft gemacht hat, dass er ohne Verschulden an der Einhaltung der Berufungsfrist gehindert war, ist den Klägern unter Aufhebung des angefochtenen Beschlusses Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung dieser Frist zu gewähren (§ 233 ZPO) und die Sache zur Verhandlung und Entscheidung über die Berufung der Kläger an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.
Zoll Wellner Pauge
Stöhr von Pentz