Entscheidungsdatum: 23.02.2012
1. Die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des 6. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main vom 20. Januar 2011 wird auf Kosten der Beklagten zurückgewiesen.
2. Der Streitwert wird auf 200.000 € festgesetzt.
I. Die Klägerin ist Inhaberin des am 23. April 2007 angemeldeten Sammelgeschmacksmusters Nr. 40702148, das unter Nr. 19 in fünf Ansichten ein von der Klägerin als "Milla" bezeichnetes Muster für eine Gestaltung von Schuhsohlen zeigt:
Außerdem ist die Klägerin Inhaberin eines am 24. September 2007 angemeldeten Sammelgeschmacksmusters Nr. 40704795, das unter Nr. 10 ein von der Klägerin als "Milla 13" bezeichnetes Muster für eine Gestaltung von Schuhen offenbart.
Die Beklagte vertreibt den nachfolgend abgebildeten Schuh:
Außerdem ist die Klägerin Inhaberin eines am 24. September 2007 angemeldeten Sammelgeschmacksmusters Nr. 40704795, das unter Nr. 10 ein von der Klägerin als "Milla 13" bezeichnetes Muster für eine Gestaltung von Schuhen offenbart.
Die Beklagte vertreibt den nachfolgend abgebildeten Schuh:
Die Klägerin ist der Ansicht, die Beklagte mache mit diesem Schuh von ihren Mustern "Milla" und "Milla 13" Gebrauch. Sie nimmt die Beklagte auf Unterlassung, Auskunftserteilung und Feststellung ihrer Schadensersatzpflicht in Anspruch.
Die Beklagte ist dem entgegengetreten. Sie ist der Auffassung, den Geschmacksmustern der Klägerin fehle die Neuheit, da deren Gestaltung durch ein weiteres Sammelgeschmacksmuster der Klägerin - das Sammelgeschmacksmuster Nr. 40604684 - neuheitsschädlich vorweggenommen sei. Dieses Sammelgeschmacksmuster ist bereits am 12. September 2006 angemeldet, am 16. Januar 2007 eingetragen und am 12. März 2007 veröffentlicht worden und zeigt ein Muster für die Gestaltung von Schuhen. Ferner ist die Beklagte der Ansicht, die angegriffene Ausführungsform erwecke einen anderen Gesamteindruck als die Klagemuster.
Das Landgericht hat der Klage stattgegeben. Es hat eine Verletzung der Geschmacksmuster "Milla" und "Milla 13" bejaht. Die Berufung ist im Wesentlichen ohne Erfolg geblieben. Das Berufungsgericht hat lediglich die Verurteilung zur Auskunftserteilung nach einer entsprechenden Klagerücknahme teilweise beschränkt (OLG Frankfurt am Main, GRUR-RR 2011, 165). Das Berufungsgericht hat die Revision nicht zugelassen. Dagegen wendet sich die Nichtzulassungsbeschwerde der Beklagten, deren Zurückweisung die Klägerin beantragt. Mit der Revision möchte die Beklagte ihren Antrag auf Abweisung der Klage weiterverfolgen.
II. Das Berufungsgericht hat angenommen, die Beklagte benutze das Geschmacksmuster "Milla" der Klägerin ohne deren Zustimmung (§ 38 Abs. 1 Satz 1 GeschmMG). Die von der Klägerin geltend gemachten Ansprüche auf Unterlassung (§ 42 Abs. 1 Satz 1 GeschmMG) und Auskunftserteilung (§ 46 Abs. 1 GeschmMG) sowie ihr auf Feststellung der Schadensersatzpflicht (§ 42 Abs. 2 Satz 1 GeschmMG) gerichtetes Begehren hat es als begründet erachtet. Dazu hat es ausgeführt.
Die Gestaltung der Schuhsohle "Milla" sei neu. Das dafür angemeldete Geschmacksmuster Nr. 40702148 sei durch das bereits zuvor veröffentlichte Geschmacksmuster Nr. 40604684 nicht neuheitsschädlich vorweggenommen. Die Sohlen der Schuhe in Nr. 12 bis 15 der Voranmeldung wiesen zwar ebenfalls die charakteristischen Merkmale des Musters "Milla" auf. Zugunsten der Klägerin gelte jedoch die Neuheitsschonfrist des § 6 Satz 1 GeschmMG. Dem stehe nicht entgegen, dass Gegenstand der Voranmeldung Schuhe seien, während das Klagemuster "Milla" lediglich Schuhsohlen betreffe.
Die Gestaltung der Sohle "Milla" verfüge auch über Eigenart. Die diesem Muster am nächsten kommenden Gestaltungen vermittelten einen abweichenden Gesamteindruck.
Der von der Beklagten angebotene Schuh falle in den Schutzbereich des Geschmacksmusters der Klägerin. Die angegriffene Ausführungsform weiche vom Klagemuster im allein maßgeblichen Bereich der Innen- und Außensohle nur in Einzelheiten ab, die auf die Gesamtanmutung keinen Einfluss hätten.
III. Die gegen die Nichtzulassung der Revision gerichtete Beschwerde der Beklagten hat keinen Erfolg.
1. Die Beschwerde macht ohne Erfolg geltend, die Revision sei zuzulassen, weil die Entscheidung des Berufungsgerichts hinsichtlich der Reichweite der Neuheitsschonfrist aus § 6 Satz 1 GeschmMG grundsätzliche Bedeutung habe und zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts erfordere.
a) Nach § 6 Satz 1 GeschmMG bleibt eine Offenbarung bei der Anwendung des § 2 Abs. 2 und 3 GeschmMG (also bei der Prüfung von Neuheit und Eigenart des Geschmacksmusters) unberücksichtigt, wenn ein Muster während der zwölf Monate vor dem Anmeldetag durch den Entwerfer oder seinen Rechtsnachfolger oder durch einen Dritten als Folge von Informationen oder Handlungen des Entwerfers oder seines Rechtsnachfolgers der Öffentlichkeit zugänglich gemacht wurde.
b) Das Berufungsgericht hat angenommen, das für die Schuhsohle "Milla" angemeldete Geschmacksmuster Nr. 40702148 sei durch das bereits zuvor veröffentlichte Geschmacksmuster Nr. 40604684 nicht neuheitsschädlich vorweggenommen. Die Sohlen der Schuhe in Nr. 12 bis 15 der Voranmeldung wiesen zwar ebenfalls die charakteristischen Merkmale des Musters "Milla" auf. Zugunsten der Klägerin gelte jedoch die Neuheitsschonfrist des § 6 Satz 1 GeschmMG. Dem stehe nicht entgegen, dass Gegenstand der Voranmeldung Schuhe seien, während das Klagemuster "Milla" lediglich Schuhsohlen betreffe. Da nach § 1 Nr. 1 GeschmMG auch der Teil eines Erzeugnisses ein Muster sein könne, sei die Neuheitsschonfrist auch auf diejenigen vorveröffentlichten Erzeugnisse zu erstrecken, die erkennbar das Muster als Teil enthielten. Es sei deshalb unschädlich, wenn sich die Erstveröffentlichung - wie im vorliegenden Fall - nicht nur auf einen Teil eines aus mehreren Teilen bestehenden Ganzen (hier Schuhe) erstrecke, während die Nachanmeldung nur ein Teil dieses Ganzen (hier Schuhsohlen) zum Gegenstand habe.
c) Die Beschwerde weist allerdings zutreffend darauf hin, dass die Frage, inwieweit die Neuheitsschonfrist des § 6 Satz 1 GeschmMG eine sachliche Identität des vorweggenommenen Musters und der späteren Anmeldung voraussetzt, in der Literatur umstritten und höchstrichterlich nicht geklärt ist. Einerseits wird die Auffassung vertreten, § 6 Satz 1 GeschmMG erfordere eine begrenzte Sachidentität zwischen der Vorwegnahme und der späteren Anmeldung des Musters; lediglich unwesentliche Abweichungen, die den Rahmen eines für den informierten Benutzer übereinstimmenden Gesamteindrucks nicht überschritten, seien unschädlich (von Falckenstein in Eichmann/von Falckenstein, GeschmMG, 4. Aufl., § 6 Rn. 7; Beyerlein, in Günther/Beyerlein, GeschmMG, 2. Aufl., § 6 Rn. 12 f.; Fischoeder in Stoeckel/Lüken, Handbuch Marken- und Designrecht, 2. Aufl., S. 426). Andererseits wird das Erfordernis einer Sachidentität zwischen vorweggenommenem und angemeldetem Muster abgelehnt (Auler in Büscher/Dittmer/Schiwy, Gewerblicher Rechtsschutz Urheberrecht Medienrecht, § 6 GeschmMG Rn. 2; vgl. zu Art. 7 GGV Ruhl, GGV, 2. Aufl., Art. 7 Rn. 53).
Entgegen der Ansicht der Beschwerde ist diese Frage jedoch nicht klärungsbedürftig. Es kann offenbleiben, ob im Streitfall eine begrenzte Sachidentität zwischen der Vorwegnahme und der späteren Anmeldung des Musters vorliegt, weil die Offenbarung der Erscheinungsform eines ganzen Erzeugnisses - wie das Berufungsgericht angenommen hat - die Offenbarung der Erscheinungsform seiner (erkennbaren) Teile einschließt (zustimmend Beyerlein in Günther/Beyerlein aaO § 6 Rn. 6), oder ob dem entgegensteht - wie die Beschwerde meint - dass nach dem neuen Geschmacksmusterrecht ein Schutz von Teilen eines Musters nicht mehr in Betracht kommt. Wäre durch das vorveröffentlichte Muster die Erscheinungsform der Schuhsohle nicht zugleich mit der Erscheinungsform des Schuhs offenbart worden, hätte die Erscheinungsform der Schuhsohle - wie die Beschwerdeerwiderung zutreffend geltend macht - auch nicht Eingang in den vorbekannten Formenschatz gefunden und müsste daher jedenfalls wegen Fehlens der Vorbekanntheit bei der Prüfung der Neuheit und Eigenart der Schuhsohle "Milla" unberücksichtigt bleiben.
Es kommt in keinem Fall darauf an, ob zwischen dem innerhalb der Schonfrist des § 6 GeschmMG offenbarten Muster und dem später angemeldeten Muster sachliche Identität im Sinne eines übereinstimmenden Gesamteindrucks besteht. Besteht sachliche Identität, bleibt das früher offenbarte Muster bei der Prüfung der Neuheit und Eigenart des später angemeldeten Musters nach § 6 GeschmMG unberücksichtigt. Besteht keine sachliche Identität, steht das früher offenbarte Muster der Neuheit und Eigenart des später angemeldeten Musters jedenfalls deshalb nicht entgegen, weil es einen anderen Gesamteindruck hervorruft (vgl. von Falckenstein in Eichmann/von Falckenstein aaO; Beyerlein, in Günther/Beyerlein aaO; Auler in Büscher/Dittmer/Schiwy aaO).
2. Die Beschwerde macht weiter ohne Erfolg geltend, die Revision sei jedenfalls deshalb zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zuzulassen, weil das Berufungsgericht grundlegend verkannt habe, dass nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs bei der Beurteilung des Schutzumfangs eines Geschmacksmusters nach § 38 Abs. 2 Satz 2 GeschmMG zu berücksichtigen sei, dass eine hohe Musterdichte und damit ein kleiner Gestaltungsspielraum des Entwerfers zu einem engen Schutzumfang des Musters führe, mit der Folge, dass bereits geringe Gestaltungsunterschiede beim informierten Benutzer einen anderen Gesamteindruck hervorrufen könnten.
a) Allerdings ist nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs bei der Bestimmung des Schutzumfangs - ebenso wie bei der Bestimmung der Eigenart - der Grad der Gestaltungsfreiheit des Entwerfers des Klagemusters bei der Entwicklung seines Geschmacksmusters zu berücksichtigen. Dabei besteht zwischen dem Gestaltungsspielraum des Entwerfers und dem Schutzumfang des Musters eine Wechselwirkung. Eine hohe Musterdichte und damit ein kleiner Gestaltungsspielraum des Entwerfers führen zu einem engen Schutzumfang des Musters, mit der Folge, dass bereits geringe Gestaltungsunterschiede beim informierten Benutzer einen anderen Gesamteindruck hervorrufen können. Dagegen führt eine geringe Musterdichte und damit ein großer Gestaltungsspielraum des Entwerfers zu einem weiten Schutzumfang des Musters, so dass selbst größere Gestaltungsunterschiede beim informierten Benutzer möglicherweise keinen anderen Gesamteindruck erwecken (vgl. BGH, Urteil vom 24. März 2011 - I ZR 211/08, GRUR 2011, 1112 Rn. 32 = WRP 2011, 1621 - Schreibgeräte; Urteil vom 7. April 2011 - I ZR 56/09, GRUR 2011, 1117 Rn. 35 = WRP 2011, 1463 - ICE; zu Art. 6 Abs. 2, Art. 10 Abs. 2 GGV BGH, Urteil vom 19. Mai 2010 - I ZR 71/08, GRUR 2011, 142 Rn. 17 f. = WRP 2011, 100 - Untersetzer, mwN).
b) Entgegen der Darstellung der Beschwerde hat das Berufungsgericht jedoch nicht festgestellt, dass bei der Gestaltung von Schuhsohlen ausweislich der von der Klägerin vorgelegten Werbebroschüren eine erhebliche Musterdichte - und damit ein kleiner Gestaltungsspielraum des Entwerfers und enger Schutzumfang des Klagemusters - besteht. Die Rüge der Beschwerde geht daher an der Sache vorbei.
Das Berufungsgericht hat festgestellt, bei der Produktgruppe "Schuhsohlen" bestehe ein vergleichsweise großer Gestaltungsspielraum. Durch den Verwendungszweck sei lediglich die Anpassung der Oberfläche der Schuhsohle an die Anatomie des Fußes vorgegeben. Darüber hinaus seien der Phantasie der Designer in Bezug auf Form, Farbe und Materialauswahl kaum Grenzen gesetzt. Von diesem Gestaltungsspielraum hätten Designer von Schuhen seit jeher intensiven Gebrauch gemacht. Dies veranschaulichten bereits die von der Klägerin vorgelegten Werbebroschüren für aktuelle Schuhe.
Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts ist demnach von einem vergleichsweise großen Gestaltungsspielraum des Entwerfers und folglich von einem entsprechend weiten Schutzumfang des Klagemusters auszugehen. Soweit das Berufungsgericht aus seinen Feststellungen geschlossen hat, es bestehe eine erhebliche Musterdichte, hat es damit ersichtlich nur die von ihm festgestellte erhebliche Mustervielfalt gemeint, die Ausdruck eines weiten Gestaltungsspielraums ist.
3. Die Beschwerde rügt vergeblich, das Berufungsgericht habe bei der Prüfung, ob die Sohle des Schuhs der Beklagten in den Schutzbereich der Schuhsohle "Milla" falle, wesentliche Unterschiede zwischen den beiden Sohlengestaltungen außer Acht gelassen. Ein Zulassungsgrund ist insofern nicht ersichtlich. Unabhängig davon hat der Senat die Rügen geprüft und nicht für durchgreifend erachtet. Von einer Begründung wird gemäß § 544 Abs. 4 Satz 2 Halbsatz 2 ZPO abgesehen.
IV. Danach ist die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im Berufungsurteil auf Kosten der Beklagten (§ 97 Abs. 1 ZPO) zurückzuweisen.
Bornkamm Pokrant Kirchhoff
Koch Löffler