Bundesgerichtshof

Entscheidungsdatum: 08.11.2018


BGH 08.11.2018 - I ZB 108/17

Gericht:
Bundesgerichtshof
Spruchkörper:
1. Zivilsenat
Entscheidungsdatum:
08.11.2018
Aktenzeichen:
I ZB 108/17
ECLI:
ECLI:DE:BGH:2018:081118BIZB108.17.0
Dokumenttyp:
Beschluss
Vorinstanz:
vorgehend OLG Düsseldorf, 2. November 2017, Az: I-18 U 82/17vorgehend LG Düsseldorf, 16. Mai 2017, Az: 36 O 101/15
Zitierte Gesetze

Tenor

Auf die Rechtsbeschwerde der Beklagten wird der Beschluss des 18. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Düsseldorf vom 2. November 2017 aufgehoben.

Der Beklagten wird gegen die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt.

Die Sache wird zur erneuten Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens wird auf 9.438,68 € festgesetzt.

Gründe

1

I. Das Landgericht hat die Beklagte aus einem Transportvertrag zu einer Schadensersatzzahlung für die beim Abladen entstandene Beschädigung einer Sortiermaschine verurteilt. Die Beklagte hat Berufung eingelegt. Am letzten Tag der Berufungsbegründungsfrist ist beim Berufungsgericht per Telefax eine nicht unterschriebene Berufungsbegründung eingegangen. Mit Telefaxschreiben vom darauffolgenden Tag ging eine inhaltsgleiche unterschriebene Berufungsbegründung beim Berufungsgericht ein.

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Nach Hinweis des Berufungsgerichts, dass der fristgerecht eingegangene Schriftsatz keine Unterschrift enthalte, hat die Beklagte fristgerecht Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt. Zur Begründung hat sie vorgetragen, die Büroangestellte ihres Prozessbevollmächtigten habe versehentlich nicht den für das Gericht bestimmten unterschriebenen Schriftsatz, sondern das für die Mandantschaft bestimmte nicht unterzeichnete Exemplar des Schriftsatzes per Telefax an das Berufungsgericht übersandt. Dies sei bei der am nächsten Tag von der Bürovorsteherin durchgeführten Kontrolle, ob der Schriftsatz ordnungsgemäß und mit einem entsprechenden Fax-Protokoll zur Versendung gelangt sei, aufgefallen. Die Kontrolle habe am Vortag nicht stattfinden können, weil die Bürovorsteherin das Büro vorzeitig verlassen habe. Eine Nachkontrolle sei nicht erforderlich gewesen, weil der bearbeitende Rechtsanwalt der Bürokraft eine konkrete Einzelanweisung erteilt und deren Erledigung später selbst durch Rückfrage überprüft habe.

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Das Berufungsgericht hat den Antrag der Beklagten auf Wiedereinsetzung in die versäumte Berufungsbegründungsfrist zurückgewiesen und die Berufung als unzulässig verworfen. Hiergegen wendet sich die Beklagte mit der Rechtsbeschwerde.

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II. Die Rechtsbeschwerde ist zulässig und hat auch in der Sache Erfolg.

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1. Die nach § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 522 Abs. 1 Satz 4, § 238 Abs. 2 Satz 1 ZPO statthafte sowie form- und fristgerecht eingelegte und begründete Rechtsbeschwerde ist auch im Übrigen zulässig, da die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordert (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 ZPO). Das Berufungsgericht hat der Beklagten zu Unrecht Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Berufungsbegründungsfrist verwehrt. Die Verwerfung der Berufung als unzulässig verletzt die Beklagte in ihrem verfassungsrechtlich gewährleisteten Anspruch auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes aus Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG. Danach darf einer Partei die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht aufgrund von Anforderungen an die Sorgfaltspflicht ihrer Prozessbevollmächtigten versagt werden, die nach höchstrichterlicher Rechtsprechung nicht verlangt werden und der Partei den Zugang zu einer in der Verfahrensordnung eingeräumten Instanz in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigender Weise erschwert (vgl. BVerfG, NJW-RR 2002, 1004 [juris Rn. 17] mwN; BGH, Beschluss vom 23. Mai 2017 - II ZB 19/16, NJW-RR 2017, 1140 Rn. 7 mwN).

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2. Die Rechtsbeschwerde ist begründet. Das Berufungsgericht hat die nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs bestehenden Anforderungen an die anwaltliche Organisationspflicht in Bezug auf fristgebundene Schriftsätze überspannt.

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a) Das Berufungsgericht hat die von der Beklagten begehrte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand mit der Begründung abgelehnt, der Prozessbevollmächtigte der Beklagten, dessen Verschulden diese sich nach § 85 Abs. 2 ZPO zurechnen lassen müsse, habe die Berufungsbegründungsfrist schuldhaft versäumt. Die Beklagte trage nicht vor, welche allgemeinen Anweisungen in Bezug auf die Ausgangskontrolle im Büro ihres Prozessbevollmächtigten bestünden. Unklar sei, ob allabendliche Ausgangskontrollen angeordnet seien und weshalb die mit der Ausgangskontrolle beauftragte Bürovorsteherin am letzten Tag der Berufungsbegründungsfrist das Büro vorzeitig verlassen habe. Der Umstand, dass ihr bei der am Folgetag nachgeholten Ausgangskontrolle die fehlende Unterschrift sofort aufgefallen sei, zeige, dass eine Überprüfung erfolgt wäre und im Büro des Prozessbevollmächtigten der Beklagten offensichtlich auch für erforderlich gehalten werde. Vortrag zur Organisation der Ausgangskontrolle sei nicht wegen einer Einzelweisung entbehrlich gewesen. Die Büroangestellte habe in ihrer eidesstattlichen Versicherung erklärt, sie sei darauf hingewiesen worden, dass es sich bei dem Schriftsatz um eine an diesem Tag ablaufende Fristsache handele, die "möglichst" vorab an das Berufungsgericht gefaxt werden "solle". Dem könne eine konkrete Einzelanweisung nicht entnommen werden. Diese Beurteilung hält den Angriffen der Rechtsbeschwerde nicht stand.

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b) Hat eine Partei die Berufungsbegründungsfrist versäumt, ist ihr nach § 233 ZPO auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, wenn sie ohne ihr Verschulden an der Einhaltung der Frist verhindert war. Das Verschulden ihres Prozessbevollmächtigten wird der Partei zugerechnet (§ 85 Abs. 2 ZPO), das Verschulden sonstiger Dritter hingegen nicht. Fehler von Büropersonal hindern eine Wiedereinsetzung deshalb nicht, solange den Rechtsanwalt oder die Rechtsanwältin kein eigenes Verschulden etwa in Form eines Organisations- oder Aufsichtsverschuldens trifft. Die Partei muss im Rahmen ihres Antrags auf Wiedereinsetzung in die versäumte Frist gemäß § 236 Abs. 2 ZPO die die Wiedereinsetzung begründenden Tatsachen vortragen und glaubhaft machen (vgl. BGH, Beschluss vom 18. Januar 2018 - IX ZB 4/17, juris Rn. 5).

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c) Die Beklagte trifft danach entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts kein Verschulden an der Versäumung der Berufungsbegründungsfrist. Die Fristversäumung beruhte nicht auf einem Organisationsverschulden ihres Prozessbevollmächtigten, sondern auf einem der Beklagten nicht zurechenbaren Fehler der Büroangestellten ihres Prozessbevollmächtigten bei der Versendung der Berufungsbegründung per Telefax.

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aa) Die Versendung eines fristgebundenen Schriftsatzes per Telefax stellt eine einfache Bürotätigkeit dar, mit der geschultes und zuverlässiges Kanzleipersonal beauftragt werden darf (vgl. BGH, Beschluss vom 7. November 2012 - IV ZB 20/12, NJW-RR 2013, 305 Rn. 7; Beschluss vom 10. September 2013 - VI ZB 61/12, NJW-RR 2013, 1467 Rn. 9, jeweils mwN). Wird eine nicht unterzeichnete Rechtsmittel-(Begründungs-)Schrift fristgerecht bei Gericht eingereicht, kann Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt werden, wenn der Prozessbevollmächtigte sein Büropersonal allgemein angewiesen hatte, sämtliche ausgehenden Schriftsätze vor der Absendung auf das Vorhandensein der Unterschrift zu überprüfen (BGH, Beschluss vom 15. Juli 2014 - VI ZB 15/14, NJW 2014, 2961 Rn. 9; Beschluss vom 18. Februar 2016 - IX ZB 30/15, juris Rn. 5). Diese Voraussetzungen sind erfüllt.

11

Die Beklagte hat durch Vorlage der eidessstattlichen Versicherung der Kanzleikraft sowie durch die anwaltliche Versicherung ihres Prozessbevollmächtigten glaubhaft gemacht, dass diese Anforderungen im Büro ihres Prozessbevollmächtigten beachtet werden. Danach ist der seit einem knappen Jahr im Büro beschäftigten Kanzleikraft regelrecht "eingebläut" worden, dass sie vor der Versendung fristgebundener Schriftsätze zu prüfen habe, ob der betreffende Anwalt unterzeichnet habe. Sie sei insofern immer wieder von der Bürovorsteherin und den Anwälten kontrolliert worden und habe sich seit Beginn ihrer Tätigkeit als absolut zuverlässig erwiesen. Fehler seien ihr bei der Erledigung von Fristsachen bislang nicht unterlaufen. Auf eine vom Berufungsgericht verneinte konkrete Einzelanweisung des Prozessbevollmächtigten der Beklagten kommt es danach nicht mehr an.

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bb) Es liegt kein sonstiges für die Fristversäumung ursächliches Organisationsverschulden des Prozessbevollmächtigten der Beklagten vor. Das Berufungsgericht hat die Anforderungen an die Ausgangskontrolle eines fristwahrenden Schriftsatzes nach seiner Übermittlung per Telefax überspannt.

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(1) Zu einer wirksamen Ausgangskontrolle gehört die Anordnung, dass die Erledigung von fristgebundenen Sachen am Abend eines jeden Arbeitstags durch eine dazu beauftragte Bürokraft anhand des Fristenkalenders nochmals selbständig überprüft wird (st. Rspr.; BGH, Beschluss vom 4. November 2014 - VIII ZB 38/14, NJW 2015, 253 Rn. 8; Beschluss vom 30. Mai 2017 - VI ZB 54/16, NJW-RR 2017, 1532 Rn. 16 mwN). Diese Fristenkontrolle dient nicht alleine dazu zu überprüfen, ob sich aus den Eintragungen im Fristenkalender noch unerledigt gebliebene Fristsachen ergeben, sondern auch dazu, festzustellen, ob möglicherweise in einer bereits als erledigt vermerkten Fristsache die fristwahrende Handlung noch aussteht (vgl. BGH, NJW 2015, 253 Rn. 10; NJW-RR 2017, 1532 Rn. 16 mwN). Eine nachträgliche inhaltliche Kontrolle der einzelnen Schriftstücke ist im Rahmen der Ausgangskontrolle nicht erforderlich (vgl. BGH, NJW-RR 2017, 1140 Rn. 14); eine solche wäre bei per Post versendeten Schriftstücken, insbesondere mit Blick auf das Vorhandensein der erforderlichen Unterschrift, auch nur begrenzt möglich.

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(2) Ein Organisationsverschulden des Prozessbevollmächtigten liegt danach nicht vor. Eine entsprechende Ausgangskontrolle durch die Bürovorsteherin hat der Prozessbevollmächtigte anwaltlich versichert. Weiterer Vortrag zur Organisation der Ausgangskontrolle war entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts nicht erforderlich. Überdies dient die allabendliche Ausgangskontrolle nach der Rechtsprechung nicht dazu, eine inhaltliche Kontrolle der einzelnen Schriftstücke vorzunehmen. Nur eine solche hätte aber im vorliegenden Fall eine Versendung der Berufungsbegründung ohne Unterschrift - möglicherweise - aufdecken können.

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Dem Prozessbevollmächtigten der Beklagten kann ein Verschulden auch nicht deshalb angelastet werden, weil die abendliche Ausgangskontrolle in seinem Büro offensichtlich die Prüfung umfasst, ob der Schriftsatz mit der erforderlichen Unterschrift gefaxt worden ist, und diese Kontrolle am fraglichen Tag nicht stattfand. Soweit im Büro des Prozessbevollmächtigten der Beklagten eine solche, über das gebotene Maß hinausgehende Ausgangskontrolle aufgrund einer Anordnung stattfindet, kann dies nicht zu einer Verschärfung der den Rechtsanwalt treffenden Sorgfaltspflichten führen (vgl. BGH, Beschluss vom 16. September 2015 - V ZB 54/15, NJW-RR 2016, 126 Rn. 13).

16

3. Nach § 577 Abs. 4 Satz 1 ZPO ist die angefochtene Entscheidung aufzuheben und die Sache zur erneuten Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen. Da es weiterer Feststellungen nicht bedarf, kann der Senat über die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 577 Abs. 5 Satz 1 ZPO selbst entscheiden.

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