Entscheidungsdatum: 16.07.2015
Die Verjährung eines Anspruchs des Insolvenzschuldners gegen den Insolvenzverwalter auf Ersatz eines Gesamtschadens beginnt frühestens mit der Aufhebung oder Einstellung des Insolvenzverfahrens.
Auf die Revision des Klägers wird der Berufungszurückweisungsbeschluss des 14. Zivilsenats des Hanseatischen Oberlandesgerichts Hamburg vom 13. Mai 2014 im Kostenpunkt sowie insoweit aufgehoben, als die Berufung des Klägers gegen die Abweisung der gegen den Beklagten zu 2 gerichteten Klage zurückgewiesen worden ist.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Der Kläger war selbständiger Fensterputzer. Am 6. August 2003 erlitt er aufgrund Fremdverschuldens einen schweren Verkehrsunfall, in dessen Folge am 9. Mai 2006 das Insolvenzverfahren über sein Vermögen eröffnet und der Beklagte zum Insolvenzverwalter bestellt wurde. In seinem Eigenantrag vom 8. Mai 2006 hatte der Kläger verschiedene Ansprüche aus dem Verkehrsunfall in der Anlage "Schuldnerverzeichnis (Außenstände)" aufgeführt. Im weiteren Verlauf des Jahres 2006 verhandelten der Beklagte und der anwaltlich vertretene Kläger über die Geltendmachung oder Freigabe dieser Ansprüche. Mit Schreiben vom 24. November 2006 erklärte der hierbei durch die frühere Beklagte zu 1 (fortan: Rechtsanwältin B. ) vertretene Beklagte die Freigabe eines Anspruchs, der mit den Worten "Schmerzensgeldanspruch ... aufgrund eines Unfalles, der sich am 06.08.2003 ereignete" beschrieben wurde.
Am 29. November 2006 erhob der anwaltlich vertretene Kläger Klage gegen den Unfallgegner, den Fahrzeughalter und gegen dessen Versicherung auf Zahlung von Schmerzensgeld und Schadensersatz. Am 22. Juli 2008 fand eine mündliche Verhandlung statt, in welcher Rechtsanwältin B. als Zeugin vernommen wurde und erklärte, sie habe ausdrücklich und bewusst nur die Schmerzensgeldansprüche, nicht aber die Ansprüche auf Ersatz des materiellen Schadens freigegeben. Durch Urteil vom 18. Mai 2010 wurde dem Kläger ein Schmerzensgeld in Höhe von 4.000 € zugesprochen. Die auf Ersatz materieller Schäden gerichtete Klage wurde mangels Freigabe dieser Ansprüche wegen fehlender Aktivlegitimation des Klägers abgewiesen. Das Urteil wurde rechtskräftig.
Das Insolvenzverfahren über das Vermögen des Klägers wurde durch Beschluss vom 11. April 2012 gemäß § 213 InsO mit Zustimmung der Gläubiger eingestellt.
Mit seiner am 30. Dezember 2011 eingegangenen und am 1. November 2012 zugestellten Klage hat der Kläger den Beklagten und Rechtsanwältin B. auf Schadensersatz in Höhe von 6.000 € sowie Zahlung einer angemessenen monatlichen Rente von mindestens 800 € in Anspruch genommen. Die Beklagten haben unter anderem die Einrede der Verjährung erhoben. Die Klage ist in den Vorinstanzen erfolglos geblieben. Mit seiner vom Senat zugelassenen Revision verfolgt der Kläger die Ansprüche gegen den Beklagten weiter.
Die Revision führt zur Aufhebung des die Berufung des Klägers zurückweisenden Beschlusses, soweit er die Ansprüche gegen den Beklagten betrifft, und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
I.
Nach Ansicht des Berufungsgerichts ist der Schadensersatzanspruch aus § 60 InsO verjährt. Der in der Verjährung der Schadensersatzansprüche gegen den Unfallgegner, den Halter und dessen Versicherung liegende Schaden sei mit Ablauf des 31. Dezember 2006 eingetreten. Der Kläger habe Schaden und Schädiger gekannt. Er sei bereits im Jahre 2006 davon ausgegangen, dass der Beklagte nicht tätig werden würde; denn andernfalls hätte er nicht selbst Klage auf Ersatz des materiellen Schadens erhoben. Die Freigabeerklärung vom 24. November 2006 habe keinerlei Raum für Interpretationen gelassen. Das mindestens grob fahrlässige Verhalten seines Anwalts, der die Erklärung entweder nicht gelesen oder trotz ihres eindeutigen Wortlauts falsch verstanden habe, müsse der Kläger sich zurechnen lassen.
II.
Diese Ausführungen halten einer rechtlichen Überprüfung nicht stand. Der Schadensersatzanspruch des Klägers gegen den Beklagten ist nicht verjährt.
1. Grundlage des Begehrens ist § 60 InsO. Nach dieser Bestimmung ist der Insolvenzverwalter allen Beteiligten zum Schadensersatz verpflichtet, wenn er schuldhaft die Pflichten verletzt, die ihm nach der Insolvenzordnung obliegen. Der Kläger wirft dem Beklagten vor, eine zur Insolvenzmasse gehörende Forderung, nämlich den Anspruch auf Ersatz des ihm, dem Kläger, aufgrund des Unfalls am 6. August 2003 entstandenen materiellen Schadens, nicht vor Eintritt der Verjährung geltend gemacht und durchgesetzt zu haben. Darin läge gegebenenfalls ein Verstoß gegen die Pflicht zur bestmöglichen Erhaltung und Verwertung der Insolvenzmasse. Diese Pflicht obliegt dem Verwalter nicht nur gegenüber den Insolvenzgläubigern, sondern auch und gerade gegenüber dem Schuldner (BGH, Urteil vom 26. Juni 2014 - IX ZR 162/13, WM 2014, 1434 Rn. 10 f; vgl. auch BGH, Urteil vom 22. Januar 1985 - VI ZR 131/83, ZIP 1985, 423, 425; RGZ 152, 125, 127 [jeweils zu § 82 KO]), der ein rechtlich geschütztes Interesse daran hat, den Umfang seiner Nachhaftung (vgl. § 201 Abs. 1 InsO) möglichst zu begrenzen oder sogar einen Überschuss ausgezahlt zu erhalten (vgl. § 199 InsO).
2. Die Verjährung des Anspruchs auf Ersatz des Schadens, der aus einer Pflichtverletzung des Insolvenzverwalters entstanden ist, richtet sich gemäß § 62 Satz 1 InsO nach den Regelungen über die regelmäßige Verjährung nach dem Bürgerlichen Gesetzbuch. Gemäß §§ 195, 199 Abs. 1 BGB beträgt die regelmäßige Verjährungsfrist drei Jahre und beginnt mit dem Schluss des Jahres, in dem der Anspruch entstanden ist und der Gläubiger von den anspruchsbegründenden Umständen und der Person des Schuldners Kenntnis erlangt oder ohne grobe Fahrlässigkeit erlangen müsste.
3. Der in der Verjährung des Schadensersatzanspruchs liegende Schaden ist mit Ablauf des 31. Dezember 2006 eingetreten. Ob der anwaltlich vertretene Kläger, wie das Berufungsgericht angenommen hat, bereits aufgrund der Freigabeerklärung vom 24. November 2006 Kenntnis von Schaden und Schädiger hatte oder hätte haben müssen, bedarf jedoch keiner Entscheidung. Der Anspruch aus § 60 InsO ist jedenfalls deshalb nicht verjährt, weil der Kläger bis zur Einstellung des Insolvenzverfahrens am 11. April 2012 aus Rechtsgründen an der Geltendmachung dieses Anspruchs gehindert war.
a) Der Schaden, welchen der Kläger geltend macht, besteht in der pflichtwidrigen Verkürzung der Insolvenzmasse um den Wert des Schadensersatzanspruchs, welchen der Beklagte nach der revisionsrechtlich zugrunde zu legenden Darstellung des Klägers pflichtwidrig hat verjähren lassen. Es handelt sich also um einen Gesamtschaden, der während der Dauer des Insolvenzverfahrens durch Zahlung an die Insolvenzmasse auszugleichen ist (vgl. BGH, Urteil vom 17. Juli 2014 - IX ZR 301/12, WM 2014, 2009 Rn. 11). Gemäß § 92 InsO können die Ansprüche der Insolvenzgläubiger auf Ersatz eines solchen Schadens während der Dauer des Insolvenzverfahrens nur vom Insolvenzverwalter geltend gemacht werden. Richten sich die Ansprüche gegen den Verwalter, ist wegen des Interessenkonfliktes ein neuer Insolvenzverwalter oder ein Sonderinsolvenzverwalter zu bestellen (HK-InsO/Kayser, 7. Aufl., § 92 Rn. 40; vgl. auch BGH, Urteil vom 22. April 2004 - IX ZR 128/03, BGHZ 159, 25, 26 [zu § 82 KO]; vom 17. Juli 2014, aaO Rn. 11 [zu § 82 KO] mwN).
Gleiches gilt im Falle eines Insolvenzschuldners, der einen Anspruch auf Ersatz eines Gesamtschadens hat. Dies ergibt sich zwar nicht aus § 92 InsO, folgt jedoch unmittelbar aus § 80 Abs. 1 InsO. Ansprüche des Schuldners, die dieser vor oder nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens erwirbt, gehören gemäß § 35 Abs. 1 InsO zur Insolvenzmasse und unterstehen damit der Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis des Insolvenzverwalters. Soweit sich der betreffende Anspruch gegen den Verwalter richtet, muss insoweit ein neuer Insolvenzverwalter oder ein Sonderinsolvenzverwalter bestellt werden.
Bis zur Einstellung des Insolvenzverfahrens gemäß § 213 InsO am 11. April 2012 waren folglich sowohl die Insolvenzgläubiger als auch der Kläger aus Rechtsgründen gehindert, den Schadensersatzanspruch gegen den Beklagten aus § 60 InsO einzuklagen und so den Lauf der Verjährung gemäß § 204 Abs. 1 Nr. 1 BGB zu hemmen.
b) Grundsätzlich beginnen Verjährungsfristen dann zu laufen, wenn der betroffene Gläubiger die Möglichkeit hat, verjährungshemmende Maßnahmen (vgl. § 203 f BGB) einzuleiten (BGH, Urteil vom 17. Juli 2014 - IX ZR 301/12, WM 2014, 2009 Rn. 13). Die Vorschrift des § 206 BGB, nach welcher die Verjährung gehemmt ist, solange der Gläubiger innerhalb der letzten sechs Monate der Verjährungsfrist durch höhere Gewalt an der Rechtsverfolgung gehindert ist, bringt diese Wertung klar zum Ausdruck. Der Bundesgerichtshof nimmt folgerichtig in ständiger Rechtsprechung an, dass die Verjährungsfrist für Schadensersatzansprüche der Konkurs- oder Insolvenzgläubiger, die von ihnen selbst nicht durchgesetzt werden können, nicht früher als mit der Rechtskraft des Beschlusses beginnt, mit welchem das Konkurs- oder Insolvenzverfahren aufgehoben oder eingestellt wird (vgl. BGH, Urteil vom 22. April 2004 - IX ZR 128/03, BGHZ 159, 25, 28 [zu § 82 KO]; 29 f InsO zu § 92 InsO mwN; MünchKomm-InsO/Brandes/Schoppmeyer, 3. Aufl., § 62 Rn. 4; Jaeger/Gerhardt, InsO, § 62 Rn. 8). Für den entsprechenden Anspruch des Schuldners kann nichts anderes gelten. Grundsätzlich beginnt die Verjährungsfrist - das Vorliegen der übrigen Voraussetzungen des § 199 BGB unterstellt - erst mit der Aufhebung oder Einstellung des Insolvenzverfahrens.
c) Der Bundesgerichtshof hat bisher offen gelassen, ob trotz fehlender rechtlicher Befugnis zu verjährungsunterbrechenden Maßnahmen dann auf die Kenntnis der Gläubiger abzustellen ist, wenn sämtliche Gläubiger sich über den Schaden und die Person des Ersatzpflichtigen im Klaren waren, aber keiner von ihnen eine Sonderinsolvenzverwaltung oder die Ablösung des schadensersatzpflichtigen und die Einsetzung eines neuen Verwalters beantragt hat (BGH, Urteil vom 22. April 2004, aaO S. 30). Auch der Schuldner kann entsprechende Maßnahmen des Insolvenzgerichts anregen oder sich um die Freigabe des Anspruchs bemühen. Gleichwohl bedarf die im Urteil vom 22. April 2004 aufgeworfene Rechtsfrage im vorliegenden Fall keiner Entscheidung. Sie stellt sich nur deshalb, weil die Gläubiger in ihrer Gesamtheit durchaus Einfluss auf den Gang des Insolvenzverfahrens nehmen, insbesondere die Abberufung eines Verwalters oder die Bestellung eines Sonderinsolvenzverwalters erzwingen können. Die verfahrensrechtlichen Befugnisse des Schuldners bleiben hingegen so weit hinter denjenigen der Gesamtheit der Insolvenzgläubiger zurück, dass es während des laufenden Verfahrens nicht auf seine Kenntnis ankommen kann.
aa) Die Gläubigerversammlung, deren Einberufung gemäß § 75 Abs. 1 Nr. 3 und 4 InsO von einer qualifizierten Minderheit der Insolvenzgläubiger verlangt werden kann, kann gemäß § 59 Abs. 1 Satz 2 InsO bei Vorliegen eines wichtigen Grundes die Abberufung des Insolvenzverwalters beantragen. Auch der Gläubigerausschuss ist antragsberechtigt. Gegen die Ablehnung eines solchen Antrags steht dem Gläubigerausschuss und dann, wenn die Gläubigerversammlung den Antrag gestellt hat, jedem Insolvenzgläubiger die sofortige Beschwerde zu. Die Bestellung eines Sonderinsolvenzverwalters können die einzelnen Gläubiger zwar nur nach § 58 InsO anregen. Ein Antragsrecht steht ihnen allein ebenso wenig zu wie die Befugnis zur sofortigen Beschwerde, wenn ein Sonderinsolvenzverwalter nicht bestellt wird. Die Frage einer Sonderinsolvenzverwaltung ist jedoch zulässiger Beratungsgegenstand einer Gläubigerversammlung. Diese hat das Recht, die Bestellung eines Sonderinsolvenzverwalters zu beantragen oder jedenfalls anzuregen. Zur Durchsetzung einer solchen Entscheidung kommt entsprechend § 57 Satz 4, § 59 Abs. 2 Satz 2 InsO ein Beschwerderecht jedes einzelnen Gläubigers in Betracht (BGH, Beschluss vom 30. September 2010 - IX ZB 280/09, NZI 2010, 940 Rn. 5). Ebenso ist die Gläubigerversammlung befugt, Stellung dazu zu nehmen, ob ein vom Sonderinsolvenzverwalter ermittelter Schadensersatzanspruch gegen den Verwalter durchgesetzt werden soll (BGH, Beschluss vom 23. April 2015 - IX ZB 29/13, WM 2015, 1065 Rn. 10; vgl. auch BGH, Urteil vom 17. Juli 2014 - IX ZR 301/12, WM 2014, 2009 Rn. 15). Beschließt die Gläubigerversammlung, dass ein Sonderinsolvenzverwalter zur Prüfung und Durchsetzung eines Anspruchs gegen den Insolvenzverwalter eingesetzt werden soll, ist der Insolvenzverwalter nicht berechtigt, die Aufhebung dieses Beschlusses zu beantragen (BGH, Beschluss vom 20. Februar 2014 - IX ZB 16/13, WM 2014, 571 Rn. 9 ff).
bb) Demgegenüber hat der Insolvenzschuldner nicht das Recht, die Entlassung des Insolvenzverwalters zu beantragen und sofortige Beschwerde gegen die Ablehnung der Entlassung einzulegen. Gleiches gilt hinsichtlich der Einsetzung eines Sonderinsolvenzverwalters (BGH, Beschluss vom 2. März 2006 - IX ZB 225/04, NZI 2006, 474 f; vom 18. Juni 2009 - IX ZA 13/09, NZI 2009, 517 Rn. 3). Ihm bleibt allein die Möglichkeit, Aufsichtsmaßnahmen des Insolvenzgerichts nach § 58 InsO anzuregen. Ob und inwieweit das Gericht daraufhin tätig wird, steht jedoch allein in seinem pflichtgemäßen Ermessen. Rechtsmittel gegen die Entscheidung des Insolvenzgerichts, nicht tätig zu werden, sieht die Insolvenzordnung nicht vor. Dafür gibt es gute Gründe. Die Insolvenzordnung will verhindern, dass die Arbeit des Insolvenzverwalters durch Anträge des Schuldners behindert und das Insolvenzverfahren durch Rechtsmittel unnötig in die Länge gezogen wird. Dann kann man dem Schuldner jedoch nicht vorwerfen, keinen Einfluss auf das seinen Einwirkungsmöglichkeiten weitgehend entzogene Verfahren genommen zu haben. Auf seine Kenntnis oder grob fahrlässige Unkenntnis von den tatsächlichen Anspruchsvoraussetzungen kann deshalb vor Abschluss des Insolvenzverfahrens nicht abgestellt werden.
cc) Der Kläger hätte noch die Möglichkeit gehabt, den Beklagten um die Freigabe des Schadensersatzanspruchs aus § 60 InsO zu bitten. Auch insoweit handelt es sich jedoch nur um eine Anregung, nicht um einen durchsetzbaren Anspruch. Der Beklagte behauptet selbst nicht, dass er zur Freigabe dieses Anspruchs bereit gewesen wäre. Der Anspruch gehörte zur Insolvenzmasse und hätte vorrangig im Interesse der Insolvenzgläubiger geltend gemacht werden müssen. Auch insoweit kommt eine Anknüpfung des Verjährungsbeginns an die Kenntnis oder grob fahrlässige Unkenntnis des Insolvenzschuldners nicht in Betracht.
III.
Das angefochtene Urteil kann folglich keinen Bestand haben. Es ist aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO). Da die Sache nicht zur Endentscheidung reif ist, wird sie zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen (§ 563 Abs. 1 ZPO).
Kayser Gehrlein Vill
Lohmann Pape