Entscheidungsdatum: 18.10.2017
Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss des Senats für Landwirtschaftssachen des Oberlandesgerichts Braunschweig vom 12. Januar 2017 wird auf Kosten des Klägers als unzulässig verworfen.
Der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens beträgt 13.000 €.
I.
Das Amtsgericht - Landwirtschaftsgericht - hat die von dem Kläger in einer Landwirtschaftssache erhobene Klage abgewiesen. In der Rechtsmittelbelehrung des Urteils, das dem Kläger am 9. November 2016 zugestellt worden ist, wird das Landgericht Braunschweig als zuständiges Berufungsgericht bezeichnet. Mit einem per Telefax am 5. Dezember 2016 (Montag) um 15.48 Uhr bei dem Landgericht Braunschweig eingegangenen Schriftsatz hat der Kläger Berufung eingelegt. Durch Verfügung vom 12. Dezember 2016 hat der Vorsitzende der Berufungskammer die Berufungsschrift unter „Eilt“ an das Oberlandesgericht Braunschweig weitergeleitet, wo sie am 14. Dezember 2016 eingetroffen ist. Gleichzeitig hat er die Prozessbevollmächtigten des Klägers über die Weiterleitung informiert mit der Erläuterung, für Berufungen gemäß § 2 Abs. 1 Satz 3 LwVG sei das Oberlandesgericht Braunschweig zuständig. Nach einem Hinweis des Berufungssenats, dass die Berufung als unzulässig zu verwerfen sein dürfte, weil sie verspätet bei dem Oberlandesgericht eingegangen sei, hat der Kläger wegen der Versäumung der Berufungsfrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt. Das Oberlandesgericht - Senat für Landwirtschaftssachen - hat dem Kläger Wiedereinsetzung in den vorigen Stand verwehrt und die Berufung als unzulässig verworfen. Hiergegen wendet er sich mit der Rechtsbeschwerde.
II.
Nach Ansicht des Berufungsgerichts ist die Berufung unzulässig, weil sie nicht innerhalb der am 9. Dezember 2016 abgelaufenen einmonatigen Berufungsfrist bei dem gemäß § 2 Abs. 1 Satz 3 LwVG zuständigen Oberlandesgericht Braunschweig eingegangen sei. Die Voraussetzungen für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand lägen nicht vor. Der Kläger sei nicht ohne sein Verschulden verhindert gewesen, die Berufungsfrist einzuhalten. Die rechtsirrige Annahme, das Landgericht Braunschweig sei als Berufungsgericht funktionell zuständig, stelle ein Verschulden seines Prozessbevollmächtigten dar, das sich der Kläger zurechnen lassen müsse. Dieses Verschulden entfalle auch nicht mit Blick auf die fehlerhafte Rechtsmittelbelehrung des Amtsgerichts. Entschuldbar sei ein hierauf beruhender Rechtsirrtum nur dann, wenn die Rechtsmittelbelehrung nicht offenkundig fehlerhaft und der durch sie verursachte Irrtum nachvollziehbar sei. Hieran gemessen habe von den Prozessbevollmächtigten des Klägers, bei denen es sich um Fachanwälte für Agrarrecht handele, erwartet werden können, dass ihnen bekannt sei, welches Gericht in Landwirtschaftssachen als Rechtsmittelgericht zuständig sei.
Der Kausalzusammenhang zwischen dem Verschulden und der Versäumung der Berufungsfrist werde nicht durch einen Fehler des Landgerichts unterbrochen. Der Kläger habe nicht damit rechnen können, dass die Berufung im ordentlichen Geschäftsgang vor Ablauf der Berufungsfrist an das Oberlandesgericht Braunschweig gelangen würde. Nach dem Eingang am 5. Dezember 2016 habe die Berufung zunächst der Eingangsgeschäftsstelle und sodann der Geschäftsstelle der zuständigen Berufungskammer vorgelegt werden müssen. Frühestens am 9. Dezember 2016 habe die Berufung dem Kammervorsitzenden vorliegen können. Eine von diesem veranlasste Weiterleitung der Berufung habe nicht mehr zu einem Eingang der Berufungsschrift am 9. Dezember 2016, einem Freitag, bei dem Oberlandesgericht Braunschweig führen können. Zu Eilmaßnahmen sei das angerufene Gericht nicht verpflichtet.
III.
Die Rechtsbeschwerde hat keinen Erfolg, weil sie unzulässig ist.
1. Das Rechtsmittel ist zwar gemäß § 48 Abs. 1 Satz 1 LwVG i.V.m. § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 522 Abs. 1 Satz 4, § 238 Abs. 2 Satz 1 ZPO statthaft. Es fehlt aber an den weiteren Zulässigkeitsvoraussetzungen des § 574 Abs. 2 ZPO. Die Sache hat weder grundsätzliche Bedeutung (§ 574 Abs. 2 Nr. 1 ZPO) noch ist eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 ZPO). Insbesondere hat das Berufungsgericht dem Kläger den Zugang zu der an sich gegebenen Berufung nicht unzumutbar erschwert und dessen Anspruch auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes (Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip, vgl. BVerfGE 77, 275, 284) nicht verletzt. Die Begründung, mit der es die beantragte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsfrist versagt hat, entspricht der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, die weder fortzubilden noch zu ergänzen ist.
2. Dies gilt zunächst für die Annahme eines dem Kläger gemäß § 85 Abs. 2 ZPO zuzurechnenden Verschuldens (§ 233 ZPO) seiner Prozessbevollmächtigten. Gemäß § 233 Satz 2 ZPO wird zwar ein Fehlen des Verschuldens vermutet, wenn eine Rechtsbehelfsbelehrung unterblieben oder fehlerhaft ist. Letzteres ist der Fall, weil in der Rechtsmittelbelehrung des Amtsgerichts das Landgericht Braunschweig als zuständiges Berufungsgericht aufgeführt ist, obwohl gemäß § 2 Abs. 1 Satz 3 LwVG im zweiten Rechtszug die Oberlandesgerichte zuständig sind, hier also das Oberlandesgericht Braunschweig. Diese Vermutung ist aber widerlegt.
a) Wie das Berufungsgericht zutreffend sieht, darf sich allerdings auch eine anwaltlich vertretene Partei im Grundsatz auf die Richtigkeit einer Belehrung durch das Gericht verlassen. Durch eine unzutreffende Rechtsbehelfsbelehrung wird ein Vertrauenstatbestand geschaffen, der zur Wiedereinsetzung wegen schuldloser Fristversäumnis berechtigt, wenn die Belehrung einen unvermeidbaren oder zumindest entschuldbaren Rechtsirrtum auf Seiten der Partei hervorruft und die Fristversäumnis darauf beruht. Ein vermeidbarer Rechtsirrtum ist nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs entschuldbar, wenn die Rechtsmittelbelehrung nicht offenkundig fehlerhaft und der durch sie verursachte Irrtum nachvollziehbar ist. Offenkundig fehlerhaft ist eine Rechtsmittelbelehrung, wenn sie - ausgehend von dem bei einem Rechtsanwalt vorauszusetzenden Kenntnisstand - nicht einmal den Anschein der Richtigkeit zu erwecken vermochte; unter dieser Voraussetzung ist die Vermutung des fehlenden Verschuldens gemäß § 233 Satz 2 ZPO widerlegt (BGH, Beschluss vom 12. Oktober 2016 - V ZB 178/15, juris Rn. 12 mwN; Beschluss vom 9. März 2017 - V ZB 18/16, juris Rn. 11 f.).
b) Nach diesem Maßstab ist der Rechtsirrtum nicht entschuldbar, weil die Rechtsmittelbelehrung des Amtsgerichts nicht einmal den Anschein der Richtigkeit zu erwecken vermochte und sich die Prozessbevollmächtigten des Klägers deshalb auf die Richtigkeit dieser Belehrung nicht verlassen durften. Gegen diese Annahme des Berufungsgerichts werden auch von der Rechtsbeschwerde keine Einwendungen erhoben. Die in dem Landwirtschaftsverfahrensgesetz geregelte Zuständigkeit des Berufungsgerichts ist eindeutig. Nach dem Prinzip der sog. formellen Anknüpfung ist im zweiten Rechtszug gemäß § 2 Abs. 1 Satz 3 LwVG das Oberlandesgericht in sämtlichen Fällen zuständig, in denen in erster Instanz das Landwirtschaftsgericht entschieden hat. Es kommt deshalb für die Prüfung des zuständigen Berufungsgerichts nicht auf die - im Einzelfall nicht immer einfach zu beantwortende - Frage an, ob es sich bei der Entscheidung des Landwirtschaftsgerichts tatsächlich um eine Landwirtschaftssache i.S.d. § 1, § 2 Abs. 1 Satz 1 LwVG handelt und ob das Landwirtschaftsgericht seine erstinstanzliche Zuständigkeit zu Recht angenommen hat (siehe zu der formellen Anknüpfung auch Senat, Urteil vom 13. Dezember 1991 - LwZR 2/91, NJW-RR 1992, 1152 Rn. 10 im Zusammenhang mit der Bestimmung der funktionellen Zuständigkeit des Landwirtschaftssenats bei dem Oberlandesgericht). Die im Landwirtschaftsverfahrensgesetz getroffene Regelung unterscheidet sich damit maßgeblich von anderen Vorschriften wie beispielsweise § 72 Abs. 2 GVG in Wohnungseigentumssachen, auf deren Grundlage sich das zuständige Berufungsgericht nicht immer zweifelsfrei ermitteln lässt (vgl. zu § 72 Abs. 2 GVG BGH, Beschluss vom 9. März 2017 - V ZB 18/16, juris Rn. 13 ff.; Beschluss vom 28. September 2017 - V ZB 109/16, zur Veröffentlichung bestimmt).
3. Die Zulassung ist auch nicht deshalb veranlasst, weil das Berufungsgericht die Auffassung vertritt, der Kausalzusammenhang zwischen dem Verschulden der Prozessbevollmächtigten des Klägers und der Fristversäumung werde nicht durch einen Fehler des Landgerichts unterbrochen.
a) Es entspricht gefestigter Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, dass keine generelle Fürsorgepflicht des unzuständigen Rechtsmittelgerichts besteht, durch Hinweise oder andere geeignete Maßnahmen eine Fristversäumung des Rechtsmittelführers zu verhindern. Die Abgrenzung dessen, was im Rahmen einer fairen Verfahrensgestaltung an richterlicher Fürsorge aus verfassungsrechtlichen Gründen geboten ist, kann sich nicht nur an dem Interesse der Rechtsuchenden an einer möglichst weitgehenden Verfahrenserleichterung orientieren, sondern muss auch berücksichtigen, dass die Justiz im Interesse ihrer Funktionsfähigkeit vor zusätzlicher Belastung geschützt werden muss. Einer Partei und ihrem Prozessbevollmächtigten muss die Verantwortung für die Ermittlung des richtigen Adressaten fristgebundener Verfahrenserklärungen nicht allgemein abgenommen und auf unzuständige Gerichte verlagert werden. Etwas anderes gilt nur dann, wenn die Unzuständigkeit des angerufenen Gerichts „ohne weiteres“ bzw. „leicht und einwandfrei“ zu erkennen war und die nicht rechtzeitige Aufdeckung der nicht gegebenen Zuständigkeit auf einem offenkundig nachlässigen Fehlverhalten des angerufenen Gerichts beruht. In diesen Fällen stellt es für die Funktionsfähigkeit des angerufenen Gerichts keine nennenswerte Belastung dar, einen fehlgeleiteten Schriftsatz im Rahmen des üblichen Geschäftsgangs an das zuständige Gericht weiterzuleiten. Geschieht dies nicht, geht die nachfolgende Fristversäumnis nicht zu Lasten des Rechtsuchenden; das Verschulden des Prozessbevollmächtigten wirkt sich dann nicht mehr aus (BVerfG, NJW 2006, 1579; BGH, Beschluss vom 12. November 2015 - V ZB 36/15, NJW-RR 2016, 255 Rn. 15; Beschluss vom 11. Dezember 2015 - V ZB 103/14, NZM 2016, 446 Rn. 10).
b) Wie das Berufungsgericht weiter zutreffend sieht, sind über das übliche Maß hinausgehende Anstrengungen des unzuständigen Gerichts - außerhalb des ordentlichen Geschäftsgangs - wie eine sofortige Prüfung der Zuständigkeit oder eine beschleunigte Weiterleitung unrichtig adressierter Schriftsätze auch von Verfassungs wegen nicht geboten (vgl. BVerfG, NJW 2001, 1343; BGH, Beschluss vom 12. Mai 2016 - IX ZB 75/15, juris Rn. 16). Insbesondere besteht keine Verpflichtung des Gerichts, die Partei oder ihre Prozessbevollmächtigten innerhalb der Berufungsfrist durch Telefonat oder Telefax von der Einreichung der Berufung beim unzuständigen Gericht zu unterrichten (BGH, Beschluss vom 12. Juni 2013 - XII ZB 394/12, NJW-RR 2014, 2 Rn. 20; Beschluss vom 27. Juli 2016 - XII ZB 203/15, NJW-RR 2016, 1340 Rn. 13). Denn sonst würde der Partei die Verantwortung für die Ermittlung des richtigen Adressaten fristgebundener Schriftsätze vollständig abgenommen und dem nicht empfangszuständigen Gericht übertragen (BVerfG, NJW 2001, 1343; BGH, Beschluss vom 12. Juni 2013 - XII ZB 394/12, NJW-RR 2014, 2 Rn. 20 mwN).
c) Danach konnte der Kläger nicht erwarten, dass die Berufungsschrift im Falle der durch das Landgericht gebotenen Weiterleitung im ordentlichen Geschäftsgang noch bis zum 9. Dezember 2016 (Freitag) bei dem zuständigen Oberlandesgericht eingehen würde. Rechtsfehlerfrei geht das Berufungsgericht davon aus, dass die Vorlage der Berufungsschrift an den Vorsitzenden der bei dem Landgericht zuständigen Berufungskammer frühestens an diesem Tag erfolgt wäre. Selbst wenn der Vorsitzende sogleich reagiert hätte, wäre der Schriftsatz erst nach dem 9. Dezember 2016, an dem die Berufungsfrist ablief, bei dem Berufungsgericht eingegangen.
d) Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde war das Landgericht nicht ausnahmsweise deshalb verpflichtet, außerhalb des ordnungsgemäßen Geschäftsgangs auf einen rechtzeitigen Eingang der Berufungsschrift bei dem zuständigen Gericht hinzuwirken, weil die Rechtsmittelbelehrung in dem Urteil des Amtsgerichts unzutreffend war. Eine solche Verpflichtung ergibt sich weder aus dem Verfahrensgrundrecht auf wirkungsvollen Rechtsschutz noch aus der verfassungsrechtlichen Fürsorgepflicht der Gerichte. Effektiver Rechtsschutz wird einer Partei im Rahmen der Wiedereinsetzungsvorschriften bereits dadurch gewährt, dass sie sich grundsätzlich auf die Richtigkeit einer Rechtsmittelbelehrung verlassen darf (§ 233 Satz 2 ZPO). Ist dies jedoch nicht der Fall, weil - wie hier - eine Rechtsmittelbelehrung nicht einmal den Anschein der Richtigkeit zu erwecken vermag, ist es nicht gerechtfertigt, dem unzuständigen Gericht eine gesteigerte Fürsorgepflicht aufzuerlegen. Ebenso wie das offensichtlich unzuständige Gericht nicht gehalten ist, den Fristablauf zu prüfen (vgl. BGH, Beschluss vom 27. Juli 2016 - XII ZB 203/15, NJW-RR 2016, 1340 Rn. 13), bedarf es auch keiner Prüfung, worauf die Anrufung des unzuständigen Gerichts beruht. Vielmehr kann sich das Gericht auf die Weiterleitung des Rechtsmittels an das zuständige Gericht im üblichen Geschäftsgang beschränken.
IV.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO. Die Entscheidung über den Beschwerdewert folgt aus § 48 Abs. 1 Satz 1 GKG, § 3 ZPO.
Stresemann Brückner Göbel