Bundesgerichtshof

Entscheidungsdatum: 11.01.2018


BGH 11.01.2018 - V ZB 28/17

Rücküberstellungshaft: Erforderlichkeit der erneuten Anhörung des Betroffenen durch das Beschwerdegericht; Verwendung der Daten im Eurodac-Register; Pflicht zur Belehrung des Betroffenen über ein Ausreiseverbot


Gericht:
Bundesgerichtshof
Spruchkörper:
5. Zivilsenat
Entscheidungsdatum:
11.01.2018
Aktenzeichen:
V ZB 28/17
ECLI:
ECLI:DE:BGH:2018:110118BVZB28.17.0
Dokumenttyp:
Beschluss
Vorinstanz:
vorgehend LG Aachen, 20. Dezember 2016, Az: 15 T 14/16vorgehend AG Aachen, 1. September 2016, Az: 622 a XIV (B) 92/16
Zitierte Gesetze
Art 28 Abs 2 EUV 604/2013

Leitsätze

1. Das Beschwerdegericht muss den Betroffenen grundsätzlich nicht erneut anhören, wenn es den unter Anhörung des Betroffenen festgestellten Sachverhalt lediglich einem anderen der gesetzlich festgelegten Anhaltspunkte für das Vorliegen einer (erheblichen) Fluchtgefahr zuordnen will als das Amtsgericht.

2. Die beteiligten Behörden und die Haftgerichte können sich im Grundsatz auf die Richtigkeit und Vollständigkeit der Daten in dem Eurodac-Register verlassen und insbesondere darauf vertrauen, dass ein als offen ausgewiesenes Asylverfahren noch nicht abgeschlossen ist.

3. Die Vorschrift des § 2 Abs. 15 Satz 2 AufenthG setzt eine Belehrung des Betroffenen darüber, dass er vor Abschluss des Verfahrens im Erstaufnahmestaat nicht in einen anderen Mitgliedstaat reisen darf, nicht voraus.

Tenor

Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss der 15. Zivilkammer des Landgerichts Aachen vom 20. Dezember 2016 wird auf Kosten des Betroffenen zurückgewiesen.

Der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens beträgt 5.000 €.

Gründe

I.

1

Der Betroffene, ein algerischer Staatsangehöriger, reiste am 31. August 2016 ohne gültige Identitätspapiere und ohne Aufenthaltserlaubnis mit dem Zug aus Belgien nach Deutschland ein, wo er im Hauptbahnhof Aachen von Beamten der beteiligten Behörde festgenommen wurde. Eine Recherche in dem Eurodac-Register ergab, dass der Betroffene am 11. April 2016 in Spanien erkennungsdienstlich behandelt und als Asylbewerber registriert worden war. Die beteiligte Behörde leitete daraufhin ein Verfahren zur Rücküberstellung des Betroffenen nach Spanien ein.

2

Auf ihren Antrag hat das Amtsgericht am 1. September 2016 gegen den Betroffenen Haft zur Sicherung seiner Rücküberstellung nach Spanien bis zum 13. Oktober 2016 angeordnet. Während des Beschwerdeverfahrens ist der Betroffene am 10. Oktober 2016 nach Spanien rücküberstellt worden. Seine mit dem Antrag auf Feststellung der Rechtswidrigkeit der angeordneten Haft fortgeführte Beschwerde hat das Beschwerdegericht zurückgewiesen. Mit der Rechtsbeschwerde, deren Zurückweisung die beteiligte Behörde beantragt, verfolgt der Betroffene seinen Feststellungsantrag weiter.

II.

3

Nach Auffassung des Beschwerdegerichts ist die Haftanordnung rechtmäßig. Ihr liege ein zulässiger Haftantrag zugrunde. Die Haft habe nach Art. 28 der Dublin-III-Verordnung nur angeordnet werden dürfen, wenn eine erhebliche Fluchtgefahr vorliege, sie verhältnismäßig sei und sich weniger einschneidende Maßnahmen nicht wirksam anwenden ließen. Diese Voraussetzungen hätten vorgelegen. Die Fluchtgefahr lasse sich zwar nicht aus dem in § 62 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 AufenthG geregelten Haftgrund der unerlaubten Einreise ableiten, wohl aber aus § 2 Abs. 15 Satz 2 AufenthG. Danach könne ein Anhaltspunkt für Fluchtgefahr gegeben sein, wenn der Ausländer einen Mitgliedstaat vor Ablauf eines dort laufenden Verfahrens verlassen habe und die Umstände der Feststellung im Bundesgebiet konkret darauf hindeuteten, dass er den zuständigen Mitgliedstaat in absehbarer Zeit nicht aufsuchen wolle. Das Verlassen des zuständigen Mitgliedstaats vor Abschluss des Verfahrens genüge zwar nach Art. 28 Abs. 1 der Dublin-III-Verordnung allein nicht. Vielmehr müssten die Umstände der Auffindesituation den Rückschluss zulassen, dass eine erhebliche Fluchtgefahr bestehe. So liege es hier aber. Der Betroffene sei aus Spanien über Belgien nach Deutschland eingereist, um hier zu arbeiten und Geld für seine Familie zu verdienen, nachdem er in Spanien keine Arbeit gefunden habe. Diese Angaben sprächen dafür, dass die Einreise und der Aufenthalt in Deutschland nicht nur kurzfristiger Natur gewesen seien. Anhaltspunkte dafür, dass der Betroffene beabsichtige, in absehbarer Zeit wieder nach Spanien zurückzukehren, wo es für ihn keine Arbeit gegeben habe, bestünden nicht. Das Amtsgericht habe auch zu Recht angenommen, dass die angeordnete Haft von etwa sechs Wochen erforderlich gewesen sei. Dass die Rücküberstellung des Betroffenen nach Spanien mit milderen Mitteln zu erreichen gewesen sei, sei nicht ersichtlich.

III.

4

Diese Erwägungen halten einer rechtlichen Prüfung stand. Die Zurückweisung des Feststellungsantrags des Betroffenen gemäß § 62 FamFG durch das Beschwerdegericht, um die es hier nur noch geht (vgl. Senat, Beschluss vom 22. Juli 2010 - V ZB 29/10, InfAuslR 2011, 27 Rn. 4), ist nicht zu beanstanden.

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1. Der Haftanordnung liegt ein zulässiger Haftantrag zugrunde. Das Vorliegen einer Rückkehrentscheidung gehört zwar zu den Vollstreckungsvoraussetzungen, die nach § 417 Abs. 2 Satz 2 Nr. 5 FamFG in dem Haftantrag darzulegen sind (Senat, Beschluss vom 14. Juli 2016 - V ZB 32/15, InfAuslR 2016, 432 Rn. 10). Dieser Anforderung genügt der Haftantrag der beteiligten Behörde aber. Auf Seite 3 des Antrags heißt es unter „e) (Durchführbarkeit der Anordnung und Zurückführung)“ u.a.: „Eine entsprechende Zurückschiebungsverfügung wurde ihm [der Betroffene] bereits eröffnet und ausgehändigt.“ Eine Kopie dieser Zurückschiebungsverfügung, auf welcher der Betroffene den Empfang einer Kopie bestätigt hat, befindet sich auf Blatt 15 des Rückführungsvorgangs der beteiligten Behörde, den diese mit dem Haftantrag in Kopie vorgelegt hat.

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2. Die Haftanordnung ist entgegen der Ansicht des Betroffenen nicht deshalb rechtswidrig, weil das Vorliegen der Rückkehrentscheidung in der Haftanordnung nicht förmlich festgestellt wird. Der Richter darf eine Haft zwar nicht anordnen, wenn die Rückkehrentscheidung als Vollstreckungsvoraussetzung fehlt. Er muss deshalb prüfen, ob sie vorliegt (Senat, Beschluss vom 14. Juli 2016 - V ZB 32/15, InfAuslR 2016, 432 Rn. 9). Die bloße Nichterwähnung einer Rückkehrentscheidung in der Haftanordnung ergibt aber weder, dass der Haftrichter ihr Vorliegen nicht geprüft hat, noch, dass sie nicht ergangen ist. Vielmehr ist davon auszugehen, dass der Haftrichter die Angaben der beteiligten Behörde in ihrem Haftantrag überprüft und sich jedenfalls anhand der ihm vorgelegten Unterlagen, zu denen hier auch eine Kopie des Rückführungsvorgangs gehörte, vergewissert hat, dass diese Angaben zutreffen. Dass die Rückkehrentscheidung bei der Haftanordnung tatsächlich nicht ergangen war, behauptet der Betroffene nicht.

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3. Der von dem Amtsgericht angenommene Haftgrund der erheblichen Fluchtgefahr nach Art. 28 Abs. 2 Dublin-III-Verordnung liegt vor.

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a) Richtig ist allerdings, dass die Haft nicht auf § 2 Abs. 15 Satz 1 i.V.m. Abs. 14 Nr. 1 AufenthG gestützt werden konnte. Danach kann ein Anhaltspunkt für das Vorliegen von Fluchtgefahr darin bestehen, dass sich der Ausländer bereits in der Vergangenheit einem behördlichen Zugriff entzogen hat, indem er seinen Aufenthaltsort trotz Hinweises auf die Anzeigepflicht nicht nur vorübergehend gewechselt hat, ohne der zuständigen Behörde eine Anschrift anzugeben, unter der er erreichbar ist. Dass es sich bei dem Betroffenen so verhält, hat das Amtsgericht nicht festgestellt.

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b) Das führt aber nicht zur Rechtswidrigkeit der Haft. Die von dem Haftrichter getroffenen Feststellungen tragen den von dem Beschwerdegericht angenommenen Anhaltspunkt für erhebliche Fluchtgefahr nach § 2 Abs. 15 Satz 2 AufenthG. Auf diesen durfte sich das Beschwerdegericht auch ohne erneute Anhörung des Betroffenen stützen.

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aa) (1) Die Abschiebungs- oder Rücküberstellungshaft darf zwar nicht auf einen neuen Haftgrund gestützt werden, ohne den Betroffenen hierzu erneut persönlich anzuhören (Senat, Beschlüsse vom 7. Juli 2016 - V ZB 21/16, FGPrax 2016, 278 Rn. 6 und vom 16. Februar 2017 - V ZB 10/16, juris Rn. 9). Die mit § 2 Abs. 15 Satz 1 i.V.m. Abs. 14 AufenthG einerseits und § 2 Abs. 15 Satz 2 AufenthG andererseits festgelegten Kriterien fächern den Haftgrund nach Art. 28 Abs. 2 Dublin-III-Verordnung aber nicht in einzelne Haftgründe auf (a.A. für § 62 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 AufenthG: Beichel/Benedetti in Huber, Aufenthaltsgesetz, 2. Aufl., § 62 Rn. 18), was Art. 28 Abs. 2 Dublin-III-Verordnung auch nicht zuließe. Beide Vorschriften legen vielmehr nur die Kriterien fest, anhand derer nach Art. 2 Buchst. n dieser Verordnung die Fluchtgefahr festgestellt werden soll. Diese wird dort nämlich als Vorliegen von Gründen im Einzelfall definiert, die auf objektiven, gesetzlich festgelegten Kriterien beruhen und zu der Annahme Anlass geben, dass sich ein Antragsteller, ein Drittstaatsangehöriger oder Staatenloser, gegen den ein Überstellungsverfahren läuft, diesem Verfahren möglicherweise durch Flucht entziehen könnte. Sowohl nach dem Wortlaut der Vorschrift („können“) als auch nach der Gesetzesbegründung (vgl. BT-Drucks. 18/4097, S. 32) stellt das Vorliegen eines der in § 2 Abs. 14 und 15 AufenthG geregelten Anhaltspunkte zudem lediglich ein Indiz dafür dar, dass im konkreten Fall eine Fluchtgefahr besteht. Welches Gewicht diesem Indiz zukommt und ob tatsächlich von einer Fluchtgefahr ausgegangen werden kann, bedarf immer einer Gesamtbetrachtung aller Umstände des Einzelfalls (vgl. BT-Drucks. 18/4097 S. 32 u. 34; Senat, Beschluss vom 16. Februar 2017 - V ZB 115/16, InfAuslR 2017, 253 Rn. 9). Diese obliegt gemäß § 26 FamFG auch dem Beschwerdegericht (§ 68 Abs. 3 FamFG). Weil es sich bei Art. 28 Abs. 2 Dublin-III-Verordnung um einen einheitlichen Haftgrund handelt, muss das Beschwerdegericht den Betroffenen grundsätzlich nicht erneut anhören, wenn es die angeordnete Sicherungshaft auf einen anderen der in § 2 Abs. 15 Satz 1 i.V.m. Abs. 14 oder Abs. 15 Satz 2 AufenthG festgelegten Anhaltspunkte für das Vorliegen von Fluchtgefahr stützen will als das Amtsgericht. Anders ist es, wenn zur Ausfüllung des Begriffs der Fluchtgefahr ein neuer Sachverhalt eingeführt wird, zu dem sich der Betroffene noch nicht persönlich äußern konnte.

11

(2) Dieser Ausnahmefall liegt hier nicht vor. Das Beschwerdegericht ordnet den festgestellten Sachverhalt lediglich einem anderen Anhaltspunkt für das Vorliegen einer erheblichen Fluchtgefahr im Sinne von Art 28 Abs. 2 Dublin-III-Verordnung zu als das Amtsgericht. Nach seiner Meinung ergibt dieser Sachverhalt einen Anhaltspunkt für erhebliche Fluchtgefahr nicht nach § 2 Abs. 15 Satz 1, Abs. 14 Nr. 1 AufenthG, sondern nach § 2 Abs. 15 Satz 2 AufenthG. Diese abweichende rechtliche Bewertung erfordert eine erneute persönliche Anhörung des Betroffenen nicht.

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bb) Die Voraussetzungen des Anhaltspunkts für erhebliche Fluchtgefahr nach § 2 Abs. 15 Satz 2 AufenthG liegen vor.

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(1) Danach kann ein Anhaltspunkt für das Vorliegen von erheblicher Fluchtgefahr i.S.v. Art. 28 Abs. 2, Art. 2 Buchst. n Dublin-III-Verordnung auch dann gegeben sein, wenn der Ausländer einen Mitgliedstaat vor Abschluss eines dort laufenden Verfahrens zur Zuständigkeitsbestimmung oder zur Prüfung eines Antrags auf internationalen Schutz verlassen hat und die Umstände der Feststellung im Bundesgebiet konkret darauf hindeuten, dass er den zuständigen Mitgliedstaat in absehbarer Zeit nicht aufsuchen will.

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(2) Das Amtsgericht hat festgestellt, dass der Betroffene den Erstaufnahmestaat Spanien trotz des laufenden Verfahrens verlassen hat. Diese Feststellung findet in dem Haftantrag und den diesem beigefügten Unterlagen eine ausreichende Grundlage.

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Danach hat die beteiligte Behörde bei einer Recherche im Eurodac-Register festgestellt, dass der Betroffene am 11. April 2016 in der spanischen Enklave Ceuta erkennungsdienstlich behandelt und als Asylsuchender registriert worden ist. Mangels weiterer Angaben durfte nicht nur die beteiligte Behörde, sondern auch das Amtsgericht davon ausgehen, dass das Verfahren des Betroffenen in Spanien noch nicht abgeschlossen war, als er das Land verließ. Dies ergibt sich aus der Bedeutung, die derartige Einträge im Eurodac-Register für das Funktionieren des Schengen-Systems haben. Nach dem Schengen-System obliegt die Bearbeitung von Asylanträgen dem Erstaufnahmestaat. Ob sie selbst der Erstaufnahmestaat sind, können die Mitgliedstaaten jeweils nur feststellen, indem sie im Eurodac-Register nach vorhandenen Einträgen suchen. Stoßen sie auf einen solchen Eintrag, haben sie gemäß Art. 23 Abs. 2 Dublin-III-Verordnung innerhalb von zwei Monaten nach der Eurodac-Treffermeldung gemäß Art. 9 Abs. 5 der Verordnung 603/2013 (vom 26. Juni 2013, ABl. EU Nr. L 180 S. 1 - Eurodac-Verordnung) an den in dem Eurodac-Treffer ausgewiesenen Mitgliedstaat ein Wiederaufnahmegesuch zu stellen. Dieser erhält mit dem Treffer des recherchierenden Mitgliedstaats nach Art. 9 Abs. 5 Eurodac-Verordnung automatisch eine Treffermeldung mit den recherchierten Datensätzen. Der Erstaufnahmestaat ist nach Art. 10 Eurodac-Verordnung verpflichtet, die Daten in dem Eurodac-Register zu aktualisieren und insbesondere den negativen Abschluss des Verfahrens in das Register einpflegen zu lassen. Daraus ergibt sich, dass sich die beteiligten Behörden und die Haftgerichte im Grundsatz auf die Richtigkeit und Vollständigkeit der Daten in dem Eurodac-Register verlassen und insbesondere darauf vertrauen können, dass ein als offen ausgewiesenes Asylverfahren noch nicht abgeschlossen ist. Gewichtige Anhaltspunkte dafür, dass das Verfahren bereits abgeschlossen war, als der Betroffene Spanien verließ, ergaben sich aus dem Haftantrag, den mit ihm vorgelegten Unterlagen und aus der Einlassung des Betroffenen nicht.

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(3) Der Haftrichter musste der Frage, ob der Betroffene darüber belehrt worden ist, dass er vor Abschluss des Verfahrens im Erstaufnahmestaat nicht in einen anderen Mitgliedstaat reisen darf, nicht nachgehen. Die Vorschrift des § 2 Abs. 15 Satz 2 AufenthG setzt eine solche Belehrung nicht voraus.

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(a) In der Begründung des Gesetzentwurfs heißt es allerdings, dass die Vorschrift die Fälle regele, in denen ein Ausländer, der bereits in einem anderen Mitgliedstaat einen Asylantrag gestellt hat, „trotz entsprechender Belehrung gemäß der Durchführungsverordnung (EU) Nr. 118/2014 vom 30. Januar 2014“ in das Bundesgebiet eingereist sei, und die Umstände seiner Feststellung im Bundesgebiet konkret darauf hindeuteten, dass er den für die Bearbeitung des Asylantrags zuständigen Mitgliedstaat nicht (wieder) aufsuchen möchte. Für das Erfordernis einer Belehrung durch den Erstaufnahmestaat spricht auch, dass eine solche Belehrung bei dem in § 62 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 AufenthG genannten Haftgrund (dazu: Senat, Beschlüsse vom 19. Juni 2013 - V ZB 96/12, juris Rn. 18 und vom 14. Januar 2016 - V ZR 178/14, FGPrax 2016, 87 Rn. 8) und bei dem Anhaltspunkt für (erhebliche) Fluchtgefahr nach § 2 Abs. 14 Nr. 1 AufenthG (dazu: Senat, Beschlüsse vom 26. Januar 2017 - V ZB 120/16, juris Rn. 6 und vom 16. Februar 2017 - V ZB 10/16, juris Rn. 8) erforderlich ist.

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(b) Auf eine solche Belehrung kommt es bei § 2 Abs. 15 Satz 2 AufenthG indessen nicht an.

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(aa) Nach ihrem Tatbestand setzt die Norm, anders als § 2 Abs. 14 Nr. 1 AufenthG, eine Belehrung nicht voraus. Eine vorherige Belehrung des Betroffenen ist bei § 2 Abs. 15 Satz 2 AufenthG im Gegensatz zu der Regelung in § 62 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 AufenthG auch kein ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal. Das objektive Kriterium für Fluchtgefahr im Sinne von Art. 2 Buchstabe n Dublin-III-Verordnung soll hier nämlich, anders als bei § 62 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 und bei § 2 Abs. 14 Nr. 1 AufenthG, nicht der nicht angezeigte Wechsel des Aufenthaltsorts unter Verletzung von ausländerrechtlichen Mitteilungspflichten sein, deren Bedeutung für die Anordnung von Abschiebungs- oder Rücküberstellungshaft dem Betroffenen zuvor klargemacht worden sein muss.

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(bb) Nach § 2 Abs. 15 Satz 2 AufenthG soll es vielmehr entscheidend auf das Fehlen oder Vorhandensein des - anhand konkreter objektiver Umstände festzustellenden - Willens des Betroffenen ankommen, den Erstaufnahmestaat in absehbarer Zeit wieder aufzusuchen. Dieser Anhaltspunkt für erhebliche Fluchtgefahr soll bei Betroffenen bestehen, die den Erstaufnahmestaat vor dem Abschluss der Prüfung seiner Zuständigkeit oder der Begründetheit des Antrags auf internationalen Schutz verlassen haben. Maßgebliches Kriterium für die Feststellung des Rückkehrwillens ist die konkrete Auffindesituation des Betroffenen (Senat, Beschluss vom 25. Februar 2016 - V ZB 157/15, FGPrax 2016, 140, Rn. 17 f.). Es kommt entscheidend darauf an, ob diese Situation konkrete Anhaltspunkte ergibt, aus denen auf den fehlenden Rückkehrwillen des Betroffenen geschlossen werden kann, nicht auf die Belehrung darüber, dass er den Erstaufnahmestaat ohne gültige Einreisepapiere in einen anderen Schengen-Vertragsstaat nicht verlassen darf. Der Hinweis in der Gesetzesbegründung auf die nach Art. 4 Dublin-III-Verordnung zu erteilende Belehrung ist deshalb nur eine zusätzliche Rechtfertigung für die Regelung. Sie beschreibt aber kein zusätzliches ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal.

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(4) Nicht zu beanstanden ist auch die Annahme des Amtsgerichts, die festgestellten Umstände ergäben eine erhebliche Fluchtgefahr.

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(a) Im Rahmen von § 2 Abs. 15 Satz 2 AufenthG kommt es, wie dargelegt, auf die tatsächlichen Umstände an, unter denen der Betroffene im Bundesgebiet aufgegriffen worden ist. Deuten diese konkret darauf hin, dass er den zuständigen Mitgliedstaat in absehbarer Zeit nicht aufsuchen will, kann dies Rückschlüsse auf eine mögliche Fluchtgefahr zulassen. Welches Gewicht diesem Indiz zukommt und ob tatsächlich von dem Bestehen einer Fluchtgefahr ausgegangen werden kann, bedarf der Prüfung im Einzelfall. Dabei kann von Bedeutung sein, wie und mit welcher Zielrichtung der Betroffene im Bundesgebiet unterwegs ist (Senat, Beschluss vom 25. Februar 2016 - V ZB 157/15, FGPrax 2016, 140 Rn. 18).

23

(b) Die Haftrichterin hat die erhebliche Fluchtgefahr daraus abgeleitet, dass der Betroffene den Erstaufnahmestaat Spanien trotz des dort laufenden Prüfungsverfahren verlassen hat und, obwohl es ihm nicht erlaubt war, nach Deutschland eingereist ist, um Arbeit zu finden. Das ist rechtlich nicht zu beanstanden. Aus diesen Umständen ergab sich nämlich, dass sein Aufenthalt auf Dauer angelegt sein sollte und dass er kein Interesse daran hatte, nach Spanien zurückzukehren. Dort hatte er, wie das Beschwerdegericht aus der Einlassung des Betroffenen ergänzt hat, keine Arbeit gefunden. Die beabsichtigte Rücküberstellung dorthin drohte sein Ziel, Arbeit zu finden, zu vereiteln. Daraus durfte die Haftrichterin ein erhebliches Risiko ableiten, dass sich der Betroffene seiner Rückführung nach Spanien durch Flucht entziehen werde.

24

(5) Die Haftanordnung ist schließlich nicht deshalb zu beanstanden, weil die Haftrichterin nicht zusätzlich erläutert hat, dass und aus welchen Gründen ein milderes Mittel, mit dem der Zweck der beantragten Haft in ebenso ausreichender Weise erreicht werden kann, nicht zur Verfügung steht. Zwar dürfte in einem solchen Fall nach Art. 28 Abs. 2 Dublin-III-Verordnung Haft nicht angeordnet werden. Dieser Frage muss der Haftrichter aber nach § 26 FamFG nur nachgehen, wenn Anhaltspunkte dafür bestanden, dass die Rücküberstellung auch ohne Anordnung von Rücküberstellungshaft sichergestellt werden könnte (Senat, Beschluss vom 30. März 2017 - V ZB 128/16, FGPrax 2017, 185 Rn. 14). Das war hier nicht der Fall. Angesichts der - nach der Einlassung des Betroffenen vor der beteiligten Behörde - bewusst illegalen Einreise und des ihr zugrundeliegenden Motivs (Arbeitssuche) sprach nichts dafür, dass der Betroffene freiwillig zurückkehren würde. Auch bei seiner Anhörung durch die Haftrichterin hat er nur erklärt, er wolle nicht ins Gefängnis, sondern nach Spanien oder Algerien, ohne aber auch nur andeutungsweise z.B. seine freiwillige Rückkehr nach Spanien anzubieten. Weshalb eine Kaution, die der Betroffene im Rechtsbeschwerdeverfahren vor dem Senat angesprochen hat, als Alternative hätte in Betracht gezogen werden müssen, ist nicht ersichtlich. Es ist nicht zu erkennen, dass der Betroffene oder ein Dritter zur Stellung einer Kaution bereit und in der Lage gewesen wären und dass und aus welchen Gründen sich der Betroffene hierdurch von seinem Ziel, in Deutschland zu bleiben, um hier Arbeit zu finden und seine Familie zu unterstützen, hätte abbringen lassen. Der Betroffene hat das nicht einmal behauptet.

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4. Unbegründet ist schließlich auch die Rüge des Betroffenen, seine Anhörung durch das Amtsgericht gemäß § 420 FamFG leide an einem schwerwiegenden Mangel, weil das Anhörungsprotokoll keinen Vermerk darüber enthalte, ob die Anhörung und die Bekanntgabe in öffentlicher oder nicht öffentlicher Sitzung erfolgt seien. Das Fehlen dieser Angabe besagt nämlich nur, dass das Protokoll in dieser Hinsicht lückenhaft ist und sich bei Bedarf nicht aufgrund des Protokolls, sondern nur unter Heranziehung der verfügbaren anderen Erkenntnisquellen feststellen ließe, ob die Vorschriften über die Öffentlichkeit bei der Durchführung persönlicher Anhörungen und bei der Bekanntgabe von Entscheidungen eingehalten worden sind (vgl. Senat, Urteil vom 12. Februar 1958 - V ZR 12/57, BGHZ 26, 340, 343 für § 160 Abs. 1 Nr. 5 ZPO). Eine solche Feststellung ist hier nicht veranlasst, weil der Betroffene eine Verletzung der Vorschriften über die Öffentlichkeit in §§ 170, 173 GVG nicht behauptet. Es kann deshalb auch offenbleiben, ob er einen solchen Verfahrensverstoß des Amtsgerichts im Rechtsbeschwerdeverfahren noch rügen könnte, obwohl er ihn im Beschwerdeverfahren nicht gerügt hat (vgl. dazu: Keidel/Meyer-Holz, FamFG, 19. Aufl., § 72 Rn. 43 unter Hinweis auf BGH, Urteile vom 19. April 1961 - IV ZR 217/60, BGHZ 35, 103, 106 und vom 21. Mai 1996 - XI ZR 199/95, BGHZ 133, 36, 39; vgl. auch BGH, Beschluss vom 20. März 2000 - NotZ 20/99, NJW-RR 2000, 1664).

IV.

26

Die Kostenentscheidung beruht auf § 84 FamFG. Die Festsetzung des Gegenstandswerts beruht auf § 36 Abs. 3 GNotKG.

Stresemann     

      

Schmidt-Räntsch     

      

Kazele

      

Haberkamp     

      

Hamdorf