Entscheidungsdatum: 27.09.2010
Für die Klage des Insolvenzverwalters gegen einen Arbeitnehmer des Schuldners auf Rückgewähr vom Schuldner geleisteter Vergütung nach § 143 Abs 1 InsO ist der Rechtsweg zu den Gerichten für Arbeitssachen gegeben.
Für die Klage des Insolvenzverwalters gegen einen Arbeitnehmer des Schuldners auf Rückgewähr vom Schuldner geleisteter Vergütung nach § 143 Abs. 1 InsO ist der Rechtsweg zu den Gerichten für Arbeitssachen gegeben.
I. Der Kläger des Ausgangsverfahrens ist Insolvenzverwalter in dem am 10. September 2007 eröffneten Insolvenzverfahren über das Vermögen des Bauunternehmers B. N. (im Folgenden: Schuldner). Der Beklagte war bis zu seiner fristlosen Eigenkündigung am 25. Mai 2007 Arbeitnehmer des Schuldners. Seinen Lohn für Dezember 2006 erhielt er am 8. März 2007. Den Lohn für Januar 2007 zahlte der Schuldner in drei Teilbeträgen am 13. und 26. April 2007 (jeweils 500,00 Euro) sowie 464,31 Euro am 11. Mai 2007. Seinen Lohn für Februar 2007 in Höhe von 1.237,06 Euro erhielt der Beklagte am 25. Juni 2007. Mit Schreiben vom 1. Oktober 2007 hat der Kläger die Lohnzahlungen des Schuldners für Januar und Februar 2007 "gem. § 130 InsO" angefochten und mit seiner am 7. Februar 2008 zum Amtsgericht K. erhobenen Klage die Rückgewähr der Vergütung für die Monate Januar und Februar 2007 in Höhe von insgesamt 2.701,37 Euro nach § 143 Abs. 1 InsO geltend gemacht.
Das Amtsgericht K. hat mit Beschluss vom 29. Mai 2008 den Rechtsweg zu den Zivilgerichten für unzulässig erklärt und den Rechtsstreit an das Arbeitsgericht B. verwiesen. Das Landgericht B. hat die sofortige Beschwerde des Klägers zurückgewiesen und die Rechtsbeschwerde zugelassen. Der IX. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat der Rechtsbeschwerde stattgeben wollen. Er hat sich an einer solchen Entscheidung gehindert gesehen, weil er damit von der Rechtsprechung des Fünften Senats des Bundesarbeitsgerichts (Beschluss vom 27. Februar 2008 - 5 AZB 43/07, BAGE 126, 117 und vom 31. März 2009 - 5 AZB 98/08, ZIP 2009, 831) abgewichen wäre. Danach ist der Rechtsweg zu den Gerichten für Arbeitssachen eröffnet, wenn der Insolvenzverwalter vom Arbeitnehmer Rückzahlung der vom Schuldner vor Insolvenzeröffnung geleisteten Vergütung wegen Anfechtbarkeit der Erfüllungshandlung (§§ 129 ff. InsO) fordert. Der IX. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat daher mit Beschluss vom 2. April 2009 (IX ZB 182/08, ZIP 2009, 825 = NZA 2009, 571) dem Gemeinsamen Senat der obersten Gerichtshöfe des Bundes die Frage vorgelegt:
"Ist für die Klage des Insolvenzverwalters gegen einen Arbeitnehmer des Schuldners aus Insolvenzanfechtung der ordentliche Rechtsweg auch dann gegeben, wenn die Anfechtung eine vom Schuldner geleistete Vergütung betrifft?"
II. Die Vorlage ist zulässig, § 2 Abs. 1 des Gesetzes zur Wahrung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung der obersten Gerichtshöfe des Bundes - RsprEinhG - vom 19. Juni 1968 (BGBl. I S. 661).
Die Entscheidung des Bundesgerichtshofs über den Rechtsweg im Ausgangsverfahren hängt von der Frage ab, ob für die Klage des Insolvenzverwalters auf Rückgewähr der von dem Schuldner an einen Arbeitnehmer vor Insolvenzeröffnung geleisteten Vergütung nach § 143 Abs. 1 InsO der Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten oder der zu den Gerichten für Arbeitssachen gegeben ist. Während der IX. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs den Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten bejahen und der Rechtsbeschwerde stattgeben will, wäre die Rechtsbeschwerde nach der Rechtsprechung des Fünften Senats des Bundesarbeitsgerichts zurückzuweisen. Dieser hat sich der Rechtsauffassung des vorlegenden Senats auch nicht angeschlossen, § 14 RsprEinhG (vgl. BAG, Beschluss vom 15. Juli 2009 - GmS-OGB 1/09, ZIP 2009, 1687 = DB 2009, 1828). Damit besteht zwischen den beteiligten Senaten eine Divergenz in einer für das Ausgangsverfahren entscheidungserheblichen Frage.
III. Der Gemeinsame Senat beantwortet die vorgelegte Rechtsfrage dahin, dass für die Klage des Insolvenzverwalters gegen einen Arbeitnehmer des Schuldners auf Rückgewähr vom Schuldner geleisteter Vergütung nach § 143 Abs. 1 InsO der Rechtsweg zu den Gerichten für Arbeitssachen gegeben ist. Es handelt sich um eine bürgerliche Rechtsstreitigkeit zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber aus dem Arbeitsverhältnis, § 2 Abs. 1 Nr. 3a ArbGG.
1. Streitigkeiten der in der Vorlagefrage bezeichneten Art sind bürgerliche Rechtsstreitigkeiten im Sinne des § 2 ArbGG und des § 13 GVG. Das steht zwischen den beteiligten Senaten außer Streit und entspricht der ständigen Rechtsprechung des Gemeinsamen Senats zur Abgrenzung öffentlich- und bürgerlich-rechtlicher Streitigkeiten (vgl. Gemeinsamer Senat, Beschluss vom 29. Oktober 1987 - GmS-OGB 1/86, BGHZ 102, 280; Beschluss vom 10. April 1986 - GmS-OGB 1/85, BGHZ 97, 312, jeweils mwN).
2. Ob für eine bürgerliche Rechtsstreitigkeit der Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten oder der zu den Gerichten für Arbeitssachen gegeben ist, bestimmt sich nach dem prozessualen Streitgegenstand. Erfüllt dieser einen der Tatbestände der §§ 2 ff. ArbGG, ist der - eine ausschließliche Zuständigkeit begründende - Rechtsweg zu den Gerichten für Arbeitssachen eröffnet.
a) Nach Auffassung des vorlegenden Senats ist rechtswegbestimmend der anfechtungsrechtliche Rückgewähranspruch. Bei ihm handele es sich um einen originären gesetzlichen Anspruch des Insolvenzverwalters, der mit dessen Amt untrennbar verbunden sei und mit Beendigung des Insolvenzverfahrens erlösche. Die Rückgewährpflicht des Arbeitnehmers habe ihre Grundlage nicht im Arbeitsrecht, für das die Tatbestände der §§ 2 ff. ArbGG einschlägig seien, sondern allein im Insolvenzrecht. Dem Vertragsarbeitgeber stehe der Anfechtungsanspruch gleichgültig, ob außerhalb der Insolvenz nach dem Anfechtungsgesetz oder innerhalb des Insolvenzverfahrens nach der Insolvenzordnung, niemals zu. Die §§ 129 ff. InsO begründeten ein gesetzliches Schuldverhältnis ohne Rücksicht auf ein in der Insolvenz fortbestehendes oder ein früheres Arbeitsverhältnis zum Insolvenzschuldner. Normadressaten dieses Schuldverhältnisses seien weder der Insolvenzverwalter gerade auch in seiner Arbeitgeberfunktion noch der Gläubiger gerade auch als Arbeitnehmer. Der Arbeitsvertrag bilde nur den tatbestandlichen Anknüpfungspunkt für den erst mit Verfahrenseröffnung entstehenden Rückgewähranspruch aus § 143 InsO. Eine Rückabwicklung der arbeitsrechtlichen Leistungsbeziehung liege nicht vor, weil diese nur zwischen den Parteien des ursprünglichen Leistungsverhältnisses erfolgen könne. Daran fehle es bei der Insolvenzanfechtung.
b) Dem folgt der Gemeinsame Senat nicht. Streitgegenstand im Ausgangsverfahren und in Streitigkeiten der in der Vorlagefrage bezeichneten Art ist der Anspruch des Insolvenzverwalters auf Rückgewähr der vom Schuldner geleisteten Vergütung nach § 143 Abs. 1 InsO, nicht die insolvenzrechtliche Anfechtung als solche. Für die vorgelegte Rechtsfrage ist deshalb die Rechtsnatur des Anfechtungsrechts nach den §§ 129 ff. InsO ohne Belang.
3. Der Streit über die Rückgewähr vom Schuldner geleisteter Arbeitsvergütung nach § 143 Abs. 1 InsO ist eine Rechtsstreitigkeit aus dem Arbeitsverhältnis.
a) Rechtsstreitigkeiten aus dem Arbeitsverhältnis sind nach ganz herrschender Meinung solche, die einem Arbeitsverhältnis entspringen, das zur Zeit der Klage besteht, zuvor bestanden hat oder begründet werden sollte (vgl. nur GMP/Matthes/Schlewing, ArbGG, 7. Aufl., § 2 Rn. 53; ErfK/Koch, 10. Aufl., ArbGG, § 2 Rn. 17). Dabei ist es ohne Bedeutung, auf welche materiell-rechtliche Anspruchsgrundlage der Klageanspruch gestützt wird. Entscheidend ist die enge Verknüpfung eines Lebensvorgangs mit dem Arbeitsverhältnis (BAG, Urteil vom 19. März 2009 - 6 AZR 557/07 Rn. 25, ZInsO 2009, 1312; Urteil vom 21. Januar 2010 - 6 AZR 556/07 Rn. 19, DB 2010, 675, jeweils mwN).
Die Rückgewähr verdienten Arbeitsentgelts nach § 143 Abs. 1 InsO, das der Beklagte als in der Regel vorleistungspflichtiger Arbeitnehmer (§ 614 BGB) aufgrund seines Arbeitsverhältnisses und in Erfüllung der sich daraus ergebenden beiderseitigen Hauptleistungspflichten erhalten hat, ist auf die Rückabwicklung einer arbeitsrechtlichen Leistungsbeziehung gerichtet: Der Masse soll im Interesse der Gläubiger wieder zugeführt werden, was ihr im Rahmen der arbeitsrechtlichen Austauschbeziehung zwischen späterem Schuldner und Arbeitnehmer in - aus der Sicht des Insolvenzverwalters - anfechtbarer Weise entzogen wurde. Die wirksame Anfechtung ermöglicht dem Insolvenzverwalter, in die arbeitsrechtliche Leistungsbeziehung korrigierend einzugreifen. Der Arbeitnehmer muss zugunsten der Masse das verdiente Arbeitsentgelt zurückgewähren. Im Gegenzug lebt nach § 144 Abs. 1 InsO sein Vergütungsanspruch wieder auf. Der Arbeitnehmer muss nunmehr seine Forderung nach § 174 InsO zur Tabelle anmelden und kann bei Bestreiten Feststellungsklage nach § 180 InsO erheben, für die der Rechtsweg zu den Gerichten für Arbeitssachen eröffnet ist, § 2 Abs. 1 Nr. 3a ArbGG in Verbindung mit § 185 InsO.
b) Ein solches Verständnis der Voraussetzung einer Rechtsstreitigkeit "aus dem Arbeitsverhältnis" gebietet auch der Zweck der Zuweisung des Rechtswegs an die Gerichte für Arbeitssachen. Die Arbeitsgerichtsbarkeit zeichnet sich neben der schnelleren und kostengünstigeren Abwicklung arbeitsrechtlicher Streitigkeiten und der Nutzung der besonderen Kenntnisse von im Arbeitsleben erfahrenen Personen als ehrenamtlichen Richtern in allen Instanzen vor allem durch einen vom Gesetzgeber gewollten spezifischen Arbeitnehmerschutz aus. Vor den Gerichten für Arbeitssachen kann mit einem wesentlich reduzierten Kostenrisiko staatlicher Rechtsschutz in Anspruch genommen werden (vgl. § 12a Abs. 1 Satz 1 ArbGG, § 42 Abs. 3, Abs. 4 Satz 1 2. Halbs. GKG). Die Parteien sind berechtigt, den Rechtsstreit erstinstanzlich unabhängig vom Streitwert selbst zu führen bzw. sich - kostenlos - von volljährigen Familienangehörigen oder Gewerkschaften (von letzteren in allen Instanzen, vgl. zu den Einzelheiten § 11 ArbGG) vertreten zu lassen. Genießen sie keinen gewerkschaftlichen Rechtsschutz haben Arbeitnehmer als Beklagte, sofern die Gegenseite durch einen Rechtsanwalt vertreten ist, Anspruch auf Beiordnung eines Rechtsanwalts ohne Rücksicht auf die Erfolgsaussicht ihrer Rechtsverteidigung, § 11a ArbGG. Es ist kein überzeugender Grund ersichtlich, dem Arbeitnehmer bei der Verteidigung verdienter Vergütung gegen eine Rückgewähr nach § 143 Abs. 1 InsO diesen verfahrensrechtlichen Schutz zu nehmen. Der Rückgewähranspruch nach § 143 Abs. 1 InsO ist gerade darauf gerichtet, das wegen der erbrachten Arbeitsleistung mit Recht als Gegenleistung aus dem Arbeitsverhältnis erhaltene (verdiente) Entgelt zurückzahlen zu müssen.
4. Der Streit über die Rückgewähr vom Schuldner geleisteter Arbeitsvergütung ist eine Rechtsstreitigkeit zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern im Sinne des § 2 Abs. 1 Nr. 3 ArbGG.
a) Nach der vorgelegten Rechtsfrage ist der Beklagte Arbeitnehmer. Ob das Arbeitsverhältnis zum Zeitpunkt der Klage noch bestanden hat, ist für die Zulässigkeit des Rechtswegs zu den Gerichten für Arbeitssachen unerheblich.
b) Der Insolvenzverwalter ist für Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis für die Dauer des Insolvenzverfahrens Arbeitgeber im Sinne des § 2 Abs. 1 Nr. 3 ArbGG.
Das Arbeitsgerichtsgesetz enthält keine Definition des Arbeitgeberbegriffs. Nach allgemeiner Ansicht ist Arbeitgeber derjenige, der zumindest einen Arbeitnehmer oder eine arbeitnehmerähnliche Person im Sinne des § 5 Abs. 1 ArbGG beschäftigt (statt vieler: BAG, Urteil vom 9. September 1982 - 2 AZR 253/80, BAGE 40, 145; ErfK/Preis, § 611 BGB Rn. 183; GMP/Matthes/Schlewing, ArbGG, 7. Aufl., § 2 Rn. 51). Dabei reicht es aus, wenn zwischen "Arbeitgeber" und "Arbeitnehmer" ein nur faktisches Arbeitsverhältnis besteht (BAG, Urteil vom 25. April 1963 - 5 AZR 398/62, BAGE 14, 180).
Vertragsarbeitgeber bleibt auch in der Insolvenz der Schuldner, der Insolvenzverwalter wird aber für die Dauer des Insolvenzverfahrens faktisch Arbeitgeber. Gemäß § 80 Abs. 1 InsO geht das Recht des Schuldners, das zur Insolvenzmasse gehörende Vermögen zu verwalten und über dieses zu verfügen, auf den Insolvenzverwalter über. § 108 Abs. 1 InsO stellt klar, dass Dauerschuldverhältnisse, zu denen auch ausdrücklich Dienstverhältnisse gezählt werden, mit Wirkung für die Insolvenzmasse fortbestehen. Damit kann der Vertragsarbeitgeber die aus der Arbeitgeberstellung fließenden Rechte und Pflichten nicht mehr ausüben; sie fallen dem Insolvenzverwalter zu. Dieser tritt in die Arbeitgeberstellung des Schuldners ein und übt für die Dauer des Insolvenzverfahrens statt des Vertragsarbeitgebers die Funktion des Arbeitgebers aus (ganz herrschende Meinung, vgl. nur HK-InsO/Linck, 5. Aufl., § 113 Rn. 32; MünchKomm.InsO/Ott/Vuia, 2. Aufl., § 80 Rn. 121 f.; Uhlenbruck/Uhlenbruck, InsO, 13. Aufl. § 80 Rn. 12; Schaub/Vogelsang, Arbeitsrechts-Handbuch, 13. Aufl., § 17 Rn. 5, jeweils mwN; s. auch BAG, Urteil vom 17. September 1974 - 1 AZR 16/74, BAGE 26, 257; Urteil vom 5. Februar 2009 - 6 AZR 110/08 Rn. 15, NZA 2009, 1215; BSG, Urteil vom 23. November 1981 - 10 RAr 13/81, ZIP 1982, 587). Die materiell-rechtliche Funktion des Insolvenzverwalters als Arbeitgeber bedingt prozessual seine Stellung als Arbeitgeber im Sinne des § 2 Abs. 1 Nr. 3 ArbGG. Für Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis ist der Insolvenzverwalter für die Dauer des Insolvenzverfahrens Arbeitgeber kraft Amtes. Dabei ist es unerheblich, ob der Insolvenzverwalter aufgrund des nach § 80 Abs. 1 InsO auf ihn übergegangenen Verwaltungs- und Verfügungsrecht tätig bzw. in Anspruch genommen wird oder er aufgrund eines ihm von der Insolvenzordnung anderweitig eingeräumten Rechts - wie dem besonderen Kündigungsrecht nach § 113 InsO oder dem Anfechtungsrecht nach den §§ 129 ff. InsO - auf das Arbeitsverhältnis einwirkt.
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Masuch Schmidt Ganter
Müller-Glöge Kayser Biebl