Entscheidungsdatum: 09.06.2017
Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen vom 30. November 2016 wird als unzulässig verworfen.
Die Beteiligten haben einander für das Beschwerdeverfahren keine außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
I. Die Klägerin begehrt die Feststellung eines höheren Grades der Schädigungsfolgen (GdS), einer besonderen beruflichen Betroffenheit sowie die Gewährung von Berufsschadensausgleich nach dem Opferentschädigungsgesetz (OEG) iVm dem Bundesversorgungsgesetz (BVG).
Der 1984 geborene Sohn der 1962 geborenen Klägerin wurde im Jahr 2007 Opfer einer schweren Körperverletzung. Seitdem ist er schwerbehindert mit einem Grad der Behinderung (GdB) von 100 sowie pflegebedürftig. Der Beklagte hat deshalb bei der Klägerin psychoreaktive Störungen als Schädigungsfolge (im Sinne eines Schockschadens) anerkannt und ab dem 1.5.2007 einen GdS in Höhe von 40 festgestellt, ihren weitergehenden Antrag auf Feststellung eines GdS von 70 dagegen abgelehnt (Bescheid vom 7.9.2010, Widerspruchsbescheid vom 8.3.2011). Ebenso lehnte der Beklagte den im Jahr 2010 gestellten Antrag der Klägerin ab, ihr Berufsschadensausgleich zu gewähren sowie ihren GdS wegen besonderer beruflicher Betroffenheit höher zu bewerten (Bescheid vom 5.1.2011, Widerspruchsbescheid vom 20.4.2011).
Das SG hat die gegen beide Ablehnungen erhobenen Klagen zu einem gemeinsamen Verfahren verbunden und sodann abgewiesen (Urteil vom 24.7.2013). Die dagegen erhobene Berufung hat das LSG zurückgewiesen. Wie die medizinischen Ermittlungen ergeben hätten, sei das schädigende Ereignis - die Benachrichtigung der Klägerin von der schweren Verletzung ihres Sohnes - grundsätzlich geeignet gewesen, eine akute seelische Belastungsreaktion auszulösen. Für die im Laufe der Zeit aufgetretene Chronifizierung und Symptomausweitung im Sinne einer somatoformen Störung hätten aber schädigungsunabhängige Faktoren die führende Rolle übernommen, insbesondere die Belastung durch die lebenslange Behinderung des Sohnes (Urteil vom 30.11.2016).
Gegen die Nichtzulassung der Revision in dieser Entscheidung hat die Klägerin Beschwerde zum BSG eingelegt. Das LSG sei von der Rechtsprechung des BSG zur sogenannten bestärkten Wahrscheinlichkeit abgewichen und habe dabei auch die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache verkannt.
II. Die Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin ist unzulässig. Die Begründung genügt nicht den gesetzlichen Anforderungen, weil sie weder die behauptete Divergenz (1.) noch eine grundsätzliche Bedeutung (2.) ordnungsgemäß dargetan hat (vgl § 160a Abs 2 S 3 SGG).
1. Die Klägerin hat die für eine Divergenz (§ 160 Abs 2 Nr 2 SGG) notwendigen Voraussetzungen nicht in der gesetzlich gebotenen Weise dargelegt. Wer eine Rechtsprechungsdivergenz entsprechend den gesetzlichen Anforderungen darlegen will, muss entscheidungstragende abstrakte Rechtssätze in der Entscheidung des Berufungsgerichts einerseits und in der herangezogenen höchstrichterlichen Entscheidung des BSG, des GmSOGB oder des BVerfG andererseits gegenüberstellen und dazu ausführen, weshalb beide miteinander unvereinbar sein sollen (vgl zB BSG Beschluss vom 28.7.2009 - B 1 KR 31/09 B - RdNr 4; BSG Beschluss vom 28.6.2010 - B 1 KR 26/10 B - RdNr 4; BSG Beschluss vom 22.12.2010 - B 1 KR 100/10 B - Juris RdNr 4 mwN). Erforderlich ist, dass das LSG einen abweichenden fallübergreifenden Rechtssatz aufgestellt hat und nicht etwa lediglich im Einzelfall fehlerhaft das Recht angewendet hat (vgl zB BSG Beschluss vom 15.1.2007 - B 1 KR 149/06 B - RdNr 4; BSG SozR 3-1500 § 160 Nr 26 S 44 f mwN).
Die Beschwerde macht geltend, das LSG sei von Rechtsgrundsätzen der Senatsurteile vom 18.10.1995 - 9/9a RVg 4/92 - sowie vom 12.6.2003 - B 9 VG 1/02 R - abgewichen. Indes arbeitet sie bereits keinen entscheidungstragenden abstrakten Rechtssatz dieser BSG-Entscheidungen heraus, sondern zitiert nur selektiv aus den Urteilsgründen. Noch weniger stellt die Beschwerde einen fallübergreifenden Rechtssatz des LSG heraus, der dieser Rechtsprechung entgegenstehen könnte. Allein die Behauptung, das LSG habe die maßgebenden Grundsätze gutachterlicher Beurteilung missachtet und den vom BSG entwickelten Beweisgrundsätzen widersprochen, genügt nicht, um eine Divergenz darzulegen. Denn eine solche liegt nicht schon dann vor, wenn die Entscheidung des LSG nicht den Kriterien entspricht, die das BSG aufgestellt hat, sondern erst, wenn das LSG diesen Kriterien widersprochen, also eigene rechtliche Maßstäbe entwickelt hat. Nicht die Unrichtigkeit der Entscheidung im Einzelfall, sondern die Nichtübereinstimmung im Grundsätzlichen begründet die Zulassung der Revision wegen Abweichung. Die erforderlichen Darlegungen sind der Beschwerde nicht zu entnehmen. Daher kann dahinstehen, ob die in den genannten, älteren Senatsentscheidungen aufgestellten Grundsätze weiterhin unverändert Gültigkeit haben, obwohl der entsprechende Teil der Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht 2008 nicht in die Versorgungsmedizin-Verordnung (VersMedV) übernommen worden ist.
2. Ebenso wenig dargelegt ist eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache. Eine Rechtssache hat nur dann grundsätzliche Bedeutung, wenn sie eine Rechtsfrage aufwirft, die über den Einzelfall hinaus aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts einer Klärung durch das Revisionsgericht bedürftig und fähig ist (zum Ganzen vgl BSG SozR 3-1500 § 160a Nr 34 S 70 mwN). Klärungsbedürftig ist eine Rechtsfrage, wenn sie höchstrichterlich weder tragend entschieden noch präjudiziert ist und die Antwort nicht von vornherein praktisch außer Zweifel steht, so gut wie unbestritten ist oder sich unmittelbar aus dem Gesetz ergibt. Um die Klärungsbedürftigkeit ordnungsgemäß darzulegen, muss sich der Beschwerdeführer daher ua mit Wortlaut, Kontext und ggf der Entstehungsgeschichte des fraglichen Gesetzes sowie der einschlägigen Rechtsprechung auseinandersetzen (Karmanski in Roos/Wahrendorf, SGG, 2014, § 160a RdNr 50 mwN).
Diesen Anforderungen wird die vorliegende Beschwerdebegründung nicht gerecht.
Soweit sie die Frage formuliert, |
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ob medizinisch nicht nachgewiesene oder sogar der wissenschaftlichen Lehrmeinung und den Grundsätzen der VersMedV widersprechende Kausalitätsbeurteilungen berücksichtigt werden dürfen, |
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legt sie nicht dar, warum sich diese Frage nicht unschwer mit Hilfe der vorhandenen Rechtsprechung des BSG beantworten lässt. Danach sind medizinische Fragen, insbesondere zur Verursachung von Gesundheitsstörungen, auf der Grundlage des im Entscheidungszeitpunkt neuesten medizinisch-wissenschaftlichen Erkenntnisstandes zu beantworten (vgl BSG Urteil vom 7.4.2011 - B 9 VJ 1/10 R - SozR 4-3851 § 60 Nr 4 mwN). |
Soweit die Beschwerde sich im Übrigen gegen die Kausalitätsbeurteilung des LSG im Einzelfall wendet, rügt sie der Sache nach nur einen im Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde unerheblichen Rechtsanwendungsfehler (error in iudicando): Die inhaltliche Richtigkeit der Entscheidung des LSG im Einzelfall ist nicht Gegenstand der Nichtzulassungsbeschwerde (vgl BSG SozR 1500 § 160a Nr 7).
Die Beschwerde ist somit ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter zu verwerfen (§ 160a Abs 4 S 1 Halbs 2, § 169 SGG).