Bundesgerichtshof

Entscheidungsdatum: 08.03.2018


BGH 08.03.2018 - IX ZB 12/16

Insolvenzverfahren: Entscheidung über die Restschuldbefreiung im schriftlichen Verfahren; öffentliche Bekanntmachung


Gericht:
Bundesgerichtshof
Spruchkörper:
9. Zivilsenat
Entscheidungsdatum:
08.03.2018
Aktenzeichen:
IX ZB 12/16
ECLI:
ECLI:DE:BGH:2018:080318BIXZB12.16.0
Dokumenttyp:
Beschluss
Vorinstanz:
vorgehend LG Koblenz, 6. Juli 2015, Az: 2 T 264/15vorgehend AG Montabaur, 20. April 2015, Az: 14 IN 71/08
Zitierte Gesetze

Leitsätze

1. Ist in einem vor dem 1. Juli 2014 beantragten Insolvenzverfahren über die Restschuldbefreiung vor Abschluss des Insolvenzverfahrens zu entscheiden und soll dies ohne Einberufung einer Gläubigerversammlung geschehen, hat das Insolvenzgericht das schriftliche Verfahren anzuordnen und eine einheitliche Frist zu bestimmen, innerhalb der zum Antrag des Schuldners auf Restschuldbefreiung Stellung genommen und die Versagung der Restschuldbefreiung beantragt werden kann.

2. Die Anordnung des schriftlichen Verfahrens zur Anhörung der Verfahrensbeteiligten zum Antrag des Schuldners auf Restschuldbefreiung ist öffentlich bekannt zu machen.

Tenor

Dem Schuldner wird Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Frist zur Begründung der Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss der 2. Zivilkammer des Landgerichts Koblenz vom 6. Juli 2015 gewährt.

Die Rechtsbeschwerde gegen den vorbezeichneten Beschluss wird auf Kosten des Schuldners zurückgewiesen.

Der Wert des Rechtsbeschwerdeverfahrens wird auf 5.000 € festgesetzt.

Gründe

I.

1

Mit Beschluss vom 12. September 2008 wurde über das Vermögen des Schuldners das Insolvenzverfahren eröffnet. Der zum Insolvenzverwalter bestellte weitere Beteiligte zu 1 gab die selbständige Tätigkeit des Schuldners als Zahnarzt aus dem Insolvenzbeschlag frei. Das Insolvenzgericht teilte den Verfahrensbeteiligten mit Schreiben vom 12. September 2014 mit, dass die Laufzeit der Abtretungserklärung geendet habe und deshalb über den Antrag des Schuldners auf Restschuldbefreiung zu entscheiden sei, obwohl das Insolvenzverfahren noch nicht abgeschlossen werden könne, und gab Gelegenheit, binnen zwei Wochen ab Zugang des Schreibens Stellung zu nehmen und gegebenenfalls Anträge auf Versagung der Restschuldbefreiung zu stellen. Der weitere Beteiligte zu 2 beantragte als Insolvenzgläubiger am 30. September 2014, die Frist zur Stellungnahme bis zum 24. Oktober 2014 zu verlängern. Am Tag des Ablaufs der vom Insolvenzgericht antragsgemäß verlängerten Frist hat der weitere Beteiligte zu 2 die Versagung der Restschuldbefreiung beantragt.

2

Das Insolvenzgericht hat diesem Antrag stattgegeben und dem Schuldner die Restschuldbefreiung versagt. Auf die sofortige Beschwerde des Schuldners hat das Beschwerdegericht den Beschluss des Insolvenzgerichts aufgehoben, die Sache zur erneuten Entscheidung unter Beachtung der Rechtsauffassung der Kammer zurückverwiesen und die Rechtsbeschwerde zugelassen. Der Senat hat dem Schuldner für das Rechtsbeschwerdeverfahren Prozesskostenhilfe und Wiedereinsetzung in die versäumte Rechtsbeschwerdefrist gewährt. Mit seiner Rechtsbeschwerde erstrebt der Schuldner die Gewährung von Restschuldbefreiung.

II.

3

Dem Schuldner ist wegen der Versäumung der Frist zur Begründung der Rechtsbeschwerde Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren (§§ 233, 234 Abs. 2, § 575 Abs. 2 ZPO). Die Fristversäumung ist unverschuldet (§ 233 ZPO), weil der Schuldner wegen seiner Mittellosigkeit außerstande war, durch die Beauftragung eines beim Bundesgerichtshof zugelassenen Rechtsanwalts die Frist zur Begründung der Rechtsbeschwerde einzuhalten. Die Wiedereinsetzungsfrist ist gewahrt.

III.

4

Die Rechtsbeschwerde ist aufgrund ihrer unbeschränkten Zulassung durch das Beschwerdegericht statthaft (§ 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 ZPO, §§ 6, 300 Abs. 3 Satz 2 InsO aF). Der Schuldner ist durch die Entscheidung des Beschwerdegerichts insofern beschwert, als der Antrag auf Versagung der Restschuldbefreiung nicht abgelehnt, sondern das Verfahren an das Insolvenzgericht zurückverwiesen worden ist. Die Rechtsbeschwerde ist auch im Übrigen zulässig (§ 575 ZPO). Sie hat aber in der Sache keinen Erfolg.

5

1. Das Beschwerdegericht hat ausgeführt: Grundsätzlich müsse über die vom Schuldner beantragte Restschuldbefreiung im Schlusstermin entschieden werden. Könne ein solcher wegen des noch fortdauernden Insolvenzverfahrens noch nicht abgehalten werden, müsse die Anhörung in einer entsprechenden Form durchgeführt werden, nämlich entweder in einer Gläubigerversammlung oder im schriftlichen Verfahren. Das Insolvenzgericht habe hier den zweiten Weg gewählt. Es fehle aber an einer wirksamen Fristsetzung, weil die Frist zur Stellungnahme an den Zugang bei den jeweiligen Beteiligten gebunden und einseitig nur für den weiteren Beteiligten zu 2 verlängert worden sei, sodass sie nicht einheitlich gegenüber allen Beteiligten geendet habe. Mangels eines wirksamen Fristlaufs liege auch kein wirksamer Versagungsantrag vor. Hierzu müsse das Insolvenzgericht nach der Zurückverweisung Gelegenheit geben.

6

2. Diese Beurteilung hält rechtlicher Nachprüfung im Ergebnis stand.

7

a) Auf den Streitfall finden die Vorschriften der Insolvenzordnung in der bis zum 1. Juli 2014 geltenden Fassung Anwendung, weil das Insolvenzverfahren vor diesem Zeitpunkt beantragt worden ist (Art. 103h EGInsO).

8

aa) Danach ist über den Antrag auf Restschuldbefreiung nach Ende der Laufzeit der Abtretungserklärung von Amts wegen zu entscheiden, auch wenn das Insolvenzverfahren zu diesem Zeitpunkt noch nicht abgeschlossen werden kann. Da zu diesem Zeitpunkt noch kein Schlusstermin abgehalten werden kann, muss die nach § 289 Abs. 1 Satz 1 InsO aF vorgeschriebene Anhörung der Insolvenzgläubiger, des Insolvenzverwalters oder Treuhänders und des Schuldners in einer Form durchgeführt werden, die dem Schlusstermin entspricht. Dies kann in einer Gläubigerversammlung oder gemäß § 5 Abs. 2 InsO im schriftlichen Verfahren erfolgen (BGH, Beschluss vom 3. Dezember 2009 - IX ZB 247/08, BGHZ 183, 258 Rn. 14 ff, 28; vom 22. April 2010 - IX ZB 196/09, WM 2010, 1082 Rn. 9; vom 12. Mai 2011 - IX ZB 229/10, ZInsO 2011, 1126 Rn. 6 f; vom 11. Oktober 2012 - IX ZB 230/09, WM 2012, 2161 Rn. 8; vom 12. März 2015 - IX ZB 85/13, WM 2015, 972 Rn. 7; vom 8. September 2016 - IX ZB 72/15, WM 2016, 2030 Rn. 14).

9

bb) Ein Antrag auf Versagung der Restschuldbefreiung kann von einem Insolvenzgläubiger nach dem Wortlaut des § 290 Abs. 1 InsO aF nur im Schlusstermin gestellt werden. Dies gilt entsprechend für einen vorzeitig abgehaltenen, dem Schlusstermin entsprechenden Termin zur Entscheidung über die Restschuldbefreiung. Ist gemäß § 5 Abs. 2 InsO das schriftliche Verfahren angeordnet worden, muss der Versagungsantrag dementsprechend im Rahmen dieses Verfahrens gestellt werden (BGH, Beschluss vom 8. September 2016, aaO Rn. 15 mwN).

10

b) Nach diesen Grundsätzen war das Insolvenzgericht berechtigt und verpflichtet, zur Entscheidung über den Antrag des Schuldners auf Restschuldbefreiung entweder eine Gläubigerversammlung einzuberufen oder das schriftliche Verfahren anzuordnen. Will das Insolvenzgericht, wie hier geschehen, von der Einberufung einer Gläubigerversammlung absehen und im schriftlichen Verfahren entscheiden, bedarf es nach § 5 Abs. 2 Satz 1 InsO aF einer ausdrücklichen Anordnung des schriftlichen Verfahrens. Die Anordnung hat wegen der damit verbundenen Rechtsfolgen grundsätzlich durch Beschluss zu erfolgen (BGH, Beschluss vom 9. März 2006 - IX ZB 17/05, NZI 2006, 481 Rn. 10). Sie ist - ebenso wie die Bestimmung des Schlusstermins (§ 197 Abs. 2 InsO) oder die Einberufung einer sonstigen Gläubigerversammlung (§ 74 Abs. 2 InsO) - im Internet öffentlich bekannt zu machen (§ 5 Abs. 2 Satz 3, § 9 InsO aF; vgl. BGH, Beschluss vom 10. März 2005 - IX ZB 241/04, nv Rn. 6; vom 10. Oktober 2013 - IX ZB 229/11, WM 2014, 78 Rn. 8; MünchKomm-InsO/Stephan, 3. Aufl., § 290 Rn. 17a; Mohrbutter/Ringstmeier/Pape, Handbuch Insolvenzverwaltung, 9. Aufl., Kap. 17 Rn. 86).

11

Dem genügte das Vorgehen des Insolvenzgerichts nicht. Es informierte mit dem Schreiben vom 12. September 2014 lediglich die Beteiligten über die Sach- und Rechtslage, gab Gelegenheit zur Stellungnahme binnen zwei Wochen nach Zugang dieses Schreibens und kündigte an, dem Schuldner gemäß § 300 Abs. 1 InsO Restschuldbefreiung zu erteilen, wenn nach Ablauf der Frist zur Stellungnahme keine Anträge auf Versagung der Restschuldbefreiung vorlägen. Eine wirksame Anordnung des schriftlichen Verfahrens liegt darin nicht (vgl. zu § 312 Abs. 2 InsO idF bis 30. Juni 2006: BGH, Beschluss vom 20. März 2003 - IX ZB 388/02, WM 2003, 980, 982; vom 9. März 2006, aaO).

12

c) Das vom Insolvenzgericht gewählte Verfahren vermochte einen Schlusstermin auch deswegen nicht zu ersetzen, weil kein einheitliches Ende der Frist bestimmt wurde. Nach der bis zum 30. Juni 2014 geltenden, hier noch maßgeblichen Rechtslage konnten Anträge auf Versagung der Restschuldbefreiung nur im Schlusstermin gestellt werden. Vorher gestellte Anträge waren als bloße Ankündigung eines Versagungsantrags zu behandeln. Anträge, die erst nach dem Schlusstermin gestellt wurden, konnten (und können auch heute) nicht berücksichtigt werden (BGH, Beschluss vom 11. April 2013 - IX ZB 94/12, WM 2013, 1029 Rn. 12; vom 8. September 2016 - IX ZB 72/15, WM 2016, 2030 Rn. 15 f). Dadurch soll gewährleistet werden, dass in einem einheitlichen Termin für die gesamte Verfahrensdauer festgestellt wird, ob der Schuldner seinen Auskunfts- und Mitwirkungspflichten genügt hat (BT-Drucks. 12/2443, S. 189 zu § 237 RegE-InsO). Diese Zäsurwirkung des Schlusstermins (vgl. BGH, Beschluss vom 8. September 2016, aaO Rn. 16) muss erhalten bleiben, wenn anstelle des Schlusstermins eine sonstige Gläubigerversammlung durchgeführt oder über den Antrag auf Restschuldbefreiung im schriftlichen Verfahren entschieden wird. Wird das schriftliche Verfahren angeordnet, muss deshalb - wie im Falle des § 128 Abs. 2 ZPO (vgl. dazu BayVerfGH, Urteil vom 13. März 1987 - Vf. 49-VI-86, juris Rn. 20) - ein dem Schlusstermin entsprechender, für alle Verfahrensbeteiligten einheitlicher Zeitpunkt bestimmt werden, bis zu dem Anträge gestellt und Stellungnahmen abgegeben werden können.

13

Diese Anforderungen erfüllt das Schreiben des Insolvenzgerichts vom 12. September 2014 nicht. Indem es eine Frist von zwei Wochen ab Zugang des Schreibens gewährt, macht es den Fristbeginn von einem künftigen Ereignis abhängig, das für die verschiedenen Verfahrensbeteiligten auf einen unterschiedlichen Zeitpunkt fallen kann. Der Umstand, dass die Verfügung des Insolvenzgerichts betreffend die Versendung der Schreiben an alle Verfahrensbeteiligten nach den Feststellungen im angefochtenen Beschluss des Amtsgerichts einheitlich am 16. September 2014 ausgeführt wurde, ändert daran nichts. Entgegen der Darlegung der Rechtsbeschwerde erfolgten keine Zustellungen durch Aufgabe zur Post im Sinne von § 8 Abs. 1 Satz 2 InsO, § 184 ZPO. Ob mittels der in einem solchen Fall nach § 8 Abs. 1 Satz 3 InsO geltenden Zustellungswirkung ein einheitliches Fristende sichergestellt werden könnte, kann deshalb offen bleiben.

14

d) Da das Insolvenzgericht mithin nicht in einer dem Schlusstermin entsprechenden Form verfuhr, konnte weder ein zu beachtender Antrag auf Versagung der Restschuldbefreiung gestellt noch über den Antrag des Schuldners auf Restschuldbefreiung entschieden werden. Auf die weitere vom Beschwerdegericht erörterte Frage, ob und gegebenenfalls unter welchen Voraussetzungen im Falle eines wirksam angeordneten schriftlichen Verfahrens die für die Stellung eines Versagungsantrags gesetzte Frist verlängert werden kann, kommt es dabei nicht an. Mit Recht hat das Beschwerdegericht die Entscheidung des Insolvenzgerichts aufgehoben und die Sache zur erneuten Entscheidung in einem ordnungsgemäßen Verfahren zurückverwiesen.

Kayser          

      

Gehrlein          

      

Grupp 

      

Schoppmeyer          

      

Meyberg