Entscheidungsdatum: 20.02.2014
Beschließt die Gläubigerversammlung, dass ein Sonderinsolvenzverwalter zur Prüfung und Durchsetzung eines Anspruchs gegen den Insolvenzverwalter eingesetzt werden soll, ist der Insolvenzverwalter nicht berechtigt, die Aufhebung dieses Beschlusses zu beantragen.
Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss der 6. Zivilkammer des Landgerichts Arnsberg vom 6. Februar 2013 wird auf Kosten des weiteren Beteiligten zurückgewiesen.
Der Wert des Rechtsbeschwerdeverfahrens wird auf 5.000 € festgesetzt.
I.
Der weitere Beteiligte ist Verwalter im Insolvenzverfahren über das Vermögen des Schuldners. Auf Antrag mehrerer Gläubiger bestimmte das Insolvenzgericht einen Termin für eine Gläubigerversammlung zur Beschlussfassung über die Einsetzung eines Sonderinsolvenzverwalters zur Durchsetzung eines auf Ersatz eines Gesamtschadens gerichteten Anspruchs gegenüber dem Insolvenzverwalter. In der Versammlung fassten die anwesenden Gläubiger einstimmig den Beschluss, es solle ein Sonderinsolvenzverwalter eingesetzt werden zur Prüfung und Durchsetzung eines gegen den Insolvenzverwalter gerichteten Schadensersatzanspruchs. Der weitere Beteiligte beantragte in der Versammlung die Aufhebung dieses Beschlusses nach § 78 Abs. 1 InsO. Zur Begründung führte er insbesondere aus, die Voraussetzungen eines Schadensersatzanspruchs seien nicht gegeben. Die Einsetzung eines Sonderinsolvenzverwalters verursache daher nur zusätzliche Kosten; dies widerspreche dem gemeinsamen Interesse der Insolvenzgläubiger.
Das Insolvenzgericht hat den Antrag abgelehnt. Die sofortige Beschwerde des weiteren Beteiligten hat keinen Erfolg gehabt. Mit der vom Beschwerdegericht zugelassenen Rechtsbeschwerde verfolgt er sein Begehren weiter.
II.
Die Rechtsbeschwerde ist statthaft (§ 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 ZPO) und auch im Übrigen zulässig. In der Sache hat sie jedoch keinen Erfolg.
1. Das Beschwerdegericht hat ausgeführt: Der Antrag des weiteren Beteiligten auf Aufhebung des Beschlusses der Gläubigerversammlung sei unzulässig, weil ihm die Antragsbefugnis fehle. Das in § 78 Abs. 1 InsO für den Insolvenzverwalter vorgesehene Antragsrecht könne aus systematischen und teleologischen Gründen hier nicht gelten. Sein Antragsrecht diene dem gemeinsamen Interesse aller Gläubiger. Einen Anspruch der Gläubiger auf Ersatz eines Gesamtschadens gegen den Insolvenzverwalter könne dieser nach § 92 Satz 2 InsO nicht selbst geltend machen. Die Prüfung und Durchsetzung solcher Ansprüche könne nur durch einen Sonderinsolvenzverwalter erfolgen. Gegen dessen Bestellung stehe dem Insolvenzverwalter kein Beschwerderecht zu. Das der Beschwerdebefugnis entgegenstehende Interesse der Verfahrensbeteiligten an einer alsbaldigen Klärung der gegen den Insolvenzverwalter erhobenen Vorwürfe sowie an einer zügigen Abwicklung des Insolvenzverfahrens liefe leer, wenn der Insolvenzverwalter die Aufhebung eines Beschlusses der Gläubigerversammlung beantragen könne, der die Bestellung eines Sonderinsolvenzverwalters lediglich vorbereiten solle.
2. Diese Ausführungen halten der rechtlichen Nachprüfung stand. Mit Recht hat das Beschwerdegericht eine Berechtigung des weiteren Beteiligten, die Aufhebung des Beschlusses der Gläubigerversammlung zu beantragen, verneint.
a) Nach § 78 Abs. 1 InsO ist neben absonderungsberechtigten Gläubigern und nicht nachrangigen Insolvenzgläubigern auch der Insolvenzverwalter berechtigt, noch in der Gläubigerversammlung die Aufhebung eines Beschlusses derselben zu beantragen. Auf einen solchen Antrag hat das Insolvenzgericht den Beschluss aufzuheben, wenn der Beschluss dem gemeinsamen Interesse der Insolvenzgläubiger widerspricht. Der Anwendungsbereich dieser Regelung ist im Wege der teleologischen Reduktion dahin zu beschränken, dass das Antragsrecht des Insolvenzverwalters entfällt, wenn der Beschluss der Gläubigerversammlung darauf gerichtet ist, einen Sonderinsolvenzverwalter einzusetzen mit der Aufgabe, einen Anspruch der Gläubiger gegen den Insolvenzverwalter auf Ersatz eines Gesamtschadens zu prüfen und gegebenenfalls durchzusetzen.
b) Die teleologische Reduktion des Anwendungsbereichs einer Norm setzt eine verdeckte Regelungslücke im Sinne einer planwidrigen Unvollständigkeit des Gesetzes voraus (BGH, Urteil vom 13. November 2001 - X ZR 134/00, BGHZ 149, 165, 174; Beschluss vom 20. Januar 2005 - IX ZB 134/04, NJW 2005, 1508, 1510; Urteil vom 26. November 2008 - VIII ZR 200/05, BGHZ 179, 27 Rn. 22; vom 21. Dezember 2011 - VIII ZR 70/08, BGHZ 192, 148 Rn. 31).
Diese Voraussetzung ist hier erfüllt. Die Bestellung eines Sonderinsolvenzverwalters ist in der Insolvenzordnung nicht geregelt. Der Gesetzgeber verzichtete im Gesetzgebungsverfahren auf eine zunächst vorgesehene diesbezügliche Bestimmung (§ 77 RegE-InsO), weil die Bestellung eines Sonderinsolvenzverwalters auch ohne ausdrückliche gesetzliche Regelung für möglich erachtet wurde (BT-Drucks. 12/2443, S. 20; 12/7302, S. 162). Damit hat der Gesetzgeber die nähere Bestimmung der Voraussetzungen und des Verfahrens der Bestellung eines Sonderinsolvenzverwalters sowie seiner Rechtsstellung der Rechtsprechung überlassen. Ungeregelt blieb auch, inwieweit die allgemeinen Vorschriften, wie etwa die Norm des § 78 Abs. 1 InsO, anwendbar sein sollten.
c) Die danach bestehende Regelungslücke ist nach Sinn und Zweck des Regelungszusammenhangs in möglichst enger Anlehnung an das geltende Recht (vgl. BGH, Urteil vom 21. Dezember 2011, aaO Rn. 37; BVerfGE 35, 263, 279; 88, 145, 166 f; Larenz/Canaris, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 3. Aufl., S. 210 f) in der Weise zu schließen, dass das in § 78 Abs. 1 InsO vorgesehene Antragsrecht des Insolvenzverwalters ausgeschlossen ist, wenn die Gläubigerversammlung beschließt, die Einsetzung eines Sonderinsolvenzverwalters zur Prüfung und Durchsetzung eines Schadensersatzanspruchs gegen den Insolvenzverwalter zu beantragen.
aa) Nach der im Regierungsentwurf zur Insolvenzordnung noch enthaltenen Regelung wäre der Insolvenzverwalter nicht berechtigt gewesen, gegen die Einsetzung eines Sonderinsolvenzverwalters mit der Aufgabe, Schadensersatzansprüche gegen den Insolvenzverwalter zu verfolgen, Beschwerde einzulegen. Der Bundesgerichtshof hat ein Beschwerderecht des Insolvenzverwalters in solchen Fällen auch für das geltende Recht verneint (BGH, Beschluss vom 1. Februar 2007 - IX ZB 45/05, NZI 2007, 237). Dies dient dem Interesse der Verfahrensbeteiligten an einer baldigen Klärung der gegen den Insolvenzverwalter behaupteten Ansprüche, die wegen der bestehenden Interessenkollision nicht vom Insolvenzverwalter selbst, sondern nur durch einen neuen Verwalter oder einen Sonderinsolvenzverwalter geltend gemacht werden können (§ 92 Satz 2 InsO), sowie einer zügigen Abwicklung des Insolvenzverfahrens (BGH, Beschluss vom 1. Februar 2007, aaO Rn. 10). Diese Gründe stehen auch einem Antragsrecht des Insolvenzverwalters nach § 78 Abs. 1 InsO entgegen, wenn die Gläubigerversammlung beschlossen hat, die Bestellung eines Sonderinsolvenzverwalters zur Verfolgung von Schadensersatzansprüchen gegen den Insolvenzverwalter zu fordern.
bb) Der Zweck der Regelung in § 78 Abs. 1 InsO verlangt in diesem Fall ein Antragsrecht des Insolvenzverwalters nicht. Das dort normierte Recht, die Aufhebung eines Beschlusses der Gläubigerversammlung zu beantragen, soll das gemeinsame Interesse der Insolvenzgläubiger schützen und dem Missbrauch einer Mehrheit in der Gläubigerversammlung entgegenwirken. Das Antragsrecht des Insolvenzverwalters im Besonderen soll die Interessen der nicht erschienenen Gläubiger wahren (BT-Drucks. 12/2443, S. 134 zu § 89 RegE-InsO); im Übrigen hat der Insolvenzverwalter die gesetzeskonforme Abwicklung des Insolvenzverfahrens zu gewährleisten (MünchKomm-InsO/Ehricke, 3. Aufl., § 78 Rn. 4; Uhlenbruck, InsO, 13. Aufl., § 78 Rn. 6; Pape, ZInsO 2000, 469, 475). Fordert die Gläubigerversammlung die Bestellung eines Sonderinsolvenzverwalters, der einen Gesamtschaden gegen den Insolvenzverwalter geltend machen soll, liegt dies regelmäßig im gemeinsamen Interesse aller Insolvenzgläubiger, auch der abwesenden, denn die erfolgreiche Durchsetzung eines solchen Anspruchs kommt allen Insolvenzgläubigern zugute. Im Übrigen obliegt die Entscheidung über den Antrag der Gläubigerversammlung auf Bestellung eines Sonderinsolvenzverwalters letztlich dem Insolvenzgericht. Sollte die beabsichtigte Rechtsverfolgung gegen den Insolvenzverwalter ausnahmsweise masseschädlich oder gar gesetzeswidrig sein, kann dies vom Insolvenzgericht bei seiner Entscheidung berücksichtigt werden.
Vill Gehrlein Pape
Grupp Möhring