Entscheidungsdatum: 10.09.2015
1. Die Vollstreckbarerklärung eines polnischen Urteils verstößt gegen den deutschen verfahrensrechtlichen ordre public international, wenn das polnische Gericht, weil der in Deutschland wohnende Beklagte keinen in Polen ansässigen Prozessbevollmächtigten oder Zustellungsbevollmächtigten bestellt hat, gemäß Art. 1135 § 2 des polnischen Zivilverfahrensgesetzbuchs die für diese Partei bestimmten gerichtlichen Schriftstücke in der Gerichtsakte belassen und als zugestellt behandelt hat.
2. Die Vollstreckbarerklärung eines ausländischen Urteils verstößt gegen den deutschen verfahrensrechtlichen ordre public international, wenn es keine Begründung enthält und sich auch in Verbindung mit anderen vorgelegten Unterlagen nicht zuverlässig feststellen lässt, welchen Sachverhalt (Streitgegenstand) das Urteil betrifft.
Auf die Rechtsbeschwerde der Antragsgegnerin wird der Beschluss des 25. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Hamm vom 24. Mai 2013 aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Beschwerdegericht zurückverwiesen.
Der Wert des Rechtsbeschwerdegegenstandes wird auf 47.027,56 € festgesetzt.
I.
Die Antragstellerin begehrt die Vollstreckbarerklärung eines polnischen Titels. Auf ihre Klage erließ das Bezirksgericht in Poznan am 21. November 2011 einen Mahnbescheid, gegen den die Antragsgegnerin termingemäß Widerspruch einlegte und die Abweisung der Klage beantragte. Am 30. Mai 2012 erließ das Gericht ein Urteil, das mit der Klage übereinstimmte. Das Urteil wurde am 22. Juni 2012 rechtskräftig. Am 17. Juli 2012 erteilte das Gericht die Vollstreckungsklausel.
Das Landgericht hat auf Antrag der Rechtsbeschwerdegegnerin das Urteil in Deutschland für vollstreckbar erklärt. Dieser Beschluss wurde der Antragsgegnerin zusammen mit dem polnischen Urteil zugestellt. Ihre hiergegen gerichtete Beschwerde hat das Oberlandesgericht mit Maßgaben zur Höhe der Zahlungsverpflichtung zurückgewiesen. Mit der Rechtsbeschwerde wendet sich die Antragsgegnerin weiter gegen die Vollstreckbarerklärung.
II.
Auf das Verfahren findet die Verordnung (EG) Nr. 44/2001 des Rates über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen vom 22. Dezember 2000 Anwendung, die am 1. März 2002 gemäß ihres Art. 76 in Kraft getreten ist (fortan EuGVVO aF) und auf alle Klagen anzuwenden ist, die - wie vorliegend - danach erhoben worden sind (Art. 66 Abs. 1 EuGVVO aF). Die Verordnung (EU) Nr. 1215/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen vom 12. Dezember 2012 (fortan: EuGVVO nF) kommt nach Art. 66 Abs. 1 EuGVVO nF nicht zur Anwendung, weil das Verfahren nicht am 10. Januar 2015 oder danach eingeleitet worden ist, Art. 81 Abs. 2 EuGVVO nF. Für die vor dem 10. Januar 2015 eingeleiteten Verfahren findet nach Art. 66 Abs. 2 EuGVVO nF die Verordnung (EG) Nr. 44/2001 des Rates über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen vom 22. Dezember 2000 weiterhin Anwendung (BGH, Beschluss vom 26. März 2015 - IX ZB 38/14 ZinsO 2015, 1466 Rn. 4).
III.
Die Rechtsbeschwerde ist gemäß Art. 44 EuGVVO aF in Verbindung mit § 15 Abs. 1 AVAG, § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO statthaft. Sie ist auch nach § 15 Abs. 1 AVAG, § 574 Abs. 2 ZPO zulässig, weil die Sache grundsätzliche Bedeutung hat.
Die Rechtsbeschwerde ist begründet. Sie führt zur Aufhebung und Zurückverweisung der Sache an das Beschwerdegericht.
1. Das Beschwerdegericht hat gemeint, das Vorbringen der Antragsgegnerin stehe einer Vollstreckbarerklärung nicht entgegen. Die Zuständigkeit des polnischen Gerichts sei nicht mehr überprüfbar. Es sei gemäß Art. 42 Abs. 2 EuGVVO ausreichend, dass das Urteil erst mit der Vollstreckbarerklärung zugestellt worden sei. Der Einwand, das Urteil sei in der Sache falsch, sei unerheblich, weil das Urteil des polnischen Gerichts nach Art. 36 EuGVVO in der Sache nicht nachgeprüft werden dürfe.
2. Diese Ausführungen des Beschwerdegerichts übersehen einen wesentlichen, von Amts wegen zu berücksichtigenden Umstand.
a) Derzeit kann nicht ausgeschlossen werden, dass die Vollstreckbarerklärung des polnischen Urteils gemäß Art. 45 Abs. 1, Art. 34 Nr. 1 EuGVVO ausscheidet, weil dies dem deutschen verfahrensrechtlichen ordre public international widersprechen könnte.
aa) Der Versagungsgrund nach Art. 34 Nr. 1 EuGVVO ist im Rechtsbehelfsverfahren nach Art. 43 EuGVVO von Amts wegen auch ohne entsprechende Rüge des Antragsgegners zu prüfen (BGH, Beschluss vom 12. Dezember 2007 - XII ZB 240/05, FamRZ 2008, 586 Rn. 23 ff, 25; vom 3. August 2011 - XII ZB 187/10, BGHZ 191, 9 Rn. 24; vom 14. Juni 2012 - IX ZB 183/09, WM 2012, 1445 Rn. 9).
Die hierfür entscheidungserheblichen Tatsachen sind nicht von Amts wegen zu ermitteln, sondern nach dem insoweit anwendbaren autonomen Verfahrensrecht des Vollstreckungsstaates aufgrund des in Deutschland geltenden Beibringungsgrundsatzes von dem Antragsgegner darzulegen (BGH, Beschluss vom 12. Dezember 2007, aaO Rn. 26; vom 8. März 2012 - IX ZB 144/10, WM 2012, 662 Rn. 17; vom 14. Juni 2012, aaO). Die Antragsgegnerin hat zwar - ebenso wie die Antragstellerin - zu den Einzelheiten des polnischen Verfahrens nichts vorgetragen. Die Umstände, insbesondere dass das Urteil erstmals mit der Vollstreckbarerklärung durch das Landgericht zugestellt wurde, legen aber - wie die Antragsgegnerin in der Rechtsbeschwerdebegründung geltend gemacht hat - die Vermutung nahe, dass das polnische Gericht nach Art. 1135 des polnischen Zivilverfahrensgesetzbuchs (künftig: ZVGB) verfahren ist. Hierzu hätte das Beschwerdegericht der Antragsgegnerin durch Hinweise nähere Darlegungen ermöglichen müssen, um die erforderliche Prüfung eines Verstoßes gegen den deutschen ordre public zu ermöglichen.
bb) Eine Anwendung der Vorbehaltsklausel des Art. 34 Nr. 1 EuGVVO kommt allerdings nur in Betracht, wenn die Anerkennung oder Vollstreckung der in einem anderen Mitgliedsstaat erlassenen Entscheidung gegen einen wesentlichen Rechtsgrundsatz verstieße und deshalb in einem nicht hinnehmbaren Gegensatz zur Rechtsordnung des Vollstreckungsstaates stünde. Damit das Verbot der Nachprüfung der ausländischen Entscheidung auf ihre Gesetzmäßigkeit gewahrt bleibt, muss es sich bei diesem Verstoß um eine offensichtliche Verletzung einer in der Rechtsordnung des Vollstreckungsstaates als wesentlich geltenden Rechtsnorm oder eines dort als grundlegend anerkannten Rechts handeln (EuGH, Urteil vom 2. April 2009 - C-394/07, Gambazzi/DaimlerChrysler, NJW 2009, 1938 Rn. 27; vom 28. April 2009 - C-420/07, Apostolides/Orams, EuGRZ 2009, 210 Rn. 59).
Bei der Prüfung des Verfahrens des Urteilsstaates kann deshalb nicht schon dann die Anerkennung versagt werden, wenn die Entscheidung in einem Verfahren erlassen worden ist, das von zwingenden Vorschriften des deutschen Prozessrechts abweicht. Ein Versagungsgrund ist vielmehr nur dann gegeben, wenn die Entscheidung des ausländischen Gerichts aufgrund eines Verfahrens ergangen ist, das sich von den Grundprinzipien des deutschen Verfahrensrechts in einem solchen Maße entfernt, dass nach der deutschen Rechtsordnung das Urteil nicht als in einem geordneten, rechtsstaatlichen Verfahren ergangen angesehen werden kann. Nur dies und nicht die Frage, ob bei gleicher Verfahrensweise der deutsche Richter gegen tragende Grundsätze des deutschen Verfahrensrechts verstoßen hätte, bildet den Maßstab dafür, ob die Entscheidung des ausländischen Gerichts gegen den deutschen verfahrensrechtlichen ordre public international verstoßen hat (BGH, Urteil vom 18. Oktober 1967 - VIII ZR 145/66, BGHZ 48, 327, 331; Beschluss vom 21. März 1990 - XII ZB 71/89, NJW 1990, 2201, 2202 f; Urteil vom 4. Juni 1992 - IX ZR 149/91, BGHZ 118, 312, 320 f; Beschluss vom 14. Juni 2012 - IX ZB 183/09, WM 2012, 1445 Rn. 10 ff).
Der Schutz des rechtlichen Gehörs erstreckt sich nicht auf eine bestimmte verfahrensrechtliche Ausgestaltung. Bei der Anwendung des verfahrensrechtlichen ordre public international ist auf die Grundsätze abzustellen, die Art. 103 Abs. 1 GG schützen will. Dies ist einmal das Prinzip der Rechtsstaatlichkeit, das grundsätzlich verbietet, eine Entscheidung zu treffen, bevor der Betroffene Gelegenheit zur Äußerung hatte. Ferner verlangt das Gebot der Achtung der Menschenwürde, dass ein Beteiligter in der Lage sein muss, auf den Verfahrensablauf aktiv Einfluss zu nehmen (BGH, Beschluss vom 2. September 2009 - XII ZB 50/06, BGHZ 182, 204 Rn. 25 mwN; Beschluss vom 14. Juni 2012, aaO Rn. 12 mwN). Sanktionen verfahrensrechtlicher Art gegen eine Partei, die diese vom Verfahren ausschließen, dürfen nicht offensichtlich außer Verhältnis zu dem verfolgten Ziel stehen, einen wirksamen Verfahrensablauf zu gewährleisten (EuGH, Urteil vom 2. April 2009, aaO Rn. 40 f; BGH, Urteil vom 18. Oktober 1967, aaO S. 332 f; Beschluss vom 14. Juni 2012, aaO Rn. 12). Darüber hinaus hat in erster Linie jede Partei selbst nach besten Kräften für ihre eigene ordnungsgemäße Vertretung in einem ihr bekannten Gerichtsverfahren zu sorgen (BGH, Urteil vom 29. April 1999 - IX ZR 263/97, BGHZ 141, 286, 297 f; Beschluss vom 2. September 2009, aaO Rn. 26; vom 14. Juni 2012, aaO Rn. 13).
cc) Art. 1135 ZVGB sieht in § 1 vor, dass die Partei, die ihren Wohnsitz, gewöhnlichen Aufenthalt oder Sitz im Ausland hat, verpflichtet ist, einen Zustellungsbevollmächtigten in der Republik Polen zu benennen, wenn sie keinen in der Republik Polen ansässigen Prozessbevollmächtigten bestellt. § 2 bestimmt für den Fall, dass kein Zustellungsbevollmächtigter benannt wird, dass die für diese Partei bestimmten gerichtlichen Schriftstücke in der Gerichtsakte zu belassen sind und als zugestellt gelten. Darüber ist die Partei in der ersten Zustellung zu belehren.
dd) Ein Vorgehen des polnischen Gerichts nach dieser Vorschrift, wie sie im vorliegenden Fall vermutlich vorlag, verstößt gegen den deutschen ordre public.
(1) Nachdem der XII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs im Beschluss vom 26. August 2009 (XII ZB 169/07, BGHZ 182, 188 Rn. 14) diese Frage noch offengelassen und lediglich festgestellt hatte, dass Art. 1135 § 2 ZVGB das durch Art. 103 Abs. 1 GG gewährleistete Recht nicht unerheblich beeinträchtige, hat der erkennende Senat im Beschluss vom 14. Juni 2012 (IX ZB 183/09, WM 2012, 1445) einen Verstoß gegen den deutschen verfahrensrechtlichen ordre public international verneint (vgl. im Einzelnen aaO Rn. 8 ff), weil die dortige Antragsgegnerin entsprechend der vorgeschriebenen Belehrungen in der ersten Zustellung entweder selbst oder durch ihren Anwalt einen in Polen wohnhaften Anwalt als Unterbevollmächtigten hätte bestellen oder einen Zustellungsbevollmächtigten hätte benennen können. Denn dann hätte sie am polnischen Verfahren teilnehmen können (aaO Rn. 23). Der Senat hat in jener Entscheidung offengelassen, ob die genannte polnische Regelung mit dem Gemeinschaftsrecht vereinbar ist (aaO Rn. 26).
(2) Der Gerichtshof der Europäischen Union hat inzwischen mit Urteil vom 19. Dezember 2012 (C-325/11, Alder/Orlowski, NJW 2013, 443) entschieden, dass die genannten polnischen Vorschriften mit Unionsrecht unvereinbar sind. Sollten die polnischen Gerichte diese Vorschriften angewandt haben, haben sie gegen Unionsrecht verstoßen.
Nach den Ausführungen des Gerichtshofs sieht die Verordnung (EG) Nr. 1393/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. November 2007 über die Zustellung gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke in Zivil- und Handelssachen in den Mitgliedsstaaten ("Zustellung von Schriftstücken") und zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 1348/2000 des Rates nur zwei Umstände vor, unter denen die Zustellung eines gerichtlichen Schriftstückes von einem Mitgliedsstaat in einen anderen ihrem Anwendungsbereich entzogen ist, nämlich wenn der Wohnsitz oder gewöhnliche Aufenthalt des Empfängers unbekannt ist, oder wenn dieser einen Bevollmächtigten in dem Mitgliedsstaat benannt hat, in dem das Gerichtsverfahren stattfindet (EuGH, aaO Rn. 24). Da diese Verordnung nach ihrem Art. 26 Abs. 2 seit 13. November 2008 gilt und die genannten Ausnahmen nicht vorliegen, war die Verordnung im vorliegenden Fall anwendbar.
(3) Für den hier gegebenen Fall der Anwendbarkeit der Verordnung hat der Gerichtshof entschieden, dass ein Mechanismus der fiktiven Zustellung, wie er in Art. 1135 ZVGB vorgesehen ist, als mit dieser Verordnung unvereinbar anzusehen ist. Denn dieser Mechanismus nehme dem Recht des Empfängers eines gerichtlichen Schriftstücks, der sein Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt nicht in dem Mitgliedsstaat hat, in dem das gerichtliche Verfahren stattfindet, auf einen tatsächlichen und konkreten Empfang des Schriftstücks namentlich deshalb jede praktische Wirksamkeit, weil ihm weder eine Kenntnisnahme von dem Schriftstück, die so rechtzeitig ist, dass er seine Verteidigung vorbereiten kann, noch die Übersetzung des Schriftstücks gewährleistet ist (EuGH, aaO Rn. 40 f).
Wegen des Vorrangs europäischen Rechts hätte deshalb Art. 1135 ZVGB keine Anwendung finden dürfen.
(4) Ein polnisches Urteil, das gleichwohl unter Zugrundelegung von Art. 1135 ZVGB zustande gekommen ist und damit unter Verstoß gegen Gemeinschaftsrecht, kann wegen Verstoßes gegen den deutschen verfahrensrechtlichen ordre public international nicht mehr für vollstreckbar erklärt werden. Die Anerkennung und Vollstreckung beeinträchtigte in diesem Fall nicht nur den Anspruch des Antragsgegners auf Gewährung rechtlichen Gehörs. Sie verstieße zudem gegen wesentliche Rechtsgrundsätze Europäischen Rechts und damit gegen Rechtsvorschriften, die sowohl im Urteilsstaat wie im Vollstreckungsstaat Geltung beanspruchen, um das Verteidigungsrecht des Beklagten zu schützen. Das Recht des Empfängers auf einen tatsächlichen und konkreten Empfang eines zuzustellenden gerichtlichen Schriftstücks verlöre seine praktische Wirksamkeit.
b) Die Vollstreckbarerklärung des polnischen Urteils ist derzeit außerdem deshalb nicht möglich, weil dieses keine Begründung enthält. Es lässt nicht einmal erkennen, ob es sich um ein streitiges Urteil oder ein Versäumnisurteil handelt und ob die unionsrechtswidrige Regelung des Art. 1135 ZVGB angewandt worden ist. Deshalb lässt sich derzeit auch insoweit nicht feststellen, ob die Vollstreckbarerklärung gegen Art. 34 Nr. 1 EuGVVO aF (ordre public) verstößt.
aa) Schon das unionsrechtliche Recht auf ein faires Verfahren, das sich aus den gemeinsamen Verfassungsüberlieferungen der Mitgliedsstaaten ergibt und in Art. 47 Abs. 2 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union bekräftigt wurde, verlangt, dass jede gerichtliche Entscheidung mit Gründen zu versehen ist, damit der Beklagte die Gründe seiner Verurteilung verstehen und gegen eine solche Entscheidung auf zweckdienliche und wirksame Weise Rechtsmittel einlegen kann (EuGH, Urteil vom 6. September 2012 - C-619/10, Trade Agency/Seramico, EuZW 2012, 912 Rn. 52 f). Deshalb kann ein Gericht des Vollstreckungsmitgliedsstaates grundsätzlich davon ausgehen, dass eine ergangene Entscheidung, die keine Würdigung in Bezug auf den Gegenstand, die Grundlage und die Begründetheit der Klage enthält, eine Beschränkung des Grundrechts in der Rechtsordnung dieses Mitgliedsstaats darstellt (EuGH, aaO Rn. 53 f). Das Grundrecht auf ein faires Verfahren kann allerdings Beschränkungen unterliegen, sofern diese tatsächlich Zielen des Allgemeininteresses entsprechen, die mit den in Rede stehenden Maßnahmen verfolgt werden und keine offensichtliche und unverhältnismäßige Beeinträchtigung darstellen. Der Umfang der Begründungspflicht kann nach Art und Umfang des Verfahrens variieren. Deshalb bedarf es einer umfassenden Würdigung der mit der Entscheidung einhergehenden Verfahrensgarantien, um zu prüfen, ob diese den betroffenen Personen die Möglichkeit geben, in zweckdienlicher und wirksamer Weise Rechtsmittel einzulegen (EuGH, aaO Rn. 55, 60).
bb) Nach deutschem Recht sind gemäß § 313b Abs. 1 ZPO Versäumnis- und Anerkenntnisurteile nicht mit Tatbestand und Entscheidungsgründen zu versehen. Sie müssen aber als solche Urteile bezeichnet werden. Sollen sie im Ausland für vollstreckbar erklärt werden, sind diese Urteile gemäß § 30 Abs. 1 AVAG zu vervollständigen. Dann sind Tatbestand und Entscheidungsgründe nach § 30 Abs. 2 AVAG nachträglich abzufassen.
cc) Nach Art. 328 ZVGB werden in Polen streitige Urteile nur auf Antrag der Partei begründet oder dann, wenn ein Rechtsmittel eingelegt wurde. Ein Versäumnisurteil ist entsprechend Art. 342 ZVGB nicht zu begründen, nur die vollständige oder teilweise Klageabweisung, wenn der Kläger dies beantragt oder Berufung eingelegt hat.
Nach Art. 1144 ZVGB ist jedoch eine nicht begründete rechtskräftige Entscheidung eines polnischen Gerichts auf Antrag mit Gründen zu versehen, wenn dies zur Anerkennung und Vollstreckung im Ausland erforderlich ist.
dd) Aus dem für vollstreckbar zu erklärenden polnischen Urteil ergibt sich nicht, weshalb die Antragsgegnerin verurteilt wurde. Es ist nicht einmal der zugrunde liegende Sachverhalt erkennbar. Aus dem Beschluss vom 17. Februar 2011, mit dem die Vollstreckungsklausel erteilt wurde, ergibt sich zwar, dass das Urteil der Klage entspricht. Was indessen Gegenstand der Klage war, ist nicht vorgetragen. Die Feststellung, welcher Sachverhalt überhaupt Gegenstand der Verurteilung war, kann zwar gegebenenfalls, soweit dies zuverlässig möglich ist, auch anhand anderer Unterlagen festgestellt werden, welche die fachliche Begründung allein oder zusammen mit anderen Unterlagen (hier: etwa Klage und Beschluss über die Erteilung der Vollstreckungsklausel) ersetzen. Die Klage hat die Antragstellerin nicht vorgelegt. Auf das Erfordernis hätte sie hingewiesen werden müssen.
Die Vollstreckbarerklärung eines Urteils, das weder allein noch zusammen mit anderen vorgelegten Urkunden den zugrunde liegenden Sachverhalt nicht erkennen lässt, verstößt gegen den deutschen verfahrensrechtlichen ordre public, weil in späteren Verfahren nicht feststellbar wäre, ob gegen den Antragsgegner Ansprüche geltend gemacht werden, über die bereits rechtskräftig entschieden ist.
Kayser Vill Lohmann
Pape Möhring